BGH,
Beschl. v. 8.3.2000 - 3 StR 67/00
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
3 StR 67/00
vom
8. März 2000
in der Strafsache gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des
Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 8.
März 2000 gemäß § 349 Abs. 4 StPO
beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Düsseldorf vom 27. August 1999 mit den Feststellungen
aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer
des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher
Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und
sechs Monaten verurteilt und die Vollstreckung der Freiheitsstrafe zur
Bewährung ausgesetzt. Die auf die Verletzung materiellen
Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat Erfolg.
1. Der Angeklagte, seine Lebensgefährtin und zwei weitere
Frauen gingen nach dem Besuch mehrerer Kneipen in der
Düsseldorfer Altstadt die Mertensgasse hinunter, als ihnen der
erheblich alkoholisierte Zeuge K. , der sich in Begleitung von sechs
Personen befand, entgegen kam. Der Zeuge packte die
Lebensgefährtin des Angeklagten kurz am Oberarm. Unklar
geblieben ist, ob, was der Angeklagte gesehen haben will, er diese auch
am Gesäß angefaßt hat. Aus Wut schlug der
Angeklagte dem Zeugen in den Nacken oder packte ihn am Kragen; er
ließ von ihm ab, als drei Begleiter des Zeugen, deren bis
dahin fröhliche Stimmung in Aggression und Streitlust
umgeschlagen war, in drohender Haltung auf ihn zukamen. Der Angeklagte,
der diese Aggression sofort bemerkte, entfernte sich. Nunmehr
beschloß der Zeuge K. sowie drei seiner Begleiter, das
Verhalten des Angeklagten nicht ungestraft zu lassen. Sie folgten dem
Angeklagten und den drei Frauen, die alsbald stehen blieben. Der
Angeklagte sah die vier Männer auf sich zurennen. "Anstatt
selbst die Flucht zu ergreifen" - so das Landgericht (UA S. 10) -,
forderte er die Frauen auf, sich in Sicherheit zu bringen; er selbst
war mit einer körperlichen Auseinandersetzung einverstanden.
Die Gelegenheit schien ihm günstig, den Zeugen K. wegen dessen
Aktion gegen seine Lebensgefährtin zu bestrafen. Einem
möglichen Streit sah er gelassen entgegen, hatte er doch ein
Klappmesser mit einer Klingenlänge von 8 cm und einer Breite
von 4 cm bei sich. Bevor der Angeklagte allerdings von sich aus aktiv
werden konnte, schlug ihm einer der Begleiter des Zeugen von hinten
eine Bierflasche auf den Hinterkopf, die dabei zerbrach. Gleichzeitig
erhielt er einen Tritt, so daß er zu Boden ging. Es kam nun
zu einer Schlägerei zwischen den beiden Gruppen, an denen sich
auch die Frauen beteiligten; diese entfernten sich dann.
Zwischenzeitlich hatte der am Boden liegende Angeklagte sein Messer
gezogen, war aufgestanden, hielt es in drohender Haltung gegen die
Gruppe um den Zeugen K. und schwang es vom Körper entfernt in
weiten Bögen von links nach rechts hin und her, um die ihn
Bedrohenden von sich fernzuhalten. Einer der Begleiter des Zeugen K.
hatte sich entfernt, zwei andere, die Zeugen T. und H. , blieben "in
respektvoller Entfernung" stehen und versuchten, den Zeugen K. vom
Angeklagten wegzuziehen. Sie haben später ausgesagt, die
eigentliche Aggression sei von K. und ihnen ausgegangen, sie
hätten aufgrund ihres eigenen Verhaltens Verständnis
für den Einsatz des Messers seitens des Angeklagten gehabt.
In dieser Situation ging der Zeuge K. nun in wütender und
aggressiver Stimmung auf den Angeklagten zu. Der Angeklagte, der sah,
daß K. keine Waffe oder ein gefährliches Werkzeug
bei sich hatte, schwang weiter sein Messer, um K. auf Abstand zu
halten. Da dieser trotzdem weiter auf den Angeklagten zukam, erlitt er
fünf Schnittverletzungen.
