BGH,
Beschl. v. 7.11.2002 - 3 StR 216/02
3 StR 216/02
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
vom
7. November 2002
in der Strafsache gegen
wegen Totschlags
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofes hat nach Anhörung
des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf
dessen Antrag - am 7. November 2002 gemäß §
349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Oldenburg vom 25. Januar 2002 mit Ausnahme der Feststellungen zum
äußeren Sachverhalt aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer
Freiheitsstrafe von neun Jahren und sechs Monaten verurteilt. Nach den
Feststellungen hat der insbesondere nach erheblichem
Alkoholgenuß zu Aggressionen neigende Angeklagte in der Nacht
zum 31. Dezember 2000 mit seinem Bekannten N. eine ausgedehnte Zechtour
unternommen, diesen gegen 3.40 Uhr mit Fausthieben niedergeschlagen und
so heftig auf ihn eingetreten, daß er schwere Verletzungen
erlitt und infolge einer massiven Bluteinatmung in die Lunge verstarb.
Die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts
gestützte Revision führt auf die Sachrüge
zur Aufhebung des Urteils mit Ausnahme der Feststellungen zum
äußeren Sachverhalt.
I. Die Verfahrensrügen haben aus den vom Generalbundesanwalt
in seiner Antragsschrift vom 7. Oktober 2002 genannten Gründen
keinen Erfolg.
Ergänzend bemerkt der Senat:
1. Die Rüge der Verletzung des § 168 c Abs. 5 Satz 1
StPO ist bereits unzulässig erhoben. Die
Revisionsbegründung wird darauf gestützt,
daß der Ermittlungsrichter keinen Aktenvermerk über
das Unterbleiben einer Benachrichtigung des Beschuldigten gefertigt
habe. Dabei wird verschwiegen, daß der Richter vor der
Vernehmung einen begründeten Beschluß über
den Ausschluß des Beschuldigten von der Vernehmung
gefaßt hatte (SA Bd. IV, Bl. 13).
2. Der Senat teilt auch die Auffassung des Generalbundesanwalts,
daß die in den Befangenheitsgesuchen vom 17. Dezember 2001
vorgebrachten Gründe nicht geeignet sind, die Besorgnis der
Befangenheit zu begründen. Dabei dürfen die
Formulierungen des Gerichts nicht losgelöst von dem besonderen
prozessualen Hintergrund gesehen werden. Dieser ist dadurch
gekennzeichnet, daß der Angeklagte die Täterschaft
kurz nach der Tat gegenüber seiner Ehefrau und nach seiner
Verhaftung im Beisein seines damaligen Verteidigers auch
gegenüber dem Haftrichter unter Angabe näherer
Einzelheiten eingeräumt hatte. Das Geständnis, das er
auch in einer späteren polizeilichen Vernehmung wiederholte
und das durch weitere Beweismittel bestätigt worden ist, wurde
- nach einem Verteidigerwechsel - erst kurz vor der Hauptverhandlung
mit einer Begründung widerrufen, die das Landgericht zu Recht
als nicht überzeugend bewerten durfte. Vielmehr
drängte sich bei dieser Sachlage ein Zusammenhang mit dem
Versuch des nunmehrigen Verteidigers auf, zu Beginn der
Hauptverhandlung eine "Verständigung" über eine
Strafobergrenze nach seinen Vorstellungen herbeizuführen, nach
dessen Scheitern er die Stellung zahlreicher Beweisanträge
("100 Beweisanträge"!) ankündigte.
3. Die Begründungen, mit denen die Strafkammer die im
Revisionsverfahren vorgetragenen Beweisanträge abgelehnt hat,
sind nicht frei von Rechtsfehlern. Der Senat kann jedoch
ausschließen, daß die Überzeugung der
Strafkammer von der Täterschaft des Angeklagten auf der
fehlerhaften Behandlung dieser Beweisanträge beruht. Im
einzelnen weist der Senat auf folgendes hin:
a) Es erscheint regelmäßig nicht sachgerecht, die
Ablehnung eines Beweisantrags vorsorglich auf mehrere
Ablehnungsgründe zu stützen. Dieses Verfahren
verstößt gegen § 244 Abs. 3 StPO, wenn die
Ablehnungsgründe nicht ausreichend dargelegt sind oder sich -
wie hier des öfteren - gegenseitig ausschließen (z.
B. die Beweisbehauptung sei erstens ins Blaue hinein erfolgt, zweitens
werde die unter Beweis gestellte Tatsache als wahr unterstellt und
drittens werde aus dieser Tatsache nicht der vom Antragsteller
gewünschte Schluß gezogen, da dies nicht zwingend
sei). Diese Handhabung läßt zudem besorgen,
daß sich der Tatrichter durch die Nennung zahlreicher
Ablehnungsgründe die sorgfältige Prüfung
eines Beweisantrags an Hand des gesetzlichen Katalogs nach §
244 Abs. 3 StPO und der dazu entwickelten Kriterien (vgl. die
übersichtliche Darstellung bei Julius in HK 2. Aufl.
