BGH,
Beschl. v. 6.3.2002 - 4 StR 30/02
4 StR 30/02
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
vom
6. März 2002
in der Strafsache gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofes hat nach Anhörung
des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 6.
März 2002 gemäß § 349 Abs. 2 und 4
StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Hildesheim vom 21. August 2001 mit den Feststellungen - ausgenommen
denjenigen zum äußeren Tatgeschehen, die bestehen
bleiben - aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des
Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in
Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung -
jeweils in vier rechtlich zusammentreffenden Fällen -, mit
Sachbeschädigung und mit vorsätzlicher Trunkenheit im
Verkehr zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten
verurteilt und Maßregeln nach §§ 69, 69 a
StGB angeordnet. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit
seiner Revision, mit der er das Verfahren beanstandet und die
Verletzung sachlichen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat im
wesentlichen Erfolg.
1. Die Verfahrensrügen dringen nicht durch. Insoweit verweist
der Senat auf die Ausführungen in der Antragsschrift des
Generalbundesanwalts vom 29. Januar 2002. Im übrigen kommt es
auf die Verfahrensbeschwerden, soweit diese sich gegen die Verurteilung
des Angeklagten wegen versuchten Totschlags richten, nicht an, weil das
Urteil insoweit schon auf die Sachbeschwerde aufzuheben ist. Denn die
Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe mit zumindest bedingtem
Tötungsvorsatz gehandelt, entbehrt einer tragfähigen
Grundlage.
2. Das Landgericht hat festgestellt:
Der nicht bestrafte Angeklagte ist gelernter Maurer und betrieb zuletzt
mit seiner Frau eine Firma im Bereich des Maurer- und Stahlbetonbaus.
Nach anfänglich harmonischer Ehe kam es insbesondere wegen
geschäftlicher Schwierigkeiten etwa ein halbes Jahr vor der
Tat zwischen dem Angeklagten und seiner Ehefrau zu zunehmenden
Spannungen. Dabei blieb der Angeklagte gewöhnlich nach
außen hin ruhig und kontrolliert, "fraß" aber seine
Probleme in sich hinein. Nur unter Alkoholeinfluß reagierte
er mitunter aggressiv. Am Tatabend nahmen der Angeklagte und seine
Ehefrau an einer Geburtstagsfeier teil, die in einem Landgasthaus,
einem Fachwerkbau, stattfand. Auch bei dieser Feier kam es wieder zu
Streitigkeiten zwischen den Eheleuten, aber erst, nachdem der
Angeklagte in erheblichen Mengen Alkohol zu sich genommen hatte. Kurz
nach 3.00 Uhr drängte der Angeklagte seine Ehefrau zum
Aufbruch. Diese saß zu diesem Zeitpunkt mit drei anderen
Gästen an einem Tisch, etwa zwei Meter von dem Fenster
entfernt, vor dem der Angeklagte mit Front zum Gebäude seinen
Pkw Audi A 6 geparkt hatte. Während seine Ehefrau ihm
bedeutete, sie werde "gleich" kommen, verließ der Angeklagte
schon zweimal das Lokal, um jeweils nach kurzer Zeit
zurückzukehren. Bevor er sodann das Lokal zum dritten Mal
verließ, versetzte er ihr einen leichten "Stubs" an den
Hinterkopf. Die Ehefrau und die drei anderen Gäste
saßen noch an dem Tisch, als der Angeklagte seinen Pkw in
einem leichten Bogen etwa 15 m von der Parkfläche bis zu der
davor verlaufenden öffentlichen Straße
zurücksetzte und dort zunächst quer zur Fahrbahn
stehen blieb. Nach wenigen Minuten blendete er dreimal auf, fuhr gleich
danach an, beschleunigte seinen Pkw auf 25 bis 35 km/h und fuhr genau
in Höhe des Fensters, hinter dem sich die vier Personen
befanden, gegen die Hauswand. Der Pkw durchbrach die Mauer und drang
mit seiner Front etwa 1,50 m in den dahinterliegenden Raum ein, bevor
er zum Stehen kam. Die vier in dem Raum befindlichen Personen wurden
durch den Aufprall zur Seite geschoben, was Prellungen u.a. zur Folge
hatte.
Der Angeklagte hat die Tat nicht in Abrede gestellt, sich aber auf
Erinnerungslosigkeit berufen. Das Landgericht stützt deshalb
seine Annahme, der Angeklagte habe mit zumindest bedingtem
Tötungsvorsatz gehandelt, allein auf objektive
Umstände. So entnimmt es dem Umstand, daß der
Angeklagte, bevor er anfuhr, dreimal aufblendete, daß er die
Geschädigten "weiterhin hinter dem Fenster sitzend
wähnte, weil er sonst keine Adressaten des Aufblendens gehabt
hätte" (UA 13). Dem Angeklagten sei berufsbedingt bekannt
gewesen, daß bei dem Fachwerk wegen der geringeren
Stabilität des Mauerwerks die Wand an der betreffenden Stelle
einem stärkeren Anstoß ebensowenig wie das darauf
gesetzte Fenster würde standhalten können. Weiter
heißt es: "Bei dem Einsatz des schweren und großen
Pkw Audi A 6 durfte er deswegen bei der festgestellten mittleren bis
stärkeren Beschleunigung nicht darauf vertrauen, daß
die Zeugen hinter dem Fester durch das Auto selbst, durch in den Raum
geschleudertes Mauerwerk oder durch herumfliegende Glassplitter -
Umstände, die die Tat objektiv lebensbedrohlich machen - keine
tödlichen Verletzungen erleiden würde, zumal er
keinerlei Einfluß auf die konkreten Auswirkungen seiner Tat
innerhalb des Gebäudes hatte und es somit dem Zufall
überließ, ob sich die Lebensgefahr für die
Zeugen hinter dem Fenster verwirklichte" (UA 14).
