BGH,
Beschl. v. 7.2.2002 - 3 StR 446/01
3 StR 446/01
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
3 StR 446/01
vom
7. Februar 2002
in der Strafsache gegen
wegen Volksverhetzung u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofes hat nach Anhörung
des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 7.
Februar 2002 gemäß § 349 Abs. 4 StPO
einstimmig beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Rostock vom 29. Juni 2001 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer
des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Volksverhetzung in Tateinheit
mit Verunglimpfung des Staates und Beleidigung unter Einbeziehung
mehrerer Freiheitsstrafen aus früheren Verurteilungen zu einer
Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt.
Der Angeklagte rügt mit seiner Revision sowohl die Verletzung
materiellen als auch formellen Rechts. Die Revision hat schon mit der
Sachrüge Erfolg. Da die Verurteilung wegen Verunglimpfung des
Staates (§ 90 a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 StGB) einer rechtlichen
Nachprüfung nicht standhält, muß die
Entscheidung insgesamt aufgehoben werden, obgleich die Annahme der
übrigen, tateinheitlich verwirklichten
Straftatbestände keine Rechtsfehler aufweist.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts hat sich der Angeklagte auf
dem Bundesparteitag der NPD in Stavenhagen am 11. Januar 1998 in einer
Rede zur Bundestagswahl u.a. wie folgt geäußert:
"Wir brauchen einen Umsturz! Durch einen Wahlkampf schaffen wir das
nie. ... Wir müssen auf die Barrikaden, wir müssen
auf die Straße gehen, und ich hab ja bewiesen, ich bin auch
bereit, mich zusammenschlagen zu lassen, aber ohne Opfer und ohne Blut
gibt´s kein neues Deutschland!"... Bei dieser Redesequenz
nahm der Angeklagte Bezug auf einen Vorfall während einer
"Mahnwache" gegen die Wehrmachtsausstellung in Marburg, bei der er von
vermummten Gegendemonstranten angegriffen und durch
Knüppelschläge verletzt worden war. Er
erklärte, diesen durch "linkes, vermummtes Gesindel"
verübten "Mordanschlag" hätten Polizisten, die sich
in unmittelbarer Nähe aufgehalten hätten, nicht
verhindert. Dies müsse "dann ja eine Entscheidung von oben"
gewesen sein.
Das Landgericht hat in der letztgenannten Äußerung
den Vorwurf eines besonders verwerflichen Verhaltens gesehen, wonach
die Bundesrepublik Deutschland ihrer Verpflichtung, das Leben ihrer
Bürger gegen rechtswidrige Angriffe zu schützen,
nicht nachkommt. Dadurch habe sie der Angeklagte beschimpft und
böswillig verächtlich gemacht. Durch die Aufforderung
zu einem "Umsturz", einem "Regierungswechsel ohne Wahlen", habe er zum
Ausdruck gebracht, daß die staatliche Ordnung der
Bundesrepublik Deutschland beseitigt werden müsse und folglich
der Achtung ihrer Bürger unwürdig sei; auch dadurch
habe er diesen Staat böswillig verächtlich gemacht.
2. Die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe die Bundesrepublik
Deutschland mit den festgestellten Äußerungen im
Sinne des § 90 a Abs. 1 Nr. 1 StGB beschimpft, hält
rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
(1) Äußerungen zur "Mahnwache":
Insofern läßt allerdings die rechtliche
Würdigung des Landgerichts keinen Fehler erkennen, soweit es
bei der Auslegung des § 90 a Abs. 1 Satz 1 StGB und der
Subsumtion des Geschehens unter diese Vorschrift in der Bezeichnung der
Bundesrepublik Deutschland als Unrechtsstaat, der die Ermordung ihm
unliebsamer Personen hinnimmt, eine
tatbestandsmäßige Verunglimpfung sieht. Das gilt
auch unter Berücksichtigung dessen, daß Art. 5 Abs.
1 Satz 1 GG aus dem besonderen Schutzbedürfnis der Machtkritik
erwachsen ist und darin unverändert seine Bedeutung findet,
mit der Folge, daß bei der Anwendung von
Staatsschutzvorschriften besonders sorgfältig zu unterscheiden
ist zwischen zulässiger - wenn auch verfehlter - Polemik und
einer Beschimpfung oder böswilligen
Verächtlichmachung (BVerfGE 93, 266, 293 ff.; BVerfG NJW 1999,
204, 205).
