BGH,
Beschl. v. 8.10.2008 - StB 12-15/08
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
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StB 12-15/08
vom
8.10.2008
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
Veröffentlichung: ja
StPO § 101 Abs. 7
Zum Verfahren auf Gewährung von nachträglichem
Rechtsschutz gemäß § 101 Abs. 7 StPO gegen
die Anordnung heimlicher Ermittlungsmaßnahmen und die Art und
Weise ihres Vollzugs.
BGH, Beschluss vom 8.10.2008 - StB 12-15/08 - Ermittlungsrichter des
Bundesgerichtshofs
in dem Ermittlungsverfahren
gegen
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wegen Verdachts der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung u.
a.;
hier: Beschwerden der B. Verlag GmbH u. a.
gegen die Anordnung sowie Art und Weise des Vollzugs eines
Postbeschlagnahmebeschlusses
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Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 8.10.2008
gemäß § 101 Abs. 7 Satz 4, § 304
Abs. 5 StPO beschlossen:
Die Sache wird an den 1. Strafsenat des Kammergerichts Berlin abgegeben.
Gründe:
I.
Der Generalbundesanwalt führt bzw. führte ein
Ermittlungsverfahren gegen sieben Beschuldigte wegen des Verdachts der
mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung
("militante gruppe"). Auf seinen Antrag erließ der
Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs im Zuge dieses
Ermittlungsverfahrens am 18. Mai 2007 einen Postbeschlagnahmebeschluss
nach §§ 99, 100 Abs. 1 und Abs. 3 Satz 2 StPO, mit
dem er für den Zeitraum vom 18. bis 22. Mai 2007 die
Beschlagnahme durch bestimmte äußere Merkmale
gekennzeichneter Briefe an vier Berliner Zeitungsverlage im
Briefzentrum 10 in Berlin-Mitte anordnete. Auf diese Weise sollten
etwaige Bekennerschreiben zu einem am 18. Mai 2007 begangenen
Brandanschlag vor deren Auslieferung durch die Deutsche Post AG
sichergestellt und untersucht werden. Zwei Bekennerschreiben, gerichtet
an zwei Zeitungen , auf die die im Beschlagnahmebeschluss genannten
äußeren Merkmale zutrafen, wurden auf diese Weise
als Beweismittel gesichert. Mit Beschluss vom 31. Mai 2007
bestätigte der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs deren
Beschlag-
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nahme. Eine Benachrichtigung der betroffenen Adressaten von der
Anordnung und dem Vollzug der Maßnahme wurde aus
Ermittlungsgründen zurückgestellt. Die Betroffenen
haben hiervon Anfang November 2007 von dritter Seite Kenntnis erlangt.
Ohne dass zwischenzeitlich eine Benachrichtigung nach § 101
Abs. 4 Satz 1 Nr. 2, Satz 2 StPO vorgenommen worden war, haben die im
Beschluss vom 18. Mai 2007 als mögliche Adressaten der Briefe
benannten vier Berliner Zeitungsverlage mit Schriftsatz vom 28. Januar
2008 gegen die Beschlagnahmeanordnung sowie hilfsweise gegen die Art
und Weise des Vollzugs der Maßnahme "Beschwerde" eingelegt;
den Beschluss vom 31. Mai 2007 haben sie nicht angefochten. Der
Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs hat das Rechtsmittel in einen
Antrag nach § 101 Abs. 7 Satz 2 StPO auf
Überprüfung der Rechtmäßigkeit der
Anordnung der Postbeschlagnahme sowie der Art und Weise ihres Vollzuges
umgedeutet. Hinsichtlich der Anordnung der Maßnahme hat er
den Antrag mit Beschluss vom 5. Mai 2008 als unbegründet
zurückgewiesen. Dem hilfsweise gestellten Antrag hat er
entsprochen.
