BGH,
Beschl. v. 9.1.2007 - 1 StR 605/06
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
1 StR 605/06
vom
9.1.2007
BGHSt: ja
Veröffentlichung: ja
____________________
StGB § 66b
Eine im Strafvollzug aufgetretene psychische Erkrankung des
Verurteilten kann für sich genommen die nachträgliche
Anordnung der Sicherungsverwahrung gemäß §
66b StGB regelmäßig nicht begründen.
Maßgebliches Kriterium ist, dass sich die Erkrankung
während der Strafhaft in einer für die
Gefährlichkeitsprognose relevanten Weise im Verhalten des
Verurteilten ausgedrückt hat.
BGH, Beschl. v. 9. Januar 2007 - 1 StR 605/06 - Landgericht Passau
in der Strafsache
gegen
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wegen nachträglicher Anordnung der Unterbringung in der
Sicherungsverwahrung
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 9. Januar 2007
beschlossen:
1. Auf die Revision des Verurteilten wird das Urteil des Landgerichts
Passau vom 9. Oktober 2006 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer
des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat die nachträgliche Unterbringung des
Verurteilten in der Sicherungsverwahrung gem. § 66b Abs. 2
StGB angeordnet. Hiergegen
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wendet sich der Verurteilte mit seiner auf die Verletzung materiellen
Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
I.
Dem Urteil des Landgerichts liegt Folgendes zugrunde:
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1. Gegen den Verurteilten wurde vom Landgericht Passau am 9. Oktober
1997 wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit räuberischem
Angriff auf einen Kraftfahrer und mit versuchtem schwerem Raub eine
Freiheitsstrafe von sieben Jahren verhängt
(Anlassverurteilung). Der Verurteilte und dessen mitverurteilter Bruder
hatten versucht, einen Taxifahrer während der Fahrt mit
mitgeführten Tapezier- und Küchenmessern zu
erstechen, um in den Besitz seiner Einnahmen zu gelangen und die Kosten
für die Fahrt zu sparen. Dem Tatopfer gelang mit erheblichen
Verletzungen die Flucht.
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Der Verurteilte war wegen Delikten aus dem Bereich der mittleren
Kriminalität, darunter Körperverletzungen, bereits
mehrfach vorgeahndet. Nach den Feststellungen des
sachverständig beratenen Ausgangsgerichts liegt bei ihm eine
schwere Persönlichkeitsstörung vor, die mit
erheblicher Impulsivität und mit auto- und fremdaggressivem
Verhalten einhergeht. Wegen dieser Persönlichkeitsstruktur und
einer aktuellen Alkoholintoxikation ist das Ausgangsgericht von einer
erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit des Verurteilten im
Tatzeitpunkt ausgegangen. Von einer Unterbringung in einem
psychiatrischen Krankenhaus hat es abgesehen, „weil der
Angeklagte jede Therapie ablehnt, insbesondere auch eine Therapie nach
der Strafe und er deswegen nach den
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Ausführungen des Sachverständigen nicht
therapiefähig ist, eine Unterbringung von Vornherein also
aussichtslos wäre.“
2. Der Verurteilte verbüßte die verhängte
Freiheitsstrafe vollständig. Wie die nunmehr befasste
Strafkammer feststellt, erkrankte er im Verlaufe des Strafvollzuges an
einer paranoiden Psychose aus dem Formenkreis der Schizophrenie. Die
Krankheit äußert sich in Denkstörungen und
paranoiden Wahnvorstellungen. Der Verurteilte zeigt weder
Krankheitseinsicht noch Behandlungsbereitschaft; eine Medikation muss
daher im Rahmen einer Betreuung zwangsweise durchgeführt
werden. Darüber hinausgehende Feststellungen zu den
Auswirkungen der Erkrankung, insbesondere zu den bei dem Verurteilten
konkret aufgetretenen Krankheitssymptomen und deren Einfluss auf sein
Vollzugsverhalten trifft das Landgericht nicht.
