BGH,
Beschl. v. 8.11.2000 - 1 StR 447/00
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
1 StR 447/00
vom
8. November 2000
in der Strafsache gegen
wegen gewerbs- und bandenmäßigen Einschleusens von
Ausländern
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 8. November 2000
gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Stuttgart vom 10. Juli 2000 wird mit der Maßgabe verworfen,
daß die Urteilsformel wie folgt ergänzt wird:
Die von dem Angeklagten in Belgien erlittene Freiheitsentziehung wird
im Verhältnis eins zu eins angerechnet.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu
tragen.
Gründe:
Die aufgrund der Revisionsrechtfertigung gebotene Nachprüfung
des angefochtenen Urteils führt zur Nachholung des Ausspruchs
über die Anrechnung der in Belgien vom Angeklagten erlittenen
Freiheitsentziehung und der Festsetzung des Maßstabes
hierfür; im übrigen läßt das
Urteil einen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten nicht erkennen.
Der Senat bemerkt lediglich:
1. Der Schuldspruch nach § 92b Abs. 1 (i.V.m. § 92a
Abs. 1, 4) AuslG ist von Rechts wegen nicht zu beanstanden.
a) Die Erstreckung des Schutzbereichs des Tatbestandes des
Einschleusens von Ausländern auf die Vertragsstaaten des
Schengener Übereinkommens vom 19. Juni 1990 (§ 92a
Abs. 4 AuslG) hat zur Folge, daß die Strafvorschrift auch
dann anzuwenden ist, wenn Asylbewerber, die sich in der Bundesrepublik
Deutschland legal aufhalten, von hier "ausgeschleust" und in einen
anderen Vertragsstaat des Schengener Übereinkommens unter
Zuwiderhandlung gegen dessen Einreise- und Aufenthaltsbestimmungen
eingeschleust werden. Der Tatbestand stellt seinem Wortlaut nach auf
Zuwiderhandlungen gegen Rechtsvorschriften über die Einreise
von Ausländern "in das Europäische Hoheitsgebiet
einer der Vertragsstaaten des Schengener Übereinkommens" und
den Aufenthalt dort ab. Damit ist nicht nur das Einschleusen von
außerhalb des sog. Schengen-Raumes erfaßt, sondern
auch das Schleusen über die gemeinsamen Grenzen
(Binnengrenzen) der sog. Schengen-Staaten hinweg. Das ergibt sich aus
der Entstehungsgeschichte der Tatbestandserweiterung. Mit ihr sollte
der Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland aus Art. 27 Abs. 1 des
Schengener Übereinkommens genügt werden (BGBl 1993 II
S. 1010, 1027; vgl. OLG Zweibrücken OLGSt AuslG § 92a
Nr. 1; Franke in GK-AuslR § 92a AuslG Rn. 18). Danach hat jede
Vertragspartei des Übereinkommens nach weiteren
Maßgaben Sanktionen für den Fall der Schleusung von
Drittausländern "in das Hoheitsgebiet einer der
Vertragsparteien unter Verletzung ihrer Rechtsvorschriften" vorzusehen.
Deshalb kommt es nicht darauf an, ob sich der geschleuste
Drittausländer zuvor in einem anderen Vertragsstaat
rechtmäßig aufgehalten hat. Dieses
Verständnis des Tatbestandes entspricht zudem der
Zwecksetzung, mit dem Abbau der Grenzkontrollen an den gemeinsamen
Grenzen der sog. Schengen-Staaten (Binnengrenzen)
Ausgleichsmaßnahmen greifen zu lassen, um jedem Vertragsstaat
einen gewissen Sicherheitsstandard zu erhalten (siehe auch den
Gesetzentwurf zum Schengener Übereinkommen vom 19. Juni 1990,
BT-Drucks. 12/2453, Begründung S. 9 zu Art. 4 Nr. 3).
b) Zu Recht hat das Landgericht den Angeklagten auch wegen gewerbs- und
bandenmäßigen Einschleusens verurteilt.
Während nach § 92a Abs. 4 AuslG nur die
gewerbsmäßige Tatbegehung, nicht aber die
bandenmäßige erfaßt wird, erhebt
§ 92b Abs. 1 AuslG das gewerbs- und
bandenmäßige Einschleusen in einen sog.
Schengen-Staat zum Verbrechen.
c) Die Strafvorschrift erfordert schließlich nicht,
daß die Einreise nach Belgien und der Aufenthalt dort nach
belgischem Recht ebenfalls strafbar sind; es genügt,
daß sich der Sachverhalt als Zuwiderhandlung gegen
entsprechende Vorschriften über die Einreise und den
Aufenthalt darstellt, also nach der belgischen Rechtsordnung unerlaubt
ist. Das ergibt sich aus dem Wortlaut des Straftatbestandes (§
92a Abs. 4 AuslG; so auch Senge in Erbs/Kohlhaas, § 92a AuslG
Rn. 21; anders Franke in GK-AuslR § 92a AuslG Rn. 20). Die
Feststellung des Landgerichts, die geschleusten Personen
hätten nicht die für die Einreise nach Belgien
erforderlichen "Papiere" gehabt (UA S. 3), trägt hier im
Zusammenhang der Urteilsgründe den Schuldspruch noch.
2. Der Senat holt den nach § 51 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 Satz 2
StGB gebotenen Ausspruch über die Anrechnung der vom
Angeklagten in Belgien erlittenen Freiheitsentziehung und die
Festsetzung des Maßstabes hierfür nach. Dies
muß in der Urteilsformel zum Ausdruck kommen (vgl. nur BGHSt
27, 287, 288). Das Anrechnungsverhältnis wird auf eins zu eins
festgesetzt, weil keine Anhaltspunkte für erschwerende
Haftbedingungen in dem Deutschland benachbarten, zur
Europäischen Union gehörenden Staat ersichtlich sind
(vgl. für Belgien auch BGH, Urteil vom 30. März 1994
- 2 StR 643/93; Beschluß vom 24. Februar 1995 - 2 StR 2/95).
Der Senat schließt aus, daß ein neuer Tatrichter
hierzu eine andere Entscheidung hätte treffen können.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1, Abs. 4
StPO. Es erscheint nicht als unbillig, den Beschwerdeführer
trotz eines geringfügigen Teilerfolges hinsichtlich der
Anrechnung in Belgien erlittener Freiheitsentziehung mit seinen
Auslagen und den gesamten Kosten des Rechtsmittels zu belasten. Er hat
das Urteil in vollem Umfang angefochten. Die Anrechnung der in Belgien
erlittenen Haft von etwa zwei Monaten und zwei Wochen auf die
verhängte Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs
Monaten hat im Blick auf die vorzunehmende umfassende
Nachprüfung des Urteils für die Kostenentscheidung
kein erhebliches Gewicht.
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