BGH,
Beschl. v. 7.1.2003 - 3 StR 425/02
3 StR 425/02
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
vom
7. Januar 2003
in der Strafsache gegen
wegen Vergewaltigung u. a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofes hat nach Anhörung
des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts - zu 1. a)
und 2. auf dessen Antrag - am 7. Januar 2003 gemäß
§ 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Verden vom 24. Juni 2002
a) im Schuldspruch dahin geändert, daß die
Verurteilung des Angeklagten wegen Nötigung (Fall II 1 der
Urteilsgründe) entfällt,
b) mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben
aa) soweit der Angeklagte wegen sexueller Nötigung in
Tateinheit mit versuchter Vergewaltigung, sexuellem Mißbrauch
von Kindern, sexuellem Mißbrauch von Schutzbefohlenen,
Körperverletzung und Bedrohung (Fall II 3 der
Urteilsgründe) verurteilt wurde,
bb) im Ausspruch über die Einzelstrafe im Fall II 6 der
Urteilsgründe, soweit der Angeklagte wegen sexueller
Nötigung in Tateinheit mit sexuellem Mißbrauch von
Schutzbefohlenen verurteilt wurde,
cc) im Ausspruch über die Gesamtstrafe.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die
insoweit entstandenen notwendigen Auslagen der Nebenklägerin,
an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten der "Vergewaltigung in Tateinheit
mit sexuellem Mißbrauch von Kindern und mit sexuellem
Mißbrauch von Schutzbefohlenen in zwei Fällen, der
sexuellen Nötigung in Tateinheit mit versuchter
Vergewaltigung, sexuellem Mißbrauch von Kindern, sexuellem
Mißbrauch von Schutzbefohlenen, Körperverletzung und
Bedrohung, der sexuellen Nötigung in Tateinheit mit sexuellem
Mißbrauch von Kindern und sexuellem Mißbrauch von
Schutzbefohlenen, des sexuellen Mißbrauchs von Kindern in
Tateinheit mit Nötigung, der sexuellen Nötigung in
Tateinheit mit sexuellem Mißbrauch von Schutzbefohlenen, der
gefährlichen Körperverletzung in Tateinheit mit
versuchter Nötigung sowie der Körperverletzung"
schuldig gesprochen und zur Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren
verurteilt. Außerdem hat es der Nebenklägerin
Schadensersatz und Schmerzensgeld dem Grunde nach zugesprochen. Die
Revision des Angeklagten rügt die Verletzung formellen und
materiellen Rechts. Sie hat mit der Sachrüge den aus der
Entscheidungsformel ersichtlichen Erfolg; im übrigen ist sie
unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
1. Wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift zutreffend
ausgeführt hat, kann der Schuldspruch keinen Bestand haben,
soweit der Angeklagte im Fall II 1 der Urteilsgründe
außer wegen sexuellen Mißbrauchs von Kindern auch
wegen Nötigung (§ 240 StGB) verurteilt wurde. Zum
Zeitpunkt der ersten Unterbrechungshandlung (§ 78 c Abs. 1
Satz 1 Nr. 1 StGB) war insoweit bereits Verfolgungsverjährung
(§ 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB) eingetreten. Dieses von Amts wegen zu
berücksichtigende Verfahrenshindernis betrifft eine
tateinheitlich begangene Gesetzesverletzung, so daß der
entsprechende Schuldspruch ohne förmliche Einstellung
entfällt (vgl. Meyer-Goßner, StPO 46. Aufl.
Einleitung Rdn. 154).
Die in diesem Fall verhängte Einzelstrafe kann bestehen
bleiben. Zwar hat das Landgericht bei der Strafzumessung zu Lasten des
Angeklagten berücksichtigt, daß er sein Opfer durch
die Todesdrohung "unter erheblichen psychischen Druck setzte". Der
Senat schließt aber auf Grund des Schuldgehalts der Tat aus,
daß das Landgericht bei rechtsfehlerfreier Würdigung
die Frage des minder schweren Falles anders als geschehen beantwortet
oder eine niedrigere als die im unteren Bereich des Strafrahmens
angesiedelte Einzelstrafe zugemessen hätte, zumal eine
verjährte Straftat, wenn auch in eingeschränktem
Umfang, strafschärfend berücksichtigt werden kann
(vgl. Tröndle/Fischer, StGB 51. Aufl. § 46 Rdn. 38 m.
w. N.).
