BGH,
Beschl. v. 7.12.2006 - 2 StR 470/06
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
2 StR 470/06
vom
7.12.2006
in der Strafsache
gegen
wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen
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Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des
Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 7.12.2006
gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Köln vom 4. Mai 2006
a) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte der
Misshandlung von Schutzbefohlenen in drei Fällen, davon in
einem Fall in Tateinheit mit gefährlicher
Körperverletzung, sowie der Körperverletzung in zwei
Fällen schuldig ist;
b) im Strafausspruch in den Einzelstrafen in den Fällen 1 und
3 (Ziffer II.10 und II.12 der Urteilsgründe) sowie im
Ausspruch über die Gesamtstrafe aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere Kammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Misshandlung einer
Schutzbefohlenen in fünf Fällen zu einer
Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt und ihn im
Übrigen freigesprochen. Seine Revision hat mit der Sach-
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rüge in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang
Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet.
1. Ein Verfahrenshindernis ist nicht gegeben. Die Anklageschrift und
der hierauf Bezug nehmende Eröffnungsbeschluss
genügen den Anforderungen, die die Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs an die Bestimmtheit der Umschreibung von Serientaten
stellt.
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Die nachträglich ausgeführten
Verfahrensrügen sind nicht fristgemäß
erhoben und daher unzulässig.
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2. Soweit sich die Revision mit der Sachrüge gegen die
Verurteilung wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen in den
Fällen 2 (Ziffer II.11 der Urteilsgründe), 4 (Ziffer
II.14) und 5 (Ziffer II.16) wendet, ist sie im Ergebnis
unbegründet. Die Einwendungen gegen die
Beweiswürdigung des Landgerichts greifen in diesen
Fällen nicht durch. Dass der Tatrichter hinsichtlich der
Vorwürfe des sexuellen Missbrauchs, von dem der Angeklagte
freigesprochen worden ist, zu einer negativen Beurteilung der
Glaubhaftigkeit der belastenden Aussage der Geschädigten
gelangt ist, stand der Annahme von Glaubhaftigkeit der Belastungen
hinsichtlich der Körperverletzungen nicht entgegen. Die
unterschiedliche Entstehungsgeschichte der Aussageteile und den starken
suggestiven Einfluss auf die Geschädigte zur
nachträglichen Darstellung auch sexueller Ü-bergriffe
hat das Landgericht ausführlich erörtert.
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a) Nicht zutreffend ist allerdings die rechtliche Würdigung
als "Quälen" im Sinne der ersten Tatvariante des §
225 Abs. 1 StGB, die das Landgericht ohne Begründung
angenommen hat (UA S. 124). Es fehlt in den genannten Fällen
schon an der hierfür erforderlichen Feststellung
länger dauernder Schmerzen oder Leiden (vgl. BGHSt 41, 113,
115; NStZ-RR 1996, 197), die über die typi-
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schen Auswirkungen der festgestellten Körperverletzungen durch
Schläge hinausgingen.
b) Jedoch sind die Voraussetzungen des rohen Misshandelns im Sinne der
zweiten Tatvariante hier ersichtlich gegeben. Das Misshandeln eines
acht bis zehn Jahre alten Kindes unter anderem durch massive
Faustschläge gegen Kopf und Körper,
Fußtritte, Reißen an den Haaren und Vollstopfen des
Mundes mit trockenem Brot erfüllte in diesen Fällen
offenkundig die objektiven Voraussetzungen erheblicher Misshandlungen.
Zu den subjektiven Vorstellungen und zum Vorsatz des Angeklagten hat
das Landgericht zwar hier - wie auch in den übrigen
Fällen - keinerlei Feststellungen getroffen. Die vom
Tatbestand vorausgesetzte rohe, das heißt gefühllose
und das Leiden des Tatopfers missachtende Gesinnung (vgl. BGH NStZ
2004, 94; Tröndle/Fischer StGB 54. Aufl. § 225 Rdn. 9
m.w.N.) ergibt sich aber ohne Weiteres aus den objektiven
Umständen der Taten, die für den Angeklagten trotz
seiner jeweiligen Alkoholisierung offensichtlich erkennbar waren.
