BGH,
Beschl. v. 7.1.2003 - 4 StR 490/02
4 StR 490/02
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
vom
7. Januar 2003
in der Strafsache gegen
wegen Mordes u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofes hat auf Antrag des
Generalbundesanwalts und nach Anhörung des
Beschwerdeführers am 7. Januar 2003 gemäß
§ 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Essen vom 18. Juli 2002 im gesamten Rechtsfolgenausspruch mit den
zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des
Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes und Vergewaltigung zu
lebenslanger Freiheitsstrafe (als Gesamtstrafe) verurteilt und die
besondere Schwere der Schuld des Angeklagten festgestellt. Es hat
außerdem dessen Unterbringung in einer Entziehungsanstalt
angeordnet und bestimmt, daß 15 Jahre der Freiheitsstrafe vor
der Unterbringung zu vollziehen sind. Die Revision des Angeklagten, mit
der er allgemein die Verletzung sachlichen Rechts rügt,
führt zur Aufhebung des Rechtsfolgenausspruchs. Im
übrigen ist sie unbegründet im Sinne des §
349 Abs. 2 StPO.
1. Nach den Feststellungen hatte der Angeklagte die Halbschwester
seiner Ehefrau erdrosselt, um die zuvor von ihm begangene
Vergewaltigung des Tatopfers zu verdecken. Das Landgericht hat
für den Mord auf lebenslange, für die Vergewaltigung
auf sechs Jahre Freiheitsstrafe als Einzelstrafe erkannt. Es hat bei
beiden Taten nicht auszuschließen vermocht, daß die
Hemmungsfähigkeit des Angeklagten infolge Alkoholgenusses im
Zusammenwirken mit einer Persönlichkeitsstörung
erheblich vermindert war (§ 21 StGB). Gleichwohl hat die
Strafkammer von der danach gegebenen Möglichkeit, den
jeweiligen Strafrahmen gemäß § 49 Abs. 1
StGB zu mildern, weder beim Mord noch bei der Vergewaltigung Gebrauch
gemacht. Zur Begründung hat das Landgericht bei beiden
Straftaten maßgeblich darauf abgestellt, der Angeklagte sei
wegen Gewaltdelikten, die er unter Alkoholeinfluß begangen
habe, vorverurteilt gewesen. Ihm sei deshalb vorzuwerfen, daß
er sich, "noch frei in seinen Entscheidungen", entschlossen habe,
wieder zu trinken. Seinen Zustand habe er in Kenntnis seiner
Gefährlichkeit gerade Frauen gegenüber
herbeigeführt. Diese Begründung begegnet in
mehrfacher Hinsicht durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
Zwar kann nach der ständigen Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofes eine Strafrahmenverschiebung nach
§§ 21, 49 Abs. 1 StGB abgelehnt werden, wenn der
Täter schon früher unter Alkoholeinfluß
straffällig geworden ist und deshalb wußte oder sich
dessen hätte bewußt sein können,
daß er in einem solchen Zustand zu Straftaten neigt (BGHR
StGB § 21 Strafrahmenverschiebung 3, 6, 9 und 14 m.w.N.).
Allerdings dürfen dem vermindert schuldfähigen
Täter solche Taten nicht schulderhöhend angerechnet
werden, mit deren Begehung er aufgrund des Ausmaßes und der
Intensität seiner bisher unter Alkoholeinwirkung begangenen
Straftaten nicht rechnen konnte (BGHSt 35, 143, 145; BGHR StGB
§ 21 Strafrahmenverschiebung 6 und 14).
Weitere Voraussetzung für eine Versagung der
Strafrahmenmilderung ist, daß dem Angeklagten die
Alkoholaufnahme zum Vorwurf gemacht werden kann. Dies kommt in der
Regel dann nicht in Betracht, wenn der Täter alkoholkrank ist
oder wenn der Alkohol den Täter zumindest weitgehend
beherrscht, wenn also in der aktuellen Alkoholaufnahme kein
schulderhöhender Umstand gesehen werden kann (BGHR StGB
§ 21 Strafrahmenverschiebung 19; BGH NStZ-RR 1999, 12).
Daß diese Voraussetzungen hier vorliegen, hat das Landgericht
nicht ausreichend festgestellt.
Es hätte hierzu zunächst der näheren
Darlegung der Straftaten bedurft, die nach Überzeugung der
Strafkammer zur Tatzeit auf eine alkoholbedingt erhöhte
Gewaltbereitschaft des Angeklagten insbesondere Frauen
gegenüber schließen lassen. Allein die pauschale
Feststellung, der Angeklagte sei bereits früher unter
Alkoholeinfluß straffällig geworden und wegen Raubes
und Körperverletzung sowie wegen versuchten (schweren)
Diebstahls bereits vorbestraft gewesen, vermag dies nicht zu belegen.
