BGH,
Beschl. v. 8.12.2000 - 3 StR 442/00
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
3 StR 442/00
vom
8. Dezember 2000
in der Strafsache gegen
wegen sexuellen Mißbrauchs von Kindern u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des
Beschwerdeführers und des Generalbundesanwaltes, zu Ziffer 2.
auf dessen Antrag, am 8. Dezember 2000 gemäß
§ 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Oldenburg vom 31. Mai 2000
a) hinsichtlich der Fälle II. 1. bis 6. der
Urteilsgründe im Schuldspruch dahingehend abgeändert,
daß der Angeklagte des sexuellen Mißbrauchs eines
Kindes in fünf Fällen sowie des sexuellen
Mißbrauchs eines Kindes in zwei tateinheitlichen
Fällen schuldig ist;
b) mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben,
aa) soweit der Angeklagte in den Fällen II. 7. bis 9. der
Urteilsgründe verurteilt wurde, jedoch bleiben insoweit die
Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen bestehen;
bb) im gesamten Strafausspruch.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen
Mißbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem
Mißbrauch von Schutzbefohlenen in sechs Fällen,
wegen sexuellen Mißbrauchs eines Kindes in einem weiteren
Fall und wegen sexuellen Mißbrauchs von Jugendlichen in
Tateinheit mit sexuellem Mißbrauch von Schutzbefohlenen in
drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf
Jahren verurteilt.
Mit seiner hiergegen gerichteten Revision rügt der Angeklagte
die Verletzung materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat in dem aus der
Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg (§ 349 Abs. 4
StPO). Darüber hinaus ist es unbegründet im Sinne des
§ 349 Abs. 2 StPO.
1. a) In den Fällen II. 1. bis 6. der Urteilsgründe
hat die Verurteilung wegen sexuellen Mißbrauchs eines
Schutzbefohlenen (§ 174 Abs. 1 Nr. 1 StGB) jeweils zu
entfallen, weil insoweit Strafverfolgungsverjährung
eingetreten ist. Straftaten nach § 174 Abs. 1 StGB sind mit
Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren bedroht, so daß
ihre Verfolgung gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 4
StGB mit Ablauf einer Frist von fünf Jahren nach Tatbeendigung
(§ 78 a Satz 1 StGB) verjährt. Die Taten der
Fälle II. 1. bis 6. hat der Angeklagte nach den Feststellungen
zwischen Mai 1990 und dem Winter 1993 begangen. Die erste den Lauf der
Verjährungsfrist unterbrechende Verfahrenshandlung war die
Anordnung der Staatsanwaltschaft vom 20. April 1998 (Bd. I Bl. 20 d.
A.), den Angeklagten zu den Tatvorwürfen zu vernehmen
(§ 78 c Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB; zum Umfang der
Unterbrechungswirkung vgl. BGH NJW 2000, 2829 f.). Zu diesem Zeitpunkt
war jedoch seit Beendigung der genannten Taten ein Zeitraum von mehr
als fünf Jahren verstrichen, so daß bereits
Verfolgungsverjährung eingetreten war. Dies gilt auch
bezüglich des Falles II. 6., da im Hinblick auf die
festgestellte Tatzeit "Winter 1993" zugunsten des Angeklagten davon
auszugehen ist, daß die Tat in den Wintermonaten Januar oder
Februar und damit vor dem 20. April 1993 begangen wurde.
Da beim tateinheitlichen Zusammentreffen mehrerer Gesetzesverletzungen
jede ihrer eigenen Verjährung unterliegt (vgl. BGH NStZ 1990,
80, 81), führt dies in den Fällen II. 1. bis 6. der
Urteilsgründe, soweit sich die zugrunde liegenden Taten gegen
den damaligen Stiefsohn T. des Angeklagten richteten, zum Wegfall der
Verurteilung wegen sexuellen Mißbrauchs eines
Schutzbefohlenen.
b) Im Fall II. 5. der Urteilsgründe hat das Landgericht
darüber hinaus das Konkurrenzverhältnis zwischen der
Straftat des Angeklagten zum Nachteil seines Stiefsohnes T. einerseits
und zum Nachteil dessen Freundes E. andererseits fehlerhaft beurteilt.
