BGH,
Beschl. v. 8.2.2000 - 4 StR 592/99
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
4 StR 592/99
vom
8. Februar 2000
in der Strafsache gegen
wegen Vergewaltigung
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des
Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 8. Februar
2000 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Essen vom 8. Juli 1999 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer
des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung zu einer
Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Mit seiner hiergegen
eingelegten Revision beanstandet der Angeklagte das Verfahren und
rügt die Verletzung sachlichen Rechts.
Das Rechtsmittel hat mit einer Verfahrensbeschwerde Erfolg. Die
Rüge, das Landgericht habe einen Beweisantrag des Angeklagten
in gesetzeswidriger Weise abgelehnt, greift durch.
Mit Antrag vom 8. Juli 1999 hatte der Angeklagte, der die ihm zur Last
gelegte Vergewaltigung seiner Tochter Jennifer bestritten hat, unter
anderem Zeugenbeweis für die Tatsache angetreten, Jennifer W.
sei "am behaupteten Tattag nicht mit Schuhen in der Hand aus dem Haus
gerannt", sondern sei vollständig angezogen gewesen. Die
Strafkammer hat diesen Antrag wegen Bedeutungslosigkeit abgelehnt und
dies wie folgt begründet: "Selbst wenn die Schilderung der
Zeugin W. , sie sei mit den Schuhen in der Hand aus dem Haus gelaufen,
unwahr wäre, so zwingt dies nicht zu dem Schluß, sie
beschuldige den Angeklagten zu Unrecht. Angesichts der seit der
behaupteten Tat verstrichenen Zeit liegt es näher,
daß die Zeugin diese für sie in der damaligen
Situation eher unbedeutende Einzelheit nicht richtig erinnert".
Die Behandlung dieses Beweisantrages durch die Strafkammer
hält rechtlicher Prüfung nicht stand. Eine Tatsache
ist nur dann für die zu treffende Entscheidung ohne Bedeutung,
wenn ein Zusammenhang zwischen ihr und der abzuurteilenden Tat nicht
besteht oder wenn sie trotz eines solchen Zusammenhangs nicht geeignet
ist, die Entscheidung irgendwie zu beeinflussen (vgl.
Kleinknecht/Meyer-Goßner StPO 44. Aufl. § 244 Rdn.
54 m.w.N.). Zwar ist es dem Tatrichter grundsätzlich nicht
verwehrt, Indiztatsachen als für die Entscheidung
bedeutungslos zu betrachten, wenn er einen möglichen
Beweisschluß, den der Antragsteller erstrebt, nicht ziehen
will (BGH NStZ 1982, 126; StV 1997, 237, 238). Er muß sich
dann aber an seiner Annahme tatsächlicher Bedeutungslosigkeit
festhalten lassen und darf sich im Urteil nicht in Widerspruch zu der
Ablehnungsbegründung setzen insbesondere nicht vom Gegenteil
der Beweistatsache ausgehen (st. Rspr.; BGH NStZ 1994, 195; StV 1996,
648 f.; BGHR StPO § 244 Abs. 3 Satz 2 Bedeutungslosigkeit 18
und 22; vgl. auch Eisenberg, Beweisrecht der StPO, 3. Aufl. Rdn. 213 a).
Dies ist hier indessen geschehen. Das Landgericht führt zum
Geschehen nach der Tat aus: "Als der Angeklagte Jennifer nach dem
Geschlechtsverkehr los ließ, sprang sie auf, nahm ihre Hose
und eilte zur Schlafzimmertür. Sie schloß sie auf,
lief die Treppe hinunter und zog im Flur ihre Hose an. Jennifer nahm
dann ihre Schuhe in die Hand und lief aus dem Haus" (UA 8). Im Rahmen
der Glaubwürdigkeitsbeurteilung Jennifer W. s hat der
Sachverständige K. auch aus der detaillierten Darstellung des
Rahmengeschehens auf die Glaubwürdigkeit der Zeugin
geschlossen (UA 28, 29). Indem das Gericht den Ausführungen
des Sachverständigen gefolgt ist (UA 30), hat es zu erkennen
gegeben, daß es dem Rahmengeschehen - zu dem auch das
Verlassen des Hauses mit den Schuhen in der Hand zählt -
entgegen der im Ablehnungsbeschluß
geäußerten Auffassung sehr wohl eine Bedeutung
für die Entscheidung, und zwar hinsichtlich der
Glaubwürdigkeit der Nebenklägerin, beigemessen hat.
Hierin liegt ein Verstoß gegen § 244 Abs. 3 Satz 2
StPO.
Bei der gegebenen Beweislage, bei der zum Kerngeschehen der
Vergewaltigung Aussage gegen Aussage steht, vermag der Senat ein
Beruhen des Urteils auf dem gerügten
Verfahrensverstoß nicht auszuschließen.
Im übrigen weist der Senat darauf hin, daß das
Landgericht eine erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit des
Angeklagten nicht rechtsfehlerfrei ausgeschlossen hat. Es hat
nämlich nicht berücksichtigt, daß Jennifer
W. in früheren Vernehmungen (UA 11, 14) sowie
gegenüber ihrer leiblichen Mutter (UA 26) den Zustand des
Angeklagten zur Tatzeit als betrunken bezeichnet und den Treppensturz
bei der Verfolgung auf diese erhebliche Alkoholisierung
zurückgeführt hat (UA 29/30).
Meyer-Goßner Maatz Kuckein
Athing Solin-Stojanovic |