BGH,
Beschl. v. 8.7.2008 - 3 StR 167/08
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
3 StR 167/08
vom
8. Juli 2008
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Totschlags u. a.
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Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des
Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 8. Juli 2008
gemäß § 349 Abs. 4 StPO einstimmig
beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Hannover vom 10. Januar 2008 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsmittels und die dem
Nebenkläger dadurch entstandenen notwendigen Auslagen, an eine
andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in
Tateinheit mit schwerer Körperverletzung zu einer
Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt und seine
Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet.
Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er
das Verfahren beanstandet und die Verletzung sachlichen Rechts
rügt. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge Erfolg.
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I. Der Generalbundesanwalt hat in seiner Antragsschrift
ausgeführt:
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"1. Die Revision hat mit der Sachrüge Erfolg, weil sich die
Beweiswürdigung zur Frage des Rücktritts vom Versuch
des Totschlags als rechtsfehlerhaft erweist.
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Das Landgericht hat den Rücktritt vom Versuch des Totschlags
mit der Begründung verneint, der Versuch sei fehlgeschlagen,
weil der Angeklagte davon ausgegangen sei, seine Munition
vollständig verschossen zu haben. Diese Annahme hat es allein
auf die Angaben des Angeklagten gestützt, wonach die Tatwaffe
nur mit vier Patronen geladen gewesen sei (UA S. 8).
Die Beweiswürdigung hierzu ist lückenhaft. Zum einen
lässt das Schwurgericht außer acht, dass sich
ausweislich der Feststellungen nach Abgabe der vier Schüsse
noch drei weitere Patronen in der Waffe befunden haben (UA S. 8).
Darüber hinaus ergeben sich aus der Formulierung, der
Angeklagte habe auch auf einen Vorhalt, dass in der Waffe noch weitere
Munition gefunden worden sei, 'geradezu störrisch darauf
beharrt', dass die Tatwaffe mit nur vier Patronen geladen gewesen sei
(UA S. 8), zumindest Vorbehalte des Landgerichts gegen diese Einlassung
des Angeklagten. Eine nähere Auseinandersetzung mit der
Richtigkeit seiner Angaben war auch deshalb erforderlich, weil sich die
vaskuläre Demenz des Angeklagten nach der Bewertung des
Sachverständigen im Zeitraum bis zur Hauptverhandlung noch
verstärkt hatte (UA S. 15). Die Notwendigkeit weiterer
Erörterungen ergibt sich zudem daraus, dass das Landgericht im
Übrigen der Einlassung des Angeklagten nicht gefolgt ist und
namentlich die Behauptung, er habe stets eine Waffe bei sich getragen,
als unrichtig erachtet hat (UA S. 9, 10).
2. Es kommt nach allem nicht darauf an, dass die auf die Verletzung des
§ 261 StPO gestützte und zulässig erhobene
(BGHSt 29, 18, 21; BGH NStZ 1987, 18; BGH StV 1993, 459; BGH StV 1993,
115; BGHR StPO § 261 Inbegriff der Verhandlung 6;
Meyer-Goßner StPO 50. Auflage
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§ 261 Rdn. 38a m.w.N.) Verfahrensrüge ebenfalls
begründet wäre. Namentlich vor dem Hintergrund der
vorstehend genannten Gesichtspunkte war es - wie die Revision zu recht
rügt - erforderlich, sich mit den Vernehmungen des Angeklagten
vom 12.07. und 13.07.2007 näher auseinanderzusetzen. In keiner
dieser Vernehmungen hat der Angeklagte angegeben, er sei der Meinung
gewesen, keine Munition mehr in der Waffe gehabt zu haben. Zudem hat er
erklärt, die Tatwaffe habe mit acht Schuss Munition geladen
werden können.
…."
Dem schließt sich der Senat an. Ergänzend weist er
auf Folgendes hin:
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Die Einlassung des Angeklagten zu seiner Vorstellung über den
Ladezustand der Pistole ist auch in sich widersprüchlich.
Einerseits beharrte er darauf, die Waffe sei nur mit vier Schuss
geladen gewesen. Andererseits gab er an, er wisse nicht, weshalb er -
nach der festgestellten Abgabe von vier Schüssen - nicht
weiter geschossen habe. Da der Geschädigte trotz seiner
schweren Verletzungen in der Lage war, den Tatort zu verlassen, die
Türe der Scheune zu verriegeln, zu seinem Pkw zu gehen und
Rettungskräfte zu alarmieren, scheidet die
Möglichkeit eines strafbefreienden Rücktritts von
einem unbeendeten Versuch des Tötungsdelikts nicht von
vorneherein aus.
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II. Gegen die Begründung, mit der das Landgericht die
objektiven Tatbestandsvoraussetzungen einer schweren
Körperverletzung bejaht hat, bestehen ebenfalls durchgreifende
rechtliche Bedenken. Mit der Feststellung, der Geschädigte
leide noch heute und voraussichtlich dauerhaft unter einer Taubheit
zweier Finger und könne deshalb seinen Beruf als Tischler
nicht mehr ausüben, ist die Tatbestandsalternative des
§ 226 Abs. 1 Nr. 2 StGB (ein wichtiges Glied
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des Körpers … dauernd nicht mehr gebrauchen kann)
nicht belegt, zumal die betroffenen Finger nicht benannt sind (vgl.
BGHSt 51, 252). Außerdem ist nicht nachvollziehbar, dass die
Verletzung des "nervus medianus" des linken Armes zu einer Taubheit
zweier Finger der rechten Hand geführt haben soll. Auch eine
dauernde Entstellung in erheblicher Weise im Sinne des § 226
Abs. 1 Nr. 3 StGB ist der pauschalen Feststellung, das Gesicht des
Tatopfers sei dauerhaft deutlich deformiert, nicht zweifelsfrei zu
entnehmen; denn für diese Tatbestandsalternative ist
erforderlich, dass die Gesamterscheinung des Verletzten in einem
Maße verunstaltet ist, bei dem die Beeinträchtigung
in ihrem Gewicht den übrigen in § 226 StGB genannten
Folgen in etwa nahe kommt (BGHR StGB § 226 Abs. 1 Entstellung
1). In diesem Zusammenhang weist der Senat auf die Möglichkeit
hin, die mitunter nicht einfache textliche Schilderung einer solchen
verunstaltenden Wirkung durch eine nach § 267 Abs. 1 Satz 3
StPO zulässige Bezugnahme auf Lichtbilder zu veranschaulichen.
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III. Die Gefährlichkeitsprognose im Rahmen des § 63
StGB setzt die Feststellung voraus, dass ohne die Unterbringung in
einem psychiatrischen Krankenhaus weitere erhebliche rechtswidrige
Taten nicht nur möglicherweise, sondern wahrscheinlich
begangen würden (vgl. Fischer, StGB 55. Aufl. § 63
Rdn. 15 m. w. N.).
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Becker Miebach Pfister
von Lienen Sost-Scheible |