2. Die (zulässig) erhobenen Verfahrensrügen sind
unbegründet; insbesondere hat das Landgericht die Einholung
eines Sachverständigengutachtens zur Untersuchung und
Beurteilung der Tagebuchaufzeichnungen der Geschädigten
rechtsfehlerfrei abgelehnt.
3. Hingegen hält das Urteil in zwei Fällen
sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
a) Nach den Feststellungen im Fall II 3 der Urteilsgründe
faßte der Angeklagte den Entschluß, mit der
Geschädigten gegen ihren Willen den Geschlechtsverkehr zu
vollziehen. Er ergriff ihre Handgelenke und drückte sie zu
Boden. Da sie sich am Boden sitzend mit Händen und
Füßen wehrte, schlug der Angeklagte sie aus Wut in
Gesicht und Bauch, so daß sie auf dem Rücken lag. Er
hielt sodann ihre Arme hinter dem Kopf zusammen, faßte sie
über ihrer Kleidung an ihre Brust und öffnete seine
Hose. Die Geschädigte versuchte, den Angeklagten zu treten und
nach ihm zu schlagen, um ihn von seinem Vorhaben abzubringen. Wegen
ihrer Gegenwehr schüttelte und ohrfeigte er sie mehrmals. Der
Geschädigten gelang es, "einen Spachtel zu ergreifen, mit dem
sie versuchte, ihn zu schlagen, um ihn von sich fernzuhalten". Der
Angeklagte war wegen ihres Widerstandes voller Zorn und drohte der
Geschädigten, er werde ihre Mutter und ihre Schwester
umbringen. Das Landgericht hat den Angeklagten aufgrund dieses
Geschehens wegen sexueller Nötigung in Tateinheit mit
versuchter Vergewaltigung, sexuellem Mißbrauch von Kindern,
sexuellem Mißbrauch von Schutzbefohlenen,
Körperverletzung und Bedrohung verurteilt.
Die Verurteilung wegen versuchter Vergewaltigung begegnet
durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Die Urteilsgründe des
Landgerichts lassen die Prüfung vermissen, ob der Angeklagte
vom (unbeendeten) Versuch mit strafbefreiender Wirkung
zurückgetreten ist (§ 24 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 StGB).
Der bisher festgestellte Sachverhalt läßt offen, ob
der Angeklagte die weitere Tatausführung aufgab, obwohl er
nach seiner subjektiven Vorstellung weder durch eine
äußere Zwangslage gehindert noch durch einen
seelischen Druck unfähig geworden war, die Tat zu vollenden
(vgl. BGHSt 35, 90, 95 und 184, 186). Den Urteilsgründen
läßt sich auch nicht mit ausreichender Deutlichkeit
entnehmen, daß er sein Vorhaben aufgab, weil er davon
ausging, die Gegenwehr der Geschädigten nicht
überwinden zu können. Eine entsprechende Sicht des
Angeklagten ist bei Würdigung der Urteilsgründe auch
in ihrer Gesamtheit nicht so naheliegend, daß Darlegungen zu
einem fehlgeschlagenen Versuch entbehrlich gewesen wären. Denn
der Angeklagte hat nach den Feststellungen des Landgerichts in anderen
Fällen ähnlich heftige Gegenwehr der
Geschädigten überwunden und hat den
Geschlechtsverkehr durchgeführt (Fälle II 4 und 5).
Danach bedurften die Gründe, die ihn dazu bestimmten, bei
dieser Tat von der Geschädigten abzulassen, wegen der
naheliegenden Möglichkeit eines strafbefreienden
Rücktritts der Feststellung und der Erörterung (vgl.
BGHR StGB § 24 Abs. 1 Satz 1 Rücktritt 8). Dieser
Mangel führt zur Aufhebung des gesamten Schuldspruches, mithin
auch der Verurteilung wegen der anderen, tateinheitlich abgeurteilten
Straftaten dieses Falles sowie des Ausspruches über die
zugehörige Einzelfreiheitsstrafe von zwei Jahren.
