BGH,
Beschl. v. 7.3.2006 - 1 StR 316/05
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
1 StR 316/05
vom 7.3.2006
in der Strafsache
gegen
BGHSt: nein
Veröffentlichung: ja
________________________
StPO §§ 100a, 238, 267
1. Die Verwertbarkeit von Erkenntnissen aus einer
Telekommunikations-Überwachungsmaßnahme zu
Beweiszwecken muss der Tatrichter in der
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Hauptverhandlung ausdrücklich nur dann prüfen, wenn
der Angeklagte der Verwertung rechtzeitig widerspricht.
2. Im Fall einer Kette von aufeinander beruhenden
Telekommunikations-Überwachungsmaßnahmen ist der
Prüfungsumfang für die Frage der Verwertbarkeit auf
die Überwachungsmaßnahme beschränkt, der
die Erkenntnisse unmittelbar entstammen.
BGH, Beschl. v. 7.03.2006 - 1 StR 316/05 - Landgericht
Nürnberg-Fürth
wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in
nicht geringer Menge u.a.
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Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 7.03.2006
gemäß § 349 Abs. 2 StPO beschlossen: 1. Die
Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Nürnberg-Fürth vom 28. Februar 2005 wird verworfen.
2. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu
tragen. Gründe: Das Landgericht
Nürnberg-Fürth hat den Angeklagten wegen unerlaubten
Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge
in neun Fällen und unerlaubten Handeltreibens mit
Betäubungsmitteln in vier Fällen zur
Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Gegen das Urteil
wendet sich der Angeklagte mit einer Verfahrensrüge und der
Sachbeschwerde. 1 Die Revision hat keinen Erfolg, da die
Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung
keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat
(§ 349 Abs. 2 StPO). 2 Näherer Erörterung
bedarf lediglich die Verfahrensrüge, mit welcher der
Angeklagte die Verwertung von Erkenntnissen aus der
Überwachung von Telefonanschlüssen beanstandet. 3
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1. Die Verurteilung wegen neun Fällen des unerlaubten
Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge
stützt sich im Wesentlichen auf Zufallserkenntnisse, die
anlässlich der Überwachung und Aufzeichnung der
Telekommunikation beim gesondert Verfolgten B. in dem gegen diesen
geführten Ermittlungsverfahren gewonnen wurden. Gegen B. hatte
der Ermittlungsrichter beim Amtsgericht Halle-Saalkreis nach
§§ 100a, 100b StPO mit Beschlüssen vom 27.
Februar 2003 und vom 21. Mai 2003
Telekommunikations-Überwachungsmaßnahmen wegen des
Verdachts des gewerbsmäßigen unerlaubten
Handeltreibens mit Betäubungsmitteln (§ 29 Abs. 1
Satz 1 Nr. 1, Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 BtMG) angeordnet. Der diesen
Beschlüssen zugrunde liegende Verdacht gegen B.
gründete sich auf Erkenntnisse aus einer weiteren
Telekommunikations-Überwachungsmaßnahme beim
gesondert Verfolgten Ba. . Gegen diesen hatte der Ermittlungsrichter
beim Amtsgericht Halle-Saalkreis am 13. Februar und 9. Mai 2003
Telekommunikations-Überwachungsmaßnahmen nach
§§ 100a, 100b StPO angeordnet, wobei die den Verdacht
gegen Ba. begründenden Erkenntnisse ihrerseits einer
Telekommunikations-Überwachungsmaßnahme beim
gesondert Verfolgten F. entstammten. 4 Die Zufallserkenntnisse aus der
Telekommunikations-Überwachungsmaßnahme bei B. sind
gegen den rechtzeitig erhobenen Widerspruch eines Verteidigers des
Angeklagten im Wege des Augenscheins und durch Vernehmung eines
ermittelnden Polizeibeamten nach einem entsprechenden Gerichtsbeschluss
in die Hauptverhandlung eingeführt worden. Seine
Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten bei
den neun Taten des unerlaubten Handeltreibens mit
Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge begründet
das Landgericht im Wesentlichen mit den Zufallserkenntnissen aus der
Telekommunikations-Überwachungsmaßnahme bei B. . 5
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2. Die Verfahrensrüge, mit der geltend gemacht wird, dass die
Erkenntnisse aus der
Telekommunikations-Überwachungsmaßnahme bei B. nicht
hätten verwertet werden dürfen, hat keinen Erfolg. 6
7 a) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs dürfen mit
Blick auf die Grundsätze eines rechtsstaatlichen Verfahrens
die aus einer
Telekommunikations-Überwachungsmaßnahme gewonnenen
Erkenntnisse nicht als Beweismittel verwendet werden, falls wesentliche
sachliche Voraussetzungen für die Anordnung der
Überwachungsmaßnahme fehlten (vgl. BGHSt 31, 304,
308 f.; 32, 68, 70; 41, 30, 31; 48, 240, 248). Dies gilt auch
für die Verwertbarkeit von Zufallserkenntnissen i.S.v.
