BGH,
Beschl. v. 6.6.2008 - 2 StR 189/08
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
2 StR 189/08
vom
6. Juni 2008
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Totschlags u. a.
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Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des
Generalbundesanwalts und nach Anhörung des
Beschwerdeführers am 6. Juni 2008 gemäß
§ 206 a Abs. 1, § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Frankfurt am Main vom 13. September 2007 wird
a) das Verfahren eingestellt, soweit der Angeklagte wegen versuchten
Totschlags zum Nachteil E. Ka. (in Tateinheit mit weiteren Straftaten)
verurteilt worden ist; im Umfang der Einstellung fallen die Kosten des
Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten der Staatskasse
zur Last,
b) das vorgenannte Urteil dahin geändert, dass der Angeklagte
wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher
Körperverletzung, Beteiligung an einer Schlägerei und
unerlaubtem Führen einer halbautomatischen Kurzwaffe zu einer
Freiheitsstrafe von elf Jahren verurteilt ist.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
3. Der Beschwerdeführer hat die verbleibenden Kosten des
Rechtsmittels und die dadurch den Nebenklägern entstandenen
notwendigen Auslagen zu tragen.
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Gründe:
Das Landgericht Wiesbaden hatte den Angeklagten durch Urteil vom 1.
April 2005 wegen Mordes (zum Nachteil A. Ka. ) zu lebenslanger
Freiheitsstrafe verurteilt. Der Senat hatte diese Entscheidung durch
Urteil vom 22. März 2006 (BGH NStZ 2007, 417) mit den
Feststellungen aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung an das Landgericht Frankfurt am Main
zurückverwiesen. Dieses Landgericht hat den Angeklagten wegen
versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher
Körperverletzung, Beteiligung an einer Schlägerei und
unerlaubtem Führen einer halbautomatischen Kurzwaffe in zwei
Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwölf
Jahren (Einzelstrafen jeweils elf Jahre) verurteilt. Mit seiner
Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und
materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat in dem aus dem Beschlusstenor
ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist es
unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
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1. Nach den nunmehr getroffenen Feststellungen des Landgerichts war ein
Sohn des H. B. , des Onkels des Angeklagten, bei dem dieser zur Tatzeit
lebte, erschossen worden. Man machte dafür Personen im Umfeld
des später getöteten A. Ka. verantwortlich; dies
führte zu einer feindselig gespannten Lage zwischen beiden
Familien.
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Am Tatabend wollte der Angeklagte zusammen mit einem weiteren Neffen
des B. , D. S. , die Diskothek P. in Wiesbaden aufsuchen. Sie wurden
dort nicht eingelassen, weil S. mit Hausverbot belegt war und weil sich
in der Diskothek A. Ka. mit seinem Bruder E. Ka. und einigen seiner
Freunde aufhielt. Es kam deshalb zu einer Schlägerei mit dem
für das Sicherungsunternehmen des Zeugen N. tätigen
Türstehern; S. wurde hierbei verletzt. In Anwesenheit der
herbeigerufenen Polizeibeamten drohte der
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Angeklagte dem Zeugen N. Rache an. Der Angeklagte kehrte daraufhin
zunächst wieder zur Wohnung des H. B. zurück. D. S.
wurde ambulant im Krankenhaus behandelt und begab sich dann gemeinsam
mit seinem Bruder H. S. ebenfalls zum B. .
Als man B. von dem Vorfall berichtete, beschloss dieser, zu der
Diskothek zu fahren; dort sollten die Türsteher
verprügelt werden. Er legte eine schusssichere Weste an und
nahm einen Baseballschläger mit. Gemeinsam mit den
Brüdern S. und dem Kick-Box-Veranstalter T. fuhr man
zunächst zu einer anderen Diskothek, nahm dort den
Türsteher Er. Kar. , der aber nur vermitteln wollte, auf und
fuhr sodann zur Diskothek P. .
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Vor der Diskothek stieß man - möglicherweise
zufällig - auf A. Ka. , der telefonierte. Nachdem Kar. ihn
begrüßt hatte, ging Ka. zum Fahrzeug des T. und
fragte, was los sei. B. stieg nun, ohne den Baseballschläger
mitzunehmen, aus dem anderen Fahrzeug aus, ging auf A. Ka. zu, wobei es
zunächst zu einer verbalen Auseinandersetzung zwischen beiden
kam. A. Ka. wich zurück und redete beschwichtigend auf B. ein.
Während sich die Auseinandersetzung auf den
Bürgersteig vor der Diskothek verlagerte, ergriff B. das Hemd
des A. Ka. im Brustbereich und zog an diesem. Nunmehr kamen die
Brüder S. , Kar. und der Angeklagte hinzu; der Angeklagte
führte eine halbautomatische Kurzwaffe bei sich, ohne
über eine waffenrechtliche Erlaubnis zu verfügen. Aus
der Diskothek liefen E. Ka. und Freunde von A. Ka. auf die
Straße, um diesem beizustehen. Es entstand ein Gerangel. E.
