BGH,
Beschl. v. 6.11.2007 - 1 StR 302/07
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
1 StR 302/07
vom
6.11.2007
in der Strafsache
gegen
wegen unerlaubten Inverkehrbringens bedenklicher und in ihrer
Qualität geminderter Arzneimittel
- 2 -
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 6.11.2007 beschlossen:
1. Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
München II vom 5. März 2007 im Schuldspruch
dahingehend abgeändert, dass die Angeklagte des unerlaubten
Inverkehrbringens bedenklicher und in ihrer Qualität nicht
unerheblich geminderter Arzneimittel in 67 Fällen schuldig ist.
2. Die weitergehende Revision der Angeklagten gegen das vorbezeichnete
Urteil wird verworfen.
3. Die Beschwerdeführerin hat die Kosten ihres Rechtsmittels
zu tragen.
Gründe:
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen unerlaubten Inverkehrbringens
bedenklicher und in ihrer Qualität nicht unerheblich
geminderter Arzneimittel in 67 Fällen, davon in 60
Fällen mit unerlaubter Ausfuhr von Arzneimitteln zur
Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Die auf
Verfahrensrügen und die Sachbeschwerde gestützte
Revision der Angeklagten führt zu der aus dem Beschlusstenor
ersichtlichen Änderung des Schuldspruchs (§ 349 Abs.
4 StPO); im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne von
§ 349 Abs. 2 StPO.
1
- 3 -
1. Der Generalbundesanwalt hat in seiner Antragsschrift vom 25. Juli
2007 ausgeführt,
2
- zu den anwendbaren Strafvorschriften:
"Die Fälle 1 - 18 der Urteilsgründe (UA S. 8) sind
hinsichtlich des Inverkehrbringens in ihrer Qualität nicht
unerheblich geminderter Arzneimittel noch nach der Strafvorschrift des
§ 96 Nr. 2 AMG (aF) zu beurteilen (§ 2 Abs. 1 StGB).
Diese Norm wird zwar vom Landgericht nicht zitiert; jedoch ist hiermit
kein Fehler verbunden, der eine Schuldspruchberichtigung erfordert.
Das Inverkehrbringen in ihrer Qualität nicht unerheblich
geminderter Arzneimittel war bis einschließlich 5. August
2004 gemäß § 96 Nr. 2 AMG unter Strafe
gestellt. Diese Norm wurde mit Wirkung vom 6. August 2004 durch das
Zwölfte Gesetz zur Änderung des Arzneimittelgesetzes
vom 30. Juli 2004 (BGBl I 2031) aufgehoben; gleichzeitig hat der
Gesetzgeber einen inhaltlich identischen Straftatbestand als neue Nr.
3a in § 95 Abs. 1 AMG eingefügt. Mithin ist der
Schuldspruch (insoweit) nicht zu beanstanden. ...
Zwar sieht der Strafrahmen des § 96 Nr. 2 AMG (aF) nur
Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr vor, während § 95
Abs. 1 Nr. 3a AMG die Verhängung einer solchen von bis zu drei
Jahren zulässt. Zudem enthält § 95 Abs. 3
AMG eine Regelung für besonders schwere Fälle, deren
Voraussetzungen die Strafkammer zutreffend als erfüllt ansieht
(UA S. 36 f.). Jedoch bestimmt sich der Strafrahmen für die
Fälle 1 - 18 auch weiterhin nach § 95 AMG, weil die
Angeklagte tateinheitlich zu § 96 Nr. 2 AMG (aF) den
Straftatbestand des § 95 Abs. 1 Nr. 1 mit Abs. 3 AMG
verwirklicht hat (§ 52 Abs. 2 Satz 1 StGB). Im
Übrigen hat die Kammer mit einem Jahr und drei Monaten (alle
Fälle außer Fall 13) und zwei Jahren (Fall 13) auf
Einzelfreiheitsstrafen am unteren Rand des eröffneten
Strafrahmens von einem Jahr bis zu zehn Jahren (§ 95
- 4 -
Abs. 3 AMG) erkannt. Nach all dem wird der Senat ausschließen
können, dass das Landgericht bei Anwendung des § 96
Nr. 2 AMG (aF) statt des § 95 Abs.1 Nr. 3a AMG niedrigere
Einzelstrafen verhängt hätte (§ 337 Abs. 1
StPO)",
- zur Änderung des Schuldspruchs:
"Der Schuldspruch ist jedoch insoweit fehlerhaft und zu korrigieren,
als die Strafkammer bei den 60 Fällen der Ausfuhr des
Streckmittels (UA S. 8 f.) tateinheitlich eine 'unerlaubte Ausfuhr von
Arzneimitteln' gemäß § 95 Abs. 1 Nr. 1 und
Nr. 3a AMG verwirklicht sieht.
Der Verweis auf § 73a AMG in diesen beiden
Straftatbeständen vermag keine über das
Inverkehrbringen hinausgehende Strafbarkeit für die Ausfuhr
von Arzneimitteln zu begründen. … Inhaltlich
relativiert die Regelung die ansonsten absoluten Verbote des
Inverkehrbringens nach §§ 5, 8 Abs. 1 AMG insofern,
als eine Ausfuhr derart bemakelter Arzneimittel zulässig ist,
wenn die zuständige Behörde des Bestimmungslandes die
Einfuhr genehmigt. Dies war vorliegend nicht der Fall (UA S. 10). Die
Angeklagte hat mithin durch den Transport des
Paracetamol-Koffein-Gemisches zu Abnehmern in anderen
europäischen Staaten gegen die Verkehrsverbote aus
§§ 5, 8 Abs. 1 Nr. 1, § 73a Abs. 1 AMG
versto-ßen, aber keine über das Inverkehrbringen
hinausgehendes Unrecht verwirklicht. Eine spezielle Ausfuhrstrafbarkeit
wie etwa in § 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG kennt das Arzneimittelrecht
nicht.