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3. Das Landgericht hat die Voraussetzungen für die
nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung nach
§ 66b Abs. 2 StGB bejaht. Als neue Tatsache im Sinne von
§ 66b Abs. 1 StGB hat es die psychiatrische Erkrankung des
Verurteilten gewertet. Im Anschluss an die eingeholten psychiatrischen
Sachverständigengutachten führt es aus, dass der
Verurteilte ohne die von ihm abgelehnte medikamentöse
Behandlung einem wahnhaftem Beeinträchtigungs- und
Beeinflussungserleben unterliegen werde. Seine bereits
persönlichkeitsbedingt angelegte Neigung zu
Aggressivität und Impulsivität, auf die sich die
Anlasstat gegründet habe, werde hierdurch deutlich
erhöht. Das Landgericht sieht aus diesem Grunde auch einen
prognoserelevanten symptomatischen Zusammenhang mit der
Anlassverurteilung.
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Als neue Tatsache wertet das Landgericht auch die Therapieunwilligkeit
des Verurteilten, misst ihr allerdings keine eigene
entscheidungserhebliche Bedeutung bei. Das Vollzugsverhalten des
Verurteilten, auf das der im vorbereitenden Antragsverfahren von der
Staatsanwaltschaft beauftragte Sachverständige noch seine
Gefährlichkeitsprognose gestützt hatte (UA S. 12),
hält es für insgesamt „nicht
relevant“. Nach Auffassung des Landgerichts bedurften daher
Umstände wie „beispielsweise das Auffinden der
beiden selbstgefertigten Schneidewerkzeuge in der Zelle des
Betroffenen“ oder die Frage, „ob der Betroffene
tatsächlich einem Mitgefangenen gegenüber
geäußert hatte, er werde/wolle mit den
selbstgefertigten Schneidwerkzeugen Anstaltspersonal
aufschlitzen“ (UA S. 19), keiner näheren
Aufklärung und Feststellung.
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- 6 -
II.
Das angefochtene Urteil hält sachlich-rechtlicher
Überprüfung nicht stand. Das Landgericht hat die
formellen Eingangsvoraussetzungen des § 66b Abs. 2 StGB zwar
zu Recht bejaht. Auch ist der vom Landgericht herangezogene Umstand der
psychiatrischen Erkrankung des Verurteilten „neu“
im Sinne des § 66b StGB. Die nachträgliche Anordnung
der Sicherungsverwahrung kann gleichwohl keinen Bestand haben, weil der
festgestellte Zustand des Verurteilten für sich genommen keine
hinreichende Tatsachengrundlage bietet, um hieraus eine den
Anforderungen von § 66b StGB genügende qualifizierte
Gefährlichkeit des Verurteilten abzuleiten.
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1. Nicht zu beanstanden ist die Bewertung des Landgerichts, dass es
sich bei der im Verlaufe des Strafvollzugs hervorgetretenen Erkrankung
des Verurteilten um eine „neue“, im Verfahren zur
nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung
grundsätzlich berücksichtigungsfähige
Tatsache handelt.
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a) Neue Tatsachen im Sinne des § 66b Abs. 1 StGB sind nur
solche, die nach der letzten Verhandlung in der Tatsacheninstanz und
vor Ende des Vollzuges der verhängten Freiheitsstrafe bekannt
oder erkennbar geworden sind. Demgegenüber können
Umstände, die dem ersten Tatrichter bekannt waren oder die er
bei pflichtgemäßer Sorgfalt hätte erkennen
und erforderlichenfalls näher aufklären
müssen, im Verfahren nach § 66b StGB keine
Berücksichtigung finden (BGHSt 50, 180, 187; 373, 378 f.). Im
Falle psychischer Auffälligkeiten des Verurteilten kommt es
nicht darauf an, wann diese Auffälligkeiten erstmals zur
Diagnose einer psychischen Störung oder psychiatrischen Krank-
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heit geführt haben; maßgeblich ist vielmehr, ob die
der psychologischen oder medizinischen Bewertung zugrunde liegenden
Anknüpfungstatsachen im Zeitpunkt der Aburteilung bereits
vorlagen und bekannt oder zumindest erkennbar waren (vgl. BGHSt 50,
275, 278 f.; 373, 379, 383; BGH NStZ-RR 2006, 302). Eine erstmalige
oder neue Bewertung derartiger Tatsachen stellt selbst keine neue
Tatsache im Sinne des § 66b Abs. 1 StGB dar (BGH, Beschl. v.