Ka. versetzte H. S. einen Faustschlag, woraufhin dieser zu Boden ging.
Nun rief B. "bas, bas", was auf türkisch "schieß,
schieß“, aber auch "mach, mach" oder
"drück, drück" bedeutet. Hierauf zog der Angeklagte
seine Pistole und gab mehrere, schnell aufeinander folgende
Schüsse mit bedingtem Tötungsvorsatz auf den ihm in
einer Entfernung von
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wenigen Metern zugewandten A. Ka. ab. Er traf ihn mindestens einmal
unterhalb der rechten Brust, ohne dass dies eine
lebensgefährliche Verletzung zur Folge hatte.
Daraufhin wandte sich der Angeklagte leicht zur Seite und gab ebenfalls
mit bedingtem Tötungsvorsatz zumindest einen Schuss auf den
neben A. Ka. stehenden E. Ka. ab, wobei er diesen am rechten Oberarm
traf.
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Sodann wandte sich der Angeklagte zur Flucht. In dem unmittelbar
anschließenden Kampfgeschehen wurden A. Ka. und H. B. von
bislang unbekannten Tätern erschossen.
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2. Das Verfahren ist einzustellen, soweit das Landgericht den
Angeklagten wegen Straftaten zum Nachteil des E. Ka. verurteilt hat,
weil diese Tat nicht von der Anklage umfasst war und eine
Nachtragsanklage nicht erhoben wurde. Die unverändert
zugelassene Anklage vom 9. Februar 2004 legte dem Angeklagten zur Last,
gezielt zwei Schüsse auf A. Ka. abgegeben und ihn durch einen
der beiden getötet zu haben. Der Schuss auf E. Ka. wurde zwar
im wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen erwähnt, dort aber
keinem bestimmten Schützen zugeordnet.
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a) Bei dem Schuss auf E. Ka. handelt es sich um eine
selbständige prozessuale Tat im Sinne des § 264 StPO.
Allerdings ist nach ständiger Rechtsprechung (vgl. nur BGHSt
45, 211; BGH NStZ 2006, 350; BGHR StPO § 264 Abs. 1
Tatidentität 31; 35) die Tat als Prozessgegenstand nicht nur
der in der Anklage umschriebene und dem Angeklagten dort zur Last
gelegte Geschehensablauf; vielmehr gehört zu ihr das gesamte
Verhalten, soweit es mit dem durch die Anklage bezeichneten
geschichtlichen Vorkommnis nach der Auffassung des Lebens einen
einheitlichen Vorgang bildet. Auch sachlich-rechtlich
selbständige Taten können prozessual eine Tat im
Sinne von § 264
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StPO sein. Dabei kommt es im Einzelfall darauf an, ob die einzelnen
Handlungen nicht nur äußerlich ineinander
übergehen, sondern auch innerlich derart unmittelbar
miteinander verknüpft sind, dass der Unrechts- und
Schuldgehalt der einen Handlung nicht ohne die Umstände, die
zu der anderen Handlung geführt haben, richtig
gewürdigt werden kann und ihre getrennte Würdigung
und Aburteilung in verschiedenen Verfahren einen einheitlichen
Lebensvorgang unnatürlich aufspalten würde.
Eine solche Verknüpfung der strafbaren Handlungen liegt hier,
gemessen am Verhalten des Angeklagten, jedoch nicht vor. Dass die vom
Angeklagten auf die Brüder A. und E. Ka. abgefeuerten
Schüsse zeitlich aufeinander folgten und unter denselben
äußeren und inneren Umständen
ausgelöst wurden, genügt hierzu nicht (vgl. BGH
Beschl. vom 9. April 2008 - 3 StR 86/08). Jede Tötungshandlung
gegenüber einem bestimmten Menschen hebt sich, soweit nicht
die Voraussetzungen des § 52 StGB vorliegen, auch für
die natürliche Auffassung so sehr von jeder
Tötungshandlung gegenüber einem anderen Menschen ab,
dass ein noch so enger äußerer, zeitlicher und
psychologischer Zusammenhang verschiedene Tötungshandlungen
nicht zu einer Tat machen kann, mit dem Ergebnis, dass eine
Verurteilung oder Freisprechung wegen einer solchen Tötung die
Verfolgung wegen der Übrigen hindern könnte (so
bereits BGH, Urteil vom 6. Juli 1956 - 5 StR 434/55; vgl. im
Übrigen Meyer-Goßner StPO 50. Aufl. § 264
Rdn. 2 b, 3 und 6 b). Es lagen hier also weder eine gleichartige
Angriffsrichtung noch dasselbe Tatobjekt oder eine deliktsimmanente
Verbindung der Handlungen (vgl. dazu Meyer-Goßner aaO
§ 264 Rdn. 2 a m.w.N.) noch eine Überschneidung im
äußeren Ablauf der Taten (vgl. BGH BGHR StPO
§ 264 Abs. 1 Tatidentität 34) vor. Die
Verstöße gegen das Waffengesetz und die Beteiligung
an der Schlägerei vermögen zwischen den weit schwerer
wiegenden versuchten Tötungsdelikten keine prozessuale Tat-
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identität zu begründen (vgl. BGH NStZ 1989, 540;
Engelhardt in KK-StPO 5. Aufl. § 264 Rdn. 8).
