BGH,
Beschl. v. 8.4.2003 - 3 StR 92/03
3 StR 92/03
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
vom
8. April 2003
in der Strafsache gegen
wegen Betrugs
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofes hat nach Anhörung
des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf
dessen Antrag - am 8. April 2003 gemäß §
349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Osnabrück vom 16. Dezember 2002 mit den zugehörigen
Feststellungen aufgehoben
a) im Fall II. 9. der Urteilsgründe,
b) in den die Fälle II. 2. bis 7. der Urteilsgründe
betreffenden Aussprüchen über die Einzelstrafen sowie
c) im Ausspruch über die Gesamtstrafe.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen "Betrugs in neun
Fällen, von denen es in einem Fall beim Versuch blieb", zur
Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt, deren Vollstreckung es
zur Bewährung ausgesetzt hat. Hiergegen wendet sich die
Revision des Angeklagten mit einer formellen Beanstandung und der
allgemeinen Sachrüge. Das Rechtsmittel hat in dem aus der
Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im übrigen
ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
1. Im Fall II. 9. der Urteilsgründe wurde der Angeklagte nach
den Feststellungen wegen versuchten Betrugs verurteilt, weil er seinen
Bekannten
J. um die Gewährung eines Darlehens in Höhe von
25.000 DM gebeten habe, obwohl er wußte, daß er es
wegen seiner anderweitigen Verbindlichkeiten nicht würde
zurückzahlen können. Zur Sicherung des Kredits habe
er die Sicherungsübereignung eines Pkw versprochen, obwohl
dieser bereits der Bank übereignet war, die den Kauf des
Wagens finanziert hatte. Zur Darlehensgewährung sei es nicht
gekommen, weil J. hierzu nicht bereit gewesen sei. Diese Feststellungen
hat das Landgericht allein auf die Aussage des Zeugen T.
gestützt, der wegen zahlreicher Pfändungen der
Dienstbezüge des Angeklagten - eines in den vorzeitigen
Ruhestand versetzten Polizeibeamten - disziplinarrechtliche
Vorermittlungen geführt und dabei auch den Zeugen J. vernommen
hatte. Der im übrigen geständige Angeklagte hat
diesen Tatvorwurf bestritten.
Der Angeklagte beanstandet, das Landgericht habe es unter
Verstoß gegen seine Aufklärungspflicht (§
244 Abs. 2 StPO) unterlassen, den Zeugen J. zu vernehmen. Dieser
hätte die Einlassung des Angeklagten, er habe den Zeugen nicht
um Geld gebeten, bestätigt.
Die zulässig erhobene Aufklärungsrüge
(§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO) ist begründet. Unter den
gegebenen Umständen hätte sich das Landgericht
gedrängt sehen müssen, den unmittelbaren Tatzeugen zu
vernehmen und sich mit der Aussage des Ermittlungsführers T. ,
der Zeuge vom Hörensagen war, nicht bescheiden
dürfen. Zwar war es nicht von vornherein unzulässig,
den im Disziplinarverfahren ermittelnden Polizeibeamten
darüber zu vernehmen, was der Zeuge J. in seiner Vernehmung
ausgesagt hat (vgl. BGHSt 6, 209, 210). Die Vernehmung eines
sachferneren anstelle des sachnäheren Zeugen widerspricht
insbesondere nicht dem Grundsatz der Unmittelbarkeit (§ 250
StPO), vielmehr ist es eine Frage der dem Gericht obliegenden
Aufklärungspflicht und der Beweiswürdigung, ob es
sich mit dem sachferneren Zeugen begnügen darf (BGHR StPO
§ 250 Satz 1 Unmittelbarkeit 1). Ein Gericht kommt aber seiner
Pflicht zur umfassenden Sachaufklärung
regelmäßig nicht ausreichend nach, wenn es zum
Nachweis einer vom Angeklagten bestrittenen Tat ein
sachnäheres Beweismittel nicht heranzieht, obwohl es
erreichbar ist. Nur dann, wenn ein Zeuge für seine
unmittelbare Vernehmung nicht zur Verfügung steht, ist es
unter dem Gesichtspunkt der Amtsaufklärungspflicht
unbedenklich, allein das sachfernere Beweismittel zu benutzen (BGHSt
32, 115, 123).
Daß die Vernehmung des in der Anklageschrift benannten,
unmittelbaren Zeugen J. in der Hauptverhandlung nicht möglich
gewesen wäre, ergibt das angefochtene Urteil nicht.
