BGH,
Beschl. v. 8.10.2002 - 4 StR 235/02
4 StR 235/02
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
vom
8. Oktober 2002
in der Strafsache gegen
wegen Vergewaltigung u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofes hat nach Anhörung
des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 8.
Oktober 2002 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO
beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Stralsund vom 14. Februar 2002 im Maßregelausspruch mit den
Feststellungen aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung und
räuberischer Erpressung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von
fünf Jahren verurteilt und die Unterbringung in einem
psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die Revision des Angeklagten,
mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt, ist zum
Schuld- und Strafausspruch unbegründet im Sinne des §
349 Abs. 2 StPO; insoweit hat die Überprüfung des
Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum
Nachteil des Angeklagten ergeben. Demgegenüber hat die
Maßregelanordnung keinen Bestand, weil die Voraussetzungen
der Unterbringung des Angeklagten gemäß §
63 StGB im Urteil nicht ausreichend dargetan sind.
1. Nach den Feststellungen lernte der Angeklagte, der bereits dreimal
wegen sexueller Nötigung zu Freiheitsstrafen verurteilt worden
war, im Juli 2001 Petra H. kennen, deren Hilfsbereitschaft er in der
Folgezeit mehrfach ausnutzte. Eine sexuelle Beziehung bestand zwischen
ihnen nicht. Am 18. August 2001 suchte er sie erneut auf. Nachdem sie
zunächst im Garten aus Anlaß seines Geburtstages
alkoholische Getränke in mäßiger Menge zu
sich genommen hatten, drängte er sie in ihre Wohnung, um dort
mit ihr auch gegen ihren Willen sexuell zu verkehren. Er
verschloß die Wohnungstür, versetzte der
verängstigten Frau mehrere Schläge ins Gesicht und
erzwang dadurch die Durchführung des Oral- und des
Vaginalverkehrs. Danach nötigte er sie durch weitere
Gewaltanwendung, ihm 200 DM auszuhändigen, wodurch er ihrem
Vermögen Nachteil zufügte und sich zu Unrecht
bereicherte.
Zur Schuldfähigkeit hat sich das Landgericht den
Ausführungen des gehörten psychiatrischen
Sachverständigen angeschlossen, denenzufolge bei dem
Angeklagten eine "spezifische Persönlichkeitsstörung
nach der internationalen Klassifikation psychischer Störungen
(ICD-10: F 60)" (UA 34) vorliege. Bei dem Angeklagten seien zahlreiche,
für unterschiedliche
Persönlichkeitsstörungen charakteristische Kriterien
festzustellen. So deute die verfahrensgegenständliche Tat
nicht nur auf eine dissoziale Persönlichkeitsstörung
hin; die Aggressivität gegen die Geschädigte sei
vielmehr ein "Ausdruck sexualisierter Gewalt, die auf nach wie vor
bestehende Haßgefühle gegenüber Frauen
hindeute" (UA 35). Daß der Angeklagte - wie er behaupte - die
früheren Gewaltphantasien und Haßgefühle
gegenüber Frauen, die im Zusammenhang mit der problematischen
Beziehung zu seiner Mutter gestanden hätten, durch
therapeutische Gespräche während seiner letzten
Haftzeit aufgearbeitet habe, erscheine angesichts seiner mangelnden
Ehrlichkeit fraglich. Weiterhin seien bei ihm "Merkmale einer
schizoiden Persönlichkeitsstörung wie emotionale
Kühle, flache Affektivität und ein Mangel an engen,
vertrauensvollen Beziehungen, aber auch histrionische Züge wie
eine oberflächliche, labile Affektivität und
Selbstbezogenheit sowie narzißtische Kriterien nachgewiesen"
(UA 35).
2. Diese zur Schuldfähigkeit des Angeklagten getroffenen
Feststellungen und Bewertungen sind nicht geeignet, die
Maßregelanordnung zu rechtfertigen. Diese setzt die positive
Feststellung eines länger andauernden, nicht nur
vorübergehenden Defekts voraus, der zumindest eine erhebliche
Einschränkung der Schuldfähigkeit im Sinne des
§ 21 StGB begründet (st. Rspr.; BGHSt 34, 22, 26 f.;
BGHR StGB § 63 Zustand 26). Dabei können zwar auch
nicht pathologisch bedingte Störungen Anlaß
für eine Unterbringung nach § 63 StGB sein, wenn sie
in ihrem Gewicht den krankhaften seelischen Störungen
entsprechen (BGHSt 34, 22, 28). Die Diagnose einer wie auch immer
gearteten Persönlichkeitsstörung
läßt jedoch für sich genommen eine Aussage
über die Frage der Schuldfähigkeit des
Täters nicht zu (vgl. BGHSt 42, 385). Vielmehr bedarf es einer
Gesamtschau der Täterpersönlichkeit und ihrer
Entwicklung, um feststellen zu können, ob die
Störungen des Täters sein Leben vergleichbar schwer
und mit ähnlichen Folgen wie krankhafte seelische
Störungen - auch im Hinblick auf seine Fähigkeit zu
normgemäßem Verhalten - stören, belasten
oder einengen (vgl. BGHSt 37, 397, 401; BGHR StGB § 63 Zustand
25, 34). Diesen Anforderungen genügen die
Urteilsgründe nicht. Die Ausführungen der Strafkammer
zur Persönlichkeitsstörung des Angeklagten und zu der
das Gutachten des Sachverständigen tragenden sachlichen
Begründung sind so allgemein gehalten, daß sich
nicht zuverlässig beurteilen läßt, ob die
festgestellte Störung den Schweregrad erheblich verminderter
Steuerungsfähigkeit sicher erreicht hat. Es werden im
wesentlichen persönliche Merkmale beschrieben, die sich
innerhalb der Bandbreite von Eigenschaften auch voll
schuldfähiger Menschen bewegen und übliche Ursachen
für ein strafbares Tun sein können. Jedenfalls liegen
die bei dem Angeklagten festgestellten Charakter- und
Verhaltensauffälligkeiten bei Straftätern
häufig vor, ohne daß sie für sich genommen
eine generalisierende Aussage zur Frage der Schuldfähigkeit
zulassen.
3. Die Frage der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen
Krankenhaus bedarf daher umfassender neuer Prüfung.
Tepperwien Kuckein Athing Solin-Stojanovic Sost-Scheible |