Da der Angeklagte beide Kinder gleichzeitig mißbraucht hatte,
stehen die Taten zueinander im Verhältnis der Tateinheit
(§ 52 Abs. 1 StGB), nicht der Tatmehrheit (BGHR StGB
§ 176 Abs. 1 Konkurrenzen 1 und 2; BGH bei Miebach NStZ 1995,
222 Nr. 10).
Der Wegfall der Verurteilung wegen sexuellen Mißbrauchs eines
Schutzbefohlenen in den Fällen II. 1. bis 6. und die
Richtigstellung des Konkurrenzverhältnisses der Taten des
Falles II. 5. führt zu der aus der Beschlußformel
ersichtlichen Änderung des Schuldspruchs.
2. Der Schuldspruch in den Fällen II. 7. bis 9. der
Urteilsgründe kann keinen Bestand haben. Die Feststellungen
des Landgerichts belegen nicht, daß sich der Angeklagte in
diesen Fällen jeweils gemäß § 182
Abs. 2 Nr. 1 StGB strafbar gemacht hat. Ihnen läßt
sich nicht entnehmen, daß dem Tatopfer die Fähigkeit
zu sexueller Selbstbestimmung gefehlt und der Angeklagte diesen Umstand
bei Tatbegehung ausgenutzt hat. Das Landgericht befaßt sich
mit diesen Tatbestandsmerkmalen nicht. Auch dem Gesamtzusammenhang der
Urteilsgründe kann ihr Vorliegen nicht zweifelsfrei entnommen
werden.
Die Aufhebung der Verurteilungen wegen sexuellen Mißbrauchs
eines Jugendlichen führt zur Aufhebung auch der für
sich rechtlich nicht zu beanstandenden jeweiligen Verurteilung des
Angeklagten wegen tateinheitlichen sexuellen Mißbrauchs eines
Schutzbefohlenen nach § 174 Abs. 1 Nr. 1 StGB (vgl. Kuckein in
KK-StPO 4. Aufl. § 353 Rdn. 10 und 12 m.w.Nachw.). Jedoch
können die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen in allen
drei Fällen bestehen bleiben. Sie sind rechtsfehlerfrei
getroffen.
3. Die teilweise Aufhebung bzw. Änderung des Schuldspruchs hat
nicht nur den Wegfall der Gesamtstrafe und einer der im Fall II. 5.
verhängten Einzelfreiheitsstrafen von zwei Jahren zur Folge.
Auch die übrigen in den Fällen II. 1. bis 6.
verhängten Einzelstrafen haben keinen Bestand. Zwar
können auch verjährte Straftaten, wenn auch nicht mit
vollem Gewicht, bei der Strafzumessung zum Nachteil des Angeklagten
berücksichtigt werden (s. etwa BGHSt 41, 305, 309; BGHR StGB
§ 46 Abs. 2 Vorleben 20 und 24). Im vorliegenden Fall kann der
Senat jedoch mit der gebotenen Sicherheit weder ausschließen,
daß das Landgericht dennoch in den Fällen II. 1. bis
6. niedrigere Einzelstrafen festgesetzt hätte, wenn die
tateinheitliche Verurteilung nach § 174 Abs. 1 Nr. 1 StGB
unterblieben wäre, noch daß sich die Höhe
der in den Fällen II. 7. bis 9. verhängten, nunmehr
aufgehobenen Einzelfreiheitsstrafen bei der Bemessung der Einzelstrafen
der Fälle II. 1. bis 6. zum Nachteil des Angeklagten
ausgewirkt hat. Die Strafe muß daher insgesamt neu zugemessen
werden. Dabei wird die nunmehr zur Entscheidung berufene Strafkammer
auch Gelegenheit haben, sich im Hinblick auf die Vorstrafen des
Angeklagten aus den Jahren 1994 und 1998 mit § 55 StGB zu
befassen.
Kutzer Miebach Winkler von Lienen Becker |