BGH,
Beschl. v. 7.3.2007 - 1 StR 646/06
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
1 StR 646/06
vom
7.3.2007
BGHSt: ja
BGHR: ja
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StPO § 247a
Bietet die oberste Dienstbehörde nach § 96 StPO die
audiovisuelle Vernehmung eines gesperrten Zeugen an und ist das Gericht
von Rechts wegen gehalten, eine solche Vernehmung
durchzuführen, so ist es Aufgabe des Justizministeriums,
gegebenenfalls seiner nachgeordneten Dienststellen, das Gericht so
auszustatten, dass das Verfahren auch durchgeführt werden kann.
BGH, Beschl. vom 7.3.2007 - 1 StR 646/06 - LG Baden-Baden
in der Strafsache
gegen
wegen Betruges u.a.
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Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 7.3.2007 beschlossen:
1. Im Fall II. 12 der Gründe des Urteils des Landgerichts
Baden-Baden vom 31. Juli 2006 wird das Verfahren eingestellt
(§ 154 Abs. 2 StPO).
Insoweit fallen die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen
des Angeklagten der Staatskasse zur Last.
2. Die Revision des Angeklagten gegen das vorbezeichnete Urteil wird
mit der Maßgabe als unbegründet verworfen, dass er
des Betruges in elf Fällen schuldig ist.
3. Der Angeklagte trägt die übrigen Kosten des
Rechtsmittels.
Der Schriftsatz der Verteidigung vom 7.3.2007 hat dem Senat vorgelegen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Betrugs in elf
Fällen und wegen versuchten Betrugs (Fall II. 12 der
Urteilsgründe) unter Einbeziehung einer Freiheitsstrafe aus
dem Urteil des Amtsgerichts Lörrach zu einer
Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und einer weiteren Gesamtstrafe
von drei Jahren verurteilt. Gegen dieses Urteil wendet sich der
Angeklagte mit der auf Verfahrensrügen und die
Sachrüge gestützten Revision. Das Rechtsmittel bleibt
im Wesentlichen ohne Erfolg.
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I. Verfahrensrügen
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1. Die Verfahrensbeschwerden betreffend die Fälle II. 1, 2 und
8 der Urteilsgründe versagen aus den Gründen, die der
Generalbundesanwalt in seiner Zuschrift ausführlich dargelegt
hat.
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2. Die Rüge wegen Verletzung der §§ 247,
247a StPO und Art. 6 Abs. 3 Buchst. d EMRK in Verbindung mit §
338 Nr. 5 StPO richtet sich gegen das Verfahren betreffend den Fall II.
12 der Urteilsgründe. Diesen Fall hat der Senat auf Antrag des
Generalbundesanwalts aus prozessökonomischen Gründen
nach § 154 Abs. 2 StPO vorläufig eingestellt. Er
sieht sich jedoch zu folgenden Ausführungen veranlasst:
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a) Das Landgericht hat im Fall II. 12 den Beweisantrag des Angeklagten
auf Vernehmung des vom Landeskriminalamt Baden-Württemberg
eingesetzten Verdeckten Ermittlers als Zeugen, hilfsweise in Form einer
audiovisuellen Vernehmung nach § 247a StPO abgelehnt. Der
Verdeckte Ermittler sollte im Einzelnen zu den
Gesprächsinhalten eines Treffens mit dem Angeklagten und einer
Zeugin und dazu Stellung nehmen, welchen Eindruck der Angeklagte dabei
gemacht hatte.
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Die Strafkammer hat die unmittelbare Vernehmung des Verdeckten
Ermittlers im Hinblick auf die Sperrerklärung des
Innenministeriums Baden-Württemberg abgelehnt. Hiergegen ist
revisionsrechtlich nichts zu erinnern. Der Senat teilt allerdings nicht
die Bedenken der Strafkammer, auf die sie die Ablehnung der
audiovisuellen Vernehmung des Verdeckten Ermittlers gestützt
hat, nachdem das Innenministerium Baden-Württemberg in seinem
Schreiben vom 16. Juni 2006 im vorliegenden Fall einer solchen
Vernehmung unter Beachtung von im Einzelnen dargelegten
Schutzmaßnahmen zugestimmt hat.
