BGH,
Beschl. v. 6.3.2002 - 4 StR 29/02
4 StR 29/02
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
vom
6. März 2002
in der Strafsache gegen
wegen Vergewaltigung u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofes hat nach Anhörung
des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 6.
März 2002 gemäß § 349 Abs. 2 und 4
StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Schwerin vom 17. September 2001 mit den Feststellungen aufgehoben
a) soweit der Angeklagte des versuchten Mordes in Tateinheit mit
gefährlicher Körperverletzung für schuldig
befunden worden ist; insoweit bleiben jedoch die Feststellungen zum
äußeren Tatgeschehen aufrechterhalten;
b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe sowie
c) im Maßregelausspruch.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des
Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in
Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und
wegen Vergewaltigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Jahren und
sechs Monaten verurteilt und seine Unterbringung in einem
psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Hiergegen wendet sich der
Angeklagte mit seiner Revision, mit der er die Verletzung sachlichen
Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat in dem aus der
Beschlußformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im
übrigen ist es unbegründet im Sinne des §
349 Abs. 2 StPO.
1. Die Überprüfung des Urteils aufgrund der
Revisionsrechtfertigung hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des
Angeklagten ergeben, soweit ihn das Landgericht im Zusammenhang mit der
zum Nachteil des 80jährigen Robert Z. begangenen Tat der
gefährlichen Körperverletzung und wegen
Vergewaltigung zum Nachteil von dessen Ehefrau, der zur Tatzeit
78jährigen Erna Z. für schuldig befunden hat.
Insoweit nimmt der Senat Bezug auf die Ausführungen des
Generalbundesanwalts in seiner Antragsschrift vom 4. Februar 2002.
Die Verurteilung wegen der Tat zum Nachteil des Robert Z. kann jedoch
nicht bestehen bleiben, weil der Ausschluß strafbefreienden
Rücktritts vom Versuch des - wie das Landgericht ohne
Prüfung weiterer Mordmerkmale angenommen hat -
heimtückisch begangenen Mordes durch das Landgericht
durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnet.
Nach den Feststellungen kam der "mittelgradig alkoholisierte"
Angeklagte in der Tatnacht an dem von den Eheleuten Z. bewohnten Haus
vorbei, in das er aufgrund spontan gefaßten
Diebstahlsentschlusses durch eine rückseitig gelegene
Tür eindrang. Er befand sich noch in der Küche, als
er ein Schnarchgeräusch wahrnahm. Er ergriff ein dort
vorgefundenes Messer und begab sich durch das Wohnzimmer ins
Schlafzimmer. Dort sah er "im schwachen Lichtschein" die schlafenden
Eheleute. Ferner entdeckte er die Hose des Geschädigten, aus
der er das Portemonnaie zog und daraus mindestens 700 DM entnahm, die
er sofort nachzählte. Dabei wachte der Geschädigte
auf. Als dies der Angeklagte bemerkte, stach er ihm sofort mit dem
Messer in den Hals. Dies führte zu einer 3 cm langen und 5 cm
tiefen Wunde, die aber keine größeren
Blutgefäße und auch nicht die Luftröhre
traf. In unmittelbarer Folge versetzte er ihm zwei weitere Stiche, traf
ihn aber aufgrund der Abwehrversuche des Opfers nur
oberflächlich an der linken Hand und am Auge.
Im unmittelbaren Anschluß an das Geschehen im Schlafzimmer
folgte der Geschädigte dem Angeklagten bis vor die
Haustür und versetzte ihm dort mit dem Gehstock seiner Frau
einen Hieb auf den Kopf, um ihn zu vertreiben. Der Angeklagte, der
zuvor das Messer weggeworfen hatte, ergriff nunmehr einen
hölzernen Fußabtreter und ging nun seinerseits auf
den Geschädigten los. Dabei ging es ihm, wie das Landgericht
ausdrücklich festgestellt hat, "nur noch darum, daß
Z. ihn in Ruhe lassen sollte, töten wollte er ihn nicht mehr"
(UA 6). Der Angeklagte konnte dann den Geschädigten in der
Küche überwältigen und ihn in eine kleine
Abstellkammer drängen. Dort brachte er ihn zu Boden und schlug
heftig auf ihn ein. Schließlich fesselte er ihn mit
Kleidungsstücken an Händen und
Füßen, "damit dieser ihn nicht weiter
stören konnte". Er verließ dann die Kammer, bevor er
sich gleich anschließend an der Ehefrau sexuell verging.
