BGH,
Beschl. v. 8.5.2001 - 1 StR 137/01
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
vom
8. Mai 2001
in der Strafsache gegen
wegen versuchten Totschlags
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 8. Mai 2001 beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
München II vom 13. Dezember 2000 aufgehoben; jedoch bleiben
die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen
aufrechterhalten.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als
Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts
zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags zu
einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Hiergegen wendet sich
der Angeklagte mit seiner auf eine Verfahrensrüge und die
allgemein erhobene Sachrüge gestützten Revision. Die
Verfahrensrüge ist aus den Erwägungen in der
Antragsschrift des Generalbundesanwalts unbegründet im Sinne
des § 349 Abs. 2 StPO. Hingegen hat das Rechtsmittel mit der
Sachbeschwerde Erfolg; diese führt zur Aufhebung des Schuld-
und des Strafausspruchs.
I.
Nach den getroffenen Feststellungen lag der Angeklagte mit dem
Vermieter der von ihm und seiner Familie bewohnten
Doppelhaushälfte im Streit. Nachdem ein
rechtskräftiger Räumungstitel gegen ihn vorlag, zog
er aus dem Hause aus. Aus Verärgerung und um den Vermieter in
Verruf zu bringen nahm er zuvor mehrere Veränderungen u.a. an
der Elektroinstallation des Hauses vor. So öffnete er im
Eßzimmer und im Kinderzimmer jeweils eine Doppelsteckdose,
klemmte an je einer der Steckdosen den Schutzleiter und den
stromführenden Leiter ab und schloß den
stromführenden Leiter an den Schutzleiterkontakt an. Dadurch
bewirkte er, daß beim späteren Anschluß
eines mit einem Schutzleiter ausgestatteten Elektrogeräts an
eine dieser Steckdosen sofort eine Spannung von 230 Volt auf das
Gehäuse des angeschlossenen Gerätes
übertragen werden konnte. Er wollte erreichen, daß
ein nachfolgender Nutzer des Hauses beim
bestimmungsgemäßen Gebrauch der manipulierten
Steckdosen einen Stromschlag erhielte. Überdies hatte der
Angeklagte zuvor im Haussicherungskasten für die drei
Stromkreise des Hauses die vorhandenen 16-Ampere-Sicherungen und zudem
die Sicherungslastschalter überbrückt, die die
stromführenden Phasen zwischen Hausanschlußkasten
und dem Haussicherungskasten nochmals mit jeweils 25 Ampere
absicherten; sie waren damit funktionslos. Die einzige wirksame
Sicherung war danach noch die sog. Panzersicherung im
Hausanschlußkasten mit einer Absicherung von 50 Ampere. Die
Manipulationen wurden alsbald bei einer Überprüfung
der gesamten Elektroinstallation des Hauses entdeckt. Diese fand statt,
nachdem der Hausverwalter Veränderungen an der
Ölheizungsanlage des Hauses festgestellt hatte, die zu deren
Ausfall geführt hatten.
Das Landgericht geht - insoweit sachverständig beraten - davon
aus, der Angeklagte habe um der Verwirklichung seines Vorhabens willen
in Kauf genommen, daß ein Stromschlag beim Anschluß
eines elektrischen Gerätes ohne weiteres auch
tödliche Folgen hätte haben können.
II.
Die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe mit seinem Handeln
bereits das Stadium des Versuchs eines Tötungsdelikts
erreicht, ist von Rechts wegen nicht zu beanstanden. Hingegen leiden
die Erwägungen zum bedingten Tötungsvorsatz des
Angeklagten an durchgreifenden Erörterungsmängeln.
Überdies sind die Feststellungen zur Frage einer erheblich
verminderten Schuldfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit
lückenhaft.