Zur rechtlichen Würdigung des angefochtenen Urteils weist der
Senat auf die zur Tatzeit geltende Rechtsprechung zum
Konkurrenzverhältnis von sexueller Nötigung und
versuchter Vergewaltigung hin. Danach könnte nicht Tateinheit,
sondern Gesetzeskonkurrenz mit Vorrang der versuchten Vergewaltigung
gegeben sein (vgl. Lenckner in Schönke/Schröder, StGB
24. Aufl. § 177 Rdn. 15; BGH NStZ 1993, 38).
Für die Verurteilung wegen Bedrohung besteht das
Verfahrenshindernis der Verfolgungsverjährung (§ 78
Abs. 3 Nr. 5 StGB). Insofern gelten die Ausführungen in Ziffer
1. zur Verjährung der Nötigung entsprechend.
b) Im Fall II 6 hat das Landgericht zum ersten Teil des Geschehens
festgestellt, daß der Angeklagte der Geschädigten
den Schlafanzug oder das Nachthemd vom Leib riß und ihr eine
Radlerhose sowie die Unterhose auszog. Er legte sich neben sie,
faßte an ihre Brust und führte die Hand an ihrem
Bauch entlang bis zur Scheide. Dann drückte er ihre Beine mit
seinen Beinen auseinander. Der Angeklagte versuchte in die
Geschädigte einzudringen, kam mit seinem Penis gegen ihre
Scheide und stieß "mit diesem an ihrer Scheide immer wieder
von unten nach oben". Durch heftige und anhaltende Gegenwehr gelang es
seinem Opfer, ihn von einer "vollständigen Penetration"
abzuhalten. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen dieser Tat der
sexuellen Nötigung in Tateinheit mit sexuellem
Mißbrauch von Schutzbefohlenen schuldig gesprochen und eine
Einzelstrafe von drei Jahren festgesetzt. Diese hat es dem Strafrahmen
des besonders schweren Falles (§ 177 Abs. 2 Satz 1 StGB)
entnommen, da seiner Meinung nach die Regelwirkung von § 177
Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB (schon dann) einsetze, wenn der Beischlaf
lediglich versucht sei (UA S. 37 und 40).
Die Strafrahmenwahl ist rechtsfehlerhaft. § 177 Abs. 2 StGB
enthält eine im Vergleich zum Grunddelikt (§ 177 Abs.
1 StGB) schwerere Strafdrohung für besonders schwere
Fälle der sexuellen Nötigung und benennt Beispiele,
die den erhöhten Strafrahmen dann eröffnen, wenn sie
verwirklicht sind. Unzutreffend ist die Auffassung des Landgerichts,
die entsprechende Indizwirkung gehe auch vom versuchten erzwungenen
Beischlaf und demnach von der versuchten Verwirklichung dieses
Regelbeispiels aus. Die Entscheidung, die das Landgericht als Grundlage
hierfür zitiert hat (BGHSt 33, 370, 374), stützt
seine Würdigung nicht. Sie hat eine andere Konstellation zum
Gegenstand; erörtert wird dort, ob die Bestrafung wegen
versuchten Diebstahls aus dem - unter Umständen
gemäß § 23 Abs. 2, § 49 Abs. 1
StGB herabgesetzten - Strafrahmen des § 243 Abs. 1 StGB
voraussetzt, daß der begonnene Einbruch gelungen, also das
Regelbeispiel vollendet ist. Im Fall II 6 der Urteilsgründe
hat der Angeklagte hingegen das Grunddelikt, die sexuelle
Nötigung, nicht lediglich versucht, sondern vollendet. Auch
will das Landgericht seiner Strafzumessung nicht einen nach
Versuchsgrundsätzen gemilderten Strafrahmen des § 177
Abs. 2 Satz 1 StGB zugrundelegen.
Danach kann die festgesetzte Einzelstrafe nicht bestehen bleiben. Zwar
ist außerhalb des Regelbeispiels die Annahme eines besonders
schwerer Falls nicht ausgeschlossen. Doch kann die Einordnung als
solcher dann allein auf eine Bewertung aller für die
Strafzumessung wesentlichen tat- und täterbezogenen
Umstände gestützt werden. Eine entsprechende
Gesamtwürdigung hat das Landgericht nicht vorgenommen.
Der rechtsfehlerfreie Schuldspruch bleibt bestehen.
4. Die Aufhebung der beiden Einzelstrafen hat die Aufhebung des
Ausspruches über die Gesamtstrafe zur Folge. Die
übrigen Einzelstrafen bleiben hiervon unberührt. Der
Senat kann ausschließen, daß ihre Bemessung durch
die dargestellten Rechtsfehler beeinflußt wurde.
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