2. Die Verurteilung des Angeklagten wegen der Tat zum Nachteil des
Robert Z. hält der rechtlichen Nachprüfung nicht
stand, weil das Landgericht strafbefreienden Rücktritt nach
§ 24 Abs. 1 StGB vom Versuch des Mordes nur unzureichend
geprüft hat.
Das Landgericht hat einen strafbefreienden Rücktritt mit der
Begründung verneint, der Versuch sei beendet gewesen, "denn
der Angeklagte hielt sein Ziel, die Ausschaltung des im Bett liegenden
Robert Z. , für erreicht, als er mit dem Messer mehrfach
zugestochen hatte und das Schlafzimmer verließ. Die Folgen
seines Tuns waren ihm gleichgültig (...). Seine
spätere Erkenntnis, daß sein Opfer noch lebte,
änderte an dieser Gleichgültigkeit, die sich zudem im
weiteren Geschehen fortsetzte, nichts" (UA 23/24). Diese
Begründung wird den festgestellten Tatumständen nicht
gerecht. Für die Abgrenzung des beendeten vom unbeendeten
Versuch ist maßgebend, ob der Täter nach der letzten
von ihm vorgenommenen Ausführungshandlung den Eintritt des
tatbestandsmäßigen Erfolgs für
möglich hält (sog. Rücktrittshorizont; vgl.
BGHSt 39, 221, 227). Bei gefährlichen Gewalthandlungen und
schweren Verletzungen, deren Wirkung der Täter wahrgenommen
hat, liegt es in der Regel nahe, daß er die
lebensgefährliche Wirkung und die Möglichkeit des
Erfolgseintritts auch kennt (vgl. BGHSt 39, aaO, 231; 40, 304, 306).
Das gilt indes nicht ohne weiteres in Fällen, in denen mehrere
Handlungsabschnitte vorliegen. Denn für die Beurteilung, ob
bei gefährlichen Gewalthandlungen und schweren Verletzungen
gegebenenfalls auch ein strafbefreiender Rücktritt vom -
unbeendeten - Versuch in Betracht kommt, kommt es
grundsätzlich auf die Vorstellung des Täters nach der
letzten Ausführungshandlung an (zum sog. korrigierten
Rücktrittshorizont BGHSt 36, 224; BGHR StGB § 24 Abs.
1 Satz 1 Versuch, unbeendeter 33). Dies gilt jedenfalls dann, wenn die
mehreren Handlungsabschnitte - wie das Landgericht hier ohne
Rechtsfehler angenommen hat - als eine Tat im Rechtssinne zu werten
sind (BGHSt 36 aaO S. 226).
Deshalb braucht der Senat nicht zu entscheiden, ob das Landgericht zu
Recht angenommen hat, der Angeklagte sei ungeachtet der
Abwehrbewegungen des Opfers im Schlafzimmer zunächst davon
ausgegangen, den Geschädigten tödlich getroffen zu
haben. Denn für die Abgrenzung von beendetem und unbeendetem
Versuch kam es hier entscheidend auf die Vorstellung des Angeklagten im
Zeitpunkt der unmittelbar anschließenden weiteren
tätlichen Auseinandersetzung mit dem Geschädigten an.
Angesichts des Umstandes, daß der hochbetagte
Geschädigte trotz der ihm beigebrachten Verletzungen imstande
war, den Angeklagten zu verfolgen und in der festgestellten Weise gegen
ihn vorzugehen, stellt die Annahme des Schwurgerichts, der Angeklagte
sei ungeachtet dessen weiterhin davon ausgegangen, Z. sei
lebensgefährlich verletzt, nicht mehr als eine bloße
Vermutung dar, auf die der Schuldspruch nicht gestützt werden
kann. Dies gilt selbst dann, wenn mit dem Landgericht davon auszugehen
ist, daß der Angeklagte nach dem Geschehen im Schlafzimmer
zunächst annahm, "er habe sein Ziel erreicht und Z.
ausgeschaltet" (UA 6). Daß der Angeklagte "sein Ziel, die
Ausschaltung des im Bett liegenden Robert Z. , für erreicht"
hielt (UA 23, vgl. ferner UA 14), kann sich hier nur auf die
ungehinderte Entwendung des Geldes beziehen. Daß der
Angeklagte dieses - bezogen auf den körperlichen Angriff gegen
das Opfer - sog. außertatbestandsmäßige
Handlungsziel erreicht hatte, steht der Annahme strafbefreienden
Rücktritts nicht entgegen (st. Rspr.; BGHSt 39, 221; BGHR StGB
§ 24 Abs. 1 Satz 1 Versuch, unbeendeter 32).
