BGH,
Beschl. v. 7.4.2009 - 2 ARs 180/09 2 AR 108/09
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
2 ARs 180/09 2 AR 108/09
vom
7. April 2009
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
Veröffentlichung: ja
StPO § 10
Zum Regelungsgehalt des § 10 StPO.
BGH, Beschluss vom 7. April 2009 - 2 ARs 180/09 - Staatsanwaltschaft
Kiel
in dem Ermittlungsverfahren
gegen
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6.
7.
wegen erpresserischen Menschenraubes u. a.
Az.: 590 Js 18 092/09 Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Kiel
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Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des
Generalbundesanwalts am 7. April 2009 beschlossen:
Der Antrag auf Bestimmung des zuständigen Gerichts wird
zurückgewiesen.
Von Gesetzes wegen zuständig ist das Landgericht Kiel
(§ 10 StPO).
Gründe:
I.
Am 29. März 2009 wurde der Betriebsstoffversorger "S. " der
Deutschen Marine mit Heimathafen in Kiel im Golf von Aden (in
internationalen Gewässern) von einem mit den sieben
Beschuldigten besetzten offenen Motorboot (Skiff) angegriffen. Die an
Bord der "S. " befindlichen Soldaten der Marineschutzkräfte
erwiderten das Feuer und stellten, unterstützt von anderen im
betreffenden Seegebiet operierenden Schiffen der Europäischen
Union und der NATO das Piratenboot. Die sieben in Gewahrsam genommenen
Beschuldigten befinden sich seit dem 30. März 2009 an Bord der
Fregatte "R. - P. ".
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Bei dem Betriebsstoffversorger "S. " handelt es sich nicht um ein im
zivilen Seeverkehr eingesetztes Schiff, sondern um ein im Rahmen der
europäischen Operation EU NAVFOR ATALANTA zivil besetztes
Schiff der Bundeswehr. Die Bundesregierung hat wegen des Angriffs
Strafanzeige bei der
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Staatsanwaltschaft Kiel gestellt. Diese hält sich nicht
für zuständig und beantragt, gemäß
§ 13 a StPO ein zuständiges Gericht zu bestimmen.
II.
Die Bestimmung des zuständigen Gerichts war abzulehnen. Die
Voraussetzungen des § 13 a StPO liegen nicht vor.
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Gemäß § 13 a StPO bestimmt der
Bundesgerichtshof das zuständige Gericht, wenn es im
Geltungsbereich dieses Bundesgesetzes an einem zuständigen
Gericht fehlt oder dieses nicht ermittelt ist. Auf diese Frage hat sich
die Prüfung durch den Senat im Verfahren nach § 13 a
StPO zu beschränken (BGHSt 18, 19, 20). Die
Zulässigkeit der Bestimmung eines zuständigen
Gerichts nach § 13 a StPO ist allerdings nicht davon
abhängig, ob ein in den §§ 7 ff. StPO
vorgesehener Gerichtsstand ermittelt werden kann; maßgebend
ist vielmehr, dass ein solcher nicht ermittelt ist (BGHSt 10, 255).
Dies ist der Fall, wenn sich keine Anhaltspunkte für einen der
in §§ 7 ff. StPO begründeten
Gerichtsstände ergeben und ein solcher nicht ohne
nähere Erhebungen feststellbar ist (BGHSt 10, 255, 257; BGH
BGHR StPO § 13 a Anwendungsbereich 4).
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Im vorliegenden Fall greift § 13 a StPO nicht ein, weil es
weder an einem zuständigen Gericht im Geltungsbereich dieses
Bundesgesetzes fehlt noch dieses nicht ermittelt ist. Vielmehr ist hier
die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Kiel
gemäß § 10 Abs. 1 StPO gegeben.
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Nach der ersten Variante dieser Bestimmung ist das Gericht
zuständig, in dessen Bezirk der Heimathafen des Schiffs liegt,
wenn die Straftat auf einem Schiff, das berechtigt ist, die
Bundesflagge zu führen, außerhalb des
Geltungsbereichs der Strafprozessordnung begangen worden ist.
