BGH,
Beschl. v. 7.11.2001 - 2 StR 428/01
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
2 StR 428/01
vom
7. November 2001
in der Strafsache gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofes hat auf Antrag des
Generalbundesanwalts und nach Anhörung des
Beschwerdeführers am 7. November 2001 gemäß
§§ 349 Abs. 2 und 4, 354 Abs. 1 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Wiesbaden vom 20. März 2001
a) im Schuldspruch dahin geändert, daß der
Angeklagte der gefährlichen Körperverletzung in zwei
Fällen schuldig ist und
b) im Ausspruch über die Einzelstrafe von fünf Jahren
sowie im Gesamtstrafenausspruch mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
allgemeine Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags und
wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer
Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten
verurteilt. Hiergegen richtet sich die Revision des Angeklagten mit der
nicht näher ausgeführten Sachrüge. Sein
Rechtsmittel hat in dem aus der Beschlußformel ersichtlichen
Umfang Erfolg. Im übrigen ist es im Sinne von § 349
Abs. 2 StPO unbegründet.
Der Generalbundesanwalt hat ausgeführt:
"Die Verurteilung des Beschwerdeführers wegen versuchten
Totschlags zum Nachteil des Zeugen H. begegnet durchgreifenden
rechtlichen Bedenken, weil unter Berücksichtigung des
Grundsatzes in dubio pro reo nicht ausgeschlossen werden kann,
daß der Angeklagte vom - unbeendeten -
Tötungsversuch mit strafbefreiender Wirkung
zurückgetreten ist.
Der Tatrichter hat festgestellt, daß der
Beschwerdeführer nach dem Setzen der drei Stiche in den
Oberbauch seines Opfers davon ausging ´daß es
für einen möglichen Eintritt des Todes beim Zeugen H.
keines weiteren Handelns mehr bedürfe´ (UA S. 16).
Danach war der Tötungsversuch beendet. Nicht bedacht hat die
Schwurgerichtskammer, daß nach der Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofes aber auch dann ein unbeendeter Versuch in Betracht
kommt, wenn der Täter nach seinem Handeln den Erfolgseintritt
zwar zunächst für möglich hält,
unmittelbar darauf aber, sei es auch in Verkennung der
tatsächlich eingetretenen Gefährdung, zu der Annahme
gelangt, sein bisheriges Tun könne den Erfolg nicht
herbeiführen und er nunmehr von weiteren fortbestehenden
Handlungsmöglichkeiten absieht (BGHSt 36, 224; BGHR StGB
§ 24 I 1 Versuch, unbeendeter 24, 25, 27; BGH StV 1995, 462;
1997, 128). Die Frage, ob nach diesen Rechtsgrundsätzen von
einem (strafbaren) beendeten oder (straflosen) unbeendeten Versuch
auszugehen ist, bedarf insbesondere dann eingehender
Erörterung, wenn das angegriffene Opfer nach der letzten
Ausführungshandlung noch - vom Täter wahrgenommen -
zu körperlichen Reaktionen fähig ist, die geeignet
sind, Zweifel daran aufkommen zu lassen, das Opfer sei bereits
tödlich verletzt. Ein solcher Umstand kann geeignet sein, die
Vorstellung des Täters, alles zur Erreichung des gewollten
Erfolges getan zu haben, zu erschüttern (BGH, Beschl. v. 29.
August 1995 - 4 StR 474/95).
Das angefochtene Urteil leidet an dem Rechtsfehler, daß es
diese Rechtsprechung nicht bedacht hat und deshalb der Frage, ob der
Beschwerdeführer durch das unmittelbare Nachtatgeschehen zu
der Auffassung gelangen konnte, den Zeugen H. doch nicht
tödlich verletzt zu haben, nicht nachgegangen ist, obwohl der
festgestellte Sachverhalt dazu drängte. Denn das Tatopfer,
welches die Stiche erst wesentlich später bemerkte, zeigte
keinerlei Verletzungsfolgen. Es versperrte dem
Beschwerdeführer, der weiterhin auf H. hätte
einstechen können, was die nachfolgende Verletzung des Zeugen
M. belegt, nach wie vor den Weg und ließ sich auch auf eine
körperliche Auseinandersetzung mit dem
Beschwerdeführer ein, wobei Fußtritte ausgetauscht
wurden (UA S. 17). Dieses Verhalten des Zeugen H. und die dann
nachfolgende körperliche Auseinandersetzung des
Beschwerdeführers mit H. und dem Zeugen M. führten
beim Angeklagten schließlich zu der Annahme
´daß die beiden Männer zwar nicht im
erwarteten Maße beeinträchtigt waren´,
weshalb er sich zur Flucht wandte (UA S. 17). Diese Feststellungen
lassen es als nahe liegend, jedenfalls aber als möglich
erscheinen, daß der Beschwerdeführer infolge des
Verhaltens des Zeugen H. nach dem Setzen der drei Stiche nicht mehr
davon ausging, diesen tödlich verletzt zu haben.
Da der Beschwerdeführer in der Hauptverhandlung den Einsatz
des Messers geleugnet hat (UA S. 21, 22), ist nicht zu erwarten,
daß eine erneute Hauptverhandlung zu Erkenntnissen
bezüglich seines Vorstellungsbildes über die Folgen
der Messerstiche führen wird. Deshalb kann der Senat in
entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1 StPO sowie des
Zweifelsgrundsatzes in der Sache selbst entscheiden und den
Schuldspruch insoweit von versuchtem Totschlag in gefährliche
Körperverletzung abändern. § 265 StPO steht
nicht entgegen, da sich der Beschwerdeführer ersichtlich nicht
anders verteidigen würde und könnte, als bisher.
Nicht auszuschließen ist aber, daß die Rechtsfolge
für den Beschwerdeführer günstiger
ausgefallen wäre, wenn der Tatrichter von einem
Rücktritt vom unbeendeten Versuch ausgegangen wäre.
Die Einzelstrafe von fünf Jahren Freiheitsstrafe kann deshalb
keinen Bestand haben. Ebenso verhält es sich mit der
Gesamtfreiheitsstrafe."
Dem schließt sich der Senat an. Die für die
gefährliche Körperverletzung zum Nachteil des Zeugen
M. verhängte Einzelstrafe von acht Monaten wird hier von der
Teilaufhebung nicht berührt.
Der neue Tatrichter wird allerdings die Voraussetzungen des §
64 Abs. 1 und 2 StGB einer erneuten Überprüfung zu
unterziehen haben. Einer Anordnung der Unterbringung in einer
Entziehungsanstalt würde nicht entgegenstehen, daß
nur der Angeklagte Revision eingelegt hat (§ 358 Abs. 2 Satz 2
StPO; seit BGHSt 37, 5 f. st. Rspr.). Er hat die Nichtanwendung des
§ 64 StGB auch nicht von seinem Rechtsmittelangriff
ausgenommen (vgl. BGHSt 38, 362 ff.).
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