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Gegen die Zurückweisung ihres Antrags auf Feststellung der
Rechtswidrigkeit der richterlichen Anordnung der Postbeschlagnahme
haben die Betroffenen am 8. Mai 2008 sofortige Beschwerde eingelegt und
diese am 3. Juni 2008 begründet. Sie sind der Auffassung,
bereits die ermittlungsrichterliche Anordnung der Postbeschlagnahme sei
im Hinblick auf die Pressefreiheit einschließlich des
Informantenschutzes und des Redaktionsgeheimnisses
unverhältnismäßig und damit
verfassungswidrig gewesen.
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Unter dem 21. Juni 2008 hat der Generalbundesanwalt gegen drei der
sieben Beschuldigten Anklage zum 1. Strafsenat des Kammergerichts
Berlin erhoben. Im wesentlichen Ermittlungsergebnis der Anklageschrift
sind die be-
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schlagnahmten zwei Selbstbezichtigungsschreiben der "militanten gruppe"
vom 18. Mai 2007 als Beweismittel benannt. Die Ermittlungsverfahren
hinsichtlich der übrigen vier Beschuldigten sind abgetrennt
worden und dauern an.
II.
Die Sache ist an den 1. Strafsenat des Kammergerichts Berlin abzugeben.
Aufgrund der Anklageerhebung ist die
Entscheidungszuständigkeit gemäß §
101 Abs. 7 Satz 4 StPO auf das Kammergericht übergegangen.
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1. Das Verfahren zur Gewährung von nachträglichem
Rechtsschutz gegen die Postbeschlagnahme richtet sich nach §
101 Abs. 7 StPO. Diese Vorschrift beinhaltet insoweit eine spezielle
Regelung für alle dort benannten heimlichen
Ermittlungsmaßnahmen, die die allgemeinen Rechtsbehelfe
verdrängt. Der Ermittlungsrichter hat daher die "Beschwerde"
zu Recht in den allein statthaften Antrag nach § 101 Abs. 7
Satz 2 StPO umgedeutet (§ 300 StPO).
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Dass es sich bei § 101 StPO um eine abschließende
Sonderregelung handelt, deren Absatz 7 - jedenfalls für
bereits beendete Maßnahmen - den Rechtsbehelf der Beschwerde
sowie den von der Rechtsprechung entwickelten Rechtsschutz entsprechend
§ 98 Abs. 2 StPO verdrängt, ergibt sich neben dem
Grundsatz des lex specialis insbesondere aus der Systematik des
§ 101 StPO. Stünde den Betroffenen neben dem
Verfahren des nachträglichen Rechtsschutzes nach §
101 Abs. 7 StPO das bisherige Rechtsbehelfssystem parallel zur
Verfügung, so liefe die gesetzliche Bestimmung einer
Antragsfrist von zwei Wochen nach Benachrichtigung von der
Maßnahme (§ 101 Abs. 7 Satz 2 StPO) sowie die
Ausgestaltung des Anschlussrechtsmittels als sofortige Beschwerde
(§ 101 Abs. 7 Satz 3 StPO) leer (kritisch aber Glaser/Gedeon
GA 2007, 415,
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434). Die Befristung des Rechtsbehelfs war vom Gesetzgeber im Hinblick
auf die Löschungsregelung in § 101 Abs. 8 StPO jedoch
ausdrücklich für notwendig erachtet worden, da ein
unbefristeter Rechtsbehelf einer Löschung dauerhaft
entgegenstünde (BTDrucks. 16/5846 S. 62 letzter Absatz;
kritisch hierzu Puschke/Singelnstein NJW 2008, 113, 116; Klaws StRR
2008, 7, 10; vgl. auch Nöding StraFo 2007, 456, 463).
