BGH,
Beschl. v. 8.2.2006 - 2 StR 575/05
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
2 StR 575/05
vom 8.02.2006
in der Strafsache
gegen
wegen sexueller Nötigung
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Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des
Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 8.02.2006
gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen: 1. Auf
die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt
am Main vom 28. Juli 2005 mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Die
Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über
die Kosten des Rechtsmittels, an das Amtsgericht -
Schöffengericht - Frankfurt am Main zurückverwiesen.
Gründe: Das Landgericht hat den Angeklagten wegen (besonders
schwerer) sexueller Nötigung zu einer Freiheitsstrafe von
einem Jahr und sechs Monaten verurteilt, deren Vollstreckung es zur
Bewährung ausgesetzt hat. Die Revision des Angeklagten
führt mit der Sachrüge zur Aufhebung des Urteils. 1
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts war die seit Mai 2002
bestehende Liebesbeziehung des 1980 geborenen Angeklagten zu der Zeugin
Z. wesentlich durch die übersteigerte Eifersucht und Besitz
ergreifende Nachstellungen des Angeklagten geprägt. Die Zeugin
teilte diesem daher ab April 2003 mehrfach mit, dass sie sich von ihm
trennen wolle, nahm jedoch nach Versprechungen, demonstrativen
Selbstverletzungen, Suiziddrohungen und drängenden
Nachstellungen des Angeklagten die Beziehung immer wieder auf. Zuletzt 2
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am 1. Januar 2004 kam es zum einverständlichen
Geschlechtsverkehr. In der Folgezeit teilte die Zeugin dem Angeklagten
jedoch erneut mit, dass sie die Beziehung beenden wolle. Er
bedrängte sie weiter; im Laufe des Januar 2004 wurden mehrere
Gespräche über die von ihm gewünschte
Fortsetzung der Beziehung geführt, eines davon in der Wohnung
des Angeklagten. Am 28. Januar 2004 kam es auf Drängen des
Angeklagten zu einer weiteren "Aussprache". Die Zeugin Z. holte den
Angeklagten zunächst auf dessen Bitte mit ihrem PKW in K. ab
und fuhr dann nach H. zur Wohnung des Angeklagten. Sie parkte in einer
bewohnten Straße in der Nähe der Wohnung des
Angeklagten. Beide stiegen aus und führten zunächst
außerhalb des PKW ein Gespräch; dann setzten sie
sich wieder in das Fahrzeug. Dort erklärte die Zeugin dem
Angeklagten nochmals, sie wolle nichts mehr von ihm wissen. 3 Zum
darauf folgenden Hergang hat das Landgericht festgestellt: Der
Angeklagte "begann …, der Zeugin mehrfach grob zwischen die
Beine zu greifen. Dort bewegte er die Finger im Bereich der Vagina der
Zeugin hin und her. Die Zeugin schob ihn entrüstet weg, worauf
er sie aufforderte, mit ihm, 'zum Ficken auf die Viehweide’
zu fahren, was die Zeugin verbal heftig ablehnte. Daraufhin griff der
Angeklagte zum Hals der Zeugin, hielt sie dort fest und versuchte,
diese auf den Mund zu küssen. Die Zeugin (…)
versuchte mit ihrem Kopf nach hinten auszuweichen, woraufhin der
Angeklagte jedoch mit seinem Gesicht folgte und ihr einen Kuss
aufnötigte. Er sagte dabei zu der Zeugin, er schwöre
ihr, sie und ihre Familie umzubringen. In diesem Moment bemerkte die
Zeugin, dass der Angeklagte seinen Schlüsselbund dergestalt in
die Faust genommen hatte, dass die einzelnen Schlüssel
stachelartig zwischen den Fingern hervorstanden. Diese Faust hielt er
der Zeugin vor den Bauch" (UA S. 11/12). 4
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Die Zeugin ergriff nun ihre auf dem Rücksitz liegende Tasche
und versuchte, aus dem PKW zu fliehen. Der Angeklagte hielt die Tasche
zunächst fest, ließ sie aber auf die Drohung der
Zeugin los, sie werde sonst um Hilfe rufen. Die Zeugin ging nun um die
nächste Straßenecke, rief von ihrem Handy aus einen
