BGH,
Beschl. v. 6.10.2009 - 3 StR 326/09
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
3 StR 326/09
vom
6. Oktober 2009
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung
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Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des
Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf
dessen Antrag - am 6. Oktober 2009 gemäß §
349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Mönchengladbach vom 10. März 2009 im
Maßregelausspruch mit den zugehörigen Feststellungen
aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die
dem Nebenkläger dadurch entstandenen notwendigen Auslagen, an
eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher
Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von fünf
Jahren verurteilt, dessen Unterbringung in einem psychiatrischen
Krankenhaus angeordnet und bestimmt, dass drei Jahre der
Freiheitsstrafe vor der Maßregel zu vollziehen sind.
Außerdem hat es ein Tatwerkzeug eingezogen. Die hiergegen
gerichtete, auf die allgemeine Sachbeschwerde gestützte
Revision des Angeklagten hat den aus der Entscheidungsformel
ersichtlichen Teilerfolg.
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1. Zum Schuld- und Strafausspruch hat die Überprüfung
des Urteils keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten erbracht.
Durch die - auf recht-
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lich bedenklichen Erwägungen beruhende - Annahme erheblich
eingeschränkter Schuldfähigkeit ist der Angeklagte in
diesem Zusammenhang nicht beschwert. Dass eine erneute Entscheidung zur
Feststellung der Schuldunfähigkeit des Angeklagten kommen
könnte, schließt der Senat aus.
2. Die Maßregelanordnung nach § 63 StGB
hält indes rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Sie
setzt u. a. die positive Feststellung eines länger
andauernden, nicht nur vorübergehenden Zustandes des
Täters voraus, der dazu führte, dass er - sicher
feststehend - die Tat zumindest mit erheblich eingeschränkter
Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB beging (st.
Rspr.; vgl. BGHSt 34, 22, 27; Fischer, StGB 56. Aufl. § 63
Rdn. 6). Die Anordnung bedarf stets einer besonders
sorgfältigen Prüfung und Begründung, weil
sie eine schwerwiegende und gegebenenfalls langfristig in das Leben des
Betroffenen eingreifende Maßnahme darstellt. Den danach zu
stellenden Anforderungen genügt das angefochtene Urteil nicht.
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a) Bereits die Begründung der erheblich verminderten
Steuerungsfähigkeit begegnet durchgreifenden Rechtsbedenken.
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aa) So lassen schon die Formulierungen, mit denen die
diesbezügliche Urteilspassage eingeleitet wird ("Der
Sachverständige hat ausgeführt, bei dem Angeklagten
habe im Tatzeitpunkt eine schwere andere seelische Abartigkeit von
solcher Erheblichkeit vorgelegen, dass dadurch seine
Steuerungsfähigkeit gemindert aber nicht aufgehoben gewesen
sei." - UA S. 7 f.), besorgen, das Landgericht habe die grundlegende
Aufteilung der Zuständigkeit und Verantwortlichkeit zwischen
dem Sachverständigen und dem Richter außer Acht
gelassen. Aufgabe des Sachverständigen ist es festzustellen,
ob bei dem Angeklagten eine psychische Störung vorgelegen und
welche Auswirkungen sie zum
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Tatzeitpunkt auf die Fähigkeit zur Unrechtseinsicht und zu
einsichtsgemäßem Verhalten gehabt hat. Ob der Befund
unter eines der Eingangsmerkmale der §§ 20, 21 StGB
zu subsumieren ist, entscheidet nach sachverständiger Beratung
der Richter. Gleiches gilt für die sich daran
anschließende Frage, ob dadurch die Schuldfähigkeit
des Angeklagten erheblich eingeschränkt ist (BGH NStZ-RR 2006,
73 unter Hinweis auf Boetticher/Nedopil/Bosinski/Saß NStZ
2005, 57, 58; vgl. BVerfG NStZ-RR 2007, 29 f.).
bb) Zudem sind die Darlegungen des Landgerichts insoweit
widersprüchlich, als im weiteren Verlauf der
Begründung die Annahme erheblich verminderter
Schuldfähigkeit gerade nicht auf eine schwere andere seelische
Abartigkeit gestützt wird: Zwar habe nach Ansicht des
Sachverständigen, der das Landgericht folgt, eine "paranoide
Persönlichkeitsstörung in Verbindung mit einer
Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörung und einer
zum Tatzeitpunkt vorliegenden … depressiven Symptomatik"
beim Angeklagten zu "Beeinträchtigungen seines sozialen
Funktionsniveaus" geführt, die aber "nicht dauerhaft den
Schweregrad einer schweren anderen seelischen Abartigkeit" erreicht,
sich zur Tatzeit jedoch zugespitzt hätten. Der Angeklagte habe
sich vielmehr wegen einer Provokation durch das Tatopfer "in einem
Affektzustand befunden". Die Steuerungsfähigkeit sei "aufgrund
einer affektiven Entgleisung" beeinträchtigt gewesen. Aufgrund
dieser Widersprüche ist bereits nicht erkennbar, welches
Eingangsmerkmal der §§ 20, 21 StGB das Landgericht
seiner Schuldfähigkeitsbeurteilung zu Grunde gelegt hat.