24. März 2006 - 1 StR 27/06).
Um den Fall einer solch nachträglichen Diagnose auf der
Grundlage bereits früher bekannter oder erkennbarer Tatsachen
handelt es sich hier nicht. Zwar sind bereits im Ausgangsverfahren bei
dem Verurteilten Verhaltensweisen und Auffälligkeiten
festgestellt worden, die der hinzugezogene Sachverständige als
Persönlichkeitsstörung in der Ausprägung
einer dissozialen Entwicklung mit emotionaler Instabilität
bewertet hatte. Die Urteilsgründe belegen jedoch hinreichend,
dass es sich bei diesen Symptomen um andere handelt als jene, auf die
sich die jetzige Diagnose einer paranoiden Schizophrenie
gründet. Soweit der nunmehr angehörte
Sachverständige es für möglich
hält, dass der aktuellen Erkrankung ein unspezifisches
Vorstadium vorangegangen ist, das bereits vor der Anlassverurteilung
aufgetreten sein könnte, war dies für den damaligen
Tatrichter jedenfalls nicht erkennbar. Wie das Landgericht feststellt,
hatte der im damaligen Verfahren gehörte
Sachverständige keine Anhaltspunkte für das Vorliegen
einer schizophrenen Erkrankung oder eines möglichen
Vorstadiums wahrgenommen. Dass der Sachverständige einen
entsprechenden Befund hätte gewinnen können, ist
nicht ersichtlich. Vor diesem Hintergrund bestand auch für den
damaligen Tatrichter kein Anhaltspunkt für einen über
die diagnostizierte Störung hinausgehenden psychischen Defekt
und daher auch kein Anlass, Aufklärungsbemühungen in
diese Richtung zu entfalten.
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b) Keinen Bedenken begegnet auch, dass das Landgericht die fehlende
Krankheitseinsicht und die Therapieunwilligkeit des Verurteilten als
„neu“ bewertet. Der Verurteilte hatte zwar bereits
vor der Ausgangsverurteilung keine Therapiebereitschaft gezeigt. Sofern
sich seine jetzige Verweigerung nur als Fortsetzung dieses Verhaltens
darstellt, wäre sie kein Umstand, auf den die
nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung
gestützt werden könnte (vgl. BGHSt 50, 121, 130; 275,
280 f.). So liegt es hier jedoch nicht. Das Landgericht hat nicht die
bekannte Therapieverweigerung des Verurteilten im Hinblick auf dessen
Persönlichkeitsstörung herangezogen, sondern allein
die Uneinsichtigkeit, die sich auf das Vorliegen und die
Behandlungsbedürftigkeit seiner neu hervorgetretenen
Erkrankung bezieht. Nach den Feststellungen stellt sich diese Haltung
als spezifischer Ausdruck der - sich auch im Übrigen in einer
umfassenden Wirklichkeitsverkennung manifestierenden - paranoiden
Schizophrenie dar. Das Landgericht durfte sie daher neben anderen
Symptomen der Krankheit berücksichtigen und bei Bewertung der
von dem Verurteilten ausgehenden Gefahr auf seinen unbehandelten
Zustand abstellen. Ob die fehlende Krankheitseinsicht trotz ihrer
offensichtlichen Verknüpfung mit der psychiatrischen
Erkrankung des Verurteilten darüber hinaus - wie das
Landgericht annimmt - Geltung als eigenständige neue Tatsache
im Sinne des § 66b StGB beanspruchen kann, kann offen bleiben,
da das Landgericht dieser Einordnung ausdrücklich keine
entscheidungserhebliche Bedeutung beigemessen hat.
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2. Allerdings ist hier die Feststellung der schizophrenen Erkrankung
des Verurteilten für sich nicht hinreichend, um die Anordnung
der Maßregel der Sicherungsverwahrung zu tragen. Das
Landgericht hätte über die Diagnose der Krankheit und
die abstrakte Beschreibung der durch sie bewirkten Veränderun-
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- 9 -
gen in der Person des Verurteilten hinaus konkret feststellen
müssen, auf welche Weise die Erkrankung sich auf das Verhalten
des Verurteilten ausgewirkt hat. Es hätte belegen
müssen, dass derartige Entäußerungen der
Krankheit eine Gefahr für die Allgemeinheit im Sinne des
§ 66b StGB indizieren und in einen symptomatischen
Zusammenhang mit der Anlasstat gebracht werden können.
a) Das Landgericht geht von dem zutreffenden rechtlichen Ansatz aus,
dass auch innere Tatsachen wie Veränderungen in der
Persönlichkeit und Psyche des Verurteilten neue Tatsachen im
Sinne des § 66b StGB sein können (BGH, Beschl. v. 1.
