BGH,
Beschl. v. 7.3.2007 - 1 StR 301/06
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
vom 7. März 2007
BGHSt: ja
Veröffentlichung: ja
StGB § 266a
Zur Anwendbarkeit von § 266a wegen Vorenthaltens von
Arbeitsentgelt u.a.
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BGH, Beschl. v. 7.3.2007 - 1 StR 301/06 - LG Landshut
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Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 7.3.2007 beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Landshut vom 30. Januar 2006
a) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte des
Vorenthaltens von Arbeitsentgelt in 53 Fällen, des Betruges in
14 Fällen sowie der Beschaffung einer Aufenthaltsgenehmigung
durch unrichtige Angaben in 62 Fällen schuldig ist;
b) in den Einzelstrafaussprüchen zu V. 1. c) Fälle 3.
bis 11. der Urteilsgründe aufgehoben.
2. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen.
3. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Gründe:
I.
1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
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Der Angeklagte war von 1996 bis 2001 faktischer und seit 2001 formeller
Geschäftsführer der Firma HaCe GmbH (im Folgenden:
HaCe GmbH) mit Sitz in P. . Die Gesellschaft führte unter
Einschaltung von Subunternehmen Bauarbeiten im Bereich der
Eisenflechterei durch. Auf Veranlassung des Angeklagten
gründete der anderweitig Verfolgte
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O. in der Türkei in den Jahren 1999 und 2002 die Firmen
Eryilmaz Limited (im Folgenden: Eryilmaz Ltd.) und Kanal Ltd. (im
Folgenden: Kanal Ltd.), zwei Gesellschaften mit beschränkter
Haftung türkischen Rechts. Faktischer
Geschäftsführer auch dieser Gesellschaften war der
Angeklagte. Ihr alleiniger Zweck bestand darin, Arbeiter anzuwerben,
die in Deutschland auf Baustellen der HaCe GmbH Arbeiten verrichten
sollten; im Übrigen waren sie, wie die Strafkammer im
Einzelnen ausführt, nicht unternehmerisch tätig.
Zweigstellen beider Firmen wurden in Deutschland in P. angemeldet.
Die HaCe GmbH schloss mit der Eryilmaz Ltd. und der Kanal Ltd.
Werkverträge, denen zufolge die türkischen
Gesellschaften unter Einsatz der angeworbenen Arbeiter in Deutschland
als Subunternehmer für die HaCe GmbH tätig werden
sollten. Gegenüber den deutschen Behörden stellte der
Angeklagte mit Unterstützung des - früheren -
Mitangeklagten A. - der keine Revision eingelegt hat - die
beabsichtigte Beschäftigung der Arbeiter als
„Entsendefall“ dar. Bei den deutschen
Sozialversicherungsbehörden meldete der Angeklagte die
türkischen Arbeiter nicht an und führte auch keine
Beiträge für sie ab. Hierdurch wurden der deutschen
Sozialversicherung zwischen April 1999 und Juni 2003 insgesamt
315.290,93 € entzogen. In der Türkei wurden
für die Arbeiter Sozialversicherungsbeiträge in dem
dort vorgeschriebenen Umfang entrichtet.
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Der Angeklagte beschäftigte bei der HaCe GmbH zugleich
deutsche Arbeitnehmer, die sich auf seine Weisung in den Wintermonaten
arbeitslos meldeten, tatsächlich jedoch im Betrieb der Firma
weiterbeschäftigt wurden. In den Monaten Januar, Februar und
Dezember der Jahre 1999 bis 2001 sowie im Januar und Februar 2002
entzog der Angeklagte auf diese Weise
Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von insgesamt
20.979,78 €.
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2. Das Landgericht hat die unterlassene Beitragsabführung als
auf den monatlichen Fälligkeitszeitpunkt bezogene
Fälle des Vorenthaltens von Arbeitsentgelt
gemäß § 266a Abs. 1 StGB bewertet.
Hinsichtlich der türkischen Arbeiter ist es von 51
selbständigen Taten ausgegangen; hinsichtlich der nicht
angemeldeten deutschen Arbeiter hat es weitere elf Taten angenommen.