Der aufgezeigte Rechtsfehler führt zur Aufhebung der
Verurteilung wegen der Tat zum Nachteil des Robert Z. insgesamt.
Unberührt hiervon bleiben allerdings die zum
äußeren Sachverhalt getroffenen Feststellungen, die
deshalb bestehen bleiben können. Eine
Schuldspruchänderung durch den Senat kommt nicht in Betracht,
selbst wenn nicht davon auszugehen ist, daß sich im weiteren
Verfahren Umstände ergeben, die einer Anwendung des §
24 Abs. 1 StGB entgegenstehen. Denn der neue Tatrichter muß
Gelegenheit haben, die Tat in Bezug auf die Entwendung des Geldes auch
unter dem Gesichtspunkt des schweren Raubes (§ 250 Abs. 2
StGB) oder jedenfalls des (schweren) räuberischen Diebstahls
(§ 252 StGB) zu prüfen.
3. Auch die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einem
psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) hält der
rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Die Anordnung dieser
Maßregel setzt die positive Feststellung eines
länger andauernden, nicht nur vorübergehenden Defekts
voraus, der zumindest eine erhebliche Einschränkung der
Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB
begründet (st. Rspr.; BGHSt 34, 22, 26 f.; 42, 385 f.). Davon
ist das Landgericht ausgegangen, allerdings nicht in Bezug auf die als
versuchter Mord gewertete Tat zum Nachteil des Robert Z. , hinsichtlich
derer das Landgericht - sachverständig beraten - von
uneingeschränkter Schuldfähigkeit ausgegangen ist,
sondern allein in Bezug auf die Vergewaltigungstat zum Nachteil der
Ehefrau Erna Z. . Schon dieser Umstand erweckt Zweifel, ob die
Anknüpfungstatsachen den Anordnungsvoraussetzungen nach
§ 63 StGB genügen und sich das Landgericht die
notwendige Selbständigkeit gegenüber der Bewertung
des Sachverständigen bewahrt hat (vgl. BGHSt 42 aaO 388 f.;
BGH NZV 2000, 213, 214).
Das Urteil bietet jedenfalls deshalb keine genügende Grundlage
für die Anordnung der Unterbringung gemäß
§ 63 StGB, weil die im Urteil wiedergegebene Bewertung der
Persönlichkeitsstruktur durch den Sachverständigen
teilweise nicht nachvollziehbar, im übrigen auch nicht frei
von Widersprüchen ist. Der Sachverständige, dem das
Landgericht uneingeschränkt gefolgt ist, hat die
Persönlichkeitsstruktur des Angeklagten als "malignen
Narzißmus" beschrieben, der durch
Größenphantasien, Schuldzuweisungen an andere,
antisoziales Verhalten, Aggression bzw. Sadismus und eine
ausgeprägt paranoide Haltung geprägt werde (UA 21).
Auf diesen "malignen" Anteil des Narzißmus sei zwar auch der
Angriff auf Robert Z. zurückzuführen, ohne
daß dies dort schon zu einer erheblichen Verminderung der
Steuerungsfähigkeit geführt habe. Dies sei erst bei
der Vergewaltigungstat der Fall gewesen und zwar aufgrund des
"perversen Symptoms" des Narzißmus. Hierzu hat der
Sachverständige ausgeführt, Sexualität und
Aggressivität stünden bei dem Angeklagten in
unmittelbarem Zusammenhang und ließen ein perverses Symptom
erkennen, bei dem "die Angst des Opfers als Schlüsselreiz"
wirke (UA 21). Hiervon ausgehend hat der Sachverständige "nur
durch die fortdauernde Angst der Geschädigten" für
"erklärbar (gehalten), warum der Angeklagte in der Lage war,
dreimal hintereinander den Geschlechtsverkehr auszuführen" (UA
22).