Hierfür sind auch sonst Anhaltspunkte nicht ersichtlich. Die
vom Landgericht im Rahmen der Beweiswürdigung angestellten
Erwägungen, seine Vernehmung sei deshalb entbehrlich, weil der
Zeuge T. , der die Vorermittlungen außerordentlich
sorgfältig geführt habe, wegen seines
Aussageverhaltens sowie der detaillierten Beschreibung der
Verhandlungen des Angeklagten mit J. glaubwürdig sei und der
angelastete Betrugsversuch sich zeitlich sowie auch wegen der
zugespitzten finanziellen Situation des Angeklagten in den
"Gesamtrahmen" einfüge, rechtfertigen den Verzicht auf das
sachnähere Beweismittel nicht. Vielmehr wäre das
Landgericht unter den gegebenen Umständen, insbesondere weil
der Angeklagte alle anderen abgeurteilten Betrugstaten eingestanden,
allein diesen ihm zur Last liegenden Betrugsversuch jedoch bestritten
hat sowie wegen der Bedeutung dieses Einzelfalles für die
Höhe der auszusprechenden Gesamtstrafe und damit für
seine Versorgungsbezüge (§ 43 Abs. 1 Nr. 1 NBG i. V.
m. § 59 Abs. 1 Nr. 1 BeamtVG), verpflichtet gewesen, sich
durch die persönliche Vernehmung des Zeugen J. aufgrund
eigener Wahrnehmung von dessen Glaubwürdigkeit sowie vom
Wahrheitsgehalt seiner Aussagen zu überzeugen und hierdurch
den Sachverhalt von Amts wegen weiter zu erforschen (vgl. Herdegen in
KK 4. Aufl. § 244 Rdn. 25 m. w. N.).
Auf der versäumten Beweiserhebung beruht das Urteil insoweit.
Der Senat kann nicht ausschließen, daß das
Landgericht bei Bestätigung der Einlassung des Angeklagten
durch den Zeugen J. im Fall II. 9. anders als geschehen entschieden
hätte, so daß das Urteil insoweit keinen Bestand
haben kann.
2. Der die Fälle II. 2. bis 7. betreffende Ausspruch jeweils
kurzfristiger Freiheitsstrafen (fünfmal vier Monate, einmal
drei Monate) hält sachlich-rechtlicher
Überprüfung nicht Stand. Das Landgericht hat
für die - allerdings maßvollen - Einzelstrafen nicht
belegt, daß besondere Umstände die
Verhängung von Freiheitsstrafen unter sechs Monaten
unerläßlich machen (§ 47 Abs. 1 StGB). Zwar
führt die Strafkammer aus, daß "es zur Einwirkung
auf den Angeklagten und auch zur Verteidigung der Rechtsordnung
unerläßlich (war), auf eine kurze Freiheitsstrafe
jedenfalls in den Fällen zu erkennen, in denen die
schadensgleiche Vermögensgefährdung mehrere Tausend
DM überstieg" (UA S. 25). Dies ist aber im wesentlichen nur
eine formelhafte, inhaltsleere Wiederholung des Gesetzestextes und hebt
im übrigen ersichtlich einseitig auf die Schadenshöhe
der Betrugstaten ab, was auch im Vergleich mit Fall II. 8., in dem der
Angeklagte den angerichteten Schaden in Höhe von 1.000 DM
wiedergutgemacht hat, dadurch zum Ausdruck kommt, daß die
Strafkammer hier eine Geldstrafe (45 Tagessätze) festgesetzt
hat.
Danach ist zu besorgen, daß das Landgericht bei der
Beurteilung, ob besondere Umstände im Sinne von § 47
Abs. 1 StGB vorgelegen haben, von einem unzutreffenden rechtlichen
Maßstab ausgegangen ist. Die Verhängung einer
Freiheitsstrafe unter sechs Monaten hat nämlich
regelmäßig nur dann Bestand, wenn sie sich aufgrund
einer Gesamtwürdigung aller, nicht nur die Tat, sondern auch
den Täter kennzeichnenden Umstände als unverzichtbar
erweist (vgl. BGHR StGB § 47 Abs. 1 Umstände 6 m. w.
N.). Die vom Landgericht unterlassene Auseinandersetzung mit der Person
des Angeklagten wäre hier um so mehr geboten gewesen, als nach
den Feststellungen des Landgerichts der Angeklagte seine
früheren Lebensverhältnisse völlig
verändert hat, bereits seit Ende 1997 - also nach der ihm als
Betrugsversuch zur Last liegenden letzten Tat - von seiner Ehefrau,
deren Anspruchshaltung und Trennungsdrohungen wesentliche
Gründe für seine Betrugstaten waren, getrennt lebte,
seither keine Straftaten mehr begangen hat und inzwischen geschieden
ist. Die weitere Begründung des Landgerichts, für die
Verhängung der kurzen Freiheitsstrafen spreche "auch die
festgestellte Straftatenserie einschließlich der Tatsache,
daß sich der Angeklagte nicht davon abhalten ließ,
im gleichen Muster weiter Straftaten zu begehen und insbesondere auch
die genannten, angesichts seiner Finanzlage
überflüssigen teueren Anschaffungen zu
tätigen" (UA S. 25), ist alleine nicht tragfähig.
Vielmehr hätte es angesichts der verhängten
Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr, die die unterste Grenze einer zum
Verlust der Rechte des Angeklagten als Ruhestandsbeamter
führenden Bestrafung darstellt, einer umfassenden und
lückenlosen Gesamtwürdigung aller im Zusammenhang mit
der Unverzichtbarkeit kurzer Freiheitsstrafen stehenden
maßgeblichen Umstände bedurft (vgl.
Tröndle/Fischer, StGB 51. Aufl. § 47 Rdn. 6).
Dieser sachlich-rechtliche Fehler hat die Aufhebung der betroffenen
Einzelstrafen und damit auch der Gesamtfreiheitsstrafe zur Folge.
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