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Nach Auffassung des Landgerichts waren die auf Baustellen der HaCe GmbH
tätigen türkischen Arbeiter in Deutschland
sozialversicherungs- und daher beitragspflichtig. Bei ihnen habe es
sich zwar nicht um Arbeitnehmer der deutschen HaCe GmbH gehandelt, da
sie nicht hinreichend in deren Betrieb integriert gewesen seien,
sondern um solche der Eryilmaz Ltd. und der Kanal Ltd.. Aufgrund ihrer
Tätigkeit in Deutschland unterlägen sie gleichwohl
der deutschen Sozialversicherungspflicht. Eine nur
vorübergehende Entsendung der Arbeiter nach § 5 SGB
IV mit der Folge, dass die Arbeiter in Deutschland hätten
beitragsfrei beschäftigt werden können, scheide aus.
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Die Verantwortung des Angeklagten für die
Beitragsabführung hinsichtlich der türkischen
Arbeitnehmer folge - so das Landgericht - aus seiner Eigenschaft als
faktischer Geschäftsführer der Eryilmaz Ltd. und der
Kanal Ltd.. Hinsichtlich der deutschen Arbeitnehmer sei der Angeklagte
aufgrund seiner Stellung als zunächst faktischer,
später formeller Geschäftsführer der HaCe
GmbH zur Zahlung der Beiträge verpflichtet gewesen.
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3. Das Landgericht hat den Angeklagten auf dieser Grundlage wegen
Vorenthaltens von Arbeitsentgelt in 62 Fällen verurteilt.
Wegen dieser Taten und weiterer Verurteilungen wegen Betruges in 14
Fällen und wegen Verstoßes gegen § 92 Abs.
2 Nr. 2 AuslG in 62 Fällen hat es eine Gesamtfreiheitsstrafe
von drei Jahren verhängt. Die hiergegen gerichtete, auf die
Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten bleibt
weitgehend erfolglos. Sie führt bei gleichblei-
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bendem Schuldumfang zu einer Änderung des Schuldspruchs und
dementsprechend zum Wegfall von neun Einzelstrafen; der
Gesamtstrafenausspruch bleibt hiervon unberührt.
II.
Das Landgericht hat für die Strafbarkeit nach § 266a
StGB zu Recht auf die sozialversicherungsrechtliche Pflicht zur
Beitragsabführung abgestellt (vgl. BGH NJW 2007, 233, 234 -
„E 101“, zur Veröffentlichung in BGHSt
vorgesehen; BGHSt 47, 318 f.; Tröndle/Fischer, StGB 54. Aufl.
§ 266a Rdn. 9 ff.). Es hat die in der Türkei
angeworbenen und in Deutschland tätigen Arbeitnehmer im
Ergebnis zutreffend für sozialversicherungspflichtig in
Deutschland gehalten und dem Angeklagten die unterlassene
Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen als
Vorenthaltung von Arbeitsentgelt gemäß §
266a Abs. 1 StGB angelastet.
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Rechtlichen Bedenken begegnet allerdings der Ausgangspunkt des
Landgerichts, wonach es sich bei den betroffenen türkischen
Arbeitnehmern um Angehörige ausländischer Unternehmen
gehandelt haben soll. Auf Grundlage der getroffenen Feststellungen
waren die angeworbenen türkischen Arbeiter nicht bei der
Eryilmaz Ltd. und der Kanal Ltd., sondern bei der deutschen HaCe GmbH
beschäftigt. Eine zur Versicherungsfreiheit führende
Entsendung der Arbeiter war danach von vornherein ausgeschlossen.
Zugleich ergibt sich eine abweichende konkurrenzrechtliche Beurteilung
der festgestellten Taten.