Bedenken begegnet aber, daß die Strafkammer die dem
Angeklagten angelastete Äußerung, dies
müsse "dann ja eine Entscheidung von oben" gewesen sein, ohne
weiteres dahin auslegt, daß damit die Bundesrepublik
Deutschland als Unrechtsstaat hingestellt werde, der die Ermordung ihm
unliebsamer Personen hinnehme.
a) Schon nach einfachrechtlichen, insbesondere aber auch nach
verfassungsrechtlichen Anforderungen unter Berücksichtigung
der wertsetzenden Bedeutung des Grundrechts der Meinungsfreiheit ist
eine den objektiven Sinngehalt der umstrittenen
Äußerung erfassende Deutung
unerläßlich. Im Fall ihrer Mehrdeutigkeit darf der
Tatrichter nicht die zur Verurteilung führende Deutung
zugrunde legen, ehe er andere Deutungsmöglichkeiten mit
tragfähigen Gründen ausgeschlossen hat (BVerfGE 93,
266, 295 ff.). Kriterien für die Auslegung sind der Wortlaut,
der sprachliche Kontext der Äußerung sowie die
für die Zuhörer erkennbaren Begleitumstände,
unter denen die Äußerung fällt.
Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Die
Strafkammer hat nicht dargelegt, daß nur die von ihr
vorgenommene Auslegung der Äußerung des Angeklagten
in Betracht kommt, und hat sich insbesondere nicht mit anderen nach den
Feststellungen möglichen Deutungen auseinandergesetzt.
aa) Zu vermissen ist zunächst eine Begründung
dafür, daß der Vorwurf des Angeklagten als gegen die
Bundesrepublik Deutschland gerichtet verstanden werden (kann und)
muß und diese als Unrechtsstaat erscheinen soll, der durch
die Schutzlosstellung politisch Mißliebiger geprägt
wird. Bei unvoreingenommener Auslegung der Äußerung
unter Berücksichtigung des Erklärungszusammenhangs
liegt nämlich auch eine Deutung dahin jedenfalls nicht fern,
daß sich der Angeklagte lediglich gegen ein Fehlverhalten der
Vorgesetzten (in der Polizeiführung, innerhalb der Verwaltung
oder in der politischen Führungsebene) wenden wollte, die den
Beamten vor Ort (so die Sicht des Angeklagten) den Befehl gegeben
hatten, ihm bei der "Mahnwache" den Schutz vor Verletzungen durch
Gegendemonstranten zu versagen. Da Schutzgut der Vorschrift des
§ 90 a Abs. 1 Satz 1 StGB das Ansehen der Bundesrepublik
Deutschland selbst, nicht aber das von einzelnen Staatsorganen, der
Verwaltung oder einzelner Beamter ist (BGHR StGB § 90 a
Beschimpfen 1 m.w.N.), war hierzu eine nähere
Begründung unerläßlich. Ebensowenig hat die
Strafkammer begründet, weshalb der Äußerung
des Angeklagten ein generalisierender Vorwurf dahin, unliebsamen
Personen werde in der Bundesrepublik Deutschland allgemein
polizeilicher Schutz gegen tätliche Angriffe verweigert, zu
entnehmen sei und nicht nur die Kritik, in dem ihn betreffenden
Einzelfall bei der "Mahnwache" in Marburg sei so verfahren worden.
Angesichts der Schilderung des Angeklagten, die sich allein auf einen
ihn selbst betreffenden Vorfall ohne weitere Verletzte bezog, lag dies
nicht auf der Hand.
bb) Darüber hinaus hätte sich die Strafkammer damit
auseinandersetzen müssen, ob der Begriff "Mordanschlag"
tatsächlich wörtlich i.S. eines versuchten
Tötungsdelikts zu verstehen war. Der geschilderte Vorfall
einerseits und die Umstände der Rede andererseits lassen
andere Deutungen möglich erscheinen. Da der Angeklagte von
Gegendemonstranten durch Knüppelschläge "lediglich"
verletzt worden ist und konkrete Anhaltspunkte für einen
Tötungsvorsatz der Angreifer weder ersichtlich noch vom
Angeklagten geäußert worden sind, erscheint es
durchaus möglich, wenn nicht sogar naheliegend, daß
er mit dem Ausdruck "Mordanschlag" lediglich in vergröbernder
und übertreibender Weise den Körperverletzungsangriff
der Gegendemonstranten bezeichnen wollte. Zumindest hätte sich
die Strafkammer mit dieser Möglichkeit auseinandersetzen
müssen. Dabei ist auch zu berücksichtigen,
daß die dem Angeklagten angelastete
Äußerung in einer Rede im Bundestagswahlkampf fiel.