§ 100b Abs. 5 StGB (vgl. BGHSt 48, 240, 249; BGHR StPO
§ 100a Verwertungsverbot 10). b) Grundsätzlich ist
jedoch nach Auffassung des Senats ein Verwertungsverbot für
den Angeklagten disponibel. Der Angeklagte muss in dem Fall, dass
wesentliche sachliche Voraussetzungen für die
Überwachungs-Anordnung fehlten, selbst entscheiden
können, ob er die Verwertung der Erkenntnisse aus einer
solchen Maßnahme gleichwohl wünscht oder nicht. Denn
er kann ein gewichtiges Interesse an der Verwertung für ihn
günstiger Erkenntnisse haben, etwa um einen Entlastungsbeweis
zu führen oder um seine Einlassung zu untermauern, sein
Tatbeitrag sei allenfalls untergeordneter Natur oder seine
Schuldfähigkeit sei beeinträchtigt gewesen. Dass
derartige Fallgestaltungen in der Praxis nicht selten sind, zeigt sich
daran, dass bei etwa 80 Prozent aller Verfahrensrügen im
Zusammenhang mit
Telekommunikations-Überwachungsmaßnahmen vom
Angeklagten geltend gemacht wird (§ 244 Abs. 2 StPO), zur
Entlastung hätten weitere Überwachungsprotokolle
eingeführt werden müssen (vgl. Nack, Die
Telekommunikationsüberwachung in der
strafverfahrensrechtlichen Praxis, Bericht über das 24.
Triberger Symposium 2003 S. 48). Hieraus folgt, dass der Tatrichter in
der Hauptverhandlung die Rechtmäßigkeit einer Te-8
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lekommunikationsmaßnahme regelmäßig nur
dann zu überprüfen braucht, wenn der Angeklagte der
Verwertung rechtzeitig widerspricht (vgl. BGHR StPO § 100a
Verwertungsverbot 11), wie auch der Richter während des
Hauptverfahrens ohnehin nicht gehalten ist, die materielle
Rechtmäßigkeit jeder Ermittlungshandlung
während des Vorverfahrens von vorneherein in Zweifel zu
ziehen. Das erkennende Gericht darf grundsätzlich darauf
vertrauen, dass das Ermittlungsverfahren entsprechend den gesetzlichen
Vorgaben geführt wurde. Dies gilt erst Recht bei
Ermittlungsmaßnahmen, die einer vorherigen
Überprüfung im Rahmen einer notwendigen richterlichen
Gestattung (vgl. § 162 Abs. 3 StPO) unterliegen, wie z.B. die
Durchsuchung, die Beschlagnahme oder eben auch die Überwachung
der Telekommunikation, zumal dann für eine
zusätzliche - in aller Regel auch bei Erledigung der
Maßnahme - nachträgliche Kontrolle schon
während des Vorverfahrens das Beschwerdeverfahren offen steht
(soweit nicht § 304 Abs. 4, 5 StPO Ausnahmen vorsieht). Dem
Vorsitzenden und dem Gericht ist es freilich nicht verwehrt, die in die
Hauptverhandlung einzuführenden Beweismittel auf ihre
Verwertbarkeit zu prüfen. Für Erkenntnisse aus einer
Telekommunikations-Überwachung gilt: 9 Gelangt der Tatrichter
zu dem Ergebnis, dass der Kernbereich der privaten Lebensgestaltung
(vgl. BVerfGE 109, 279; Senat NJW 2005, 3295) berührt ist und
deshalb ein Beweisverwertungsverbot vorliegt, so sieht er von der
Aufnahme des Beweises ab. Wollen die Verfahrensbeteiligten - weil sie