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1. Die - fehlerfrei getroffenen - Feststellungen des Landgerichts
tragen nicht die Bewertung, dass es sich bei den in der Türkei
angeworbenen Arbeitern um Beschäftigte der Firmen Eryilmaz
Ltd. und Kanal Ltd. gehandelt hat. Sie belegen vielmehr, dass die
Arbeiter nur zum Schein bei diesen Gesellschaften
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angestellt wurden, tatsächlich jedoch der deutschen HaCe GmbH
zuzuordnen waren.
a) Nach den teilweise an unterschiedlichen Stellen der
Urteilsgründe getroffenen Feststellungen ging die
Gründung der beiden türkischen Gesellschaften auf den
Angeklagten zurück, der türkische Arbeitnehmer
einstellen, durch Vortäuschung eines Entsendefalles die
deutschen Sozialversicherungsbeiträge ersparen und dadurch
Wettbewerbsvorteile erlangen wollte. Die Gründung der Kanal
Ltd. erfolgte auch deshalb, weil Lohnsteuerverpflichtungen umgangen
werden sollten. Die Gesellschaften traten in der Türkei nicht
nach außen auf; sie besaßen keine
Betriebsräume, sondern verwendeten die Anschrift eines
Steuerberatungsbüros. Nach der Aussage des Zeugen O. haben sie
„lediglich auf dem Papier existiert“. Nach der den
Feststellungen gleichfalls zugrunde gelegten Einlassung des
Mitangeklagten A. haben die Firmen in der Türkei
„keinen eigentlichen Firmensitz“ gehabt. Die
Arbeiter seien bei den Firmen auch nicht beschäftigt gewesen.
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Das Landgericht stellt weiter fest, dass alle maßgeblichen,
das Arbeitsverhältnis der türkischen Arbeitnehmer
betreffenden Vorgänge durch den Angeklagten in Deutschland
abgewickelt wurden. Zu diesem Zweck befand sich bei der HaCe GmbH eine
„grüne Kiste“, in welcher sich
Blankoformulare (Schecks, Überweisungsträger,
Briefpapier) und Stempel der Eryilmaz Ltd. und Kanal Ltd. befanden, und
die auf der jeweiligen Baustelle nach Bedarf eingesetzt wurde. Nach der
Einlassung des Mitangeklagten A. habe diese Kiste letztlich das
„Büro“ der Firmen dargestellt. Die
türkischen Firmen unterhielten auch ihre Konten am Firmensitz
der HaCe GmbH, auf die der Angeklagte Zugriff hatte und über
die er die finanziellen Angelegenheiten der Firmen abwickelte; dies
schloss die Lohnzahlungen an die türkischen Arbeiter ein. Die
finanziellen Mittel hierfür stammten aus dem Vermögen
der HaCe GmbH. Der
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Angeklagte hatte auch in allen Personalangelegenheiten der
türkischen Arbeitnehmer bis in Einzelheiten das Sagen,
entschied insbesondere über Einstellungen, Entlassungen und
Urlaub. Er bestimmte den Einsatz der Arbeiter an den Baustellen der
HaCe GmbH, zum Teil über die durch die Werkverträge
bestimmten Einsatzorte hinaus, und gab vermittelt über die
Vorarbeiter oder den als Strohmann eingesetzten Zeugen O. Weisungen.
Auf den Baustellen hatte er „das letzte Wort“.
b) Bei der Eryilmaz Ltd. und Kanal Ltd. handelte es sich demnach um
bloße Scheinfirmen ohne eigene Organisationsstruktur und
Tätigkeit, deren Zweck allein darin bestand,
Beschäftigungsverhältnisse formal zu
begründen und mittels Vortäuschung eines
Entsendetatbestandes die bei der HaCe GmbH anfallenden Lohnnebenkosten
zu verringern. Dass die türkischen Arbeiter gleichwohl bei der
Eryilmaz Ltd. oder Kanal Ltd. beschäftigt waren, scheidet
bereits deshalb aus, weil es gänzlich an einer betrieblichen
Organisation fehlt, in die die Arbeiter hätten eingegliedert
sein können (vgl. § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB IV).