3. Die Würdigung des Landgerichts zur subjektiven Tatseite
begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Zwar liegt es bei
äußerst gefährlichen Gewalthandlungen nahe,
daß der Täter auch mit der Möglichkeit,
daß das Opfer dabei zu Tode kommen könne, rechnet.
Angesichts der hohen Hemmschwelle gegenüber einer
Tötung ist jedoch immer auch die Möglichkeit in
Betracht zu ziehen, daß der Täter die Gefahr des
Todes nicht erkannt oder jedenfalls darauf vertraut hat, dieser
"Erfolg" werde nicht eintreten. Der Schluß auf bedingten
Tötungsvorsatz ist daher nur dann rechtsfehlerfrei, wenn der
Tatrichter in seine Erwägungen alle Umstände
einbezogen hat, die ein solches Ergebnis in Frage stellen (st. Rspr.;
vgl. BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 30 m.w.N.).
Eine solche Gesamtabwägung hat das Landgericht hier nicht
vorgenommen. Insbesondere hat es unterlassen, die
Persönlichkeitsstruktur des Angeklagten und dessen
psychophysische Verfassung zur Tatzeit in seine Beurteilung
einzubeziehen. Darauf kam es hier aber an. Auch wenn die
mißverständliche, nämlich ihrem Wortlaut
nach auf Fahrlässigkeit hindeutende Formulierung, der
Angeklagte habe "nicht darauf vertrauen dürfen", daß
es zu keinen tödlichen Verletzungen kommen würde,
dahin zu verstehen ist, der Angeklagte habe die Möglichkeit
tödlicher Verletzungen "erkannt", beträfe dies allein
das Wissenselement des Vorsatzes, das aber nicht ohne weiteres den
Schluß auf die zumindest bedingte Inkaufnahme des
tödlichen Erfolges zuläßt (st. Rspr.; BGH
StV 1988, 328). Hier kommt aber hinzu, daß der Angeklagte zur
Tatzeit erheblich alkoholisiert war (seine aufgrund einer Blutprobe
zutreffend ermittelte Blutalkoholkonzentration betrug 2,77 %) und das
Landgericht - darin dem gehörten Sachverständigen
folgend - aus dem Zusammenwirken der Alkoholisierung und des
Affektaufbaus, "den der Angeklagte mangels Krisenmanagements nicht habe
verarbeiten können" (UA 11) "positiv" (UA 12) zur Annahme
erheblich verminderter Schuldfähigkeit im Sinne des §
21 StGB gelangt ist. In der Rechtsprechung ist anerkannt, daß
in solcher psychophysischen Ausnahmesituation die
Erkenntnisfähigkeit und Willenskräfte des
Täters beeinträchtigt sind. Hochgradige
Alkoholisierung und affektive Erregung gehören deshalb zu den
Umständen, die der Annahme eines Tötungsvorsatzes
entgegenstehen können und deshalb ausdrücklicher
Erörterung in den Urteilsgründen bedürfen
(st. Rspr.; BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 6, 7, 9,
15, 40, 41, 48). Das gilt umso mehr, wenn - wie hier - ein
einleuchtendes Motiv für eine Tötung nicht
ersichtlich ist und dem Tatgeschehen auch kein vergleichbares
Vorverhalten des Angeklagten entspricht (BGH StV 1994, 13, 14).
4. Der aufgezeigte Rechtsfehler berührt für sich
genommen nur die Verurteilung des Angeklagten wegen versuchten
Totschlags, stellt aber den Schuldspruch im übrigen nicht in
Frage. Dies gilt auch, soweit das Schwurgericht den Angeklagten der
gefährlichen Körperverletzung für schuldig
befunden hat. Denn Zweifel am (bedingten) Tötungsvorsatz
stehen der Annahme vorsätzlichen Handelns nach § 224
StGB in den vom Landgericht angenommenen Tatbestandsalternativen von
Absatz 1 Nr. 2 und 5 der Vorschrift nicht entgegen. Gleichwohl ist das
Urteil wegen der tateinheitlichen Verwirklichung der Delikte insgesamt
aufzuheben. Ausgenommen hiervon bleiben allerdings die Feststellungen
zum äußeren Sachverhalt, die von dem aufgezeigten
Rechtsfehler nicht berührt sind. Nur vorsorglich weist der
Senat darauf hin, daß es sich bei der Angabe der Tatzeit
"4.30 Uhr" (UA 8) im Zusammenhang mit der Berechnung der Tatzeit-BAK
ersichtlich um einen Schreibfehler handelt; wie sich zweifelsfrei aus
den Zeitangaben auf UA 6, 9 und 12 ergibt, fand die Tat gegen 3.30 Uhr
statt.
Die Aufhebung des Schuldspruch entzieht auch der an sich nicht zu
beanstandenen Anordnung der Maßregel nach
§§ 69, 69 a StGB die Grundlage. Auch
hierüber wird deshalb neu zu befinden sein.
Tepperwien Maatz Solin-Stojanovic
Ernemann Sost-Scheible |