Dezember 2006 - 2 StR 475/06). Dies gilt auch für
psychiatrische Befundtatsachen (BGHSt 50, 275, 279 f.; BGH, Beschl. v.
24. März 2006 - 1 StR 27/06; Beschluss vom 15. Februar 2006 -
2 StR 4/06). Wie alle sonstigen „nova“
müssen auch solche Umstände eine gewisse
Erheblichkeitsschwelle überschreiten und in einem
prognoserelevanten symptomatischen Zusammenhang mit der
Anlassverurteilung stehen (BGH NStZ 2006, 276, 278; Beschluss vom 24.
März 2006 - 1 StR 27/06). Diesen Anforderungen hat das
Landgericht Rechnung getragen, indem es die Erkrankung des Verurteilten
im Anschluss an die Ausführungen der angehörten
Sachverständigen dahingehend charakterisiert hat, dass sie die
bereits durch die Persönlichkeitsstörung reduzierte
Impulskontrolle des Verurteilten weiter verringern und damit zu einer
Erhöhung der Gefahr impulshafter Aggressionshandlungen, die
sich bereits in der Anlasstat realisiert hat, führen wird.
Hiergegen ist nichts zu erinnern.
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b) Im Falle einer psychischen Erkrankung des Verurteilten ist
allerdings darüber hinaus zu verlangen, dass sich die
Krankheit während der Strafhaft
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nach außen manifestiert und in einer prognoserelevanten Weise
ausgedrückt hat (BGH, Urt. v. 23. März 2006 - 1 StR
476/05; Beschluss vom 24. März 2006 - 1 StR 27/06). Nur so ist
gewährleistet, dass sich die nachträgliche Anordnung
der Sicherungsverwahrung auf eine hinreichende Tatsachengrundlage
stützt und damit ihren vom Gesetzgeber zugedachten (BTDrucks.
15/2887, S. 10, 12f.) und von Verfassungs wegen gebotenen (vgl. BVerfGE
109, 190, 236, 242; BVerfG - Kammer - NJW 2006, 3483, 3484) Charakter
einer auf seltene Ausnahmefälle beschränkten
Maßnahme bewahrt.
aa) Die zeitlich unbefristete Unterbringung in der
nachträglichen Sicherungsverwahrung nach voller
Verbüßung der verhängten Schuldstrafe
bildet eine außerordentlich beschwerende Maßnahme.
Im Hinblick auf den erheblichen Eingriff in das Freiheitsgrundrecht des
Verurteilten ist ihre Anordnung nur dann
verhältnismäßig, wenn die Gefahrenprognose
auf einer umfassenden Gesamtwürdigung beruht, die sich an die
Feststellung der neuen erheblichen Tatsachen anschließt, und
in die sämtliche weitere prognoserelevante Umstände
einfließen (BGHSt 50, 121, 125; 275, 277 f.). Bereits die
Gesetzesmaterialien betonen, dass monokausale Erklärungsmuster
bei der Beurteilung der Gefährlichkeit des Verurteilten fehl
am Platze sind, die Qualität der Prognose vielmehr
entscheidend von der Breite der Prognosegrundlage abhängt (BT
Drucks. 15/2887 S.12 f.; vgl. auch BVerfG - Kammer - NJW 2006, 3483,
3485).