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Ein Beschäftigungsverhältnis bestand
demgegenüber zur deutschen HaCe GmbH (zu den
maßgeblichen Kriterien vgl. Radtke in: MüKo StGB
§ 266a Rdn. 9; Heitmann in:
Müller-Gugenberger/Bieneck, Wirtschaftsstrafrecht 4. Aufl.
§ 36 Rdn. 15). Die türkischen Arbeiter waren von dem
Angeklagten als Geschäftsführer der HaCe GmbH
weisungsabhängig, erhielten auf seine Veranlassung aus dem
Vermögen der Gesellschaft ihren Lohn und arbeiteten auf den
Baustellen der Gesellschaft zur Erledigung der von ihr
übernommenen Bauaufträge. Das Landgericht sieht sich
an einer Einordnung der Arbeiter als Beschäftigte der HaCe
GmbH gleichwohl dadurch gehindert, dass es eine weiterreichende
Integration der Arbeiter in den Geschäftsbetrieb des
Unternehmens, insbesondere eine „Vermischung“ der
von den türkischen Gesellschaften ge-
15
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worbenen Arbeiter mit sonstigen Arbeitnehmern der HaCe GmbH nicht
festzustellen vermochte. Nach den Umständen des Falles war
dies aber nicht zu verlangen. Die Feststellungen belegen, dass der
Angeklagte eine Zugehörigkeit der Arbeiter zu einem
Fremdunternehmen gezielt - etwa durch gefälschte Lohn- und
Arbeitszeitlisten für den Fall einer Kontrolle durch die
Zollbehörden - vorzutäuschen versuchte. Dem entsprach
es, die türkischen Arbeiter Bauleistungen nur abgetrennt an
„ihren“ Gewerken verrichten zu lassen.
2. Bereits hieraus folgt, dass die türkischen Arbeitnehmer der
deutschen Sozialversicherungspflicht unterlagen.
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a) Nach den Vorschriften des deutschen Sozialgesetzbuches
führt eine inländische Beschäftigung zur
Sozialversicherungspflicht des Arbeitnehmers (§ 3 Nr. 1 SGB
IV); maßgeblich ist dabei der Ort, an dem die
Beschäftigung tatsächlich ausgeübt wird
(§ 9 SGB IV). Abweichend hiervon gelten für
Arbeitnehmer, die im Rahmen eines ausländischen
Beschäftigungsverhältnisses für einen im
Voraus begrenzten Zeitraum in das Inland entsandt worden sind,
gemäß § 5 Abs. 1 SGB IV die
sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften ihres Heimatlandes fort;
eine Versicherungspflicht am Beschäftigungsort besteht nicht.
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Die auf Baustellen in Deutschland eingesetzten türkischen
Arbeitnehmer waren danach in Deutschland zu versichern. An den
Voraussetzungen einer zur Versicherungsfreiheit in Deutschland
führenden Entsendung fehlt es schon deshalb, weil ein
ausländisches Beschäftigungsverhältnis nicht
bestand. Auf die Erwägungen des Landgerichts, dass eine
Entsendung nach sozialgerichtlicher Rechtsprechung einen
ausländischen Schwerpunkt des
Beschäftigungsverhältnisses (vgl. BSGE 79, 214, 217)
und eine beabsichtigte Rückkehr in das Ausland unter
Fortsetzung der Tätigkeit (vgl. BSGE 71, 227, 234 f. zu den
insoweit
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identischen Voraussetzungen von § 4 SGB IV) voraussetze, kommt
es demnach nicht mehr an.
b) Die Vorschriften der §§ 2 ff. SGB IV stehen unter
dem Vorbehalt über- und zwischenstaatlichen Rechts, soweit es
in Deutschland gilt und das anzuwendende Sozialversicherungsrecht
bestimmt (§ 6 SGB IV). Hiernach ergibt sich keine abweichende
Bewertung.