§ 244 Rdn. 23 ff.) in der Hoffnung ersparen wollte, das
Revisionsgericht werde sich einen passenden Grund heraussuchen.
b) Die Ablehnung eines Beweisantrags als "ins Blaue hinein" oder auf
das "Geratewohl" gestellt wird nur ausnahmsweise in Betracht kommen und
erfordert einen hohen argumentativen Aufwand des Tatrichters, der nicht
durch die bloße Behauptung, er sei davon überzeugt,
daß die Beweisbehauptung aus der Luft gegriffen worden sei,
ersetzt werden kann (vgl. im einzelnen Herdegen in KK 4. Aufl.
§ 244 Rdn. 44). Diesen Anforderungen werden die
Ablehnungsbeschlüsse des Landgerichts nicht gerecht.
c) Nach der ausdrücklichen gesetzlichen Regelung des
§ 244 Abs. 3 StPO kann eine Beweistatsache nur dann als wahr
unterstellt werden, wenn sie erheblich ist, d. h. für die
Entscheidungsfindung Bedeutung erlangen kann. Damit ist es nicht
vereinbar, daß die Strafkammer in mehreren Fällen
Beweistatsachen einerseits als wahr unterstellt und andererseits
ausgeführt hat, sie seien bedeutungslos, weil der vom
Antragsteller gewünschte Schluß nicht zwingend sei
und vom Gericht nicht gezogen werde. Vielmehr wäre es in
solchen Fällen sachgerecht gewesen, den Beweisantrag als aus
tatsächlichen Gründen bedeutungslos zu behandeln,
weil die unter Beweis gestellte Hilfstatsache (z. B. beim Beweisantrag
I. 1. der Revisionsbegründung: die unzutreffende Beschreibung
des Geldbeutels) selbst im Falle ihres Erwiesenseins im Ergebnis nichts
bringe, weil sie die Beweiswürdigung des Gerichts zu der
Aussage der Zeugin über das Eingeständnis der
Täterschaft nicht zu beeinflussen vermöge (vgl.
Herdegen aaO Rdn. 74).
II. Dagegen führt die Sachrüge zur Aufhebung des
Schuldspruchs wegen Totschlags, weil der Tötungsvorsatz
unzureichend festgestellt ist. Das Landgericht hat das Vorliegen eines
zumindest bedingten Tötungsvorsatzes aus den massiven
Gewalteinwirkungen (mehrfache, erhebliche stumpfe Gewalt insbesondere
durch Fußtritte auf Gesicht, Hals und den sonstigen
Körper) gefolgert und ergänzend ausgeführt,
daß für einen Tötungsvorsatz auch das
Nachtatverhalten spreche, bei dem der Angeklagte das Opfer halb
entkleidete und bei Temperaturen um den Gefrierpunkt zwischen der
Bordsteinkante und einem geparkten Auto ablegte, so daß "auch
in jedem Fall ein Erfrieren als mögliche Todesursache in
Betracht gekommen wäre" (UA S. 32).
1. Zwar ist in der Rechtsprechung anerkannt, daß bei
äußerst gefährlichen Gewalthandlungen der
Schluß auf einen zumindest bedingten Tötungsvorsatz
nahe liegt, doch ist dieser nur dann rechtsfehlerfrei, wenn der
Tatrichter alle nach Sachlage in Betracht kommenden
Tatumstände in seine Erwägungen einbezogen hat, die
dieses Ergebnis in Frage stellen können (vgl. BGHR StGB
§ 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 50 m. w. N.). Hier fehlt es an
einer Auseinandersetzung mit der erheblichen Alkoholisierung; ihrer
hätte es um so mehr bedurft, als für das Vorgehen des
Angeklagten gegen seinen Zechkumpanen ein Motiv nicht festgestellt
werden konnte. Nach den Feststellungen hatte der Angeklagte in dieser
Nacht eine erhebliche, im einzelnen nicht mehr feststellbare Menge
Alkohol zu sich genommen; der beim Opfer festgestellte Blutalkoholwert
von 3,57 % sprach dafür, daß auch der mit ihm
zechende Angeklagte viel getrunken hatte (UA S. 33). Der
Sachverständige hat daher eine erheblich verminderte
Schuldfähigkeit nach § 21 StGB aufgrund einer
Alkoholintoxikation angenommen. Bei dieser Sachlage versteht es sich
nicht von selbst, daß der "in Wut geratene" (UA S. 13), eine
disoziale Persönlichkeitsstruktur aufweisende Angeklagte trotz
seiner erheblichen Alkoholisierung erkannt hatte, daß seine
Gewalthandlungen zum Tod des Begleiters führen
könnten, und diese Folge auch billigend in Kauf genommen hatte
(vgl. BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 26). Wenn ein
Täter durch Alkohol oder andere Rauschmittel in seiner
Wahrnehmungsfähigkeit beeinträchtigt war, obliegen
dem Tatgericht besondere Begründungsanforderungen, wenn es das
Wissenselement des bedingten Vorsatzes aus der objektiven
Gefährlichkeit seiner Handlung herleiten will (vgl. Schroth
NStZ 1990, 324, 325 m. w. N.).