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b) Die Ablehnung auch des Hilfsantrages hat das Landgericht wie folgt
begründet:
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„Das Innenministerium hat als oberste Dienstbehörde
im Schreiben vom 16.06.2006 sein Einverständnis mit einer
solchermaßen durchgeführten
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Vernehmung nur unter der Maßgabe, dass eine Identifizierung
des Verdeckten Ermittlers sicher ausgeschlossen werden kann, und
deshalb nur unter bestimmten Schutzmaßnahmen erteilt
(nämlich
- audiovisuelle Vernehmung an einem geheim gehaltenen Ort;
- Verweigerung von Angaben zur Person, Identität und
Kriminaltaktik;
- Ausschließung der Öffentlichkeit;
- nach Beurteilung des Landeskriminalamtes erforderliche, optische und
akustische Verfremdung von Bild und Ton, um eine Identifikation des
Verdeckten Ermittlers über Gesichtszüge, wesentliche
E-lemente des Aussehens und über Stimme und Sprechweise sicher
auszuschließen;
- Unterlassen einer Bild- und Tonaufzeichnung;
- Anwesenheit des Führungsbeamten des Verdeckten Ermittlers am
Vernehmungsort;
- Verpflichtung der bei der Durchführung der Bild- und
Tonübertragung bzw. zur akustischen Verfremdung eingesetzten
Personen nach dem Verpflichtungsgesetz).
Die Kammer verkennt nicht, dass in diesem beschränkten Umfang
von einer Sperrerklärung seitens des Innenministeriums nicht
Gebrauch gemacht wurde und unter Berücksichtigung des
Aufklärungsgebots des § 244 Abs. 2 StPO und unter dem
Gesichtspunkt des bestmöglichen Beweises
grundsätzlich die persönliche Befragung eines Zeugen
vorzuziehen ist. Doch sind hier die mit einer Beweisaufnahme bedingten
Einschränkungen der Erkenntnismöglichkeiten des
Gerichts derart gravierend, dass einer unter den vorgegebenen
Bedingungen des Landeskriminalamts durchgeführten
audiovisuellen Vernehmung des Verdeckten Ermittlers jedenfalls im
konkreten Fall kein weitergehender Beweiswert mehr zukommen
würde. Zwar würde eine solche
Videosimultanübertragung grundsätzlich nicht der vom
Landeskriminalamt für erforderlich erachteten Geheimhaltung
der Person des Verdeckten Ermittlers zuwiderlaufen, jedoch
würden die audiovisuellen Verfremdungen des Zeugen bzw. seine
akustische und optische Abschirmung es nicht mehr erlauben, bei der
Simultanübertragung seine verbalen und körperlichen
Äußerungen sinngerecht wahrzunehmen und seine
Glaubwürdigkeit umfassend zu würdigen. Bei einer
dermaßen erheblichen Einschränkung des
Unmittelbarkeitsprinzips des § 250 S. 1 StPO ist vorliegend
keine weitergehende oder bessere Aufklärung durch eine
audiovisuelle Vernehmung zu erwarten, zumal im Hinblick auf die unter
Beweis gestellten Tatsachen der
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Führungsbeamte des Verdeckten Ermittlers, der Zeuge KHK Z. ,
als Vernehmungsbeamter zu dessen protokollierten Angaben
anlässlich dessen polizeilichen Vernehmungen bereits umfassend
aussagte und der Angeklagte bzw. sein Verteidiger dabei eingehend von
ihrem Fragerecht Gebrauch machten.