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aa) Solches Recht bildet das durch Zustimmungsgesetz vom 13. September
1965 (BGBl. II 1965, 1169) umgesetzte bilaterale Abkommen zwischen der
Bundesrepublik Deutschland und der Republik Türkei
über Soziale Sicherheit vom 30. April 1964 (BGBl. II 1965,
1170; fortan: Sozialversicherungsabkommen) in der Fassung des
Änderungsabkommens vom 28. Mai 1969 (BGBl. II 1972, 2) und des
Zwischenabkommens vom 25. Oktober 1974 (BGBl. II 1975, 374),
ergänzt durch Zusatzabkommen vom 2. November 1984 (BGBl. II
1986, 1040). Das Abkommen enthält zur Frage des anwendbaren
Rechts für Fälle
länderübergreifender Beschäftigung
Kollisionsvorschriften, die das anwendbare Sozialversicherungsrecht
bestimmen.
20
Art. 5 des Sozialversicherungsabkommens geht - entsprechend §
3 SGB IV - als Grundregel davon aus, dass die Versicherungspflicht von
Arbeitnehmern sich unabhängig vom Sitz des Arbeitgebers nach
dem Sozialversicherungsrecht des Beschäftigungsortes richtet.
Art. 6 Abs. 1 des Sozialversicherungsabkommens sieht hiervon - insoweit
ähnlich § 5 SGB IV - eine Ausnahme für den
Fall einer Entsendung vor: Nach dem Vertragstext gelten für
den „Arbeitnehmer eines Unternehmens mit dem Sitz im Gebiet
der einen Vertragspartei“, welcher
„vorübergehend zur Arbeitsleistung in das Gebiet der
anderen Vertragspartei entsandt“ wird, die Rechtsvorschriften
der ersten Vertragspartei fort.
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Auch nach diesem Maßstab liegt eine zur Versicherungsfreiheit
in Deutschland führende Entsendung nicht vor. Denn die
türkischen Arbeiter waren auf Grundlage der Feststellungen
gerade nicht Arbeitnehmer eines Unternehmens mit Sitz in der
Türkei. Damit fehlt es bereits an der personalen
Anknüpfung des im Abkommen enthaltenen Entsendetatbestandes.
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bb) Die zur Frage des anwendbaren Sozialversicherungsrechts in
Ländern der Europäischen Union geltenden Kollisions-
und Verfahrensvorschriften (Verordnung [EWG] 1408/71, ABl. L 149 vom 5.
Juli 1971, S. 2; Verordnung [EWG] 574/72, ABl. L 74 vom 27.
März 1972, S. 1) finden mangels einer Mitgliedschaft der
Türkei in der Europäischen Union keine unmittelbare
Anwendung. Sie sind auch auf Grundlage des im Hinblick auf eine
Annäherung der Türkei an die Europäische
Union abgeschlossenen Assoziationsabkommens vom 12. September 1963
(BGBl. II 1964 S. 510) und den zu seiner Umsetzung getroffenen
Maßnahmen nicht heranzuziehen. Soweit der
Assoziationsratsbeschluss 3/80 (ABl. C 110 vom 25. April 1983, S. 60)
die Vorschriften der VO (EWG) 1408/71 für anwendbar
erklärt, gilt dies nach der Ermächtigung in Art. 39
Abs. 1 des zu dem Assoziationsabkommen vereinbarten Zusatzprotokolls
vom 23. November 1970 (ABl. L 293 vom 29. Dezember 1972, S. 4) nur
für Arbeitnehmer türkischer
Staatsangehörigkeit, die von einem Mitgliedsstaat in einen
anderen zu- oder abwandern, nicht aber für den - vorliegenden
- Fall eines rein bilateralen Geschehens zwischen einem Mitgliedsstaat
und der Türkei (Hänlein, Sozialrechtliche Probleme
türkischer Staatsangehöriger in Deutschland, S. 24
ff.; Sieveking ZIAS 2001, 160, 162; vgl. auch VO [EWG] Nr. 859/03 vom
14. Mai 2003, ABl. L 124 vom 20. Mai 2003, S. 1).
23
cc) Schließlich hindern auch Besonderheiten des
zwischenstaatlichen sozialversicherungsrechtlichen Verfahrens nicht,
auf das Beschäftigungsver-
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hältnis der türkischen Arbeitnehmer deutsches
Sozialversicherungsrecht zur Anwendung zu bringen.