Freund an und teilte diesem mit, der Angeklagte versuche sie
umzubringen. Sodann ging sie zum PKW zurück, wo sich der
Angeklagte noch aufhielt. Der Angeklagte entfernte sich
schließlich. Er rief in den folgenden Stunden mehrmals bei
der Mutter der Zeugin an und erklärte, er habe
"Scheiße gebaut"; per SMS versuchte er die Zeugin davon
abzuhalten, Strafanzeige zu erstatten (UA S. 12). 5 2. Diese
Feststellungen tragen die Verurteilung wegen besonders schwerer
sexueller Nötigung gemäß § 177
Abs. 1, Abs. 4 Nr. 1 StGB nicht. 6 a) Die Feststellungen zur
Qualifikation sind unzureichend. Das Landgericht hat den Tatbestand des
§ 177 Abs. 4 Nr. 1 StGB als verwirklicht angesehen und hierzu
festgestellt, die Zeugin habe den Umstand, dass der Angeklagte seinen
Schlüsselbund in die Faust genommen hatte, so dass die
Schlüssel wie Stacheln zwischen den Fingern hervorstanden, "in
diesem Moment" bemerkt, somit während oder unmittelbar nachdem
der Angeklagte ihr einen Kuss aufnötigte und die Drohung
äußerte. Im ersteren Fall bliebe allerdings unklar,
wie der Angeklagte, der nach dem Zusammenhang der Feststellungen wohl
rechts neben der Zeugin auf dem Beifahrersitz saß, all diese
Handlungen gleichzeitig ausgeführt haben könnte. Denn
sowohl das Festhalten am Hals als auch das Vorhalten der Faust mit den
Schlüsseln "vor den Bauch" der Zeugin kann nach den
tatsächlichen örtlichen Gegebenheiten kaum anders als
mit der rechten Hand ausgeführt worden sein; in diesem Fall
kann es nicht gleichzeitig geschehen sein. Im Übrigen
dürfte auch die Vorbereitung des Werkzeugs in der ge-7
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schilderten Weise - namentlich wenn sie mit nur einer Hand und
unbemerkt vorgenommen wurde - einige Zeit und Aufmerksamkeit in
Anspruch genommen haben. Die Feststellungen ergeben daher nicht
hinreichend deutlich, dass der Angeklagte den Schlüsselbund,
der bei entsprechender Verwendung ein gefährliches Werkzeug im
Sinne von § 177 Abs. 4 Nr.1 StGB sein konnte,
tatsächlich bei der Tat verwendet hat. Nach den bisherigen
Feststellungen hat der Angeklagte die Schlüssel weder als
Nötigungsmittel zur Erzwingung der (möglicherweise)
sexuellen Handlung noch als Mittel dieser Handlung selbst eingesetzt
(zum Begriff des Verwendens vgl. BGHSt 46, 225, 228 f.; BGH NStZ 2000,
254; 2005, 35; MüKo-Renzikowski § 177 Rdn. 81;
Tröndle/Fischer StGB 53. Aufl. § 177 Rdn. 84;
Gössel, Das neue Sexualstrafrecht, 2005, § 2 Rdn.
89). Selbst wenn er dies beabsichtigt hätte, wäre der
Einsatz des Werkzeugs nicht kausal gewesen, wenn die
Geschädigte die Drohung erst nach Abschluss der erzwungenen
Handlung bemerkte (vgl. Senatsbeschluss vom 1. September 2004 - 2 StR
313/04, NJW 2004, 3437). 8 Ob auch ein möglicherweise der
Sicherung dienender Einsatz des Werkzeugs nach Vollendung der Tat, aber
vor deren Beendigung, entsprechend der Auslegung des Begriffs des
Verwendens etwa in § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB (vgl. hierzu NStZ
2004, 263), dem Qualifikationstatbestand unterfallen kann (so
Tröndle/Fischer aaO § 177 Rdn. 85; aA Renzikowski aaO
§ 177 Rdn. 81; ablehnend auch Lackner/Kühl StGB 25.
Aufl. § 244 Rdn. 2 m.w.N.), ist vom Bundesgerichtshof, soweit
ersichtlich, bislang nicht entschieden. Die Frage kann hier offen
bleiben, denn auch eine solche Verwendung ist bisher nicht mit der
erforderlichen Klarheit festgestellt. Nicht nahe liegend wäre
die Anwendung des § 177 Abs. 4 Nr. 1 jedenfalls dann, wenn
eine Bedrohung mit dem gefährlichen 9
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Werkzeug für die Beteiligten in keinerlei Verbindung mehr mit
eventuell vorausgegangenen oder beabsichtigten sexuellen Handlungen
gestanden hätte und etwa nur Mittel einer auf neuem
Tatentschluss beruhenden Bedrohung gewesen wäre.