Bei solchem Anlaß ist die Verwendung plakativer,
vereinfachender und polemischer Ausdrucksweisen als typisches Mittel
zur Verdeutlichung des eigenen Standpunkts, zur Abgrenzung
gegenüber dem politischen Gegner und vor allem zur
Überzeugung der potentiellen Wähler durchaus nicht
unüblich, was bei der Auslegung des Sinngehalts nicht
außer Acht gelassen werden darf.
b) Das Landgericht hat ferner nicht geprüft, ob die
Äußerungen des Angeklagten als Meinungen oder
Tatsachenbehauptungen unter den Schutz von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG
fallen. Die Strafvorschrift des § 90 a StGB ist zwar ein
allgemeines Gesetz i.S. von Art. 5 Abs. 2 GG, das dem Grundrecht der
Meinungsfreiheit Schranken setzt (vgl. BVerfGE 47, 198, 232). Das hat
aber nicht zur Folge, daß das Grundrecht im Anwendungsbereich
der Strafvorschrift bedeutungslos wäre. Bei
Äußerungen, die vom Schutz der Meinungsfreiheit
umfaßt werden, ist vielmehr stets dem
eingeschränkten Grundrecht Rechnung zu tragen, damit dessen
wertsetzende Bedeutung auch auf der Rechtsanwendungsebene gewahrt
bleibt.
Für die Anwendung des Art. 5 GG ist die Einordnung der
Äußerungen von maßgeblicher Bedeutung.
Meinungen fallen stets in den Schutzbereich dieses Grundrechts, ohne
daß es dabei auf Begründetheit oder Richtigkeit
ankäme (vgl. BVerfG NJW 1999, 204, 205); sie verlieren diesen
Schutz auch nicht, wenn sie scharf und überzogen sind (vgl.
BVerfGE 61, 1, 7/8/9). Dagegen werden reine Tatsachenbehauptungen, die
bewußt oder erwiesen unwahr sind, nicht geschützt.
Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, daß der
Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG bereits dann
eröffnet ist, wenn eine tatsachenhaltige
Äußerung durch Elemente der Stellungnahme des
Meinens oder Dafürhaltens geprägt ist und die
Tatsachenbehauptungen der Bildung einer Meinung oder der
Stützung von Werturteilen dienen. Der Wortlaut der
Äußerungen des Angeklagten und die
Umstände, unter denen sie gefallen sind, sprechen
dafür, daß es sich um eine persönliche, als
Schlußfolgerung dargestellte Meinung handelt.
c) Das angefochtene Urteil leidet weiter darunter, daß unklar
bleibt, von welchem Sachverhalt das Landgericht bezüglich des
in der Äußerung angesprochenen Geschehens bei der
"Mahnwache" ausgeht.
Die Strafkammer hat sich darauf beschränkt festzustellen,
daß sich der Angeklagte mit seinen
Äußerungen auf Vorkommnisse bei seiner Teilnahme an
einer "Mahnwache" gegen die Wehrmachtsausstellung in Marburg bezogen
hatte, bei der er von vermummten Gegendemonstranten angegriffen und
durch Knüppelschläge verletzt worden war (UA S. 13).
Die näheren Umstände dieser Ereignisse hat sie nicht
dargelegt. Insbesondere hat sie das Verhalten der
Polizeikräfte nur durch die Wiedergabe der Einlassung des
Angeklagten angesprochen, nicht aber deutlich gemacht, ob sie ihr folgt
oder sie für widerlegt ansieht. Da die Vorwürfe des
Angeklagten in ihrem sachlichen Kern dahin gehen, daß die
anwesenden Beamten einschreiten und die Verletzungen hätten
verhindern können, dies aber bewußt unterlassen
hätten, kam den Einzelheiten des Geschehens unter
Umständen erhebliche Bedeutung für die Fragen zu, was
der Angeklagte mit seiner Äußerung sagen wollte und
ob er sich, wie geschehen, äußern durfte. Zu
klären wäre insbesondere gewesen, wie intensiv und
massiv der Angriff der Gegendemonstranten war, ob und wie sie ihn
gegebenenfalls verletzt haben, wie sich die Polizeibeamten im einzelnen
verhalten und wie sie gegenüber dem Angeklagten gegebenenfalls
das Nichteinschreiten und die Versagung von Schutz gerechtfertigt haben.