Die zu dem deutschtürkischen Sozialversicherungsabkommen am 2.
November 1984 geschlossene Durchführungsvereinbarung (BGBl. II
1986, 1055) sieht in Artikel 5 Abs. 1 vor, dass in
Entsendungsfällen der zuständige Träger des
Entsendestaates dem Betroffenen auf Antrag eine Bescheinigung
darüber ausstellt, dass er den Rechtsvorschriften des
Entsendestaates untersteht. Nach der Rechtsprechung des
Bundessozialgerichts (BSGE 85, 240) ist eine derartige - im EU-Raum der
E 101-Bescheinigung entsprechende - Entsendebescheinigung von den
Sozialgerichten des Gaststaates nur in begrenztem Umfang auf ihren
materiellen Gehalt überprüfbar. Eine derartige
Bescheinigung hat hier - wie das Landgericht ausdrücklich
feststellt - nicht vorgelegen. Der Senat braucht daher nicht
darüber zu befinden, inwieweit ihr auch im Strafverfahren
Bindungswirkung im Hinblick auf die bescheinigte Anwendbarkeit
ausländischen Sozialversicherungsrechts zukommen
würde (zum europäischen Recht vgl. BGH NJW 2007, 233).
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Nach den Feststellungen des Landgerichts verfügte ein Teil der
von dem Angeklagten eingesetzten türkischen Arbeiter allein
hinsichtlich ihrer Krankenversicherung über einen
Leistungsberechtigungsschein, der aufgrund der Anmeldung der Arbeiter
bei der türkischen Sozialversicherung ausgestellt wurde und
sie berechtigte, Sachleistungen bei einem Aufenthalt in Deutschland in
Anspruch zu nehmen („A/T 11-Schein“). Die
Ausstellung des Scheines beruht auf der Anwendung der
leistungsrechtlichen Koordinierungsvorschriften des
Sozialversicherungsabkommens (Art. 12 Abs.1 b) und c), Art. 14 Abs. 1
Satz 2, Art. 14 Abs. 3 Satz 2 des Abkommens; Art. 9 der
Durchführungsvereinbarung). Diese Vorschriften sind nicht
kollisionsrechtlicher Natur. Entgegen der Auffassung der Revision
verhält sich der Leistungsschein daher nicht zur Frage des
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anwendbaren Sozialversicherungsrechts. Eine Bindungswirkung im Hinblick
auf die Sozialversicherungspflicht kann ihm daher unter keinem
rechtlichen Gesichtspunkt zukommen.
c) Für die Abführung der geschuldeten
Beiträge war der Angeklagte als zunächst faktischer,
später formeller Geschäftführer der HaCe
GmbH auch strafrechtlich verantwortlich. Aus den Feststellungen des
Landgerichts geht hinlänglich hervor, dass er auch vor seiner
Berufung zum formellen Geschäftsführer mit allen
Belangen der Gesellschaft befasst war. Dies begründet seine
Täterstellung für eine Beitragsstraftat nach
§ 266a StGB (vgl. BGHSt 47, 318; 324, 21, 101, 103).
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3. Die Einordnung der türkischen Arbeitnehmer als
Beschäftigte der Ha-Ce GmbH führt zu einer
Änderung des Schuldspruchs und zum Wegfall von neun
Einzelstrafen.
28
Das Landgericht hat die unterlassene Beitragsabführung
hinsichtlich der bei der HaCe GmbH beschäftigten deutschen
Arbeitnehmer und der - nach Auffassung des Landgerichts der Eryilmaz
Ltd. und der Kanal Ltd. zugehörigen - türkischen
Arbeitnehmer jeweils als selbständige Taten gewertet, auch
soweit sie in den Monaten Dezember 1999, Januar 2000, Februar 2000,
Dezember 2000, Januar 2001, Februar 2001, Dezember 2001, Januar 2002
und Februar 2002 auf gleiche Beitragszeiträume und
Fälligkeitszeitpunkte bezogen waren und die Beiträge
zur gleichen Einzugsstelle zu entrichten waren. Es kann offen bleiben,
ob dieser Bewertung auf der Grundlage einer Zugehörigkeit der
Arbeitnehmer zu unterschiedlichen Unternehmen zu folgen wäre.
