BGH,
Beschl. v. 7.2.2008 - 5 StR 609/07
5 StR 609/07
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
vom 7.2.2008
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Mordes u. a.
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Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 7.2.2008 beschlossen:
Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Hamburg vom 27. August 2007 nach § 349 Abs. 4 StPO mit den
Feststellungen aufgehoben, hiervon ausgenommen sind die Feststellungen
zum objektiven Tatgeschehen. Insoweit wird die Revision nach §
349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen versuchten Mordes in
Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer
Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt und ihre
Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet.
Hiergegen wendet sich die Angeklagte mit ihrer Revision, mit der sie
die Verletzung formellen und sachlichen Rechts rügt. Das
Rechtsmittel hat mit der Sachrüge weitgehend Erfolg.
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1. Nach den Feststellungen des Landgerichts verabredete sich die
Angeklagte am 1. März 2007 mit dem Nebenkläger, den
sie am selben Abend über einen „Tele-Chat bei
RTL“ kennengelernt hatte, in ihrer Wohnung. Man unterhielt
sich zunächst und verkehrte dann sexuell miteinander, wie es
bereits beim Eingehen der Verabredung geplant war. Nachdem beide in der
„vergnügt entspannten Atmosphäre“
eingeschlafen waren, wachte die Angeklagte nach etwa zwei Stunden auf
und entschloss sich aus ungeklär-
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tem Motiv, den Nebenkläger zu töten. Sie versetzte
ihm unter Ausnutzung seiner Arg- und Wehrlosigkeit zwei Messerstiche in
den Oberkörper, wobei einer die Lunge traf. Die Angeklagte
dachte, ihr Opfer sei tot und wandte sich ab. Als sie eine Bewegung von
ihm wahrnahm, kehrte sie zurück und versetzte ihm einen
weiteren Stich in den Oberkörper. Der Nebenkläger bat
sie erfolglos, einen Notarzt zu rufen; stattdessen kam sie mit dem
Messer in der Hand erneut auf ihn zu. Auf die
Äußerung des Nebenklägers „ist
gut, ist gut“, drohte ihm die Angeklagte mit dem Messer und
forderte ihn auf, ruhig zu sein und weiterzuschlafen. Bald darauf
verließ sie ihre Wohnung, wobei sie die Wohnungstür
verschloss. Sie nahm das Messer sowie beide Mobiltelefone des
Nebenklägers mit.
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Etwa zwei Stunden nach Verlassen der Wohnung ging die Angeklagte gegen
4.30 Uhr zu einer Tankstelle und verständigte mit ihrem
Mobiltelefon die Feuerwehr. Der dortigen Angestellten teilte sie mit,
sie habe gerade „einfach so jemanden umgebracht“,
weil sie davon ausging, der Nebenkläger sei bereits tot.
Tatsächlich konnte er aber gerettet werden.
Die sachverständig beratene Strafkammer ist davon ausgegangen,
dass die Angeklagte an einer
Borderline-Persönlichkeitsstörung und einer
posttraumatischen Belastungsstörung leide, wobei letztere das
Ausmaß der Persönlichkeitsstörung
verstärke. In ihrer Schwere entsprächen diese
Störungen einer krankhaften seelischen Störung.
Jedenfalls im Zusammenhang mit der Alkoholintoxikation - die
für die Tatzeit nicht näher konkretisiert wird -
führe dies zu einer erheblich verminderten, jedoch nicht
aufgehobenen Steuerungsfähigkeit.
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2. Die Verfahrensrügen haben keinen Erfolg.
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a) Die Rüge eines Verstoßes gegen die
Belehrungspflicht ist bereits unzulässig, da der Inhalt der
verwerteten Aussage nicht vollständig mitgeteilt wird (vgl.
BGH NJW 1993, 2125, 2127). Zudem legt die Revisionsbegrün-
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dung keine Umstände dar, aus denen sich ein Verbot der
beanstandeten Verwertung hinsichtlich der Angaben der Angeklagten
gegenüber der Vernehmungsbeamtin N. ergeben könnte.