anderer Ansicht sind - gleichwohl den Beweis erheben lassen, so
müssen sie einen hierauf gerichteten Antrag stellen. Auch
über ein derartiges Verwertungsverbot kann der Angeklagte
disponieren, soweit allein seine eigene Sphäre tangiert ist
(vgl. Senat NJW 2005, 3295, 3298). 10
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Hat der Tatrichter im Übrigen Bedenken gegen die
Verwertbarkeit, kann er darauf verzichten, dieses Beweismittel zum
Gegenstand der Beweisaufnahme zu machen. Es ist ihm, auch wenn er aus
Rechtsgründen dazu nicht verpflichtet ist, nicht verwehrt, die
Verfahrensbeteiligten entsprechend zu unterrichten. Wollen die
Verfahrensbeteiligten gleichwohl das Beweismittel in die
Hauptverhandlung einführen, so müssen sie dies
beantragen. 11 Ordnet der Vorsitzende die Aufnahme des Beweises an, so
müssen die Verfahrensbeteiligten, wenn sie ein
Verwertungsverbot geltend machen wollen, der Anordnung widersprechen
und gegebenenfalls einen Gerichtsbeschluss nach § 238 Abs. 2
StPO herbeiführen. 12 Soweit der 3. Strafsenat in BGHSt 47,
362, 366 f. ausgeführt hat, der Tatrichter habe den Beschluss
über die Anordnung von
Telekommunikations-Überwachungsmaßnahmen s t e t s
von Amts wegen zu überprüfen, wobei das Unterlassen
der Überprüfung einen eigenständigen
revisiblen Rechtsfehler darstelle, der im Einzelfall zur Aufhebung des
tatrichterlichen Urteils in der Revision führen
könne, vermag sich der Senat dem nicht
anzuschließen. Unabhängig davon, dass es auf diese
Frage im vorliegenden Fall nicht ankommt, wäre der Senat an
die Auffassung des 3. Strafsenats nicht gebunden, weil dessen
Ausführungen nicht tragend sind; denn in jenem Fall hatten die
Angeklagten die Verwertung ausdrücklich beanstandet (vgl.
BGHSt 47, 362, 363). Hier ist das Landgericht zudem den in BGHSt 47,
362 formulierten Anforderungen nachgekommen. 13 c) Des Weiteren ist es
nach Auffassung des Senats von Rechts wegen nicht geboten, dass der
Tatrichter in den Urteilsgründen die Verwertbarkeit von
Erkenntnissen aus einer Telekommunikations-Überwachung
darlegt. Ausführungen zur Verwertbarkeit von Beweismitteln
sind von § 267 StPO nicht vorge-14
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schrieben. Die Frage, ob die ermittlungsrichterliche Anordnung von
Telekommunikations-Überwachungsmaßnahmen rechtens
ist, unterliegt wie jede Verfahrensfrage dem Freibeweis. Im Urteil sind
deshalb Ausführungen zur Verwertbarkeit nicht veranlasst, wenn
der Tatrichter die Beweisaufnahme auf Aufzeichnungen aus einer
Telekommunikations-Überwachungsmaßnahme erstreckt
hat. Auf eine entsprechende Verfahrensrüge hin prüft
das Revisionsgericht freibeweislich, ob die Erkenntnisse aus der
Telekommunikations-Überwachungsmaßnahme unverwertbar
sind und das Urteil hierauf beruht. d) Die Revision rügt
vorliegend, die Kammer habe ihre Prüfungspflicht verletzt,
indem sie nicht hinreichend aufgeklärt habe, ob die gegen B.