Insbesondere handelt es sich bei dem Rechtsmittel nach § 101
Abs. 7 Satz 2 StPO nicht um einen Auffangtatbestand, der nur dann
Anwendung findet, wenn das Rechtsschutzbedürfnis - auch nach
den Maßstäben der Rechtsprechung zu dessen
Fortbestehen bei schwer wiegenden Grundrechtseingriffen (BVerfG NJW
1997, 2163; BGHSt 44, 265) - mit Erledigung der Maßnahme
entfallen ist (aA Meyer-Goßner, StPO 51. Aufl. § 101
Rdn. 26; Eisenberg, Beweisrecht der StPO 6. Aufl. Rdn. 2499, 2535;
Löffelmann ZIS 2006, 87, 97; ders. in: AnwK-StPO §
100 d Rdn. 10; unklar ders. ZStW 118 (2006) 358, 368). Denn die
Funktion und praktische Bedeutung des § 101 Abs. 7 Satz 2 StPO
erschöpfen sich nicht allein darin, dem Betroffenen den
Nachweis eines fortbestehenden Rechtsschutzbedürfnisses im
Einzelfall zu ersparen (dahingehend Puschke/Singelnstein NJW 2008, 113,
116; Zöller StraFo 2008, 15, 23; Löffelmann aaO),
sondern zielen insgesamt darauf ab, ein "harmonisches Gesamtsystem" der
strafprozessualen heimlichen Ermittlungsmaßnahmen (BTDrucks.
16/5846 S. 91) und des Rechtsschutzes gegen diese zu schaffen. Aufgrund
des klaren Wortlauts und Zwecks der gesetzlichen Neuregelung
können die teilweise missverständlichen
Formulierungen in der Gesetzesbegründung, die auf einen nicht
fristgebundenen parallelen Rechtsschutz entsprechend § 98 Abs.
2 Satz 2 StPO hindeuten (BTDrucks. 16/5846 S. 62), für die
Gesetzesauslegung keine maßgebliche Bedeutung gewinnen.
Andernfalls wären wiederum erhebliche Abgrenzungsprobleme zu
gewärtigen.
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2. Mit Erhebung der Anklage durch den Generalbundesanwalt ist die
Zuständigkeit für die Entscheidung über den
Antrag nach § 101 Abs. 7 Satz 4 StPO auf den 1. Strafsenat des
Kammergerichts übergegangen.
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Nach der - insoweit eindeutigen - Gesetzesbegründung
(BTDrucks. 16/5846 S. 63) soll für Anträge auf
nachträglichen Rechtsschutz in Fällen, in denen
bereits Anklage erhoben wurde, aus Gründen der
Zweckmäßigkeit und Effizienz die
ausschließliche Entscheidungszuständigkeit des
nunmehr mit der Sache befassten erkennenden Gerichts begründet
sein. Auch wenn eine Entscheidung des Anordnungs- bzw.
Beschwerdegerichts über die Rechtmäßigkeit
der Anordnung der Maßnahme sowie der Art und Weise ihres
Vollzuges keine Entscheidung über die Verwertbarkeit der
hierdurch gewonnenen Beweismittel beinhaltet (OLG Frankfurt NStZ-RR
2006, 44, 45; Nack in KK 6. Aufl. § 101 Rdn. 35;
Nöding StraFo 2007, 456, 463) und für das im
Hauptverfahren erkennende Gericht auch nicht präjudizierend
ist (BTDrucks. 16/5846 S. 62; Meyer-Goßner aaO § 101
Rdn. 25; Nack aaO § 101 Rdn. 35; Eisenberg aaO Rdn. 2535),
soll der Gefahr divergierender Entscheidungen dadurch begegnet werden,
dass dieses über den Antrag nach § 101 Abs. 7 Satz 2
StPO in der das Verfahren abschließenden Entscheidung
einheitlich befindet.