1. Zu Recht geht die Strafkammer davon aus, der Angeklagte habe
unmittelbar zur Begehung der Tat angesetzt (§ 22 StGB). Er
hatte aus seiner Sicht alles für das Gelingen seines Tatplanes
Erforderliche getan. Für die Herbeiführung eines
deliktischen Erfolges war zwar noch die unbewußte Mitwirkung
des Opfers erforderlich, das eine der manipulierten Steckdosen
hätte nutzen müssen. Das ändert aber nichts
daran, daß bei ungestörtem Fortgang der Dinge
alsbald und innerhalb eines überschaubaren Zeitraumes die
Nutzung einer der manipulierten Steckdosen durch einen nachfolgenden
Mieter oder Handwerker wahrscheinlich war und nahelag. Hier, bei der
Veränderung elektrischer Steckdosen in zentralen
Räumen eines Wohnhauses, blieb nicht etwa ungewiß,
ob und wann die Manipulationen einmal Wirkung entfalten
würden. Es lag vielmehr auf der Hand, daß die
Steckdosen in Kürze genutzt würden. Insofern
verhält es sich anders als etwa beim Aufstellen eines
vergifteten Getränks in der ungewissen Erwartung, Einbrecher
würden erneut in ein Haus eindringen und das Getränk
zu sich nehmen (dazu Senat, BGHSt 43, 177 = NStZ 1998, 241 -
Giftfalle). Vielmehr liegt die Sache ähnlich wie beim
Anbringen einer Handgranate an einem vor dem Hause geparkten Pkw (dazu
Senat, NStZ 1998, 294, 295 - Sprengfalle).
2. Die Ausführungen des Landgerichts zum bedingten
Tötungsvorsatz des Angeklagten halten der rechtlichen
Überprüfung indessen nicht stand. Das Urteil
läßt nicht erkennen, ob das Landgericht die Grenze
zwischen bedingtem Vorsatz und bewußter
Fahrlässigkeit in Übereinstimmung mit den
Grundsätzen der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes gezogen
hat. Die Würdigung ist lückenhaft.
a) Der Bundesgerichtshof hat wiederholt hervorgehoben, daß
vor allem wegen der höheren Hemmschwelle gegenüber
der Tötung eines Menschen die offen zutage tretende
Lebensgefährlichkeit bestimmter Handlungen ein zwar
gewichtiges Indiz, nicht aber ein zwingender Beweisgrund für
die Billigung eines Todeserfolges durch den Täter ist (sog.
voluntatives Element des Vorsatzes). Der Schluß auf den
bedingten Tötungsvorsatz ist deshalb nur dann
tragfähig, wenn der Tatrichter in seine Erwägungen
auch alle diejenigen Umstände einbezogen hat, die eine
derartige Folgerung in Frage stellen können. Die
Urteilsgründe müssen erkennen lassen, daß
er eine solche Prüfung vorgenommen hat. Bei der
Würdigung sind alle dafür maßgeblichen
Umstände zu berücksichtigen, namentlich das Ziel und
der Beweggrund für die Tat, die Art der Ausführung,
die von der Tat ausgehende Gefährlichkeit, der Kenntnisstand
des Täters, aber auch seine psychische Verfassung. Bei der
Abgrenzung ist weiter zu bedenken, daß der Täter
einen Tötungserfolg zwar als möglich vorausgesehen,
aber ernsthaft und nicht nur vage darauf vertraut haben kann, er werde
dennoch nicht eintreten; dann würde er in bezug auf den
Tötungserfolg nur fahrlässig handeln. Hingegen kann
eine billigende Inkaufnahme des Erfolges und damit bedingter
Tötungsvorsatz vorliegen, wenn ihm der Erfolgseintritt an sich
unerwünscht ist, er sich aber wegen eines angestrebten anderen
Zieles damit abfindet. Die Grenzziehung kann im Einzelfall durchaus
schwierig sein; um so mehr bedarf sie in solchen Fällen der
Erörterung (vgl. nur BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz,
bedingter 1, 5, 8, 11, 14 [Elektroschutzanlage], 30, 35, 37, 38, 39,
jeweils m.w.N.).
b) Die Urteilsgründe lassen eine solche Abgrenzung des
angenommenen bedingten Tötungsvorsatzes zur bewußten
Fahrlässigkeit vermissen. Diese wäre auch im Blick
auf besondere Umstände des Falles geboten gewesen. Zwar lag
nach dem festgestellten objektiven Tatgeschehen die Annahme nahe, der
Angeklagte könne sich um der Erreichung seines eigentlichen
Zieles willen auch damit abgefunden haben, daß aufgrund
seiner Manipulationen ein Mensch zu Tode kommen könne. Er hat
den Beruf eines Elektrikers erlernt, zu dessen Grundwissen die von
solchen Veränderungen ausgehenden Gefahren gehören.