Diese Erklärung des Sachverständigen, die sich das
Landgericht zu eigen gemacht hat, ist schon für sich wenig
verständlich. Insbesondere berücksichtigt sie nicht
die Lebensumstände des Angeklagten, der als Asylbewerber
zurückgezogen und so gut wie ohne Kontakte in einer
Gemeinschaftsunterkunft lebte. Schon vor diesem Hintergrund liegt es
eher nahe, wäre aber jedenfalls zu erwägen gewesen,
daß der zur Tatzeit 28 Jahre alte Angeklagte die Situation,
wie sie sich ihm darbot, allein oder jedenfalls vorrangig zur
Befriedigung seines unerfüllten natürlichen
Geschlechtstriebes ausnutzte. Dafür, daß mangelnde
Gelegenheit zur sexuellen Befriedigung und nicht etwa eine im Sinne der
§§ 20, 21 StGB krankheitswertige
Persönlichkeitsstruktur entscheidende Ursache für den
Entschluß zur Vergewaltigung darstellte, könnte auch
sprechen, daß der Angeklagte während der Tat zu der
Geschädigten immer wieder sagte: " ´Ruhig,
ruhig´, ´keine Frau, keine Frau´ " (UA
7). Schließlich ist die Annahme, Angst des Opfers wirke
für den Angeklagten als "Schlüsselreiz" zur Begehung
sexueller Gewalthandlungen auch nicht ohne weiteres vereinbar mit der
Vortat, die Gegenstand der früheren Verurteilung aus dem Jahr
1998 ist. Auf diese Vortat hat der Sachverständige - und ihm
folgend das Landgericht - bei der Bewertung seiner
Persönlichkeitsstruktur und der
Gefährlichkeitsprognose ausdrücklich abgestellt (UA
21, 27). Dabei zeichnete sich jene Tat nach den im Urteil mitgeteilten
Umständen gerade nicht dadurch aus, daß Angst des
Opfers als Auslöser für sexuelle Gewalthandlungen
diente. Vielmehr kam es umgekehrt zunächst - ersichtlich
einvernehmlich - zwischen dem Angeklagten und der Frau "zu sexuellen
Aktivitäten"; erst daran schloß sich "aus
ungeklärtem Grund" ein Streit zwischen beiden an, in dessen
Verlauf der - erheblich alkoholisierte - Angeklagte auf sie einschlug
(UA 4).
Die Schuldfähigkeitsbeurteilung als Grundlage der
Maßregelanordnung nach § 63 StGB bedarf danach neuer
Prüfung. Insoweit wird sich empfehlen, einen weiteren
Sachverständigen hinzuzuziehen. Dabei wird der neue Tatrichter
zu berücksichtigen haben, daß es eine nicht vom
Gutachter, sondern - auf der Grundlage der Anknüpfungs- und
Befundtatsachen - vom Tatrichter zu beantwortende Rechtsfrage ist, ob
eine "erhebliche" Verminderung der Steuerungsfähigkeit
vorliegt (st. Rspr.; BGH NStZ 2000, 24 und 469 m.w.N.). Dabei findet
der Zweifelsgrundsatz bei der Prüfung der Voraussetzungen des
§ 63 StGB keine Anwendung (BGHSt 42, 385, 388). Die - in
erster Linie durch den Sachverständigen zu verantwortende -
Diagnose einer schweren narzißtischen
Persönlichkeitsstörung ändert daran nichts;
sie läßt für sich genommen auch im
Zusammenhang mit Sexualstraftaten eine Aussage über die
Schuldfähigkeit des Täters nicht zu (BGHR StGB
§ 21 seelische Abartigkeit 36 m.w.N.).
3. Die notwendige erneute Prüfung der Schuldfähigkeit
des Angeklagten läßt den Schuldspruch wegen
Vergewaltigung unberührt. Denn es fehlt - wie der
gehörte Sachverständige dem Landgericht
überzeugend vermittelt hat - an jeglichem Anhalt, der
Angeklagte könne zur Tatzeit im Sinne des § 20 StGB
schuldunfähig gewesen sein. Auch die wegen der Vergewaltigung
erkannte Einzelfreiheitsstrafe von sechs Jahren kann bestehen bleiben,
weil ihre Bemessung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten
aufweist. Dagegen hat die Aufhebung des Urteils hinsichtlich der Tat
zum Nachteil des Robert Z. zwingend die Aufhebung der insoweit
erkannten Einzelfreiheitsstrafe von acht Jahren und damit auch der
Gesamtfreiheitsstrafe zur Folge.
Tepperwien Maatz Solin-Stojanovic
Ernemann Sost-Scheible |