Soweit die Strafkammer davon ausgeht, es sei vor den hier abgeurteilten
Taten "schon zweimal vorgekommen, daß der Angeklagte
alkoholisiert seine Ehefrau vergewaltigt" habe (UA 8), fehlt es
ebenfalls an der Mitteilung von Einzelheiten zu den Umständen
dieser Taten, insbesondere zum Ausmaß der vom Angeklagten
angewandten Gewalt und zum Grad seiner Alkoholisierung. Die beiden
massiven Sexualdelikte, derentwegen der Angeklagte in den Jahren 1993
und 1997 verurteilt wurde, beging er erst nach den hier ausgeurteilten
Straftaten. Diese Taten können deshalb bei der
Prüfung einer Strafrahmenverschiebung nach
§§ 21, 49 Abs. 1 StGB keine Berücksichtigung
finden.
Nach den getroffenen Feststellungen liegt es zudem nahe, daß
dem Angeklagten der Alkoholkonsum nur eingeschränkt zum
Vorwurf gemacht werden kann, weil er zur Tatzeit alkoholkrank war. Aus
den Urteilsgründen ergibt sich, daß der Angeklagte
bereits im Alter von 15 Jahren begann, regelmäßig
Alkohol zu trinken und sich bei ihm schon früh das "Vollbild
einer Alkoholkrankheit" ausbildete. Er hatte sich zu einem jungen
Erwachsenen mit selbstunsicherer Persönlichkeit entwickelt,
der sich unter Alkoholeinfluß stärker
fühlte. Das Trinken gehörte zu seinem Leben. Die
sachverständig beratene Strafkammer ist deshalb zu dem
Ergebnis gelangt, der Angeklagte sei zur Tatzeit
alkoholabhängig gewesen.
Angesichts dieser Umstände durfte sich das Landgericht nicht
darauf beschränken festzustellen, der Angeklagte habe sich am
Tattag zum Alkoholkonsum entschlossen, als er "noch frei in seiner
Entscheidung war". Es hätte sich vielmehr
ausdrücklich damit auseinandersetzen müssen, ob
angesichts seiner Alkoholabhängigkeit in der Alkoholaufnahme
überhaupt ein Umstand gesehen werden kann, der es
rechtfertigt, von der Strafrahmenverschiebung nach §§
21, 49 StGB abzusehen.
Schließlich wird das Urteil auch nicht den erhöhten
Anforderungen gerecht, die an die Ablehnung einer
Strafrahmenverschiebung zu stellen sind, wenn, wie hier beim Mord,
allein die Wahl zwischen lebenslanger und zeitiger Freiheitsstrafe
besteht. In einem solchen Fall müssen besondere erschwerende
Umstände vorliegen, um die mit den Voraussetzungen des
§ 21 StGB verbundene Schuldminderung so auszugleichen,
daß die gesetzliche Höchststrafe verhängt
werden darf (BGHR StGB § 21 Strafrahmenverschiebung 18
m.w.N.). Es fehlt insoweit bereits an der gebotenen
Gesamtabwägung aller für und gegen den Täter
sprechenden schuldrelevanten Umstände (BGHR StGB § 21
Strafrahmenverschiebung 24).
2. Demgemäß muß für beide Taten
die Strafe neu zugemessen werden. Die Aufhebung des Strafausspruchs
erfaßt zwangsläufig auch die Feststellung der
besonderen Schwere der Schuld des Angeklagten (§ 57 a StGB).
Daß sich der Angeklagte im Tatzeitpunkt in einem Zustand
befunden hat, in dem seine Einsichtsfähigkeit gefehlt hat oder
seine Steuerungsfähigkeit vollständig aufgehoben war,
kann der Senat angesichts der getroffenen Feststellungen
ausschließen.
3. Der Senat hat auch den Maßregelausspruch aufgehoben, um
dem neuen Tatrichter Gelegenheit zu geben, über den
Rechtsfolgenausspruch gegebenenfalls unter Hinzuziehung eines weiteren
psychiatrischen Sachverständigen insgesamt neu zu entscheiden.
Darüber hinaus wird hinsichtlich der rechtlich bedenklichen
Feststellungen zum Vorliegen eines Hanges, alkoholische
Getränke im Übermaß zu sich zu nehmen, und
zu der rechtsfehlerhaften Anordnung des Vorwegvollzugs der Strafe (vgl.
insoweit BGHSt 37, 160) auf
die Ausführungen des Generalbundesanwalts in seiner
Antragsschrift vom 25. November 2002 verwiesen.
Tepperwien Maatz Athing Ernemann Sost-Scheible |