Wären der Grundtatbestand verwirklicht, die Voraussetzungen
einer Qualifikation gemäß § 177 Abs. 4 Nr.
1 StGB jedoch nicht feststellbar, so wäre § 177 Abs.
3 Nr. 1 StGB zu prüfen. Dass dem Schlüsselbund die
Qualität eines gefährlichen Werkzeugs im Sinne von
§ 177 Abs. 3 Nr. 1 StGB nicht schon von vornherein, sondern
erst zu dem Zeitpunkt zukam, als der Angeklagte es in der
festgestellten Art ergriff und bereithielt, stünde einer
Anwendung der Vorschrift nicht entgegen (vgl. BGH NStZ 1999, 242, 243).
Insoweit bedürfte es jedoch noch genauerer Feststellungen zum
subjektiven Vorstellungsbild des Angeklagten zu diesem Zeitpunkt. Das
gilt gleichermaßen für eine mögliche
Verwirklichung von § 177 Abs. 3 Nr. 2 StGB. 10 b) Es fehlt im
Übrigen aber schon an hinreichend klaren Feststellungen zum
Grundtatbestand des § 177 Abs. 1 StGB. Dieser setzt voraus,
dass mittels einer der in § 177 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 StGB
genannten Nötigungshandlungen das Dulden einer sexuellen
Handlung durch das Tatopfer oder eine sexuelle Handlung des Tatopfers
selbst erzwungen wird. Aus den Urteilsgründen ergibt sich
weder, auf welche Handlung das Landgericht abgestellt hat, noch, welche
Tatbestandsvariante es als gegeben angesehen hat (UA S. 21). 11 aa) Als
sexuelle Handlung im Sinne von § 184 f Nr. 1 StGB kommt hier
zunächst das Greifen zwischen die Beine der Zeugin in
Betracht. Zwar wies diese Handlung hier nach den konkreten
Umständen die von § 184 f Nr. 1 StGB vorausgesetzte
Erheblichkeit auf. Es bleibt nach den Feststellungen jedoch of-12
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fen, durch welches Nötigungsmittel die Duldung dieser Handlung
erzwungen worden sein soll. Die bloße überraschende
Vornahme einer sexualbezogenen Handlung kann nicht als
Nötigung zur Duldung dieser Handlung angesehen werden (vgl.
BGHSt 31, 76, 77 f.; 36, 145, 146; BGH NStZ 1993, 78; 1995, 230; 2005,
268, 269; st. Rspr.). Soweit der Generalbundesanwalt in seiner
Stellungnahme ausgeführt hat, es lasse sich den Feststellungen
noch entnehmen, dass der Angeklagte zur Ausführung der Griffe
zwischen die Beine der Zeugin Gewalt einsetzen musste, um ihren
Widerstand zu überwinden, vermag der Senat dem nicht zu
folgen. Festgestellt ist vielmehr gerade, dass die Zeugin die Hand des
Angeklagten "entrüstet weg schob", sich der Zudringlichkeit
also erfolgreich widersetzte; danach wiederholte der Angeklagte diese
Handlungen nicht. Die Annahme, er habe zuvor Gewalt eingesetzt, um
Widerstand zu brechen, wird durch die bisherigen Feststellungen nicht
getragen. Der neue Tatrichter wird insoweit gegebenenfalls genauere
Feststellungen zu treffen haben. 13 bb) Gewalt zur Überwindung
von Widerstand hat der Angeklagte eingesetzt, als er die Zeugin am Hals
fasste, sie gegen ihr Sträuben fest hielt und ihr dadurch
"einen Kuss aufnötigte". Insoweit wird der neue Tatrichter
Gelegenheit haben näher zu prüfen, ob der vom
Angeklagten ausgeführte Kuss die von § 184 f Nr. 1
StGB vorausgesetzte Erheblichkeit im Hinblick auf das durch den
Verbrechenstatbestand des § 177 Abs. 1 StGB
geschützte Rechtsgut hatte. Bei der Beurteilung der
Qualität einer Handlung sind die gesamten
Begleitumstände des Tatgeschehens zu berücksichtigen
(BGH NJW 1989, 3029); es muss eine sozial nicht mehr hinnehmbare
Rechtsgutsbeeinträchtigung zu besorgen sein (BGHSt 29, 336,
338; BGH NJW 1992, 324; vgl. auch Tröndle/Fischer StGB 53.