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Hierzu stünde in Widerspruch, wenn psychologisch oder
medizinisch begründeten inneren Tatsachen bereits eine
ausreichende Indizwirkung für die Gefährlichkeit des
Verurteilten zukäme. Eine solche Betrachtungsweise verengt den
Blick, der im Rahmen des § 66b StGB auf alle den Verurteilten
betreffenden kriminogenen Faktoren gerichtet sein muss, in
unzulässiger Weise auf den
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Innenbereich des Verurteilten. So kann eine dort festgestellte
psychiatrische Erkrankung zwar abstrakt geeignet sein, eine von dem
Verurteilten ausgehende Gefahr zu begründen oder eine an sich
bereits gegebene Gefährlichkeit zu erhöhen. In
Ermangelung nach außen getretener Hinweise würde
sich eine derartige Gefährlichkeitsprognose aber allein auf
medizinische Erfahrungswerte und statistische Wahrscheinlichkeiten
stützen. Dies wäre angesichts der Schwere des
Eingriffes in die Freiheitsrechte des Verurteilten nicht ausreichend
(BGHSt 50, 121, 130 f.; vgl. zu § 66 StGB BGH, Urt. v. 10.
Januar 2007 - 1 StR 530/06).
Erst konkrete Auswirkungen der Krankheit verbreitern daher die
Entscheidungsgrundlage in der von § 66b StGB geforderten Weise
und verleihen der Erkrankung ein die Gefährlichkeitsprognose
tragendes Gewicht. Solche Auswirkungen werden
regelmäßig im Vollzugsverhalten des Verurteilten zu
suchen sein. Sie müssen nicht bereits für sich
genommen geeignet sein, die Anordnung der Maßregel zu tragen;
sie dürfen sich andererseits aber auch nicht in
prognoseneutralen Symptomen der psychiatrischen Krankheit
erschöpfen, sondern müssen einen Rückschluss
auf die krankheitsbedingt erhebliche Gefährlichkeit des
Verurteilten zulassen. So wird im Falle eines psychotisch erkrankten
Verurteilten selbst Auffälligkeiten, die eine hochgradige
Wirklichkeitsverkennung belegen (z.B. Wahnerleben durch
Stimmenhören), keine prognostische Bedeutung beizumessen sein,
solange sie ohne bedrohlichen Charakter bleiben. Anders
verhält es sich, wenn etwa aus wahnhaften
Äußerungen die Bereitschaft erkennbar wird, nach
Entlassung aus dem Strafvollzug erhebliche Straftaten zu begehen (vgl.
BGH, Beschl. v. 24. März 2006 - 1 StR 27/06), oder wenn die
Krankheit sich bereits im Vollzug in einem aggressiven Verhalten
ausgedrückt hat, das nicht allein auf die Besonderheiten der
Vollzugssituation zurück-
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zuführen ist, sondern konkrete Rückschlüsse
auf das Verhalten im Fall der Entlassung zulässt (vgl. hierzu
BVerfG - Kammer - NJW 2006, 3483, 3484; BGHSt 50, 284, 297; BGH,
Beschl. v. 29. August 2006 - 1 StR 306/06).
bb) Die Rechtsnatur der nachträglichen Sicherungsverwahrung
als eine zum Strafrecht gehörende Maßnahme (Art. 74
Abs. 1 Nr. 1 GG) verlangt, dass ihre Anordnung an eine Straftat
anknüpft und ihre sachliche Rechtfertigung aus ihr beziehen
kann (BVerfGE 109, 190; BGHSt 50, 275, 278 f.). Der Bundesgerichtshof
hat dieses Erfordernis in inzwischen ständiger Rechtsprechung
(BGH a.a.O.; NStZ 2006, 276) dahingehend konkretisiert, dass sich in
den neuen Tatsachen die bei der Anlasstat hervorgetretene spezifische
Gefährlichkeit des Verurteilten widerspiegeln muss, die
„nova“ mithin in einem prognoserelevanten
symptomatischen Zusammenhang mit der Anlassverurteilung stehen
müssen. Auch aus diesem Grundsatz folgt für die
Fallgruppe psychisch erkrankter Verurteilter, dass die Krankheit ihren
Ausdruck in Auffälligkeiten gefunden haben muss, die sich als
Fortsetzung oder Verstärkung der Gefahrenlage bei der
Anlasstat darstellen. Dagegen kämen allenfalls
präventive polizeirechtliche Maß-nahmen in Betracht,
wenn allein aufgrund der aufgetretenen Krankheit ein deliktisches
Verhalten des Verurteilten zu erwarten wäre, ein konkreter
Zusammenhang mit der zurückliegenden Straftat sich jedoch
nicht herstellen ließe. Eine auf solcher Grundlage gleichwohl
angeordnete Maßregel würde nur gelegentlich des
laufenden Strafvollzuges verhängt, wäre aus der
Anlasstat jedoch nicht mehr zu rechtfertigen.
