BGH,
Beschl. v. 7.5.2008 - 2 StR 175/08
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
2 StR 175/08
vom
7. Mai 2008
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
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Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des
Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 7. Mai 2008
gemäß §§ 44, 349 Abs. 2 und 4 StPO
beschlossen:
1. Nach Versäumung der Frist zur Begründung der
Revision gegen das Urteil des Landgerichts Koblenz vom 22. November
2007 wird dem Angeklagten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
gewährt.
Die Kosten der Wiedereinsetzung trägt der Angeklagte.
2. Auf die Revision des Angeklagten wird das vorbezeichnete Urteil im
Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
4. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer
Freiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt. Seine auf die
Sachrüge gestützte Revision hat in dem aus der
Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist
sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
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1. Der Schuldspruch ist rechtsfehlerfrei; namentlich lässt die
Beweiswürdigung, mit welcher das Landgericht eine Notwehrlage
sowie eine irrtümliche Annahme einer solchen Lage durch den
Angeklagten ausgeschlossen hat, Rechtsfehler nicht erkennen.
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2. Dagegen hält der Strafausspruch rechtlicher
Prüfung nicht stand, da die Gründe, mit denen das
Landgericht eine erhebliche Verminderung der
Steuerungsfähigkeit ausgeschlossen hat, nicht frei von
Rechtsfehlern sind.
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Zutreffend hat das Landgericht angenommen, dass von den
Eingangsvoraussetzungen des § 20 StGB hier nach der Sachlage
und den insoweit rechtsfehlerfrei dargelegten Ausführungen der
Sachverständigen allein das Merkmal der tiefgreifenden
Bewusstseinsstörung in Betracht kam. Wie die Revision
zutreffend ausgeführt hat, hat sich der Tatrichter, insoweit
ohne nähere Erörterung der Sachverständigen
folgend, einer in der fachwissenschaftlichen forensisch-psychiatrischen
Literatur neuen systematischen Differenzierung zwischen "Affekttaten"
(im engeren Sinne) und sog. "Impulstaten" angeschlossen (vgl. Marneros,
Affekttaten und Impulstaten, 2007) und hieraus für die
Anwendung des § 20 StGB Schlussfolgerungen gezogen, die mit
der herkömmlichen begrifflichen Zuordnung nicht ohne Weiteres
vereinbar sind. Dies kann aber, wie der Generalbundesanwalt zutreffend
ausgeführt hat, hier im Ergebnis dahinstehen, weil sich aus
dem Zusammenhang der Urteilsgründe ergibt, dass der Tatrichter
die von ihm im Anschluss an die Sachverständige näher
geprüfte Kategorie der "Impulstaten" hier letztlich zutreffend
anhand derselben Kriterien untersucht hat, die gemeinhin unter dem
Oberbegriff der "Affekttaten" diskutiert werden. Anzumerken ist
insoweit allerdings, dass der Tatrichter dem von ihm im engeren Sinn
definierten Bereich der Affekttat, soweit er hierunter nur
"Beziehungstaten" versteht, einen jedenfalls zu engen Begriff der
"Beziehung" zugrunde legt. Im Zusammenhang mit den insoweit typischen
Verlaufs- und
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Aufbauformen affektiver Spannungen kann nicht allein auf enge
partnerschaftliche oder gar intime "Beziehungen" abgestellt werden.
Auch zwischen Personen, die, wie hier, über einen langen
Zeitraum beruflich und persönlich im engen Kontakt ohne
Ausweichmöglichkeit im Fall von Konflikten stehen, kann es zu
ähnlichen Konstellationen kommen.
3. Die Anwendung der vom Tatrichter genannten Kriterien für
das Vorliegen einer sog. "Impulstat" unter möglicherweise
schuldrelevanter Einschränkung der
Steuerungsfähigkeit ist nicht rechtsfehlerfrei. Zutreffend
rügt die Revision, dass das Landgericht das Vorliegen eines
als indiziell angesehenen "raptusartigen Tatverlaufs mit gleichsam
rechtwinkligem Affektverlauf" mit nicht tragfähigen
Gründen verneint hat. Nach den Feststellungen griff das
spätere Tatopfer den Angeklagten aus belanglosem Grund an und
stieß ihn "mit aller Gewalt" beinahe aus der offen stehenden
Fahrertür der LKW-Kabine, in der sich beide Personen befanden.