Im Übrigen ist auch im Hinblick auf die im Antrag unter Beweis
gestellten Tatsachen die beantragte audiovisuelle Vernehmung des
Verdeckten Ermittlers zur Erforschung der Wahrheit nicht
erforderlich“.
c) Der Senat hat mehrfach entschieden, dass die audiovisuelle
Vernehmung einer Gewährsperson in Verbindung mit deren
optischer und akustischer Verfremdung das bessere Beweismittel sowohl
unter dem Gesichtspunkt der Wahrheitsfindung als auch unter dem der
Verteidigungsmöglichkeiten sein kann (BGH NJW 2003, 74; NStZ
2005, 43; zuletzt NStZ 2006, 648 = StV 2006, 682). Die audiovisuelle
Vernehmung führt als gangbare Alternative zur
völligen Sperrung des Zeugen zu einer sinnvollen Konkordanz
zwischen Wahrheitsermittlung, Verteidigungsinteressen und Zeugenschutz
(in diesem Sinne bereits Diemer in KK 4. Aufl. § 247a Rdn. 14;
Weider StV 2000, 48). Diesen Entscheidungen ist das Innenministerium
Baden-Württemberg mit seiner sachgerechten
Sperrerklärung vom 16. Juni 2006 gefolgt. Das Ministerium hat
insbesondere eine Vernehmung des Verdeckten Ermittlers angeboten, bei
der dessen Bild und der Ton seiner Äußerungen so
verfremdet werden, dass eine Identifikation über die
Gesichtszüge, über sonstige Elemente des Aussehens
oder über die Stimme und Sprechweise so sicher ausgeschlossen
werden können, dass der Angeklagte nicht einmal für
die Dauer der Vernehmung aus dem Sitzungssaal hätte entfernt
werden müssen.
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Dass die Strafkammer angesichts dieser vom Innenministerium angebotenen
Vernehmung unter Verwendung solcher technischen Möglichkeiten
dennoch gravierende Einschränkungen der
Erkenntnismöglichkeiten an-
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nimmt, die gegenüber der Vernehmung des
Führungsbeamten des Verdeckten Ermittlers keinen
weitergehenden Beweiswert erwarten ließen, vermag der Senat
nicht zu teilen. Insoweit verweist er seine oben genannten
Entscheidungen. Die Beachtung dieser Maßstäbe ist
auch deshalb geboten, um einen Konventi-onsverstoß nach Art.
6 Abs. 3 Buchst. d EMRK zu vermeiden.
Der Senat weist im Übrigen darauf hin, dass es nicht Aufgabe
des Tatrichters ist, sich um die hierzu erforderliche technische
Ausstattung zu kümmern. Bietet die oberste
Dienstbehörde nach § 96 StPO die audiovisuelle
Vernehmung eines gesperrten Zeugen, hier eines Verdeckten Ermittlers,
an und ist das Gericht von Rechts wegen gehalten, eine solche
Vernehmung durchzuführen, so ist es Aufgabe des
Justizministeriums, gegebenenfalls seiner nachgeordneten Dienststellen,
das Gericht so auszustatten, dass das Verfahren auch
durchgeführt werden kann. Auch die technische
Durchführung ist Aufgabe der Justizverwaltung.
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II. Sachrüge
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Die Nachprüfung des angefochtenen Urteils auf die
Sachrüge hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten
ergeben.
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Die beiden vom Landgericht verhängten Gesamtfreiheitsstrafen
können bestehen bleiben. Als Folge der auf Antrag des
Generalbundesanwalts vorgenommenen Verfahrensbeschränkung im
Fall II. 12 der Urteilsgründe entfällt ein Vorwurf
des versuchten Betruges, für den die Strafkammer eine
Einzelstrafe von einem Jahr Freiheitsstrafe festgesetzt hat.
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Der Senat kann auch die zweite Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren in
zumindest entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1, 1a, 1b
StPO bestehen lassen. Zwar betrifft der Fehler hier nicht "nur" die
Gesamtstrafenbildung, sondern es liegt auch eine Beschränkung
hinsichtlich des Schuldspruchs vor. Angesichts von Zahl und Gewicht der
verbleibenden Taten, den für sie ausgeworfenen Einzelstrafen
und aller sonstiger im angefochtenen Urteil getroffener
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für die Strafzumessung bedeutsamer Feststellungen
hält der Senat trotz des eingestellten Falles die zweite
Gesamtstrafe für angemessen (vgl. auch BGH NStZ-RR 2006, 44;
BGH NJW 2005, 912 = StV 2005, 118 jeweils m.w.N.).
Nack Boetticher Hebenstreit
Elf Graf |