erlassenen Beschlüsse rechtmäßig waren oder
nicht. Zudem habe es die Kammer unterlassen, den kompletten
Aktenbestand in den Verfahren gegen B. , Ba. und F. beizuziehen und
auszuwerten. Schließlich habe sie nur die gegen B. erlassenen
Beschlüsse einer näheren
Überprüfung unterzogen. Da die verwerteten
Zufallserkenntnisse auf einer Kette von
Telekommunikations-Überwachungsmaßnahmen beruhten,
hätten aber alle Maßnahmen - also auch hinsichtlich
Ba. und F. - entsprechend geprüft werden müssen. Dass
der Ermittlungsrichter beim Amtsgericht Halle-Saalkreis die
Beschlüsse vom 27. Februar und 21. Mai 2003, mit denen er
Telekommunikations-Überwachungsmaßnahmen gegen B.
anordnete, nicht hätte erlassen dürfen, behauptet die
Revision jedoch nicht. 15 Die Rüge orientiert sich damit an
den vom 3. Strafsenat (in BGHSt 47, 362) formulierten Anforderungen
für die Überprüfung von Anordnungen von
Maßnahmen zur Telekommunikations-Überwachung.
Während es in dem vom 3. Strafsenat entschiedenen Fall
allerdings allein um die Anordnung der
Telekommunikations-Überwachungsmaßnahmen ging, der
die in der Hauptverhandlung verwerteten Erkenntnisse entstammten, will
der Beschwerdeführer die 16
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Grundsätze auch auf eine Kette von
Überwachungsmaßnahmen übertragen, wenn
nämlich Ergebnisse einer
Telekommunikations-Überwachungsmaßnahme verwertet
werden sollen, deren Anordnung ihrerseits auf Erkenntnissen aus einer
vorangegangenen
Telekommunikations-Überwachungsmaßnahme beruht. 17
aa) Die Anordnungen von
Telekommunikations-Überwachungsmaßnahmen gegen B.
sind frei von Rechtsfehlern, welche ein Beweisverwertungsverbot
begründen könnten. Die Kammer hat aufgrund
eigenständiger Prüfung festgestellt, dass die
Anordnungsvoraussetzungen des § 100a Satz 1 StPO beim Erlass
vorlagen. Das Landgericht hat die Anordnungen der
Telekommunikations-Überwachungsmaßnahmen durch den
zuständigen Ermittlungsrichter gegen B. auf ihre
Rechtmäßigkeit überprüft. Es hat
den Ermittlungsstand zum Zeitpunkt der ersten Entscheidung
rekonstruiert und auf dieser Grundlage die Anordnungen nach
Maßgabe der Rechtsprechung (vgl. BGHSt 41, 30, 33 f.; 47,
362, 365 f.; 48, 240, 248) geprüft. Die Kammer hat
insbesondere die vom Ermittlungsrichter in Bezug genommenen
Überwachungsprotokolle, die im Rahmen der Maßnahmen
gegen Ba. erstellt wurden und auf die sich auch der Verdacht gegen B.
stützte, in die Prüfung einbezogen und ausgewertet
(UA S. 13 f.). Daraus hat das Landgericht gefolgert, dass sich zum
Anordnungszeitpunkt aus den vom Ermittlungsrichter in Bezug genommenen
Verfahrensunterlagen schlüssig der Verdacht einer Katalogtat
i.S.v. § 100a Satz 1 Nr. 4 StPO ergab, nämlich
zumindest der des gewerbsmäßigen Handeltreibens mit
Betäubungsmitteln nach § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs.
3 Satz 2 Nr. 1 BtMG (UA S. 15). Dagegen ist aus Rechtsgründen
nichts zu erinnern. Die Strafkammer hat auch rechtsfehlerfrei die
Einhaltung des Subsidiaritätsgrundsatzes und die
Vertretbarkeit der zweiten Anordnung von
Telekommunikations-Überwa-18
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chungsmaßnahmen vom 21. Mai 2003 bejaht (UA S. 16), was
angesichts der insoweit eindeutigen Sachlage keiner näheren
Begründung bedurfte. 19 Soweit angebracht, hat die Kammer
zudem die Ermittlungsakten hinsichtlich B. ausgewertet und den
Prozessbeteiligten zur Kenntnis gebracht. Zwar hat sie nicht den
kompletten das Verfahren gegen B. betreffenden Aktenbestand beigezogen;
jedoch war eine Beiziehung auch nur insoweit erforderlich, als es den
Ermittlungsstand im damaligen Verfahren zum Zeitpunkt des Erlasses der
Anordnungen nach § 100a StPO betraf. Folgende Unterlagen lagen
der Strafkammer vor: Die gegen B. ergangenen Anordnungen waren ohnehin
Teil der im Verfahren gegen den Angeklagten angelegten
Ermittlungsakten. Daneben hat das Landgericht die beiden gegen Ba.