§ 265 Abs. 1 StPO steht der Schuldspruchberichtigung nicht
entgegen, weil sie zu Gunsten der Angeklagten wirkt und diese sich
nicht anders als geschehen hätte verteidigen können.
…
Der Wegfall der tateinheitlich verwirklichten 'unerlaubten Ausfuhr von
Arzneimitteln' nach § 95 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 3a AMG
lässt die für die Exportfälle
verhängten Einzelstrafen unberührt. Der Se-
- 5 -
nat wird auch hier ausschließen können, dass das
Landgericht bei zutreffender rechtlicher Würdigung milder
ausgeurteilt hätte. Insbesondere hat die Strafkammer bei der
Einzelstrafenbildung nur nach Liefermengen und nicht auch nach dem
Kriterium des grenzüberschreitenden Transports differenziert
(UA S. 37 f.). Ferner hat die Kammer die Einzelstrafen jeweils am
unteren Rand des nach § 95 Abs. 3 Satz 1 AMG
eröffneten Strafrahmens gefunden."
Der Senat macht sich diese Ausführungen zu Eigen.
3
4
2. Im Übrigen hat die Nachprüfung des Urteils auf
Grund der Revisionsrechtfertigung aus den in der Antragsschrift des
Generalbundesanwalts dargelegten Gründen keinen Rechtsfehler
zum Nachteil der Angeklagten ergeben. Näherer
Erörterung bedarf nur folgendes:
5
Die Revision meint, das als Streckmittel für Heroin bestimmte
Gemisch aus Paracetamol, Koffein und einer geringen Menge Farbstoff,
dessen Transport die Angeklagte organisierte und durchführte,
sei kein Arzneimittel im Sinne von § 2 AMG. Es handele sich
vielmehr nur um "ein Zwischenprodukt als ersten Schritt zur Herstellung
eines Arzneimittels". Denn das Gemisch sei nicht dazu bestimmt gewesen,
unmittelbar dem Körper zugeführt zu werden; es habe
erst von den Rauschgifthändlern, an die es geliefert worden
sei, mit Heroin vermengt werden müssen, um dann an
Rauschgiftkonsumenten veräußert und von diesen
konsumiert zu werden. Diese Rechtsauffassung ist unzutreffend.
Für den in § 2 Abs. 1 AMG definierten
Arzneimittelbegriff ist allein maß-gebend, ob ein Stoff oder
eine Zubereitung aus Stoffen zu einem der dort näher
umschriebenen Zwecke - regelmäßig objektiv,
ausnahmsweise subjektiv - bestimmt ist (vgl. BGHSt 43, 336, 338 f.
m.w.N.; ferner BVerfG [Kammer] NJW 2006, 2684, 2685). Dabei macht das
Arzneimittelrecht die Arzneimitteleigenschaft eines Stoffes oder einer
Zubereitung nicht vom Erreichen einer bestimm-
6
- 6 -
ten Produktionsstufe abhängig. Im Hinblick auf
Produktionsstufen ist die Grenze zum Arzneimittel vielmehr dann
überschritten, wenn die Bestimmung eines Anwendungszwecks im
Sinne des § 2 Abs. 1 AMG möglich ist und erkennbar
vorliegt (Kloesel/Cyran, Arzneimittelrecht 3. Aufl. 105. Lfg.
§ 2 AMG Rdn. 27). Im Fall einer solchen Zweckbestimmung
stellen somit auch Zwischenprodukte Arzneimittel dar (vgl. BGHSt aaO
344 f.). Dass sich ein solches Produkt noch nicht in dem -
endgültigen - Zustand befindet, in dem es im oder am
menschlichen Körper angewendet wird, steht dem nicht entgegen
(BVerwGE 70, 284, 286).
Nach § 2 Abs. 1 Nr. 5 AMG sind Stoffe und Zubereitungen -
unter anderem - dann Arzneimittel, wenn sie dazu bestimmt sind, durch
Anwendung im menschlichen Körper die Beschaffenheit, den
Zustand oder die Funktionen des Körpers oder seelische
Zustände zu beeinflussen. Im Urteil ist die pharmakologische
Wirkung des Gemisches, sein Anwendungszweck nach der Verkehrsauffassung
und mithin die Arzneimitteleigenschaft im Einzelnen dargetan: Die
analgetische (schmerzlindernde) Wirkung von Paracetamol wird durch die
Zugabe von stimulierend (anregend) wirkendem Koffein
verstärkt. Diese Stoffkombination findet sich auch in diversen
Fertigarzneimitteln, allerdings nicht in dem hier vorliegenden
Mischungsverhältnis von eins zu eins. Die Zubereitung ist - in
diesem Mischungsverhältnis - geeignet, die Wirkung von Heroin
zu überlagern und zu verstärken und gleichzeitig
unerwünschten Nebenwirkungen entgegenzuwirken; hierdurch wird
eine bessere Qualität des Endprodukts vorge-
7
- 7 -
täuscht. Nur diese pharmakologische Wirkung rechtfertigte,
auch aus Sicht der Angeklagten und ihrer Mittäter, den
Herstellungsaufwand. Zur bloßen Volumenerhöhung
wären "einfachere Lösungen" möglich gewesen.
Nack Wahl Boetticher
Kolz Frau RiinBGH Elf ist
urlaubsbedingt ortsabwesend
und deshalb an der Unterschrift
verhindert.
Nack |