Soweit die Revision geltend macht, die Vernehmungsbeamtin habe nicht
nur über die Rechte nach § 136 StPO belehren, sondern
auch darauf hinweisen müssen, dass ihre früheren
Angaben gegenüber dem Polizeibeamten C. nicht verwertbar
seien, ist der Rüge bereits dadurch der Boden entzogen, dass
die Angeklagte gegenüber diesem Beamten keine Angaben gemacht
hat.
b) Die weiteren Verfahrensrügen haben aus den Gründen
der Antragsschrift des Generalbundesanwalts keinen Erfolg.
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3. Die Beurteilung der Schuldfähigkeit hält
sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht stand.
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a) Das Landgericht hat das festgestellte Störungsbild einer
Borderline-Persönlichkeitsstörung, auf die es die
Beurteilung der Schuldfähigkeit maß-geblich
stützt, nicht tragfähig belegt. Hierzu teilt es
lediglich die vom Sachverständigen vermittelte Diagnose und
deren Einordnung in das Klassifikati-onssystem ICD-10 mit. Auf dieser
Grundlage kann der Senat nicht überprüfen, ob diese
Diagnose den geistig-seelischen Zustand der Angeklagten zutreffend
beschreibt (vgl. BGHSt 49, 45, 54). Denn welche
Anknüpfungstatsachen hierfür maßgeblich
waren, welche Merkmale von Persönlichkeitsstörungen
bei der Angeklagten vorliegen und welche diagnostischen Kriterien die
Spezifizierung als Borderline-Persönlichkeitsstörung
rechtfertigen, bleibt unerörtert. Zwar mögen die
festgestellte Bindungslosigkeit und die von ihr nur auf eine Nacht
angelegten sexuellen Kontakte der Diagnose einer
Borderline-Persönlichkeitsstörung nicht zwingend
entgegenstehen, sie sind aber jedenfalls nicht ohne Weiteres mit den
diagnostischen Kriterien dieses Störungsbildes (vgl. hierzu
Diagnostisches und Statistisches Manual Psychischer Störungen
DSM-IV, 1996, S. 735, 739) zu vereinbaren. Neben diesen sozialen
Auffälligkeiten hätten auch biographische Merkmale -
neben dem
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Umstand, dass die Angeklagte bereits zweimal Opfer sexueller
Übergriffe war, vor allem die Zunahme der
Suizidalität in den Monaten vor der Tat bei der bereits
über 30 Jahre alten Angeklagten - dazu gedrängt, die
Diagnose und die hieran anknüpfende Beurteilung der
Schuldfähigkeit für das Revisi-onsgericht
nachvollziehbar darzulegen. Diese lückenhafte
Erörterung lässt besorgen, dass die Art der
Störung und damit auch ihr Schweregrad sowie der Einfluss auf
die Schuldfähigkeit unzutreffend beurteilt worden sind.
b) Zudem ist eine Aufhebung der Schuldfähigkeit nicht
widerspruchsfrei ausgeschlossen. Zwar führt das Landgericht
unter Berufung auf den Sachverständigen aus, dass die
Steuerungsfähigkeit nicht aufgehoben gewesen sei, an anderer
Stelle der Urteilsgründe ist jedoch die Einschätzung
des Sachverständigen - dem das Landgericht
uneingeschränkt folgt - wiedergegeben, dass
„krankheitsbedingt“ die Gedanken an
„Aggression und Autoaggression“, „bzw.
die dahinter stehenden emotionalen Kräfte für die
Angeklagte bewusst nicht mehr zu steuern gewesen seien“ (UA
S. 18). Weshalb aufgrund dieses Befundes die Schuldfähigkeit
überhaupt noch erhalten gewesen ist, wird nicht
erörtert und versteht sich angesichts der Tatumstände
auch nicht von selbst.
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4. Das neue Tatgericht hat Gelegenheit, unter Hinzuziehung eines
anderen Sachverständigen erneut über das Vorliegen
der Voraussetzungen der §§ 20, 21 StGB zu
entscheiden. Dabei werden mögliche Zusammenhänge
zwischen dem psychischen Zustand und dem Ausnutzungsbewusstsein
hinsichtlich der Arg- und Wehrlosigkeit besonders in den Blick zu
nehmen sein.
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Zudem ist zu beachten, dass es für die alkoholbedingte
Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit auf die Tatzeit
ankommt. Das Leistungsverhalten der Angeklagten mehrere Stunden nach
der Tat kann hierüber nur bedingt Aufschluss geben.
Gerhardt Raum Brause
Schaal Jäger |