Darauf stellt auch das Landgericht ab. Zudem hat er nicht nur die
Steckdosen manipuliert, sondern durch die
Überbrückung der Absicherung der Stromkreise bewirkt,
daß eine Stromstärke bis zu 50 Ampere auf dem Leiter
möglich war. Schon ab 100 Milliampere können beim
Durchfließen des menschlichen Körpers -
abhängig von den weiteren Rahmenbedingungen -
Herzkammerflimmern und Herzstillstand eintreten und zum Tode
führen. Dies hat das Landgericht sachverständig
beraten ebenfalls festgestellt.
Das Landgericht hat aber aus subjektiven Gründen das Vorliegen
von Mordmerkmalen verneint. Die hierzu angestellten Erwägungen
hätte es auch bei der Prüfung des
Tötungsvorsatzes mit einbeziehen und erörtern
müssen. Die Strafkammer vermochte nicht die
Gewißheit zu erlangen, daß der Angeklagte das
Heimtückische seines Vorgehens in sein Bewußtsein
aufgenommen und die entsprechenden Umstände gedanklich
beherrscht und "gewollt gesteuert" hat. Sie hebt darauf ab,
daß dem Angeklagten im Herbst 1996 ein im seitlichen
Schädel entstandener Hirntumor operativ entfernt wurde, der
Angeklagte dadurch bedingt seine Berufstätigkeit einstellte
und finanzielle Einbußen erlitt. Zusammen mit seiner
familiären Situation böten sich deshalb ausreichende
Anhaltspunkte, daß er sich in einer verzweifelten Lage
gesehen habe. Die konkrete Tatausführung stehe nicht der
Annahme entgegen, daß er einen "spontan gefaßten
Entschluß" umgesetzt habe. Zu seinen Gunsten sei deshalb
davon auszugehen, er sei in erster Linie von dem Gedanken beherrscht
gewesen, seinem Vermieter zu schaden, indem er ernsthafte Konflikte
zwischen diesem und dem erwarteten Nachmieter auslösen und den
Vermieter in Verruf bringen wollte. Für ihn habe nicht im
Vordergrund gestanden, gerade die Arglosigkeit eines Nachmieters
auszunutzen. Ebensowenig seien niedrige Beweggründe ein
bestimmendes Motiv für eine Tötungshandlung gewesen.
Auch hierzu hebt das Landgericht darauf ab, der Angeklagte sei in einer
affektiv angespannten Situation in erster Linie auf die mittelbare
Schädigung des Vermieters fixiert gewesen.
Diese zu den subjektiven Elementen der Mordmerkmale angestellten
Erwägungen - die für sich gesehen gerade hinsichtlich
der Heimtücke wegen des objektiven Tatbildes durchaus
fragwürdig erscheinen mögen, den Angeklagten insoweit
jedoch nicht beschweren - hätte die Strafkammer auch bei der
Abgrenzung zwischen bedingtem Tötungsvorsatz und
bewußter Fahrlässigkeit bedenken und
berücksichtigen müssen. Das ist nicht geschehen,
obgleich die psychische Verfassung eines Täters für
die insoweit zu bewertende Frage mitbedeutsam sein kann. Dabei
wäre auch zu erörtern gewesen, welches Gewicht der
Befindlichkeit des Angeklagten angesichts der objektiv
möglichen Auswirkungen und des Ausmaßes seiner
Manipulationen zukommen konnte.