ergangenen Beschlüsse, den entsprechenden Antrag der
Staatsanwaltschaft auf Erlass des ersten Beschlusses sowie 36
Abschriften der im Rahmen der
Telekommunikations-Überwachungsmaßnahmen bei Ba.
erstellten Aufzeichnungen von Telefongesprächen beigezogen.
Diese Unterlagen haben vorliegend ausgereicht, um die erforderliche
Überprüfung durchführen zu können.
bb) Auch die Rüge, die Kammer habe die vorausgegangenen
Telekommunikations-Überwachungsmaßnahmen gegen Ba.
und F. nicht hinreichend in ihre Prüfung mit einbezogen,
dringt nicht durch. 20 Im Fall einer Kette von aufeinander beruhenden
Überwachungsmaß-nahmen ist die
Überprüfung der Rechtmäßigkeit auf
die Anordnung der
Telekommunikations-Überwachungsmaßnahme
beschränkt, der die verwerteten Erkenntnisse unmittelbar
entstammen. Eine Fernwirkung durch die Rechtswidrigkeit nur einer
vorgelagerten, für das Verfahren selbst nicht unmittelbar
beweiserheblichen
Telekommunikations-Überwachungsmaßnahme ergibt sich
nicht (so auch OLG Hamburg StV 2002, 590, 592). 21
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Ob Erkenntnisse aus einer
Telekommunikations-Überwachungsmaßnahme, die auf der
Grundlage von Erkenntnissen aus einer wegen Fehlens wesentlicher
sachlicher Voraussetzungen vorangegangenen anderen rechtswidrigen
Überwachungsmaßnahme angeordnet worden ist,
ebenfalls unverwertbar sind, hat der Bundesgerichtshof - soweit
ersichtlich - noch nicht entschieden. Eine Fernwirkung von
Beweisverwertungsverboten hat er jedoch grundsätzlich
abgelehnt (vgl. BGHSt 27, 355, 357 f.; 32, 68, 70 f.; 34, 362, 364;
BGHR StPO § 110a Fernwirkung 1; NStZ 1996, 48; NStZ 1996, 200,
201; NStZ 1998, 426, 427). Allenfalls ausnahmsweise kann nach der
Sachlage und der Art des Verwertungsverbots dessen Fernwirkung
anzunehmen sein. Für das Verwertungsverbot des § 7
Abs. 3 G 10 bei einer Telefonüberwachung nach § 1 G
10 hat der Bundesgerichtshof eine Fernwirkung bejaht, wobei er
ausdrücklich offen gelassen hat, ob Gleiches auch für
Überwachungsmaßnahmen nach § 100a StPO gilt
(vgl. BGHSt 29, 244, 247 ff.). Später hat er im Fall einer
unter Verstoß gegen § 100a StPO angeordneten
Telekommunikations-Überwachungsmaßnahme entschieden,
dass die Geständnisse der aufgrund dieser
Überwachungsmaßnahme ermittelten Angeklagten
verwertet werden dürfen, soweit sie nicht durch einen
unzulässigen Vorhalt aus der
Telekommunikations-Überwachungsmaßnahme - im Sinne
einer Fortwirkung des Verwertungsverbots - beeinflusst sind; auch die
Aussagen von Zeugen, die durch weitere Ermittlungen aufgrund von
Erkenntnissen aus einer
Telekommunikations-Überwachungsmaßnahme bekannt
geworden sind, sind verwertbar (so BGHSt 32, 68, 70 f.). Die Literatur
bejaht hingegen überwiegend eine Fernwirkung des
Verwertungsverbots bei Erkenntnissen aus einer rechtswidrigen
Telekommunikations-Überwachungsmaßnahme (vgl. die
Nachweise bei Schäfer in Löwe/Rosenberg, StPO 25.