Aufl. § 184 f Rdn. 5; MüKo-Hörnle §
184 f Rdn. 21). Bei einem nicht weiter qua-14
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lifizierten Kuss auf den Mund kann das zweifelhaft sein, wenn zwischen
den Beteiligten eine längere intime Beziehung bestanden hat
(vgl. auch BGHSt 1, 292, 298; 18, 169 f.; BGH StraFo 1998, 63, 64;
Hörnle aaO § 184 f Rdn. 20, 22; zu Kussversuchen auch
BGH NStZ 1983, 553; 1988, 71; 2001, 370 f.). Es kommt für die
Beurteilung auf die Umstände des Einzelfalls an. Vorliegend
wird insoweit neben den näheren Umständen des Kusses
(Intensität, Dauer, gegebenenfalls Zungenkuss) die Beziehung
zwischen den Beteiligten, vor allem aber auch die konkrete Tatsituation
zu berücksichtigen sein. Dabei kann einerseits die -
jedenfalls aus Sicht des Angeklagten - ambivalente Haltung der Zeugin
von Bedeutung sein, die sich auch in der Vergangenheit trotz vielfacher
Erklärungen, die Beziehung beenden zu wollen, immer wieder auf
Treffen mit dem Angeklagten, Vertraulichkeiten und auch auf sexuelle
Handlungen eingelassen hatte. Andererseits lässt sich dem
Zusammenhang der Feststellungen ohne Weiteres entnehmen, dass der
Angeklagte die Zeugin - etwa mit der Aufforderung, mit ihm "zur
Viehweide", einem früheren Treffpunkt, zu fahren - jedenfalls
unmittelbar vor dem Kuss zu sexuellen Handlungen bewegen wollte; dies
kann nach dem Gesamtzusammenhang der äußeren
Umstände und im Verständnis der Beteiligten auch dem
Kuss selbst den Charakter einer sexuellen Handlung im Sinne von
§ 184 f Nr. 1 StGB gegeben haben. 15 Wenn der neue Tatrichter
auf Grund der insgesamt neuen Feststellungen zu dem Ergebnis
käme, dass der erzwungene Kuss nicht als sexuelle Handlung zu
werten sei, weil es an der erforderlichen Erheblichkeit fehlte, so
könnte insoweit jedenfalls der Tatbestand der
Nötigung gem. § 240 Abs. 1 StGB erfüllt
sein. 16
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cc) Unklar sind die Feststellungen des Landgerichts auch im Hinblick
auf die vom Angeklagten ausgesprochene Drohung, die Zeugin und ihre
Familie zu töten. Nach den Feststellungen sagte er dies
"dabei", d. h. während er der Zeugin "einen Kuss
aufnötigte". Es erscheint freilich schwer vorstellbar, dass
der Angeklagte während des Küssens Drohungen
ausstieß. Daher bleibt offen, ob er die Drohung vor dem Kuss
aussprach, ob sie sich auf das Verhalten der Zeugin kausal im Sinne von
§ 177 Abs. 1 Nr. 2 StGB auswirkte und ob der Angeklagte dies
erkannte oder billigend in Kauf nahm. Drohte er der Zeugin erst nach
Beendigung des Kusses, so käme nur eine Verurteilung nach
§ 241 StGB in Betracht. 17 3. Die Feststellungen des
Landgerichts tragen daher den Schuldspruch nicht. Das Urteil war auf
die Sachrüge insgesamt aufzuheben. Im Hinblick auf die
Bedeutung der Sache war diese an das Amtsgericht -
Schöffengericht - zurück zu verweisen. 18 Sollte der
neue Tatrichter wiederum zur Verurteilung wegen eines qualifizierten
Falls der sexuellen Nötigung kommen, so wird zu beachten sein,
dass die Verwirklichung der Qualifikationen des § 177 Abs. 3
und 4 StGB im Urteilstenor kenntlich zu machen ist (vgl. BGH NStZ 2002,
656; NStZ-RR 2004, 357 19
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Nr. 26; BGH StraFo 2003, 281; BGHR StPO § 260 Abs. 4 Satz 1
Urteilsformel 4; st. Rspr.; vgl. Tröndle/Fischer aaO
§ 177 Rdn. 78 m.w.N.).
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