Der Angeklagte, der erkannte, das dieser Angriff damit abgeschlossen
war, "warf sich" in plötzlicher Wut auf seinen
Arbeitskollegen, schlug das körperlich deutlich
überlegene Tatopfer vielfach mit äußerster
Wucht mit den Fäusten gegen den Kopf, kniete sich sodann auf
das halb auf dem Beifahrersitz liegende Opfer und erwürgte
dieses in unmittelbarem Fortgang der Handlung. Zum Tatzeitpunkt hatte
der Angeklagte etwa 36 Stunden nicht geschlafen, wies eine
Blutalkoholkonzentration von 2,07 ‰ auf und hatte zusammen
mit dem späteren Tatopfer etwa zwölf Stunden lang auf
einem Parkplatz in der Fahrerkabine des LKW gesessen.
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Unter diesen festgestellten Umständen begegnet die
Würdigung des Landgerichts durchgreifenden rechtlichen
Bedenken, es habe sich "nicht um einen plötzlichen und kurzen
Impulsdurchbruch" gehandelt, weil der Angeklagte die Gewalt
über einen längeren Zeitraum hinweg ausgeübt
und "die Angriffsrichtung gewechselt" habe (UA S. 27). Auch die
Argumentation, der Angeklagte
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habe nicht über Symptome wie Mundtrockenheit, Herzklopfen,
vermehrtes Atmen oder Einengung seiner seelischen Abläufe im
Zusammenhang mit dem Tatgeschehen berichtet (UA S. 27), wendet
ersichtlich zu schematisch indizielle Kriterien an, die sich in der
forensisch-psychiatrischen Literatur und im Gutachten der
Sachverständigen finden. Der Angeklagte hat sich auf eine
vollständige Amnesie hinsichtlich des unmittelbaren
Tatgeschehens berufen (UA S. 13); unabhängig davon
wäre es angesichts des festgestellten Kampfgeschehens und der
vom Angeklagten aufgewandten Gewalt offensichtlich von allenfalls
geringer Bedeutung, ob er (Wochen später) bei der Exploration
durch einen Sachverständigen über "Mundtrockenheit"
oder "vermehrtes Atmen" berichtet hat.
Andere Indizien, die für das Vorliegen einer schuldrelevanten
Bewusstseinsstörung sprechen könnten, hat das
Landgericht zutreffend gesehen. Das gilt auch für die
festgestellten Gegenindizien, namentlich das ruhige, kontrollierte und
fast schon auffällig unbeteiligte Nachtatverhalten. Angesichts
des Gewichts, welches der Tatrichter gerade dem Kriterium eines
raptusartigen Tatverlaufs beigemessen hat, kann der Senat aber im
Ergebnis nicht ausschließen, dass bei zutreffender Einordnung
der Beweisanzeichen und Orientierung an den in Rechtsprechung und
Literatur anerkannten Kriterien die Entscheidung über das
Vorliegen einer erheblichen Verminderung der
Steuerungsfähigkeit zugunsten des Angeklagten ausgefallen
wäre. Ausgeschlossen werden kann angesichts der insoweit
rechtsfehlerfreien Feststellungen sowie der Wiedergabe des
Sachverständigengutachtens im Urteil allerdings eine zur
Schuldunfähigkeit im Sinne von § 20 StGB
führende vollständige Aufhebung der
Steuerungsfähigkeit des Angeklagten.
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4. Das Landgericht hat einen minder schweren Fall des Totschlags
angenommen, dies aber ausdrücklich allein auf das Vorliegen
der Voraussetzungen des § 213, 1. Alt. StGB aufgrund der dem
Angeklagten von dem späteren
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Tatopfer zugefügten Misshandlung gestützt. Es kann
daher nicht ausgeschlossen werden, dass die mögliche Annahme
der Voraussetzungen des § 21 StGB zu einer weiteren
Strafrahmenmilderung zugunsten des Angeklagten geführt
hätte. Der neue Tatrichter wird den Gesamtzusammenhang der
tat- und schuldrelevanten Umstände gegebenenfalls auch
insoweit insgesamt neu zu prüfen und zu bewerten haben.
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