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Die "S. " ist berechtigt, die Bundesflagge zu führen; dabei
kann, wie der Generalbundesanwalt zu Recht ausgeführt hat,
dahinstehen, ob es sich um ein zur Seefahrt bestimmtes Schiff oder um
ein zu den Seestreitkräften der Bundeswehr gehörendes
Schiff handelt. Im ersten Fall folgt das Recht zur Führung der
Bundesflagge aus §§ 1, 3, 8 FlaggRG, im zweiten Fall
aus der Anordnung des Bundespräsidenten über die
Dienstflagge der Seestreitkräfte der Bundeswehr vom 25. Mai
1956 (BGBl. I S. 447 = BGBl. III 1130-5). Kiel ist zudem der
Heimathafen des betroffenen Schiffs. Dies alles sieht auch die
Staatsanwaltschaft Kiel ersichtlich nicht anders. Sie meint jedoch, die
Straftat sei nicht außerhalb des Geltungsbereichs der
Strafprozessordnung begangen, weil an Bord der "S. " infolge der
uneingeschränkten Ausübung der Hoheitsgewalt des
deutschen Flaggenstaates die deutsche Strafprozessordnung gelte.
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Dieser Argumentation vermag der Senat nicht zu folgen. Zwar trifft es
zu, dass nach dem Flaggengrundsatz die Hoheitsgewalt über
Schiffe dem Staat zusteht, unter dessen Flagge es registriert ist. Der
Flaggenstaat übt damit auch die Strafgewalt über die
auf dem Schiff begangenen Straftaten aus, unabhängig davon, wo
es sich zum Tatzeitpunkt befindet und welche
Staatsangehörigkeit die Täter haben
(MünchKomm-StGB/Ambos vor § 3 Rdn. 34). Aus dieser
"pragmatischen extraterritorialen Hoheits- und Strafgewaltserstreckung"
(so Ambos aaO) kann jedoch für den Anwendungsbereich des
§ 10 StPO nicht gefolgert werden, dass Straftaten auf einem
unter deutscher Flagge fahrenden Schiff innerhalb des Geltungsbereichs
der Strafprozessordnung begangen worden sind. Dass eine solche
Auslegung nicht zutreffen kann, ergibt sich bereits daraus, dass sie
dem § 10 StPO keinen Anwendungsbereich beließe.
Vielmehr entspricht der Geltungsbereich der Strafprozessordnung im
Sinne des § 10 Abs. 1 StPO dem Hoheitsbereich der
Bundesrepublik Deutschland: Er umfasst an Land das Gebiet innerhalb der
Bundesgrenzen, an der deutschen Küste die
Eigengewässer und das Küstenmeer sowie allgemein den
über den vorgenann-
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ten Bereichen liegenden Luftraum. Jenseits dieser Gebiete beginnt der
von § 10 erfasste Bereich (Löwe-Rosenberg/Erb StPO
26. Aufl. § 10 Rdn. 1). Diese Bestimmung ist also nur dann
unanwendbar, wenn die Tat ausschließlich in dem
vorbezeichneten räumlichen Bereich begangen worden ist (Erb
aaO Rn. 3); so liegt der Fall hier indes nicht.
Die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Kiel
ergibt sich demzufolge bereits eindeutig aus § 10 StPO. Daher
bedarf es keines Eingehens auf die Frage, ob ein Schiff nach dem
Flaggenprinzip (vgl. auch § 4 StGB) "schwimmendes Territorium"
des Flaggenstaates ist (so RGSt 23, 266, 267: "wandelnde Gebietsteile";
50, 218, 220; BSG SozR 4460, § 8 Nr. 7; BAGE 26, 242, 252;
Jeschek IRuD 1956, 75, 86) oder ob die Flaggenzugehörigkeit
weder der Personalhoheit noch der Territorialhoheit eines Staates
zuzurechnen ist, sondern eine eigenständige Form der
Anknüpfung staatlicher Hoheitsgewalt darstellt, die
gleichberechtigt neben den beiden genannten Formen steht (so LG
Mannheim NStZ-RR 1996, 147; MünchKomm-StGB/Ambos § 4
Rn. 5; Wolfrum in Graf Vitzthum, Handbuch des Seerechts Kap. 4 Rdn. 36;
Hoog, Deutsches Flaggenrecht S. 232 ff.). Der Umstand, dass Schiffe,
die im Staatsdienst ausschließlich für andere als
Handelszwecke genutzt werden, völkerrechtlich auf
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Hoher See Immunität genießen (Art. 96 des
Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen), hat im
Zusammenhang mit § 10 StPO keine Auswirkungen (vgl.
Löwe-Rosenberg/Erb aaO § 10 Rdn. 5 Fußn. 8).
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