BGH,
Beschl. v. 6.3.2001 - 4 StR 541/00
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
4 StR 541/00
vom
6. März 2001
in der Strafsache gegen
wegen Totschlags
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des
Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 6.
März 2001 gemäß § 349 Abs. 2 und 4
StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Münster vom 4. Juli 2000
a) im Schuldspruch dahin abgeändert, daß der
Angeklagte des Totschlags schuldig ist,
b) im Strafausspruch aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts
Bochum zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes unter Einbeziehung der
Einzelstrafen aus zwei rechtskräftigen Verurteilungen zu
lebenslanger Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe verurteilt.
Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit
der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt.
Das Rechtsmittel führt auf die Sachrüge zur
Änderung des Schuldspruchs und zur Aufhebung des
Strafausspruchs; im übrigen ist es unbegründet im
Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Die Verurteilung wegen Mordes hat keinen Bestand.
a) Nach den Feststellungen faßte Erika H. , die ihre im Jahre
1969 mit dem Angeklagten geschlossene Ehe seit langem als gescheitert
ansah, im Herbst 1979 den Entschluß, ihren Ehemann unter
Mitnahme der beiden Töchter zu verlassen. Darüber kam
es in den frühen Morgenstunden des 11. November 1979 zu einem
heftigen Streit zwischen den Eheleuten. Spätestens dabei
erklärte Erika H. dem Angeklagten, "daß und warum
sie ihn verlassen wolle, wobei nicht ausgeschlossen werden kann, dass
sie neben den von ihr als belastend empfundenen Umständen der
Abhängigkeit, Einsamkeit und Vernachlässigung dem
Angeklagten auch zu erklären versuchte, in der Ehe sexuell
unbefriedigt zu sein" (UA 17). Wegen der eindeutigen Trennungsabsichten
und auch wegen ihrer - ihm seit längerem bekannten - Beziehung
zu einem anderen Mann, die er als ursächlich dafür
ansah, geriet der Angeklagte, der an der Ehe festhalten wollte, in Wut.
Zunächst versetzte er seiner Ehefrau einige Ohrfeigen, sodann
würgte er sie mit beiden Händen am Hals, bis sie
bewußtlos zu Boden sank.
Spätestens jetzt entschloß sich der Angeklagte,
seine Ehefrau zu töten, um sie an der beabsichtigten Trennung
zu hindern und sein Ansehen als Ehemann zu wahren; außerdem
wollte er sie wegen ihrer Beziehung zu einem anderen Mann bestrafen. Er
wickelte eine Paketschnur mehrfach um ihren Hals und zog diese
kräftig zu. Anschließend traf er verschiedene
Vorkehrungen, um einen Selbstmord seiner Ehefrau
vorzutäuschen: Er legte die bewußtlose Frau in die
Badewanne, füllte diese mit Wasser und band die noch immer um
den Hals des Opfers gewundene Paketschnur um den Duschschlauch. Dabei
stellte er sich vor, daß seine Ehefrau, falls sie trotz der
vorausgegangenen Strangulation noch leben sollte, ertrinken werde.
Erika H. verstarb binnen weniger Minuten infolge Ertrinkens.
b) Die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe im Sinne des
§ 211 Abs. 2 StGB aus niedrigen Beweggründen
gehandelt, hält rechtlicher Prüfung nicht stand.
Die Beurteilung der Frage, ob Beweggründe zur Tat "niedrig"
sind, also nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe
stehen, mithin in deutlich weiterreichendem Maße als bei
einem Totschlag als verwerflich und deshalb als besonders
verachtenswert erscheinen, hat aufgrund einer Gesamtwürdigung
aller äußeren und inneren für die
Handlungsantriebe des Täters maßgeblichen Faktoren
zu erfolgen (vgl. BGHSt 35, 116, 127; BGH StV 1996, 211, 212), wobei es
stets besonders sorgfältiger Prüfung bedarf, wenn
sich eine Tat plötzlich aus einer Situation heraus entwickelt
(vgl. BGHR StGB § 211 Abs. 2 niedrige Beweggründe 11
m.w.N.). Dem wird die Würdigung des Landgerichts nicht gerecht.