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Dies kann, wenn bereits vor Anklageerhebung um nachträglichen
Rechtsschutz nach § 101 Abs. 7 Satz 2 StPO nachgesucht worden
ist, zu einem Übergang der gerichtlichen
Entscheidungszuständigkeit auf das erkennende Gericht
führen (BTDrucks. 16/5846 S. 63; Meyer-Goßner aaO
§ 101 Rdn. 25). Der dem § 162 StPO zu entnehmende
allgemeine Rechtsgedanke, dass mit Anklageerhebung jedwede Kompetenz
des Ermittlungsrichters beendet ist und diese auf das erkennende
Gericht übergeht (OLG Frankfurt NStZ-RR 2006, 44, 45; Erb in
Löwe/Rosenberg, StPO 26. Aufl. § 162 Rdn. 52, 52 a;
Griesbaum
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in KK 6. Aufl. § 162 Rdn. 20), hat in § 101 Abs. 7
Satz 4 StPO eine spezialgesetzliche Konkretisierung erfahren.
a) Dem Übergang der Zuständigkeit steht hier nicht
entgegen, dass die nachträgliche Überprüfung
der Maßnahme nicht von einem Beschuldigten oder Angeklagten,
sondern als Drittbetroffenen von den Zeitungsverlagen begehrt wird, an
die die Briefe adressiert waren, die der Anordnung nach § 99
StPO unterworfen worden sind. Ausweislich der amtlichen
Begründung war im Gesetzgebungsverfahren zunächst
erwogen worden, die Zuständigkeitsregelung des § 101
Abs. 7 Satz 4 StPO auf die Fälle zu beschränken, in
denen der Angeklagte um nachträglichen Rechtsschutz ersucht.
Aus Gründen einer effizienten Verfahrensweise sowie zur
Vermeidung divergierender Entscheidungen zwischen Anordnungs- oder
Beschwerdegericht einerseits und erkennendem bzw. Rechtsmittelgericht
andererseits soll die durch den
Zuständigkeitsübergang bedingte
Zuständigkeitskonzentration bei dem erkennenden Gericht jedoch
auch für diese Konstellation gelten (BTDrucks. 16/5846 S. 63;
ebenso Eisenberg aaO Rdn. 2499; kritisch Nack aaO Rdn. 37).
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b) Dass bislang nur gegen drei der ursprünglich sieben
Beschuldigten Anklage erhoben worden ist und das Ermittlungsverfahren
gegen die weiteren vier Beschuldigten noch andauert, steht dem
Übergang der Zuständigkeit auf das erkennende Gericht
ebenfalls nicht entgegen. Denn die Gefahr divergierender Entscheidungen
stellt sich, sobald das erkennende Gericht - als Vorfrage im Rahmen der
eventuellen Prüfung eines Verwertungsverbotes - inzident auch
zur Rechtmäßigkeit der Anordnung und Vollziehung der
Maßnahme Stellung bezieht. Da die Bekennerschreiben in dem
Verfahren vor dem 1. Strafsenat des Kammergerichts als Beweismittel
eine Rolle spielen können, hat sich die Gefahr divergierender
Entscheidungen hier im Übrigen sogar konkretisiert.
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c) Letztlich wird der Zuständigkeitswechsel auch nicht dadurch
gehindert, dass der Antrag nach § 101 Abs. 7 Satz 2 StPO sowie
die sofortige Beschwerde nach § 101 Abs. 7 Satz 3 StPO bereits
vor Anklageerhebung angebracht worden waren; denn mit dem Wegfall der
Zuständigkeit des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofes
ist auch diejenige des Senats als Beschwerdegericht (§ 135
Abs. 2 GVG, § 304 Abs. 5 GVG) entfallen (BGHSt 27, 253). Der
dem § 101 Abs. 7 Satz 4 StPO zugrunde liegende Rechtsgedanke,
divergierende Entscheidungen verschiedener Gerichte zu vermeiden, gilt
auch in dieser Verfahrenskonstellation (vgl. BGHSt 27, 253, 254). Daher
hat nunmehr das erkennende Gericht zu entscheiden (siehe auch OLG
Frankfurt NStZ-RR 2006, 44, 45; Meyer-Goßner aaO §
162 Rdn. 19).
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Becker Miebach Sost-Scheible |