BGH,
Beschl. v. 8.4.2003 - 3 StR 79/03
3 StR 79/03
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
vom
8. April 2003
in dem Sicherungsverfahren
gegen
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofes hat nach Anhörung
des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 8. April
2003 gemäß § 349 Abs. 4 StPO einstimmig
beschlossen:
1. Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts
Itzehoe vom 12. Dezember 2002 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer
des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat im Sicherungsverfahren die Unterbringung des
Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus wegen eines im
Zustand der Schuldunfähigkeit begangenen schweren sexuellen
Mißbrauchs eines Kindes in Tateinheit mit Vergewaltigung
(§ 177 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1, § 176 Abs. 1,
§ 176 a Abs. 1 Nr. 1, § 52, § 20 StGB)
angeordnet. Die mit der Sachrüge begründete Revision
des Beschuldigten hat Erfolg.
1. Nach den Feststellungen übte der Beschuldigte an einem
neunjährigen Jungen, den er in einer Parkanlage angetroffen,
gepackt und in ein Gebüsch getragen hatte, den Oral- und
Analverkehr aus.
Das Landgericht hält die Voraussetzungen des § 63
StGB für erfüllt, da die Tat im Zustand der
Schuldunfähigkeit begangen worden und krankheitsbedingt mit
erneutem impulshaftem Verhalten des Beschuldigten zu rechnen sei.
Es hat - sachverständig beraten - eine krankhafte seelische
Störung in Form einer paranoid-halluzinatorischen Psychose
bejaht, aufgrund derer die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit
des Beschuldigten zur Tatzeit vollständig aufgehoben gewesen
sei. Krankheitssymptome bestünden wahrscheinlich seit mehreren
Jahren und hätten zum Tatzeitpunkt sicher vorgelegen. Der
Beschuldigte sei in so hohem Maß von wahnhaftem Erleben
beeinträchtigt und bestimmt, daß er zu
abwägenden Überlegungen nicht in der Lage sei.
2. Der Maßregelausspruch hält rechtlicher
Prüfung nicht stand. Die Feststellungen sind nicht geeignet,
die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus
gemäß § 63 StGB zu tragen.
Diese setzt neben der positiven Feststellung einer auf einem
länger andauernden, nicht nur vorübergehenden
geistigen Defekt beruhenden Schuldunfähigkeit (§ 20
StGB) oder erheblichen Verminderung der Schuldfähigkeit
(§ 21 StGB) voraus, daß die unterzubringende Person
eine rechtswidrige Tat begangen hat, die auf den die Annahme der
§§ 20, 21 StGB rechtfertigenden dauerhaften Defekt
zurückzuführen ist, d. h. mit diesem in einem
ursächlichen und symptomatischen Zusammenhang steht.
Schließlich muß die Gesamtwürdigung von
Tat und Täter ergeben, daß - aufgrund des zur
Schuldunfähigkeit oder erheblich verminderten
Schuldfähigkeit führenden Zustandes - eine
über die bloße Möglichkeit hinausgehende
Wahrscheinlichkeit weiterer erheblicher rechtswidriger Taten besteht
(st. Rspr., z. B. BGHSt 34, 22, 27; BGHR StGB § 63
Gefährlichkeit 4 und Zustand 34; BGH, Beschl. vom 13. November
2002
- 4 StR 438/02).