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Für den Schuldspruch bleibt die Annahme einer anderen
Tatvariante ohne Auswirkung. Die Tatvariante des rohen Misshandelns war
angeklagt; eine andere Verteidigung wäre dem Angeklagten
überdies nicht möglich gewesen.
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c) Im Fall 2 (Ziffer II.11 der Urteilsgründe) sind auch die
Voraussetzungen einer gefährlichen Körperverletzung
gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB gegeben. Der
Angeklagte trat nach den Feststellungen die Geschädigte "mit
dem beschuhten Fuß (mit) Wucht in den Magen", so dass ihr
übel wurde (UA S. 34). Bei einer solchen konkret
gefährlichen Verwendung ist nach der ständigen
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs der "beschuhte Fuß" -
genauer: der Schuh am Fuß des Täters - als
gefährliches Werkzeug (im Sinne von § 224 Abs. 1 Nr.
2 StGB anzusehen (vgl. BGHSt 30, 376; BGH NStZ 1984, 329; 1999,
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616). Die Qualifikation des § 224 StGB steht mit §
225 in Tateinheit (BGH NJW 1999, 72; Tröndle/Fischer aaO
§ 224 Rdn. 16).
Der Senat konnte insoweit den Schuldspruch ändern. §
265 StPO steht nicht entgegen, weil der Angeklagte sich nicht anders
als geschehen hätte verteidigen können.
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In den Fällen 4 und 5 (Ziffer II.14 und II.16 der
Urteilsgründe) kam im Hinblick auf die insoweit
lückenhaften Feststellungen des Landgerichts eine Verurteilung
auch wegen gefährlicher Körperverletzung nicht in
Betracht.
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3. In den Fällen 1 und 3 (Ziffer II.10 und II.12 der
Urteilsgründe) sind entgegen der Ansicht des Landgerichts die
Voraussetzungen des § 225 Abs. 1 StGB weder in der Variante
des Quälens noch in der des rohen Misshandelns gegeben. Es
fehlt insoweit schon an hinreichenden Feststellungen zum objektiven
Tatbestand. Zum subjektiven Tatbestand enthält das Urteil
darüber hinaus - wie in den anderen Fällen -
keinerlei Feststellungen. Es bleibt daher etwa schon offen, ob
Verletzungen, die sich die Geschädigte in Folge eines
"Schubsens" durch den Angeklagten zuzog, von dessen Vorsatz umfasst
waren. Die Revisi-on hat zutreffend eingewandt, dass in diesen
Fällen allein die Voraussetzungen vorsätzlicher
Körperverletzungen gemäß § 223
Abs. 1 StGB festgestellt sind.
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Dass diese Taten nicht durch irgendwelche erzieherischen Zwecke
gerechtfertigt waren, liegt auf der Hand. Der Generalbundesanwalt hat
das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung
bejaht. Da weitergehende Feststellungen von einer neuen
Hauptverhandlung nicht zu erwarten wären, hat der Senat auch
insoweit den Schuldspruch geändert.
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Das führt zur Aufhebung der Einzelstrafen von einem Jahr und
drei Monaten (Fall 1) und zwei Jahren (Fall 3) sowie der Gesamtstrafe.
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4. Die Fassung der 129 Seiten umfassenden Urteilsgründe gibt
dem Senat Anlass zu folgendem Hinweis:
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Die schriftlichen Urteilsgründe dienen, wie der Senat schon
wiederholt zu bemerken Anlass hatte, weder der Darstellung eines bis in
verästelte Einzelheiten aufzuarbeitenden "Gesamtgeschehens"
noch der Nacherzählung des Ablaufs der Ermittlungen oder des
Gangs der Hauptverhandlung. Es ist Aufgabe des Richters, Wesentliches
von Unwesentlichem zu unterscheiden und die Begründungen
seiner Entscheidungen so zu fassen, dass der Leser die wesentlichen,
die Entscheidung tragenden tatsächlichen Feststellungen und
rechtlichen Erwägungen ohne aufwändige eigene
Bemühungen erkennen kann. Urteilsgründe sollen weder
allgemeine "Stimmungsbilder" zeichnen noch das Revisi-onsgericht im
Detail darüber unterrichten, welche Ergebnisse
sämtliche im Hauptverhandlungsprotokoll verzeichneten
Beweiserhebungen gehabt haben.