b) Eine Zusammenfassung der auf A. und E. Ka. abgegebenen
Schüsse zu einer natürlichen Handlungseinheit (vgl.
dazu Fischer StGB 55. Aufl. vor § 52 Rdn. 4 und 7 f.) scheidet
aus. Es darf nämlich nicht außer Acht gelassen
werden, dass höchstpersönliche Rechtsgüter
verschiedener Personen einer additiven Betrachtungsweise, wie sie der
natürlichen Handlungseinheit zugrunde liegt, nur ausnahmsweise
zugänglich sind. Greift daher der Täter einzelne
Menschen nacheinander an, um jeden von ihnen in seiner
Individualität zu beeinträchtigen, so besteht sowohl
bei natürlicher als auch bei rechtsethisch wertender
Betrachtungsweise selbst bei einheitlichem Tatentschluss und engem
räumlichen und zeitlichen Zusammenhang
regelmäßig kein Anlass, diese Vorgänge
rechtlich als eine Tat zusammenzufassen (vgl. BGHSt 2, 246, 247; 16,
397; BGH NStZ 2006, 284, 285 f.; BGHR StGB vor §
1/natürliche Handlungseinheit Entschluss, einheitlicher 9, 10).
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Etwas anderes kann nur dann gelten, wenn eine Aufspaltung in
Einzeltaten wegen eines außergewöhnlich engen
zeitlichen und situativen Zusammenhangs, etwa bei Messerstichen
innerhalb weniger Sekunden (vgl. BGH BGHR StGB vor §
1/natürliche Handlungseinheit Entschluss, einheitlicher 2),
bei einem gegen eine aus der Sicht des Täters nicht
individualisierte Personenmehrheit gerichteten Angriff (vgl. BGH NJW
1985, 1565) oder bei zeitgleich und wechselweise erfolgenden Angriffen
auf mehrere Opfer (BGH NStZ 2003, 366) willkürlich und
gekünstelt erschiene. Ein solcher Sonderfall ist hier jedoch
nach den Feststellungen nicht gegeben. Das Schwurgericht hat die
Beweggründe des Angeklagten, auch auf E. Ka. zu
schießen, nicht festzustellen vermocht. Es geht davon aus,
dass der Angeklagte erst auf A. Ka. schoss und sich nach Abgabe dieser
Schüsse entschied, auch auf den in eine Auseinanderset-
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zung mit den Brüdern S. verwickelten E. Ka. zu
schießen (UA 46). Durch das - der Annahme einer
natürlichen Handlungseinheit hier entgegenstehende (vgl.
Rissing-van Saan in LK 12. Aufl. Rdn. 14 vor § 52 m.w.N.) -
Handeln auf Grund eines neu gefassten Entschlusses unterscheidet sich
der Fall von denjenigen Sachverhalten, welche den Beschlüssen
des 5. Strafsenats des Bundesgerichtshofs vom 23. September 1986 (BGHR
StGB vor § 1/natürliche Handlungseinheit Entschluss,
einheitlicher 1), vom 4. Juni 1991 (BGHR StGB vor §
1/natürliche Handlungseinheit Entschluss, einheitlicher 5) und
vom 24. Oktober 2000 (NStZ-RR 2001, 82) zugrunde lagen.
3. Die Einstellung des Verfahrens wegen des Schusses auf E. Ka.
führt zur Änderung des Schuldspruchs. Die
für die versuchte Tötung des A. Ka.
verhängte Strafe kann bestehen bleiben. Die
Schuldspruchänderung berührt den Unrechts- und
Schuldgehalt dieser Tat nicht. Der Senat kann in
Übereinstimmung mit dem Generalbundesanwalt angesichts der
Strafzumessungserwägungen des Landgerichts
ausschließen, dass die Höhe der hierfür
verhängten Einzelstrafe von der Verurteilung wegen des
Schusses auf E. Ka. beeinflusst worden ist; insbesondere führt
das Schwurgericht diesen Gesichtspunkt bei der Rechtsfolgenbemessung
nicht an.
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4. Im verbleibenden Umfang der Verurteilung hat die
Überprüfung des Urteils auf Grund der
Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des
Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO).
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Rissing-van Saan Rothfuß Fischer
Appl Cierniak |