BGH,
Beschl. v. 8.1.2004 - 4 StR 539/03
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
4 StR 539/03
vom
8.01.2004
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u.a.
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Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des
Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 8.01.2004
gemäß § 349
Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des
Landgerichts Saarbrücken vom 7. Juli 2003 im Ausspruch
über die Maßregel der Unterbringung des Angeklagten
in einem psychiatrischen Krankenhaus mit den
zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung
und Entscheidung, auch über die Kosten des
Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts
zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher
Körperverletzung
in zwei Fällen, Vergewaltigung, Freiheitsberaubung in
Tateinheit mit vorsätzlicher
Körperverletzung sowie wegen Diebstahls in Tateinheit mit
vorsätzlichem
Fahren ohne Fahrerlaubnis zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren
und acht Monaten verurteilt; ferner hat es die Unterbringung des
Angeklagten
in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet und bestimmt,
daß
dem Angeklagten vor Ablauf von zwei Jahren keine Fahrerlaubnis erteilt
werden
darf. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner
Revision,
mit der er allgemein das Verfahren beanstandet und die Verletzung
sachlichen
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Rechts rügt. Das Urteil hat zum Maßregelausspruch
nach § 63 StGB Erfolg; im
übrigen ist es unbegründet im Sinne des §
349 Abs. 2 StPO.
1. Die Überprüfung des Urteils aufgrund der
Revisionsrechtfertigung hat
zum Schuld- und zum Strafausspruch sowie zum
Maßregelausspruch nach
§ 69 a StGB keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil
des Angeklagten
ergeben. Insoweit verweist der Senat auf die Ausführungen in
der Antragsschrift
des Generalbundesanwalts vom 8.12.2003.
2. Dagegen hält der Maßregelausspruch über
die Anordnung der Unterbringung
des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63
StGB)
der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Diese - unbefristete
und für den Betroffenen
schon deshalb in besonderem Maße belastende -
Maßregelanordnung
setzt die positive Feststellung eines länger andauernden,
nicht nur vorübergehenden
Defekts voraus, der zumindest eine erhebliche Einschränkung
der Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB sicher
begründet (st. Rspr.; BGHSt
34, 22, 26 f.; 42, 385 f.), ferner, daß der Täter in
diesem Zustand eine rechtswidrige
Tat begangen hat, die mit diesem Defekt in einem kausalen,
symptomatischen
Zusammenhang steht. Daß diese Voraussetzungen gegeben sind,
ist im angefochtenen Urteil nicht rechtsfehlerfrei dargelegt.
a) Das Landgericht hat sich zur Schuldfähigkeit des
Angeklagten den
Ausführungen des gehörten psychiatrischen
Sachverständigen Prof. Dr. Dr. L.
angeschlossen, der bei dem Angeklagten ein "polyvalentes
Verwahrlosungssyndrom
mit langjähriger Heroinsucht" diagnostiziert und die
Auffassung vertreten
hat, aufgrund dieser von ihm als schwere andere seelische Abartigkeit
im Sinne des § 20 StGB qualifizierten
Persönlichkeitsstörung sei „eine erhebli-
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che Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit beim
Angeklagten zu den jeweiligen
Tatzeiten festzustellen". Zur Begründung ist dazu u.a.
ausgeführt:
"Dieses Erscheinungsbild einer Persönlichkeitsstörung
sei auf
schwere frühkindliche Milieuschäden
zurückzuführen. Im
Rahmen dieser Persönlichkeitsstörung bestehe bei dem
Angeklagten
eine Unfähigkeit zu einer normalen Beziehung, die
sich in fehlender gemütsmäßiger Stetigkeit,
Allesoder-Nichts-
Denken und mangelnder echter Einfühlung in die Erfordernisse
einer Partnerschaft manifestiere. Der vor dem Hintergrund
dieser Situation bestehende Beziehungskonflikt mit der
Nebenklägerin
habe dazu geführt, daß die Bindung an die
Geschädigte
bei dem Angeklagten sich im Sinne einer fixen Idee
entwickelte. Die Überwertigkeit dieser Idee habe auf das
gesamte
Verhalten des Angeklagten einen determinierenden
Einfluß gehabt." (UA 19)
b) Diese Ausführungen der Strafkammer zur
Persönlichkeitsstörung des
Angeklagten und zu der das Gutachten des Sachverständigen
tragenden fachlichen
Begründung sind so allgemein gehalten, daß sich