2. Rechtlich bedenklich ist weiter die zusätzliche
Erwägung der Strafkammer, das Ablegen des nur halb bekleideten
Opfers bei tiefen Temperaturen spreche für einen
Tötungsvorsatz, da auch ein Erfrieren als Todesursache in
Betracht komme. Dabei fehlt es an der Feststellung der Vorstellungen
des Angeklagten zu diesem Zeitpunkt. Denn nur wenn der Angeklagte das
Opfer noch nicht für tot gehalten und weiterhin erkannt hatte,
daß durch das teilweise Entkleiden und Ablegen bei tiefen
Temperaturen der Todeseintritt infolge Erfrieren eintreten
könne, wäre ein solcher Schluß
gerechtfertigt. Hatte der Angeklagte seinen Begleiter aber bereits
für tot gehalten, gäbe sein späteres
Verhalten für die Begründung eines
Tötungsvorsatzes nichts her.
III. Da die Feststellungen zum äußeren
Geschehensablauf, insbesondere zur Täterschaft und dem Fehlen
einer Notwehrlage, von diesem Rechtsfehler nicht betroffen sind,
können sie aufrechterhalten werden. Im übrigen gibt
das angefochtene Urteil Anlaß zu folgenden Hinweisen:
1. Nach § 267 Abs. 3 Satz 1 StPO sind die Umstände,
die für die Strafzumessung von Bedeutung sind,
anzuführen. Dazu gehören die persönlichen
Verhältnisse des Angeklagten, die das Gericht festzustellen
hat. Die Feststellung kann jedoch nicht dadurch ersetzt werden,
daß lediglich Angaben des Angeklagten gegenüber dem
Sachverständigen in indirekter Rede - noch dazu
unnötig ausführlich - mitgeteilt werden, ohne
daß das Gericht zu erkennen gibt, inwieweit es den Inhalt als
festgestellt erachtet oder nicht. Ein Urteil soll nicht den Gang von
Ermittlungen dokumentieren, sondern das Ergebnis der Beweisaufnahme in
dem Umfang mitteilen, der nach Sachlage geboten ist. Bei der
Darstellung der persönlichen Verhältnisse
genügt dabei regelmäßig ein relativ kurz
zusammengefaßter Lebenslauf.
2. Die Beweiswürdigung des Urteils ist nur mit Mühe
nachzuvollziehen. Eine zusammenhängende Darstellung der
Einlassung des Angeklagten in der Hauptverhandlung und im
Ermittlungsverfahren fehlt. Das Beweisergebnis wird im wesentlich so
dargestellt, daß zunächst die Aussage der Zeugin W.
wiedergegeben und sodann im Rahmen der Überprüfung
dieser Aussage das übrige Beweisergebnis in
unübersichtlicher Weise und kaum gegliedert eingeflochten
wird. Die Einlassung des Angeklagten im Ermittlungsverfahren
muß der Leser stückweise zusammensuchen. Sollte
dieser Vorgehensweise die Vorstellung zugrundegelegen haben, nach dem
Widerruf des Geständnisses sei die Ehefrau des Angeklagten die
"einzige Belastungszeugin", wie dies auch in der
Revisionsbegründung anklingt (S. 5), ist darauf hinzuweisen,
daß ein Geständnis nach der deutschen
Strafprozeßordnung durch einen Widerruf nicht beseitigt wird,
sondern nach § 261 StPO der Beweiswürdigung in vollem
Umfang zugrunde gelegt werden kann. Der Tatrichter hat lediglich - wie
auch bei einem nicht widerrufenen Geständnis - dessen
Richtigkeit zu überprüfen und dabei
zusätzlich die Umstände und Gründe des
Widerrufs einzubeziehen. Daher hätte es nahe gelegen, auch
hier - wie allgemein üblich - mit der Einlassung des
Angeklagten zu beginnen und sich sodann mit der Frage zu befassen,
inwieweit das Geständnis überzeugend ist,
insbesondere ob es durch weitere Beweismittel (hier etwa die vom
Landgericht nur beiläufig erwähnten Blutspuren des
Tatopfers an der Hose des Angeklagten) bestätigt oder in Frage
gestellt wird. Auf diese Weise hätte sich die
Beweiswürdigung verständlicher und wesentlich
kürzer darstellen lassen.
3. Bei der rechtlichen Würdigung ist in sachlogischer
Reihenfolge vorzugehen. Dem wird das Urteil nicht gerecht, das
zunächst das Vorliegen von Mordmerkmalen erörtert und
verneint, sich sodann der Möglichkeit einer Rechtfertigung
durch Notwehr zuwendet, um erst daran anschließend den
Tötungsvorsatz zu prüfen (und in diesem Zusammenhang
die - allerdings rechtsfehlerhafte - Beweiswürdigung zur
subjektiven Tatseite nachzuholen).
4. Für die strafschärfende Berücksichtigung
einer besonders hohen kriminellen Energie durch das Ablegen des
teilweise entkleideten Opfers bei tiefen Temperaturen gelten die oben
unter II. 2. genannten Bedenken entsprechend.
Tolksdorf Winkler Pfister von Lienen Hubert
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