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cc) Hinzu kommt, dass der Tatrichter bei der Entscheidung über
das Vorliegen eines der Eingangsmerkmale nicht nur die Darlegungen des
Sachverständigen zu überprüfen hat, sondern
auch verpflichtet ist, seine Entscheidung in einer für das
Revisionsgericht nachprüfbaren Weise zu begründen
(vgl. BGH
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NStZ-RR 2007, 74; Fischer aaO § 20 Rdn. 65 m. w. N.). Auch
hieran fehlt es bezüglich beider angesprochener
Eingangsmerkmale.
Hinsichtlich der schweren anderen seelischen Abartigkeit gilt:
Für die angenommene paranoide
Persönlichkeitsstörung ergibt sich aus dem Urteil
lediglich der Hinweis, der Angeklagte habe bei einem
Persönlichkeitstest (MMPE-2) "erhebliche erhöhte
Werte im Bereich der Skala Paranoia" aufgewiesen. Solche Punktewerte
sind isoliert nur sehr begrenzt aussagekräftig (vgl.
Boetticher/Dittmann/Nedopil/Nowara/Wolf NStZ 2009, 478, 479).
Über die Diagnose einer Aufmerksamkeits- und
Hyperaktivitätsstörung, die für sich
genommen ebenfalls nicht aussagekräftig ist (vgl. OLG Hamm
NStZ-RR 2008, 138), enthält das Urteil keine weitergehenden
Feststellungen. Dies wäre erforderlich gewesen.
Persönlichkeitsstörungen sind dauerhafte,
auffällige, häufig schon im Kindes- oder Jugendalter
auftretende Verhaltensmuster, die zumeist mit deutlichen
Einschränkungen der beruflichen und sozialen
Leistungsfähigkeit verbunden sind (vgl.
Dilling/Mombour/Schmidt, Internationale Klassifikation psychischer
Störungen 5. Aufl. S. 227). Der vom Landgericht festgestellte
berufliche und soziale Werdegang des bislang unbestraften Angeklagten
enthält dazu keine besonderen Hinweise.
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Hinsichtlich einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung fehlt es
an einer Erörterung der für oder gegen einen Affekt
sprechenden Umstände (vgl. Fischer aaO § 20 Rdn. 32
f.).
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b) Aufgrund der vorgenannten Begründungsmängel wird
schließlich auch nicht deutlich, ob die erhebliche
Verminderung der Schuldfähigkeit durch einen länger
andauernden Zustand hervorgerufen wurde. Zwar kann eine
Persönlichkeitsstörung eine Unterbringung in einem
psychiatrischen Krankenhaus auch
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dann rechtfertigen, wenn sie nicht unmittelbar tatauslösend,
gleichwohl Ursache für den schuldmindernden Affekt war, der
für sich genommen eine Unterbringung nach § 63 StGB
nicht begründen kann. Voraussetzung ist jedoch auch in einem
solchen Fall, dass die Persönlichkeitsstörung als
schwere andere seelische Abartigkeit zu bewerten ist, die in ihrem
Schweregrad einer krankhaften seelischen Störung gleichkommt
(vgl. BGHR StGB § 63 Zustand 15). Dies hat das Landgericht
aber gerade nicht festgestellt.
c) Gleichermaßen ist die Gefährlichkeit des
Angeklagten nicht belegt. Insoweit stellt das Landgericht erneut auf
die nicht rechtsfehlerfrei festgestellte "paranoide
Persönlichkeitsstörung" des Angeklagten ab.
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d) Über die Verhängung der Maßregel muss
deshalb erneut entschieden werden. Der neue Tatrichter sollte
erwägen, einen anderen Sachverständigen heranzuziehen.
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3. Mit der Aufhebung der Maßregelanordnung kommt es auf die
weiteren Bedenken nicht an, die der Generalbundesanwalt gegen die
Anordnung der Vollstreckungsreihenfolge zutreffend erhoben hat. Sie
wird der neue Tatrichter zu berücksichtigen haben, sofern er
die Voraussetzungen für eine Unterbringung des Angeklagten in
einem psychiatrischen Krankenhaus feststellt.
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Becker Pfister von Lienen
Sost-Scheible Schäfer |