Aufl. § 100a Rdn. 116). 22 An dem allgemeinen Grundsatz, dass
Beweisverwertungsverboten keine Fernwirkung zukommt, ist festzuhalten.
Ein Verfahrensfehler, der ein Verwer-23
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tungsverbot für ein Beweismittel bewirkt, darf nicht ohne
weiteres dazu führen, dass das gesamte Strafverfahren
„lahmgelegt“ wird. Dies hat der Bundesgerichtshof
schon mehrfach mit Blick auf das Interesse an einer wirksamen
Strafverfolgung ausgeführt (vgl. BGHSt 27, 355, 358; 32, 68,
71; 34, 362, 364; 35, 32, 34; ferner BGHR StPO § 110a
Fernwirkung 1). Das Bundesverfassungsgericht hat wiederholt das
unabweisbare Bedürfnis einer wirksamen Strafverfolgung und
Verbrechensbekämpfung hervorgehoben, das öffentliche
Interesse an einer möglichst vollständigen
Wahrheitsermittlung im Strafverfahren betont und die wirksame
Aufklärung gerade schwerer Straftaten als einen wesentlichen
Auftrag des rechtsstaatlichen Gemeinwesens bezeichnet (vgl. BVerfGE 77,
65, 76; 80, 367, 375; BVerfG Kammer NStZ 1996, 45). Bei einer Kette von
aufeinander beruhenden
Telekommunikations-Überwachungsmaßnahmen, welche
gerade bei Ermittlungsverfahren wegen Straftaten nach dem BtMG nicht
selten vorkommt, würde die Fernwirkung des
Beweisverwertungsverbots infolge einer rechtswidrigen
Telekommunikations-Überwachungsmaßnahme zu einem
Dominoeffekt führen. Dann hätte die fehlerhafte
Annahme des Verdachts einer Katalogtat bei der Anordnung der
Ausgangsüberwachung die Nichtverwertbarkeit aller Erkenntnisse
aus einer Vielzahl nachfolgender
Telekommunikations-Überwachungsmaßnahmen zur Folge.
Vor diesem Hintergrund verbietet bereits das Interesse an der
Aufklärung des wahren Sachverhalts die Annahme einer
Fernwirkung. Zudem ist zu berücksichtigen, dass mit einer
möglichen Fernwirkung einhergehende Prüfungspflichten
- zumindest auf den Widerspruch des Angeklagten hin - es im Einzelfall
erforderlich machen würden, alle
Telekommunikations-Überwachungsmaßnahmen bis hin zur
Ausgangsüberwachung einer eingehenden Untersuchung anhand des
Aktenbestandes im jeweiligen Verfahren zu unterziehen. Ein solcher
Prüfungsumfang ist - insbesondere auch vor dem Hintergrund des
mit der Beiziehung und Auswertung eines umfangreichen Aktenbestands in
besonderem 24
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Maße berührten Beschleunigungsgebots in Strafsachen
- weder veranlasst noch geboten. Die Überprüfung von
Telekommunikations-Überwachungsmaß-nahmen ist auch
mit Blick auf das Beschleunigungsgebot vielmehr auf diejenige
Maßnahme zu beschränken, der die verwerteten
Erkenntnisse entstammen. Dies kann dazu beitragen, ein den Angeklagten
erheblich belastendes, mit dem Rechtsstaatsprinzip nicht in Einklang
stehendes überlanges Verfahren zu vermeiden. Der
beschränkte Prüfungsumfang rechtfertigt sich auch
deshalb, weil ausgeschlossen werden kann, dass die Ergebnisse aus einer
möglicherweise nicht rechtmäßigen
Telekommunikations-Überwachungsmaßnahme sich
inhaltlich auf die Erkenntnisse aus einer daraufhin - für sich
gesehen - rechtsfehlerfrei angeordneten Maßnahme zur
Überwachung der Telekommunikation auswirken könnten.
Dem Schutz des von der Telekommunikations-Überwachung
Betroffenen ist überdies dadurch hinreichend Rechnung
getragen, dass jedenfalls für die
beweismäßig entscheidende
Überwachungsmaßnahme die Anordnungsvoraussetzungen
vorgelegen haben müssen. 25 Nack Schluckebier Kolz Hebenstreit
Graf |