BGH,
Beschl. v. 8.4.2010 - 2 StR 17/10
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
2 StR 17/10
vom
8. April 2010
BGHSt: ja
BGHR: ja
Veröffentlichung: ja
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StGB § 250 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. b
Die qualifizierende Wirkung einer konkreten Lebensgefährdung
des Raubopfers nach Vollendung der Tat oder Scheitern ihres Versuchs
ist ausgeschlossen, wenn die die Lebensgefahr verursachende Handlung
nicht mit der Motivation der Beutesicherung vorgenommen wird (im
Anschluss an BGHSt 53, 234).
BGH, Beschl. vom 8. April 2010 - 2 StR 17/10 - LG Aachen
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Mordes u. a.
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Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des
Generalbundesanwalts und nach Anhörung des
Beschwerdeführers am 8. April 2010 gemäß
§ 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Aachen
a) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte des
versuchten Mordes in Tateinheit mit versuchter besonders schwerer
räuberischen Erpressung und mit gefährlicher
Körperverletzung schuldig ist;
b) im Strafausspruch und soweit eine Maßregel
gemäß § 64 StGB nicht angeordnet worden ist
mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in
Tateinheit mit versuchter schwerer räuberischer Erpressung
(gemäß §§ 253 Abs. 1, 3, 255, 249,
250 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 3 b StGB) und mit gefährlicher
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perverletzung (gemäß §§ 223 Abs.
1, 224 Abs. 1 Nr. 2, Nr. 5 StGB) zu einer Freiheitsstrafe von elf
Jahren verurteilt. Seine Revision hat nur in dem in der Beschlussformel
ausgeführten Umfang Erfolg; im Übrigen ist sie
unbegründet.
1. Die Verfahrensrügen sind aus den vom Generalbundesanwalt
zutreffend dargelegten Gründen unbegründet, soweit
sie zulässig erhoben sind.
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2. Auf die Sachrüge war der Schuldspruch zu ändern.
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a) Nach den Feststellungen des Landgerichts verbarg sich der
Angeklagte, um sich Geld für Drogen zu beschaffen, kurz vor
Ladenschluss in den Räumen eines Einkaufsmarktes. Er brachte
unter Einsatz einer scharf geladenen Pistole die Ehefrau des
Marktführers in seine Gewalt und ging zusammen mit diesem
Tatopfer in das Büro des Geschäfts, wo der
Marktleiter die Abrechnung erstellte. Er bedrohte auch ihn mit der
Pistole und forderte ihn unter Drohung mit dem Tod auf, die
Tageseinnahmen herauszugeben. Der Geschädigte sprang jedoch
wider Erwarten auf und griff den Angeklagten an. Dieser schoss zweimal
auf den Geschädigten, wobei er dessen Tod billigend in Kauf
nahm. Zu diesem Zeitpunkt "ging (es) dem Angeklagten nicht mehr darum,
noch Beute zu machen, sondern darum, unentdeckt aus dieser Lage noch zu
entkommen" (UA S. 10).
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Der Geschädigte erlitt eine konkret lebensgefährliche
Durchschussverletzung, die Lunge und Zwerchfell durchdrang und Milz und
Bauchspeicheldrüse verletzte. Gleichwohl gelang es ihm, den
Angeklagten zu entwaffnen und bis auf die Straße zu verfolgen.
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b) Der Schuldspruch wegen versuchten Mordes zur Verdeckung einer
anderen Straftat begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Auch die
Anwendung des § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB bei der Qualifikation
der wegen des Fehlschlags
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nur versuchten räuberischen Erpressung ist rechtsfehlerfrei.
Schon deshalb war der Schuldspruch dahin zu berichtigen, dass der
Angeklagte der versuchten besonders schweren räuberischen
Erpressung schuldig ist (vgl. BGH NStZ-RR 2003, 328; BGH, Beschl. vom
3. September 2009 - 3 StR 297/09; Fischer StGB 57. Aufl. § 250
Rdn. 2 m.w.N.).
c) Soweit das Landgericht die Verurteilung auch auf § 250 Abs.
2 Nr. 3 Buchst. b StGB gestützt hat, hält dies
rechtlicher Prüfung nicht stand. Nach dieser Vorschrift ist
die Tat qualifiziert, wenn der Täter eine andere Person "durch
die Tat" in die (konkrete) Gefahr des Todes bringt. Diese Formulierung
weicht von derjenigen des Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 3 Buchst. a ("bei der
Tat") ab, entspricht aber der Formulierung des Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c.
Für die Fälle des § 250 Abs. 2 Nr. 1 sowie
des Abs. 2 Nr. 3 Buchst. a StGB hat der Bundesgerichtshof bereits
entschieden, dass die Qualifikationswirkung jeweils nur dann eintritt,
wenn die auf den Qualifikationserfolg gerichteten Handlungen des
Täters (noch) Teil "der Tat", also des auf Verwirklichung des
Raubtatbestands (§ 249 StGB) gerichteten Geschehens sind.
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Entgegen der in der Literatur vorherrschenden Ansicht hat der
Bundesgerichtshof die Qualifikationswirkung in dem Zeitraum zwischen
Vollendung des Raubs und Beendigung der Tat (§ 78 a StGB)
daher für möglich gehalten, wenn der Täter
zu diesem Zeitpunkt zwar nicht mehr mit Wegnahmevorsatz, aber mit der
Absicht der Beutesicherung handelt (vgl. BGHSt 53, 234 [zu §
250 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. a]; BGHSt 20, 194, 197 [zu § 250 Abs.