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cc) Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht.
Das Landgericht hat im Rahmen seiner Feststellungen allein den von den
hinzugezogenen Sachverständigen ermittelten und bewerteten
klinischen Zustand
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des Verurteilten in einem hohen Abstraktionsgrad beschrieben. Es kommt
dann im Anschluss an die Sachverständigen zu der
Einschätzung, dass es, „wie die Erfahrung
lehrt“ (UA S. 17), ohne konsequente Behandlung erneut zu
einem psychotischen Krankheitserleben bei dem Verurteilten kommen
werde, und leitet hieraus ein dem Verurteilten innewohnendes
erhebliches Gefährdungspotential ab. Aufgrund welcher
konkreten Befundtatsachen die Sachverständigen zu ihrer
Einschätzung gelangt sind, teilt das Landgericht nicht mit.
Auch das Krankheitsbild schildert es pauschal („wahnhaftes
Denken“; „Situationsverkennung“), ohne
konkrete Ausprägungen der Symptomatik zu benennen und im
Zusammenhang mit der Anlassverurteilung zu bewerten. Der
Vollzugsverlauf bleibt - auch im Rahmen der abschließenden
Gesamtwürdigung - insgesamt ausgeblendet, obwohl sich
Anhaltspunkte für Verhaltensweisen des Verurteilten bieten,
die in augenfälliger Übereinstimmung mit der
Situation vor Begehung der Anlasstat stehen.
3. Der Senat hält - wie bereits für § 66b
Abs. 1 StGB ausgesprochen (BGHSt 50, 121, 132) - auch im vorliegenden
Fall, in welchem die nachträgliche Anordnung der
Sicherungsverwahrung sich auf § 66b Abs. 2 StGB
stützt, Feststellungen zum Vorliegen eines Hanges zur Begehung
erheblicher Straftaten im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB
für erforderlich (so auch BGHSt 50, 373, 381;
Tröndle/Fischer StGB 54. Aufl. § 66b Rdn. 20; a.A.
BVerfG - Kammer -NJW 2006, 3483, 3484; Lackner/Kühl StGB 25.
Aufl. § 66b Rdn. 8). Zwar nimmt § 66b Abs. 2 StGB im
Unterschied zu § 66b Abs. 1 StGB nicht auf die Voraussetzungen
des § 66 StGB Bezug, zu denen auch das Hangerfordernis gem.
§ 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB zählt. Die
Gesetzesbegründung legt allerdings nahe, dass die
unterschiedliche Anknüpfung sich in erster Linie auf die
formellen Eingangsvoraussetzungen der Maßregel beziehen soll
(BTDrucks. 15/2887
21
- 14 -
S. 13). Demgegenüber setzt der Wortlaut von § 67d
Abs. 3 StGB, § 463 Abs. 3 Satz 4 StPO für alle
Fallgestaltungen der Sicherungsverwahrung unterschiedslos das Vorliegen
eines Hanges voraus. Ein Auseinanderfallen der
Anordnungsvoraussetzungen bei § 66b Abs. 1 StGB und §
66b Abs. 2 StGB wäre auch im Hinblick auf die identische
Eingriffstiefe und die angesprochene Tätergruppe wenig
plausibel (vgl. näher BGHSt 50, 373, 381).
Die hangbedingte Gefährlichkeit des Verurteilten erweist sich
zudem als notwendiges Merkmal, um die nachträgliche
Unterbringung in der Sicherungsverwahrung von jener in einem
psychiatrischen Krankenhaus gem. § 63 StGB abzugrenzen und
einer Umgehung der Grenzen des § 63 StGB durch Anwendung von
§ 66b StGB - gleich welcher Variante - in den Fällen
psychiatrischer Erkrankungen als „nova“ vorzubeugen.
