BGH,
Beschl. v. 8.12.2009 - 5 StR 433/09
Nachschlagewerk: ja
BGHSt : ja
Veröffentlichung : ja
StGB §§ 51, 54, 55, 57a, b
Härteausgleich für während der Unterbrechung
von Untersuchungshaft vollständig vollstreckte
Ersatzfreiheitsstrafe bei infolgedessen unterbliebener
Gesamtstrafenbildung mit lebenslanger Freiheitsstrafe durch Anrechnung.
BGH, Beschluss vom 8. Dezember 2009 - 5 StR 433/09
LG Göttingen -
5 StR 433/09
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
vom 8. Dezember 2009
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes
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Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 8. Dezember 2009
beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Göttingen vom 16. Juni 2009 wird nach § 349 Abs. 2
StPO mit der Maßgabe (§ 349 Abs. 4 StPO) als
unbegründet verworfen, dass 60 Tage der
Mindestverbüßungsdauer der lebenslangen
Freiheitsstrafe als vollstreckt gelten.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die
dadurch der Nebenklägerin entstandenen notwendigen Auslagen zu
tragen.
G r ü n d e
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Das Landgericht hat den Angeklagten wegen heimtückisch
begangenen Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Die Sache
ist im Beschlussverfahren ohne die vom Verteidiger Rechtsanwalt M.
begehrten Vorentscheidungen entscheidungsreif (BGH NStZ 2007, 538, 539;
BGH, Beschluss vom 25. Oktober 2006 - 5 StR 382/06 m.w.N.). Die
Revision des Angeklagten bleibt zum Schuld- und Strafausspruch
erfolglos im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Allerdings hat es
das Landgericht unterlassen, für in Unterbrechung der
Untersuchungshaft vollstreckte 60 Tage Ersatzfreiheitsstrafe einen
Härteausgleich zu gewähren. Dies hat der Senat
nachzuholen (§ 349 Abs. 4, § 354 Abs. 1 StPO).
1. Der Vornahme eines Härteausgleichs stehen prinzipielle
Bedenken nicht entgegen. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs
kommt ein Härteausgleich (vgl. BGHSt 31, 102, 103; 33, 131,
132) bei Zusammentreffen von Freiheits- und Geldstrafe zumindest dann
in Betracht, wenn die
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Geldstrafe als Ersatzfreiheitsstrafe vollstreckt worden ist und daher
bei einer nachträglichen Gesamtstrafenbildung nicht mehr
einbezogen werden kann (BGH NStZ 1990, 436). So liegt es hier. Die
Ersatzfreiheitsstrafe wurde - was grundsätzlich
zulässig ist (vgl. § 122 StVollzG; s. aber BGH,
Beschluss vom 8. Juli 2009 - 5 StR 217/09) - in Unterbrechung von
Untersuchungshaft vollständig vollstreckt. Dementsprechend
konnte keine Gesamtstrafe mehr gebildet werden.
2. Ohne Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe hätte das
Landgericht in Anwendung der § 55 Abs. 1, § 54 Abs. 1
Satz 1 StGB auf eine lebenslange Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe
erkennen müssen. Der Geldstrafe lag ein Strafbefehl des
Amtsgerichts Göttingen wegen vorsätzlicher
Trunkenheit im Verkehr vom 18. November 2008 zugrunde, der für
das hier abgeurteilte Tötungsverbrechen vom 4. September 2008
zäsurbegründend ist. Die Annahme besonderer Schwere
der Schuld in Anwendung des § 57b StGB (hierzu BGHR StGB
§ 55 Abs. 1 Satz 1 Härteausgleich 15; BGH, Beschluss
vom 28. Mai 2009 - 5 StR 184/09) wäre bei der Einbeziehung der
im Rahmen der gebotenen Gesamtwürdigung nicht schwer wiegenden
Geldstrafe ausgeschlossen gewesen (vgl. Fischer, StGB 56. Aufl.
§ 57b Rdn. 2 m.w.N.).
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3. Mithin ist ein Härteausgleich für den entstandenen
Nachteil zu gewähren.