Das Landgericht begründet die Annahme niedriger
Beweggründe wie folgt:
"Beweggrund des Angeklagten war hier, seiner Ehefrau das Recht, ihr
Leben eigenverantwortlich zu gestalten und sich von ihm zu trennen,
abzusprechen sowie sein eigenes ausgeprägtes Besitzdenken, das
sich auch darin verdeutlicht, daß er ihr das Recht absprach,
sich einem anderen Mann zuzuwenden. Die Tötung durch den
Angeklagten, bei der er von der Vorstellung ausging, seine Ehefrau habe
ihr Leben verwirkt, da sie sich von ihm trennen wollte, und bei der er
sich gleichsam als Vollstrecker eines Todesurteils über die
Rechtsordnung und das Lebensrecht seiner Ehefrau erhob, ist in
höchstem Maße verwerflich und begründet die
Annahme niedriger Beweggründe. Nichts anderes gilt deswegen,
weil es dem Angeklagten auch um sein Ansehen vor ihren Verwandten und
in seinem Umfeld ging, weil er es als Schande und Niederlage ansah, von
seiner Ehefrau verlassen zu werden. Die Tötung der Ehefrau aus
diesen Gründen bedeutet, dass der Angeklagte seiner Ehefrau
aus rücksichtslosem Eigennutz das Lebensrecht absprach" (UA
89).
Diese Bewertung ist lückenhaft. Zum einen hat das Landgericht
nicht bedacht, daß es bei einem Motiv wie Eifersucht darauf
ankommt, ob es seinerseits auf niedriger Gesinnung beruht (vgl.
Tröndle/Fischer StGB 50. Aufl. § 211 Rdn. 11 mit
zahlreichen Nachweisen). Daran könnten hier deswegen Zweifel
bestehen, weil der Angeklagte berechtigten Anlaß zur
Eifersucht hatte. Vor allem aber ist bei der Bewertung nicht
berücksichtigt, daß - wie das Urteil im Zusammenhang
mit der Schuldfähigkeitsbeurteilung ausführt - "die
Anwendung körperlicher Gewalt durch den Angeklagten auf einer
aktuellen Provokation durch seine Ehefrau" beruhte, "die ihm nicht nur
in sexueller Hinsicht, sondern auch bezogen auf die Ehe insgesamt
Vorwürfe machte" (UA 83), wodurch "eine gewisse affektive
Aufladung ausgelöst" (UA 84) wurde. Zwar führte diese
affektive Aufladung, wie das Landgericht in Übereinstimmung
mit dem Sachverständigen Dr. R. rechtsfehlerfrei dargetan hat,
nicht zu einer erheblichen Einschränkung oder gar zum
Ausschluß der Steuerungsfähigkeit im Sinne der
§§ 20, 21 StGB. Auch erreichten die
Äußerungen Erika H. s - entgegen der bedenklichen
Formulierung "aktuelle Provokation" (UA 83) - nach den Feststellungen
keinesfalls etwa den Grad einer schweren Beleidigung im Sinne des
§ 213 1. Alt. StGB. Trotzdem durfte die affektive Aufladung
(UA 17: "Wut") bei der Gesamtwürdigung nicht
unberücksichtigt bleiben, da sie die Bewertung und Gewichtung
der weiteren Beweggründe, zumindest im subjektiven Bereich,
beeinflussen kann.
2. Angesichts der Tatsache, daß die Tat, die aufgrund
unsorgfältiger Ermittlungen erst so spät
aufgeklärt werden konnte, nunmehr mehr als 21 Jahre
zurückliegt, sind weitere Feststellungen, die eine
Verurteilung wegen Mordes tragen könnten, nicht zu erwarten.
Der Senat ändert daher den Schuldspruch dahingehend ab,
daß der Angeklagte des Totschlags, § 212 Abs. 1
StGB, schuldig ist. § 265 StPO steht dem nicht entgegen, da
dieser Tatvorwurf bereits in der unverändert zur
Hauptverhandlung zugelassenen Anklageschrift erhoben worden ist.
Außerdem hätte sich der Angeklagte gegen den
geänderten Schuldvorwurf nicht wirksamer als bisher
verteidigen können.
Die Änderung des Schuldspruchs führt zur Aufhebung
des Strafausspruchs; jedoch können die Feststellungen, auch
diejenigen zur Schuldfähigkeit des Angeklagten, aufrecht
erhalten bleiben, da sie rechtsfehlerfrei getroffen sind.
3. Der Senat verweist die Sache zur Festsetzung einer zeitigen
Freiheitsstrafe an eine als Schwurgericht zuständige
Strafkammer des Landgerichts Bochum zurück (§ 354
Abs. 2 Satz 1 2. Alt. StPO).
Meyer-Goßner Maatz Athing
Solin-Stojanovic Ernemann |