nicht zuverlässig beurteilen
läßt, ob die festgestellte Störung den vom
Landgericht mit dem Sachverständigen
angenommenen Schweregrad erheblich verminderter
Steuerungsfähigkeit
(§ 21 StGB) erreicht. So bleibt schon offen, ob das im Urteil
als
schwere seelische Abartigkeit gewertete "polyvalente
Verwahrlosungssyndrom"
überhaupt einer in psychiatrischen Fachkreisen allgemein
anerkannten Kategorie
psychischer Störungen entspricht. Jedenfalls aber bedurfte es
bei der so
beschriebenen Persönlichkeitsstörung einer
erkennbaren Abgrenzung gegenüber
solchen Eigenschaften und Verhaltensweisen, die sich noch innerhalb der
Bandbreite menschlichen Verhaltens bewegen und Ursache für
strafbares Tun
sein können, ohne daß sie die
Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB "erheblich"
- eine vom Richter ohne Bindung an die Auffassung des
Sachverständigen
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zu beantwortende Rechtsfrage (BGHSt 43, 66, 77) - berühren
(BGHSt 42, 385,
387; BGH StV 1997, 630; NStZ-RR 2003, 165 f.). Dazu bedarf es einer
Gesamtschau,
ob die nicht pathologisch bestimmten Störungen in ihrem Gewicht
den krankhaften seelischen Störungen entsprechen und Symptome
aufweisen,
die in ihrer Gesamtheit das Leben des Täters vergleichbar
schwer und mit ähnlichen
Folgen stören, belasten oder einengen (st. Rspr.; vgl. BGHSt
34, 22, 28;
37, 397, 401; speziell zur Schuldfähigkeitsbeurteilung bei
„Verwahrlosungstendenzen“,
„dissozialer Entwicklung“ und
„Polytoxikomanie“ vgl. Senatsbeschluß
vom 20. Dezember 2001 - 4 StR 540/01; ferner BGH NStZ-RR 2000, 298).
Daran fehlt es.
c) Eine nähere Erörterung war insoweit auch nicht mit
Blick auf die Annahme
des Sachverständigen entbehrlich, bei dem Angeklagten habe
sich die
Bindung an die Geschädigte im Sinne einer "fixen Idee"
entwickelt, deren
"Überwertigkeit" auf das gesamte Verhalten des Angeklagten
einen determinierenden
Einfluß gehabt habe (UA 19). Denn auch die Feststellung einer
"fixen"
oder "überwertigen" Idee sagt noch nichts über die
rechtliche "Erheblichkeit"
eines solchen Zustandes, der fließende
Übergänge von einer unterhalb der
forensischen Erheblichkeitsschwelle liegenden seelischen
Störung bis hin zu
einer expansiv paranoischen Entwicklung aufweisen kann (vgl. BGHR StGB
§ 21 seelische Abartigkeit 25). Eine eingehende
Auseinandersetzung mit dieser
Frage drängte sich hier zumal deshalb auf, weil die Taten,
soweit sie sich
gegen die Nebenklägerin und deren jetzigen Ehemann richteten,
sich auch
normal-psychologisch aus Enttäuschung des Angeklagten
über die gescheiterte
Liebesbeziehung zu der Nebenklägerin erklären lassen
(vgl. zur Schuldfähigkeitsbeurteilung
in solchen Fällen vgl. BGH NStZ 1998, 296 m. Anm.
Winckler/Foerster; Senatsbeschluß vom 25.09.2003 - 4 StR
316/03).
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Dies hat auch das Landgericht letztlich nicht verkannt, denn im Rahmen
der
Strafzumessung wertet es allgemein strafmildernd, daß der
Angeklagte sämtliche
Taten "aus einer nicht völlig unverständlich
erscheinenden Motivation" und
"aus einer momentanen Erregung heraus" begangen habe (UA 23/24). Damit
ist aber die Annahme, die Taten seien symptomatischer Ausdruck einer
überdauernden,
in ihrem Gewicht den krankhaften seelischen Störungen
vergleichbaren
schwerwiegenden Persönlichkeitsstörung mit einem mehr
oder weniger
unwiderstehlichen Zwang zur Tatbegehung, wie sie die Anordnung der
Unterbringung
in einem psychiatrischen Krankenhaus voraussetzt (BGHSt 42, 385,
388), nicht ohne weiteres vereinbar.
3. Über den Maßregelausspruch ist deshalb -
tunlichst unter Hinzuziehung
eines weiteren Sachverständigen - umfassend neu zu befinden.
Der Senat
hebt deshalb auch die „zugehörigen“
Feststellungen auf. Mit aufgehoben
sind damit auch die auf die bisherige psychiatrische Begutachtung
gestützten
tatsächlichen Feststellungen zum Zustand des Angeklagten, die
der Schuldfähigkeitsbeurteilung
durch das Landgericht zugrunde liegen. Der Schuld- und
der Strafausspruch des angefochtenen Urteils bleiben hiervon jedoch
unberührt.
Denn eine vollständige Aufhebung der Schuldfähigkeit
scheidet hier nach
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Lage der Dinge von vornherein aus; durch die Annahme der Voraussetzungen
des § 21 StGB ist der Angeklagte bei der Strafzumessung nicht
beschwert.
Tepperwien Maatz
Athing
Ernemann Sost-Scheible |