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a) Dies gilt in Ansehung der Bedeutung des Freiheitsgrundrechts des
Art. 2 Abs. 2 Satz 2 und 3 GG auch für den im Vergleich zur
erkannten lebenslangen Freiheitsstrafe hier eher geringfügigen
Nachteil. Einen Nachteil hat der Angeklagte unzweifelhaft erlitten. Im
Falle einer gemäß § 55 Abs. 1, §
54 Abs. 1 Satz 1 StGB möglichen Gesamtstrafenbildung
bezöge sich die Mindestverbüßungszeit des
§ 57a Abs. 1 Nr. 1 StGB nach § 57a Abs. 2 StGB nicht
auf die lebenslange Freiheitsstrafe allein, sondern auf alle Taten,
deren Strafen in die Gesamtstrafe einzubeziehen waren (vgl. Fischer aaO
§ 57a Rdn. 22). Die Verbüßungszeit einer
noch nicht vollständig vollstreckten Ersatzfreiheitsstrafe
wäre deshalb auf die Mindestverbüßungszeit
von
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15 Jahren anzurechnen gewesen (vgl. BGHSt 21, 186, 187 f.). Mithin
wäre dem Angeklagten bei einer Gesamtstrafenbildung die
Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe im Ergebnis erspart geblieben.
b) Im Hinblick darauf, dass das Landgericht die besondere Schuldschwere
nicht festgestellt hat, kann die vollständige Absorption der
einzubeziehenden Strafe auch nicht im Vollstreckungsverfahren bei der
Festsetzung der Verlängerungsdauer der
Mindestverbüßungszeit der verhängten
lebenslangen Freiheitsstrafe (§ 57a Abs. 1 Nr. 2 StGB)
ausgeglichen werden (vgl. BGH NStZ-RR 2009, 104). Die
Gewährung des gleichwohl erforderlichen
Härteausgleichs kann dementsprechend nicht anders als durch
eine Herausnahme der diesem zugrundeliegenden Haftzeit aus der
Mindestverbüßungsdauer erfolgen (vgl. BGHR StGB
§ 55 Abs. 1 Satz 1 Härteausgleich 15).
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Dem steht nicht die Erwägung entgegen, dass bei einer
gemeinsamen Aburteilung beider Taten neben der lebenslangen
Freiheitsstrafe (theoretisch) gesondert auf Geldstrafe hätte
erkannt werden können (§ 53 Abs. 2 Satz 2 StGB). Im
Rahmen des Härteausgleichs kommt es nämlich allein
auf die hier durch die vollständige Vollstreckung der
Ersatzfreiheitsstrafe geprägte tatsächliche Situation
für den neu entscheidenden Richter an (BGH NStZ 1990, 436).
Ohnehin erscheint die Anwendung des § 53 Abs. 2 Satz 2 StGB
neben lebenslanger Freiheitsstrafe grundlegend zweifelhaft, weil sonst
der zu Freiheitsstrafe Verurteilte gleichheitswidrig besser gestellt
wäre als der zu Geldstrafe Verurteilte.
c) Der zu gewährende Härteausgleich ist durch
Anrechnung auf die Mindestverbüßungszeit (§
57a Abs. 1 Nr. 1 StGB) unter doppelt analoger Anwendung des §
51 Abs. 1 Satz 1 StGB vorzunehmen.
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§ 51 Abs. 1 Satz 1 StGB sieht eine Anrechnung erlittener Haft
zwar nur für die zeitige Freiheitsstrafe vor. Indes ist -
mangels jeder Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung - eine
entsprechende Anwendung im Falle erlittener Untersuchungshaft und
anderer Freiheitsentziehung auch für die
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Festsetzung der Mindestverbüßungsdauer der
lebenslangen Freiheitsstrafe anerkannt und geboten (BGHR StGB
§ 51 Abs. 4 Anrechnung 4; Fischer aaO § 51 Rdn. 4).
Ferner ist die Möglichkeit einer Anrechung einer im Einzelnen
zu bestimmenden Zeit eines Freiheitsentzuges zum Ausgleich von
erlittenem Verfahrensunrecht auf die
Mindestverbüßungsdauer in den Fällen
rechtsstaatwidriger Verfahrensverzögerung
gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK (BGHSt - GS - 52,
124, 136) und eines Verstoßes gegen Art. 36 Abs. 1 lit. b
Satz 3 WÜK (BGHSt 52, 48, 56 f.) anerkannt.