c) Darüber hinaus erweist sich die Würdigung zur
subjektiven Tatseite unter einem weiteren Gesichtspunkt als
lückenhaft. Das Landgericht hat keine näheren
Feststellungen dazu getroffen, von welcher Intensität und
Wirkung der operative Eingriff war, bei welchem dem Angeklagten nur
wenige Monate vor der Tat im seitlichen Schädel ein Hirntumor
entfernt worden war. Bei Verletzungen mit Gehirnbeteiligung
gehört die Beurteilung der Auswirkungen auf die
Steuerungsfähigkeit zu denjenigen Fragen, für die
eigene Sachkunde des Tatrichters regelmäßig nicht
ausreicht. Die Beiziehung der Krankenunterlagen und die
Anhörung eines medizinischen Sachverständigen
drängen sich dann oft auf (vgl. dazu BGHR StGB § 21
Sachverständiger 1, 2, 4, 8). Hier ist allerdings eine
Aufklärungsrüge von der Revision nicht erhoben.
Unbeschadet dessen erweist es sich aber auch als sachlich-rechtlicher
Mangel, daß das Urteil keine Ausführungen zur
erforderlichen Sachkunde der Strafkammer für die Beurteilung
der Auswirkungen des Eingriffs auf den inneren Tatbestand - wie auch
auf die Steuerungsfähigkeit - enthält. Das
Landgericht hat lediglich die Ehefrau des Angeklagten und weitere
Zeugen befragt und führt aus, diese hätten
Wesensveränderungen beim Angeklagten oder ein sonst
auffälliges Verhalten nach dem Eingriff verneint (UA S. 29
unten). Das genügte hier nicht, um die Frage etwaiger
Auswirkungen des Eingriffs zunächst auf die
Steuerungsfähigkeit des Angeklagten, im hier gegebenen
Zusammenhang aber auch auf die subjektive Tatseite (Willenselement des
Vorsatzes) tragfähig beantworten zu können. Denn die
Tat des Angeklagten erscheint eher ungewöhnlich (vgl. dazu
BGHR StGB § 21 Sachverständiger 8; BGH, Beschl. vom
10. Mai 1984 - 2 StR 145/84), und nach den Grundsätzen der
fachmedizinischen Erfahrung legt ein nachgewiesener
Hirnprozeß stets das Vorliegen
schuldfähigkeitsmindernder Voraussetzungen nahe (vgl.
Langelüddeke/Bresser, Gerichtliche Psychiatrie 4. Aufl. S.
170). Das kann hier auch für die Abgrenzung zwischen Vorsatz
und Fahrlässigkeit Bedeutung erlangen.
3. Der bezeichnete Darlegungs- und Erörterungsmangel wirkt
sich weiter auf die Würdigung zur Frage einer erheblichen
Verminderung der Schuldfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit
aus. Das Ausmaß und die Auswirkungen der Tumoroperation
hätten auch insoweit näherer Feststellungen und der
Bewertung bedurft.
4. Die aufgezeigten Rechtsfehler berühren die Feststellungen
zum äußeren Tatgeschehen nicht. Diese
können deshalb aufrechterhalten bleiben. Der neue Tatrichter
wird die Abgrenzung zwischen bedingtem Tötungsvorsatz und
bewußter Fahrlässigkeit sowie die Frage der
Steuerungsfähigkeit des Angeklagten im Blick auf die Operation
eines Hirntumors zu prüfen haben; die Hinzuziehung eines
medizinischen Sachverständigen dürfte naheliegen.
Sollte wiederum ein bedingter Tötungsvorsatz und etwa auch das
Vorliegen von Heimtücke bejaht werden, stünde das
Verschlechterungsverbot einer Verurteilung wegen versuchten Mordes
nicht entgegen; lediglich hinsichtlich der Art und
der Höhe der Rechtsfolgen wäre § 358 Abs. 2
StPO zu beachten. Sollte bedingter Tötungsvorsatz nicht
anzunehmen sein, wäre auch der Versuch einer
gefährlichen Körperverletzung (vgl. § 224
Abs. 1 Nr. 5 StGB) oder möglicherweise auch - nach
Feststellungen insoweit - der schweren Körperverletzung (vgl.
§ 226 Abs. 1 Nr. 3 StGB) zu prüfen.
Schäfer Nack Wahl
Boetticher Schluckebier
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