a) Ausgehend davon sind die Voraussetzungen der Unterbringung des
Beschuldigten gemäß § 63 StGB im Urteil
bereits deswegen nicht rechtsfehlerfrei dargetan, weil das Landgericht,
das sich ohne weitere eigene Erwägungen den
Ausführungen des Sachverständigen angeschlossen hat,
im Urteil die wesentlichen Anknüpfungstatsachen und
Darlegungen des Sachverständigen bei der Beurteilung der
Schuldfähigkeit des Beschuldigten nicht so wiedergegeben hat,
wie dies zum Verständnis des Gutachtens und zur Beurteilung
seiner Schlüssigkeit erforderlich ist (vgl. BGHSt 34, 29, 31;
BGH NStZ-RR 1996, 258). Darüber hinaus hat es nicht
ausreichend dargelegt, wie sich die Folgen der beim Beschuldigten
vorliegenden Psychose auf seine Einsichts- und
Steuerungsfähigkeit auswirken (vgl. BGHR StGB § 63
Zustand 21). Insbesondere fehlen Feststellungen zur Tatmotivation, so
daß sich der Zusammenhang zwischen der beim Beschuldigten
vorliegenden psychischen Störung, der Anlaßtat und
der vom Landgericht angenommenen Gefahr erheblicher rechtswidriger
Taten in der Zukunft nicht erschließt. Die
Urteilsgründe führen insoweit nur aus, daß
der Beschuldigte sich "von einer höheren Macht verfolgt und
beeinträchtigt" glaube, wobei er auch "Stimmen" höre,
sowie daß - nicht näher beschriebene -
"Krankheitssymptome sicher vorgelegen" hätten. Daraus kann der
Senat im Rahmen der ihm obliegenden rechtlichen
Überprüfung des Urteils nicht entnehmen, ob und
inwieweit die Tat Folge der Psychose des Beschuldigten war und auf
welche die Schuldfähigkeit ausschließende Art und
Weise sich die psychotische Störung auf den
Tatentschluß und die Tatausführung ausgewirkt haben
kann.
b) Auch die spärlichen Ausführungen des Landgerichts
zur Gefährlichkeitsprognose begegnen durchgreifenden
rechtlichen Bedenken. Konkrete Anhaltspunkte, die die Erwartung
künftiger Straftaten begründet erscheinen
ließen, hat das Landgericht nicht mitgeteilt. Allein durch
den nicht näher begründeten Hinweis darauf,
daß beim Beschuldigten mit erneutem impulshaftem Verhalten zu
rechnen sei, ist eine Wiederholungsgefahr i. S. v. § 63 StGB -
für die eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades und
nicht nur die bloße Möglichkeit erneuter
Rechtsbrüche bestehen muß (vgl. BGHR StGB §
63 Gefährlichkeit 16, 19) - nicht hinreichend dargetan. Das
gilt um so mehr, als der knapp 40jährige Beschuldigte nach den
Feststellungen langjährig berufstätig war, nicht
vorbestraft ist und auch sonst nicht auffällig geworden ist.
Zwar kann auch schon eine erste Straftat belegen, daß der
Täter für die Allgemeinheit gefährlich ist.
Ob dies der Fall ist, muß jedoch aufgrund einer umfassenden
Würdigung der Person des Täters, seines Vorlebens und
der Symptomtat geprüft werden (vgl. dazu BGH NStZ-RR 2000,
299). Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht;
es verhält sich auch nicht zu der Frage, Straftaten welcher
Art das Landgericht für künftig wahrscheinlich
erachtet.
Insgesamt läßt das Urteil die für die
einschneidende Maßregel nach § 63 StGB gebotene
Gründlichkeit weitgehend vermissen. Die Sache bedarf daher
umfassenderer neuer tatrichterlicher Prüfung. Der neue
Tatrichter wird auch Gelegenheit haben zu beachten, daß die
Anordnung nach § 63 StGB eine eindeutige Bewertung des
Zustandes des Täters voraussetzt. Hierfür
muß geklärt werden, ob er (noch) die
Fähigkeit besitzt, das Unrecht seines Tuns zu erkennen und er
lediglich nicht in der Lage ist, danach zu handeln, oder ob ihm bereits
die Fähigkeit zur Einsicht in das Unerlaubte seiner Tat fehlt.
Die Anwendung des § 20 StGB kann nicht auf beide Alternativen
zugleich gestützt werden (BGHR StGB § 63
Schuldunfähigkeit 1; vgl. auch Tröndle/Fischer, StGB
51. Aufl. § 63 Rdn. 11 a).
Tolksdorf Pfister von Lienen Becker Richter am Bundesgerichtshof
Hubert ist im Urlaub und an der Unterzeichnung gehindert.
Tolksdorf |