BGH,
Beschl. v. 7.6.2001 - 4 StR 178/01
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
4 StR 178/01
vom
7. Juni 2001
in der Strafsache gegen
wegen sexuellen Mißbrauchs von Kindern
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des
Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 7. Juni 2001
gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Bochum - auswärtige Strafkammer Recklinghausen - vom 15.
Januar 2001 im gesamten Rechtsfolgenausspruch mit den Feststellungen
aufgehoben.
2. Insoweit wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsmittels, an eine Strafkammer des
Landgerichts Essen zurückverwiesen.
3. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen
Mißbrauchs von Kindern unter Einbeziehung von Strafen aus
zwei früher gegen ihn ergangenen Urteilen zu einer
Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt und seine
Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet;
außerdem hat es angeordnet, daß die in einem der
beiden früheren Urteile bestimmte Sperre für die
Erteilung einer Fahrerlaubnis aufrechterhalten bleibt.
Gegen das Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision. Er
rügt die Verletzung materiellen Rechts und beanstandet das
Verfahren.
1. Die Verfahrensrügen haben keinen Erfolg.
a) Die Rüge, der Vorsitzende der Strafkammer hätte an
dem Urteil nicht mitwirken dürfen, nachdem der Angeklagte ihn
wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt habe, ist
unbegründet. Wie sich aus der dienstlichen
Äußerung des abgelehnten Vorsitzenden Richters
ergibt, deren Richtigkeit von der Berichterstatterin bestätigt
wird, hat dieser die Erklärung nicht abgegeben, auf die der
Beschwerdeführer die geltend gemachte Besorgnis der
Befangenheit stützt.
b) Die weitere Verfahrensrüge (zu 1b der
Revisionsbegründungsschrift) ist nicht zulässig
erhoben. Insofern beschränkt sich die Revision - unter
Verzicht auf weitergehende Ausführungen - darauf, Ablichtungen
eines von ihr als "Beweisantrag" bezeichneten Schreibens der
Verteidigerin vom 13. Dezember 2000 (nebst Anlage) sowie eine Kopie des
Beschlusses der Strafkammer vom 5. Januar 2001 vorzulegen. In dem
Schreiben wird "angeregt", eine beigefügte
augenärztliche Stellungnahme zu verlesen oder die
Ärztin als Sachverständige zu vernehmen. Mit dem
Beschluß hat die Strafkammer den Antrag vom 13. Dezember 2000
zurückgewiesen, zum einen, weil eine in dem Antrag unter
Beweis gestellte Tatsache "bereits bewiesen" sei, zum anderen, weil es
sich bei dem Antrag - eine andere Tatsache betreffend - lediglich um
einen Beweisermittlungsantrag handele, dem nachzugehen keine
Veranlassung bestehe. Bei diesem Sachverhalt hätte der
Beschwerdeführer angeben müssen, welcher
Verfahrensmangel geltend gemacht wird. Mangels dieser Angabe
genügt die Rüge nicht den Anforderungen des
§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO.
2. Der Nachprüfung aufgrund der Sachrüge
hält das Urteil zum Schuldspruch stand. Bei den dem
Angeklagten vorgeworfenen Handlungen handelt es sich um sexuelle
Handlungen. Die Annahme des Landgerichts, daß diese unter
Berücksichtigung aller für die Bewertung
maßgeblichen Umstände bereits die erforderliche
Erheblichkeit (§ 184c Nr. 1 StGB) aufweisen, ist nicht zu
beanstanden.
3. Dagegen kann der Strafausspruch keinen Bestand haben.
Die Strafkammer hat für die Tat eine Einzelfreiheitsstrafe von
zwei Jahren festgesetzt. In Anbetracht dessen, daß die
festgestellten Handlungen - wie sie zutreffend ausführt - dem
untersten Bereich der tatbestandsmäßigen sexuellen
Handlungen zuzurechnen sind, erscheint eine Strafe, die den unteren
Strafrahmen des § 176 Abs. 1 StGB so deutlich
überschreitet, auch unter Berücksichtigung aller dem
Angeklagten zu Recht straferschwerend angelasteten Umstände
nicht nachvollziehbar. Sie ist nur dadurch zu erklären,
daß sich die Strafkammer maßgeblich von dem Blick
auf die für die Anordnung der Sicherungsverwahrung nach
§ 66 Abs. 1 StGB erforderliche Mindeststrafe hat leiten
lassen; darauf deutet auch die zur Begründung der
Strafhöhe angestellte Erwägung hin, daß es
sich "bei dem Angeklagten um einen äußerst
gefährlichen Straftäter handelt, vor dem die
Allgemeinheit geschützt werden muß." Das Interesse
der Allgemeinheit, vor einem gefährlichen Straftäter
durch dessen Unterbringung in der Sicherungsverwahrung
geschützt zu werden, ist aber kein Umstand, der
gemäß § 46 StGB bei der Strafzumessung zu
seinen Lasten berücksichtigt werden darf. Indem § 66
Abs. 1 StGB die (obligatorische) Anordnung der Sicherungsverwahrung
davon abhängig macht, daß der Täter zu
einer Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt wird, setzt
die Vorschrift dem von ihr bezweckten Schutz der Allgemeinheit vor
gefährlichen Straftätern Grenzen: Als
Anlaßtaten sollen nur solche Vergehen und Verbrechen in
Betracht kommen, bei denen Unrecht und Schuld des Täters
besonders schwer wiegen. Das schließt eine
Berücksichtigung des Sicherungsinteresses bei der Zumessung
der Strafe für die Anlaßtat aus.
4. Als Folge der danach gebotenen Aufhebung der Einzelstrafe wegen der
abgeurteilten Tat muß der gesamte Rechtsfolgenausspruch
aufgehoben werden.
Der Senat macht von der Möglichkeit des § 354 Abs. 2
Satz 1 2. Alt. StPO Gebrauch.
Meyer-Goßner Tolksdorf Athing
Solin-Stojanovic Elf
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