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Anknüpfungspunkt für eine Unterbringung nach
§ 63 StGB bildet eine andauernde psychische Störung
des Betroffenen („Zustand“), die ihren Ausdruck in
der Anlasstat gefunden hat. Demgegenüber dient die - auch
nachträgliche - Sicherungsverwahrung in erster Linie dem
Schutz der Allgemeinheit vor hochgefährlichen nichtkranken
Rechtsbrechern, deren Lebens- und Kriminalgeschichte die Begehung
weiterer schwerwiegender Straftaten erwarten lässt
(„bad or mad“, vgl. Kröber, Behavioral
Sciences and the Law 18, 679 [2000]; zum Verhältnis der
Maßregeln vgl. auch Stree in:
Schönke/Schröder StGB 27. Aufl. § 66 Rdn.
76). Dieser Unterscheidung entspricht die in § 66 Abs. 1 Nr. 3
StGB enthaltene Voraussetzung eines „Hanges“ als
einer anlagebedingten oder durch Übung erworbenen intensiven
Neigung zu Rechtsbrüchen (BGH NStZ 2005, 265; BGHR StGB
§ 66 Abs. 1 Hang 1; Tröndle/Fischer StGB 54. Aufl.
§
23
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66 Rdn. 18), der mit dem von § 63 StGB vorausgesetzten
krankhaften oder krankheitsgleichen Zustand nicht gleichgesetzt werden
kann.
Führt das Auftreten einer psychiatrischen Erkrankung zur
Einleitung eines auf die nachträgliche Anordnung von
Sicherungsverwahrung gerichteten Verfahrens, so darf ihre Einordnung
als neue Tatsache daher nicht den Blick darauf verstellen, dass die
Erkrankung in erster Linie einen Zustand begründet, der -
unter den weiteren Voraussetzungen des § 63 StGB - nur eine
Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus rechtfertigen
könnte. Die Anordnung der Sicherungsverwahrung nach §
66b StGB kann hierauf allein nicht gestützt werden. Denn
anderenfalls würden die Voraussetzungen des § 63 StGB
faktisch umgangen, indem psychisch Erkrankte zunächst in
Sicherungsverwahrung genommen und sodann in den Vollzug der
Maßregel des § 63 StGB überwiesen werden
könnten (§ 67a Abs. 2 StGB), ohne dass ihre Krankheit
für die Anlasstat oder eine sonstige erhebliche Straftat
ursächlich gewesen ist. Eine derartige
„nachträgliche“ Unterbringung in einem
psychiatrischen Krankenhaus ist dem Gesetz jedoch fremd (BGH, Beschl.
v. 1. Dezember 2006 - 2 StR 475/06; Urteil vom 23. März 2006 -
1 StR 476/05). Sie scheidet auch dann aus, wenn die Anordnung der
Unterbringung nach § 63 StGB - wie vorliegend - im
Ausgangsverfahren mit einer nicht tragfähigen
Begründung abgelehnt wurde; auch insoweit gilt, dass das
Verfahren nach § 66b StGB nicht der Korrektur
früherer Entscheidungen dient, in denen eine Prüfung
geeigneter Maßregeln rechtsfehlerhaft vorgenommen wurde oder
gänzlich unterblieben ist.
24
Der Senat ist an der vorgenommenen Auslegung von § 66b Abs. 2
StGB nicht durch die Entscheidung einer Kammer des
Bundesverfassungsgerichtes gehindert, wonach eine gesetzgeberische
Entscheidung, auf die Feststellung
25
- 16 -
eines Hanges zu verzichten, unter
Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten nicht
zu beanstanden ist (BVerfG - Kammer - NJW 2006, 3483, 3484; hierzu
kritisch Tröndle/Fischer StGB 54. Aufl. § 66 Rdn.
20a). Die Auslegung der neugestalteten Vorschrift des § 66b
StGB, die hier zum Erfordernis eines Hanges geführt hat,
obliegt den Fachgerichten. Zudem berührt die Bewertung, dass
die nachträgliche Anordnung von Sicherungsverwahrung ohne
Feststellung einer hangbedingten Gefährlichkeit nicht in
verfassungswidriger Weise in das Freiheitsgrundrecht des Verurteilten
eingreift, nicht die vorgenommene Auslegung, die dem Grundrecht des
Verurteilten in noch weitgehender Weise Rechnung trägt. Im
Übrigen führt die Kammer des
Bundesverfassungsgerichts selbst aus, dass die Feststellung eines
Hanges auch im Rahmen des § 66b Abs. 2 StGB im Einzelfall
geboten sein kann (BVerfG a.a.O.).