Gleichwohl ging er noch weiter auf den Angeklagten zu. "Wut und
Ärger stiegen in dem Angeklagten hoch, war K. doch derjenige,
der seine Freundin ´unsittlich´ angefasst hatte und
sich nunmehr auch noch mit ihm - dem Angeklagten - schlagen wollte.
Getragen von dieser Wut wollte er dem K. einen Denkzettel verpassen.
Bevor K. von sich aus irgendeine körperliche Attacke gegen den
Angeklagten ausführte, holte dieser mit dem Messer in der
rechten Hand aus und versetzte dem ihm gegenüber stehenden K.
einen gezielten und wuchtigen Stich in den linken Oberbauch. Das Messer
drang ca. 4 cm durch das Bauchfettgewebe in den Körper des K.
ein und durchstach den Darm" (UA S. 12, 13). Der Zeuge wurde alsbald
mit lebensgefährlicher Darmperforation in ein Krankenhaus
eingeliefert, notfallmäßig operiert, und seine
Schnittverletzungen wurden genäht.
Das Landgericht hat eine Notwehrlage sowohl hinsichtlich der
fünf Schnittverletzungen als auch bezüglich des
Bauchstichs verneint. Der Angeklagte habe genügend Zeit
gehabt, zusammen mit den drei Frauen wegzurennen und so der kommenden
Auseinandersetzung aus dem Weg zu gehen. Das habe er nicht getan.
Vielmehr habe er sich wütend und erbost auf die
körperliche Auseinandersetzung eingelassen, um die Gelegenheit
zu nutzen, K. zu bestrafen. Der eigentliche unmittelbare Angriff mit
der Bierflasche sei abgeschlossen gewesen, als K. auf den Angeklagten
zugegangen sei. "Mag der Zeuge auch die Absicht gehabt haben, sich -
vom Messer des Angeklagten unbeeindruckt - mit diesem zu schlagen",
habe doch kein Angriff auf ein geschütztes Rechtsgut des
Angeklagten unmittelbar bevorgestanden. Der "unbewaffnete K. habe weder
den Arm zum Schlag erhoben, noch eine sonstige körperliche
Aktion gegen den Angeklagten ausgeführt" (UA S. 29). Bei
dieser Sachlage sei ein künftiger Angriff durch K.
"möglicherweise zu erwarten, die gerechtfertigte
Notwehrhandlung (sei) zu dieser Zeit aber noch nicht möglich"
(UA S. 29) gewesen.
2. Die Ansicht des Landgerichts, schon die fünf
Schnittverletzungen seien nicht durch Notwehr gerechtfertigt, begegnet
rechtlichen Bedenken. Dem Urteil liegt insoweit eine zu enge Auffassung
vom Umfang des Notwehrrechts zugrunde.
Nach den Feststellungen stand dem Angeklagten unmittelbar ein
rechtswidriger Angriff durch den Zeugen K. bevor. Die der Tat
vorausgegangene körperliche Auseinandersetzung zwischen den
beiden Gruppen war beendet. Mindestens der Zeuge K. und noch zwei
seiner Begleiter kamen nun in feindseliger Absicht auf den Angeklagten
zu. Der Zeuge K. ließ sich auch durch die
Messerschwünge nicht abhalten, weiter auf den Angeklagten
zuzugehen. Entgegen der Auffassung des Landgerichts war jetzt nicht nur
"ein künftiger Angriff möglicherweise zu erwarten",
sondern gegenwärtig. Das Verhalten des K. konnte unmittelbar
in eine Rechtsgutverletzung umschlagen, so daß durch das
Hinausschieben einer Abwehrhandlung dessen Erfolg in Frage gestellt
wäre (vgl. BGHR StGB § 32 II Angriff 1). Der Einsatz
des Messers war unter den gegebenen Umständen auch
erforderlich, da er die sofortige Beseitigung des Angriffs des K.