Das von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs entwickelte
Vollstreckungsmodell ist auch für die Vornahme eines
Härteausgleichs nach Festsetzung einer lebenslangen
Freiheitsstrafe anzuwenden. Nicht anders als in den Fällen, in
denen erlittenes Verfahrensunrecht im Wege schadensersatzrechtlicher
Naturalrestitution ausgeglichen wird, gestattet es das
Vollstreckungsmodell, den gebotenen Ausgleich eines
Übermaßes von Strafe aufgrund zufällig
getrennter Aburteilungen ohne systemwidrige Eingriffe in die
Strafbemessung zu beseitigen. Diese Lösung hat der
Große Senat für Strafsachen in BGHSt 52, 124, 136
vorgegeben (vgl. dazu auch EGMR StV 2009, 561, 563). Der erkennende
Senat vollzieht sie - nach der Ankündigung in BGHR StGB
§ 55 Abs. 1 Satz 1 Härteausgleich 15 - hier tragend
nach. Ob und gegebenenfalls in welchem Maße das
Vollstreckungsmodell in anderen Fällen zu gewährenden
Härteausgleichs anstelle des bisher gewährten,
indessen oftmals nicht deutlich erkennbar werdenden Strafabschlags
angewendet werden sollte (vgl. hierzu schon die Regelungen in
§ 58 Abs. 2 Satz 2, § 56f Abs. 3 Satz 2 StGB),
braucht der Senat hier nicht zu entscheiden.
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d) Als Härteausgleich sind hier 60 Tage auf die
Mindestverbüßungsdauer des § 57a Abs. 1 Nr.
1 StGB anzurechnen, weil bei einer Gesamtstrafenbildung genau diese 60
Tage Ersatzfreiheitsstrafe nicht vollstreckt worden wären.
Für eine verminderte Anrechnung ist kein Anlass ersichtlich.
Zwar liegt hierin eine gewisse Privilegierung eines zu lebenslanger
Freiheitsstrafe
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Verurteilten. Dies ist aber Folge der sich aus den § 54 Abs. 1
Satz 1, §§ 57a und 57b StGB ergebenden Regeln
über die Bildung von Gesamtstrafen auf der Grundlage
lebenslanger Freiheitsstrafe. Eine mögliche
Verlängerung der Mindestverbüßungsdauer
aufgrund des Schuldgehalts des Tötungsverbrechens bleibt
unberührt.
Der Senat ist entsprechend § 354 Abs. 1 StPO zu eigener
Entscheidung befugt, weil rechtliche Erwägungen ein anderes
Ergebnis verbieten (vgl. BGH, Beschluss vom 30. Januar 2001 - 4 StR
587/00; BGHR StPO § 354 Abs. 1 Strafausspruch 12).
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4. Dahingestellt bleiben kann, inwieweit und in welcher Form der
Gedanke des Härteausgleichs in anders gelagerten
Fällen Anwendung finden müsste. Zu denken ist etwa an
Konstellationen, in denen die Aufklärung der vor einer
Verurteilung begangenen, mit lebenslanger Freiheitsstrafe zu ahndenden
Tat über lange Zeit hinweg wegen noch nicht vorhanden
gewesener technischer Mittel nicht möglich gewesen ist, oder
an Fälle mit nicht erkennbaren Tatzusammenhängen. Bei
solchen Sachverhalten ist die getrennte Aburteilung Gegebenheiten
geschuldet, die außerhalb des Verantwortungsbereichs der
Justiz liegen; hinsichtlich der früheren Vollstreckung der
erkannten Strafe hatte sie lediglich ihre Vollstreckungspflicht
erfüllt (BVerfGE 46, 214, 222 f.; 51, 324, 343). Unter solchen
Umständen kann die Verpflichtung zur Gewährung eines
Härteausgleichs, jedenfalls in Vollanrechnung, in Frage
gestellt sein.
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5. Der erzielte Teilerfolg der unbeschränkt geführten
Revision ist derart gering, dass es unter den
Billigkeitsgesichtspunkten des § 473 Abs. 4 StPO nicht
angezeigt erscheint, eine Kostenteilung vorzunehmen.
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