Denn bei zutreffender Einordnung der türkischen Arbeitnehmer
als Beschäftigte der deutschen HaCe GmbH bildet die
unterlassene Beitragsabführung zum jeweiligen Fällig-
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keitszeitpunkt gegenüber derselben Einzugsstelle jedenfalls
nur eine Tat (vgl. Gribbohm in LK, 11. Aufl. § 266a Rdn. 108).
Der Senat hat daher die auf die betroffenen Beitragszeiträume
entfallenden neun Einzelstrafen, die das Landgericht hinsichtlich der
deutschen Arbeitnehmer verhängt hat (Geldstrafen in
Höhe von jeweils 70 Tagessätzen zu 150 €),
in Wegfall gebracht. Die hinsichtlich der türkischen
Arbeitnehmer für die gleichen Beitragszeiträume
verhängten - jeweils höheren - Einzelstrafen
können angesichts des erhöhten Schuldgehalts der
erfassten Taten bestehen bleiben.
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Die verhängte Gesamtfreiheitsstrafe kann gleichfalls bestehen
bleiben. Der Schuldgehalt der Beitragsstraftaten bleibt im Hinblick auf
die unveränderte Höhe der entzogenen
Beiträge gleich. Auch angesichts von Zahl und Gewicht der
verbleibenden 129 Taten, der Höhe der für sie
verhängten Einzelstrafen und aller sonstiger im angefochtenen
Urteil getroffener für die Strafzumessung bedeutsamer
Feststellungen hält der Senat die verhängte
Gesamtstrafe jedenfalls für angemessen (§ 354 Abs. 1a
StPO; vgl. BGH StV 2005, 118; NStZ-RR 2006, 44; Beschluss vom 6.
Dezember 2005 - 1 StR 445/05).
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4. § 265 StPO steht all dem nicht entgegen. Dem Angeklagten
war bereits in der zugelassenen Anklage vorgeworfen worden, auch
für die türkischen Arbeitnehmer als
Geschäftsführer der deutschen HaCe GmbH
Sozialversicherungsbeiträge nicht abgeführt zu haben,
da es sich bei ihnen um Beschäftigte der HaCe GmbH handele.
Die Anklage qualifiziert die Taten allerdings als (Beitrags-)Betrug
gemäß § 263 StGB. Das Landgericht hat dem
Angeklagten daraufhin in der Hauptverhandlung den Hinweis erteilt, dass
auch eine Bewertung als Beitragsvorenthaltung gemäß
§ 266a StGB in Betracht komme. Erst hiernach hat es an einem
nachfolgenden Verhandlungstag darauf hingewiesen, dass der Tatvorwurf
auch an seine Stellung als faktischer Geschäftsführer
der
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Eryilmaz Ltd. und der Kanal Ltd. anknüpfen könne.
Für den Angeklagten war damit hinreichend ersichtlich, dass
eine Verurteilung wegen Beitragsvorenthaltung insgesamt aufgrund seiner
Organstellung bei der deutschen Gesellschaft erfolgen konnte.
III.
Auch im Übrigen hat die Überprüfung des
landgerichtlichen Urteils auf Grundlage der Revisionsrechtfertigung
keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler ergeben. Soweit der
Angeklagte beanstandet, dass das Landgericht ihn zu Unrecht als
faktischen Geschäftsführer eingestuft habe,
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geht dieser Vortrag bereits im Ansatz ins Leere (vgl. oben II. 2. c)).
Soweit er vorbringt § 92 Abs. 2 Nr. 2 AuslG sei unrichtig
angewandt, verweist der Senat auf die zutreffenden
Ausführungen in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts.
Nack Wahl Boetticher
Frau RiinBGH Elf befindet
sich in Urlaub und ist deshalb
an der Unterschrift verhindert.
Kolz Nack |