erwarten ließ (vgl. BGHSt 27, 336; BGH NStZ 1996, 29; BGHR
StGB § 32 II Verteidigung 4); er war in der Form des im
Abstand vor dem Körper Hin- und Herschwingens auch - im
Vergleich zum sofortigen Zustechen - das schonendere Mittel zur
Erreichung des Abwehrerfolges. Auf einen Kampf mit ungewissem Ausgang
brauchte sich der Angeklagte nicht einzulassen (vgl. BGHR StGB
§ 32 II Erforderlichkeit 6).
Darauf, daß K. unbewaffnet war und den Arm noch nicht zum
Schlag erhoben hatte, kommt es angesichts der unmittelbaren
Vorgeschichte und der drohenden Haltung des Zeugen K. und seiner
Begleiter, denen der Angeklagte alleine gegenüberstand, nicht
an.
Der Angeklagte war auch - weder vor Beginn der Schlägerei, als
die Gruppe um den Zeugen K. auf ihn und die drei Frauen zurannte, noch,
nachdem er von der Bierflasche getroffen zu Boden gestürzt
war, sich erhoben hatte und erneut K. und seine Begleiter in drohender
Haltung auf sich zukommen sah - nicht gehalten, "selbst die Flucht zu
ergreifen" (UA S. 10, 34) und "wegzurennen" (UA S. 27). Seiner
Abwehrhandlung war kein schuldhaft provozierter Angriff seinerseits
vorausgegangen (vgl. BGHSt 39, 374 m.w.Nachw.), so daß er
nicht verpflichtet war, dem Angriff auszuweichen. Der Zeuge K. war nach
den getroffenen Feststellungen auch nicht so betrunken, als
daß unter diesem Gesichtspunkt das Notwehrrecht des
Angeklagten eingeschränkt gewesen wäre.
Der Angeklagte handelte auch mit Verteidigungswillen. Zwar schien dem
Angeklagten vor dem Beginn der körperlichen Auseinandersetzung
die Gelegenheit, den Zeugen K. für dessen Verhalten zu
bestrafen, günstig und im Hinblick auf sein Messer sah er auch
einem Streit trotz der zahlenmäßigen
Überlegenheit der Angreifer gelassen entgegen. Der
Messereinsatz hatte aber dann später in der konkreten
Situation nach den getroffenen Feststellungen nur noch den Zweck,
zunächst die Gruppe um K. und dann diesen allein von sich
fernzuhalten. Selbst wenn er in diesem Augenblick immer noch im Sinn
gehabt haben sollte, den Zeugen K. zu bestrafen, so drängte
dieses Motiv den Verteidigungszweck nicht völlig in den
Hintergrund (vgl. BGH NStZ 1996, 29, 30).
3. Soweit das Landgericht auch bei dem anschließenden
Bauchstich eine Notwehrlage verneint hat (vgl. BGHSt 42, 97; BGHR StGB
§ 32 II Verteidigung 6), kann der Senat nicht
ausschließen, daß die rechtsfehlerhafte Beurteilung
des ersten Tatkomplexes auch die Bewertung dieses Tatgeschehens
beeinflußt hat. Im Hinblick auf die Feststellung,
daß der Angeklagte aus Wut und um dem Zeugen einen Denkzettel
zu verpassen, zugestochen hat, läßt das Urteil zudem
eine Prüfung vermissen, ob der Angeklagte daneben auch noch
mit Verteidigungswillen gehandelt hat. Denn eine Tat kann auch dann
durch Notwehr gerechtfertigt sein, wenn der Täter neben der
Abwehr noch andere
Ziele verfolgt, solange sie den Verteidigungszweck nicht
völlig in den Hintergrund drängen; das gilt auch,
wenn Wut bei der Tat eine Rolle spielt (BGH NStZ 1996, 29, 30
m.w.Nachw.).
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