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Das vorliegende Urteil wird dem nicht gerecht. Der Leser
erfährt erstmals auf UA S. 32, um welchen
möglicherweise strafbaren Sachverhalt es überhaupt
geht. Die dann folgenden tatsächlichen Feststellungen zu den
fünf abgeurteilten Taten umfassen insgesamt 7 ½
Seiten; sie werden mehrmals unterbrochen von insgesamt 8 ½
Seiten mit Feststellungen, die jeweils mit "nicht angeklagt"
überschrieben sind und deren Sinn sich dem Leser daher nicht
erschließt. Auf den folgenden 17 Seiten wird in
unübersichtlicher, verzweigter und weitschweifiger Weise die
Aufdeckung der Taten nacherzählt; weitere 7 Seiten schildern
den Gang des Ermittlungsverfahrens. Auf UA S. 67 erfährt der
Leser erstmals, ob und wie der Angeklagte sich eingelassen hat; von UA
S. 71 bis 107 folgen sodann mehr als 35 Seiten mit Erwägungen
über die Glaubwürdigkeit der Ge-
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schädigten. In 28 Abschnitten schließen sich
Ausführungen dazu an, worauf eine kaum zu
überblickende Vielzahl teilweise unbedeutender oder nur das
Randgeschehen betreffender Feststellungen "beruht"; die Gliederung
dieser Abschnitte ist überdies weder mit derjenigen der
Anklage noch mit der Nummerierung der Taten identisch.
Eine solche unübersichtliche Breite ist weder durch §
267 StPO noch sachlich-rechtlich geboten. Sie ist geeignet, den Blick
auf das Wesentliche zu verstellen. So erscheint es symptomatisch, dass
im vorliegenden Urteil zwar Nebensächlichkeiten breit
dargestellt sind, wesentliche Feststellungen zum objektiven und
subjektiven Tatbestand der abgeurteilten Taten jedoch fehlen.
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Das Abfassen unangemessen breiter Urteilsgründe führt
auch zu einer vermeidbaren Vergeudung personeller Ressourcen.
Angesichts der durchweg hohen Belastung der Strafjustiz sollte es im
Interesse der Tatgerichte liegen, Arbeitskraft und Zeit nicht
für das Verfassen mehrerer hundert Seiten starker
Urteilsgründe in einfach gelagerten Fällen
aufzuwenden.
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Soweit von tatrichterlicher Seite gelegentlich darauf hingewiesen wird,
eine möglichst breite und umfassende Darstellung aller
Einzelheiten empfehle sich, um möglichen Beanstandungen wegen
des Fehlens einzelner Erörterungen durch das Revisionsgericht
zuvorzukommen, erscheint dies verfehlt. Die sogenannte
"Revisionssicherheit" von Strafurteilen ist kein Selbstzweck, sondern
ergibt sich aus ihrer Freiheit von Rechtsfehlern. Eine
unnötige breite Darlegung von Nebensächlichkeiten,
gedanklichen Zwischenschritten und Randgeschehen ist aber, wie das
vorliegende Urteil beispielhaft zeigt, gerade nicht geeignet, Fehler zu
vermeiden, welche den Bestand des Urteils gefährden.
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Der Senat verkennt nicht, dass die Abfassung der Urteilsgründe
stets auch Ausdruck individueller richterlicher Gestaltung und
Bewertung sowie der in
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Spruchkörpern gewachsenen Erfahrung und Übung ist.
Hiergegen ist grundsätzlich nichts einzuwenden. Kommt es aber
zu einer auffälligen Häufung bestimmter fehlerhafter
Entwicklungen oder zu erheblichen Abweichungen zwischen einzelnen
Gerichten, ist es Aufgabe des Revisionsgerichts, dem entgegen zu wirken.
Rissing-van Saan Bode Otten
Rothfuß Fischer |