1 Nr. 1 a.F.]; BGHSt 52, 376; BGH NStZ-RR 2008, 342 [zu § 250
Abs. 2 Nr. 1 StGB]; Fischer aaO § 250 Rdn. 14, 26 m.w.N.; aA
etwa Sander in MüKo-StGB § 250 Rdn. 65; Kudlich in
Satzger/Schmitt/Widmaier StGB § 250 Rdn. 27; jew. m.w.N.; vgl.
dazu auch Nestler JR 2010, 100 ff.). Auf die Streitfrage, ob die
zeitliche Grenze für die Qualifikation schon mit der
Vollendung der Tat - entsprechend: mit Fehlschlag
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des Versuchs - anzunehmen ist, kommt es hier nicht an, wenn eine
Qualifikationswirkung nach diesem Zeitpunkt jedenfalls fortbestehende
Beutesicherungsabsicht des Täters voraussetzt. Dies ist,
soweit ersichtlich, für den Fall des § 250 Abs. 2 Nr.
3 Buchst. b StGB bisher nicht entschieden. Der Senat ist in
Übereinstimmung mit dem Generalbundesanwalt der Ansicht, dass
ein sachlicher Grund für eine von den anderen genannten
Fällen abweichende Auslegung nicht besteht. Auch die
qualifizierende Wirkung einer konkreten Lebensgefährdung
"durch die Tat" nach §§ 249, 255 StGB setzt daher
jedenfalls voraus, dass die die Lebensgefahr verursachende Handlung
(noch) vom Vorsatz der Tatbestandsverwirklichung, nach Vollendung von
Beutesicherungsabsicht getragen ist. Im Fall der
Lebensgefährdung nach Fehlschlag des Versuchs der
räuberischen Erpressung kommt die Anwendung der Qualifikation
daher nicht in Betracht, da Beutesicherungsabsicht hier ausscheidet.
Soweit Entscheidungen des Bundesgerichtshofs zu § 251 StGB
entnommen werden könnte, dass die Anwendung von § 251
StGB nach Raubvollendung auch dann nicht ausgeschlossen sein soll, wenn
der Einsatz nicht mehr der Beutesicherung, sondern (nur noch) der
"bloßen Fluchtsicherung" dient (vgl. BGHSt 38, 295, 299; die
Entscheidung spricht an anderer Stelle allerdings von "Flucht- und
Beutesicherung"), so kann hier dahinstehen, ob hieran unter
Berücksichtigung der neuen Rechtsprechung zu den
Qualifikationsfällen des § 250 StGB (sowie auch zu
§ 176 a Abs. 5 und § 177 Abs. 4 StGB) festzuhalten
wäre. Durch die Nichterörterung des § 251
StGB - in der Form des "Versuchs der Qualifikation" - ist der
Angeklagte nicht beschwert.
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d) Aufgrund des Wegfalls des Qualifikationstatbestands nach §
250 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. b StGB lebt die - vom Landgericht
übersehene - andernfalls verdrängte Strafbarkeit
gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB wieder auf,
so dass sich der Schuldspruch insoweit im Ergebnis als richtig erweist.
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3. Der Strafausspruch war aufgrund des Wegfalls der Qualifikation nach
§ 250 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. b StGB aufzuheben, denn damit
entfällt eine der beiden - vom Landgericht
ausdrücklich als strafschärfend gewerteten -
Tatvarianten des § 250 Abs. 2 StGB. Zwar hat das Landgericht
andererseits rechtsfehlerhaft die Anwendung von § 251 StGB
nicht geprüft. Der Senat kann aber, auch im Hinblick auf die
ausdrücklich strafschärfende
Berücksichtigung der Verwirklichung mehrerer Varianten des
§ 224 Abs. 1 StGB, nicht ausschließen, dass der
Tatrichter bei zutreffender rechtlicher Würdigung des
schuldhaft verwirklichten Unrechts zu einer milderen Strafe gelangt
wäre.
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4. Keinen Bestand hat das Urteil auch, soweit von der Anordnung einer
Maßregel nach § 64 StGB abgesehen wurde. Das
Landgericht hat ausgeführt, sie komme "nicht in Betracht",
weil es an der erforderlichen Kausalität zwischen dem Hang des
Angeklagten und der Tat fehle, diese also keinen Symptomcharakter habe
(UA S. 24). Damit hat der Tatrichter einen falschen rechtlichen
Maßstab angewandt. Nach den Feststellungen konsumierte der
1980 geborene Angeklagte seit seinem 19. Lebensjahr Heroin und Kokain.
Er wurde von 2002 bis 2004 und ab 2008 mit Methadon substituiert,
betrieb aber regelmäßig Beikonsum von Heroin. Am
Tattag hatte er morgens seine Tagesration Methadon konsumiert; die Tat
beging er, "um Bargeld zu erbeuten".
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Hiernach drängt sich der Symptomcharakter der Tat auf;
tatsächliche Anhaltspunkte, welche einen solchen Zusammenhang
ausschließen könnten, ergeben sich aus den
Urteilsgründen nicht. Soweit den zitierten
Ausführungen
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des Landgerichts die Annahme zugrunde liegt, nur eine ganz unmittelbar
auf Rausch- oder Entzugswirkung zurückzuführende
Tatmotivation weise einen hinreichenden Symptomcharakter auf, ist dies
mit der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht
vereinbar. Über die Maßregelanordnung ist daher neu
zu entscheiden.
Fischer Roggenbuck Appl
Franke Schmitt |