III.
1. Die Sache war demzufolge zu neuer Prüfung an das
Landgericht zurückzuverweisen. Die nunmehr zur Entscheidung
berufene Kammer wird insbesondere aufzuklären haben, in
welchem äußerlichen Verhalten die Erkrankung des
Verurteilten ihren Niederschlag gefunden hat. Hierbei wird es sich
aufdrängen, zunächst dem im angefochtenen Urteil
angesprochenen Vollzugsverhalten (UA S. 19) nachzugehen, das sich auf
von dem Verurteilten selbstgefertigte Schneidewerkzeuge und deren
beabsichtigte Verwendung bezieht. Das Landgericht wird sich zudem damit
auseinanderzusetzen haben, ob die bisherige
Kriminalitätsentwicklung, die Anlasstat und die Entwicklung im
Strafvollzug geeignet sind, ein kriminelles Verhaltensmuster des
Verurteilten im Sinne eines Hanges offen zu legen. Dabei
können auch seine Persönlichkeit und die psy-
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- 17 -
chiatrische Erkrankung eine Rolle spielen, ohne dass dem
gegenwärtigen krankheitsbedingten Zustand allerdings ein
Übergewicht für die Beurteilung zukommen darf.
2. Der Senat bemerkt, dass es sich in Fällen wie dem
vorliegenden, in dem die besondere Gefährlichkeit des
Verurteilten sich in einer psychiatrischen Erkrankung gründet,
empfehlen wird, parallel zu dem auf die nachträgliche
Anordnung der Sicherungsverwahrung gerichteten strafrechtlichen
Verfahren ein polizeirechtliches Verfahren nach dem landesrechtlichen
Unterbringungsgesetz einzuleiten. Sollte sich im Verfahren nach
§ 66b StGB erweisen, dass von dem Verurteilten eine erhebliche
Gefahr für die Allgemeinheit ausgeht, eine Anordnung der
Maßregel - etwa mangels tragfähiger neuer Tatsachen
oder mangels eines Hanges - aber gleichwohl nicht in Betracht kommt,
könnte der erkannten Gefahrenlage durch Ausschöpfung
der auf polizeirechtlicher Grundlage zulässigen
Maßnahmen (vgl. §§ 9 f. BayUntbrG) begegnet
werden. Da solche Maß-nahmen, sollen sie einen effektiven
Schutz der Allgemeinheit vor den vom Verurteilten ausgehenden Gefahren
bewirken, bereits bei Entlassung des Verurteilten eingreifen
müssten, erscheint es unzweckmäßig, wenn
die Verwaltungsbehörde - wie dem landgerichtlichen Urteil zu
entnehmen ist - ein Verfahren unter Hinweis auf den Vorrang der
Unterbringung nach § 66b StGB (vgl. § 1 Abs. 2
BayUntbrG) zunächst nicht betreibt. Es wird sich vielmehr als
notwendig erweisen, dass die Staatsanwaltschaft in geeigneten
Fällen bereits im Antragsverfahren die
Verwaltungsbehörde von der Einleitung des Verfahrens
unterrichtet (§§ 481 f. StPO), damit diese
Gelegenheit erhält, die Voraussetzungen einer Unterbringung in
eigener Zuständigkeit zu prüfen und gegebenenfalls
entsprechende Vorkehrungen zu treffen. Sollte auch eine Unterbringung
auf landesrechtlicher Grundlage nicht in Betracht kommen, verweist der
Senat auf die Möglichkeit,
27
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mithilfe geeigneter organisatorischer Maßnahmen, insbesondere
solcher der Führungsaufsicht gem. §§ 68 ff.
StGB, das Rückfallrisiko des in Freiheit entlassenen
Verurteilten zu mindern (vgl. näher BGHSt 50, 373, 384 f.;
BGH, Beschluss vom 29. August 2006 - 1 StR 306/06).
Nack Wahl Boetticher
Elf Graf |