Vor diesem Hintergrund würden möglicherweise auch die
Beweisanträge zu würdigen sein, deren
Zurückweisung als rechtsfehlerhaft der Angeklagte mit einer
Verfahrensrüge beanstandet. Mit ihnen wurde unter Beweis
gestellt, daß sich bei der "Mahnwache" mindestens 400
Polizeibeamte in der Nähe aufgehalten hätten,
daß zwei von ihnen sich unmittelbar vor dem Angriff mit dem
Angeklagten unterhalten, sich dann aber zurückgezogen
hätten, und daß ihm die Beamten eines zehn Meter
entfernt stehenden Einsatzfahrzeugs danach erklärt
hätten: "Nicht zuständig! Geht uns nichts an! Haben
Befehl, nicht einzugreifen!"
Es spricht viel dafür, daß die Ablehnung dieser
Beweisanträge wegen Bedeutungslosigkeit rechtfehlerhaft war.
Der Senat braucht diese Frage jedoch nicht abschließend zu
entscheiden, da bereits die Sachrüge zur umfassenden Aufhebung
des Urteils führt. Die von der Strafkammer angeführte
Begründung, die unter Beweis gestellten Behauptungen
würden nicht die Annahme rechtfertigen, der Staat
schütze den Angeklagten nicht gegen Mordanschläge,
weist darauf hin, daß sie bereits bei der Beweisaufnahme von
der dem Angeklagten ungünstigsten Auslegung seiner
Äußerungen ausgegangen ist. Damit hat sie ihren
Blickwinkel von vornherein darauf verengt, daß der Angeklagte
der Bundesrepublik Deutschland die Duldung von Mordanschlägen
und nicht etwa nur eine Weisung der Polizeiführung zum
Nichteinschreiten gegen tätliche Angriffe von
Gegendemonstranten bei diesem Vorkommnis vorwerfen wollte. Dies
läßt besorgen, daß das Landgericht im
Hinblick hierauf die Feststellung der näheren
Umstände unterlassen hat, die erst Grundlage für eine
sachgerechte und vollständige Auslegung und Rechtsanwendung
hätten sein können.
(2) Aufforderung zum "Umsturz":
Die Annahme der Strafkammer, der Angeklagte habe durch die Aufforderung
zum "Umsturz", zu einem "Regierungswechsel ohne Wahlen", die
Bundesrepublik Deutschland i.S. des § 90 a Abs. 1 Satz 1 StGB
böswillig verächtlich gemacht, begegnet rechtlichen
Bedenken. Die Strafvorschrift des § 90 a StGB verbietet es
Mitgliedern oder Anhängern von politischen Parteien nicht,
scharfe Kritik am Staat zu üben und die Ziele und Programme
ihrer Partei zu propagieren, mögen sie auch noch so
verfassungsfeindlich sein. Die Grenze zur Strafbarkeit ist erst
überschritten, wenn die Kritik beschimpft, böswillig
verächtlich macht oder verunglimpft (BVerfGE 47, 198, 231 f.).
In der bloßen Aufforderung zum "Umsturz" durch gewaltfreie
Beseitigung der bisherigen staatlichen Ordnung und Ersetzung durch ein
anderes politisches System allein liegt noch keine böswillige
Verächtlichmachung. Die strafrechtliche Erfassung einer
solchen Äußerung würde das nach Art. 5 Abs.
1 GG geschützte Recht der freien
Gedankenäußerung unzulässig
beschränken (BVerfGE 47, 198, 233).
Daß der Angeklagte zu einem Umsturz mit Mitteln der Gewalt
oder der Drohung mit Gewalt (vgl. § 81 Abs. 1 StGB) aufgerufen
hätte, hat die Strafkammer nicht festgestellt.
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