BGH,
Beschl. v. 9.7.2002 - 3 StR 207/02
3 StR 207/02
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
vom
9. Juli 2002
in der Strafsache gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung u. a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofes hat nach Anhörung
des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf
dessen Antrag - am 9. Juli 2002 gemäß § 349
Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Stade vom 30. Januar 2002 mit den zugehörigen Feststellungen
aufgehoben,
a) im Schuldspruch, soweit der Angeklagte wegen vorsätzlichen
Vollrausches verurteilt wurde und
b) im gesamten Rechtsfolgenausspruch.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher
Körperverletzung und vorsätzlichen Vollrausches zu
einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Hiergegen
wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Verletzung sachlichen
Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat in dem aus
der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg.
1. Nach den Feststellungen schlug der alkoholisierte Angeklagte bei
einer Auseinandersetzung seiner Lebensgefährtin eine
Kaffeekanne in das Gesicht. Die erheblich verletzte Frau
flüchtete in das Kinderzimmer ihres Sohnes Christian und
schloß die Tür ab. Rasend vor Wut, weil sie sich
erstmals seinem Zugriff entzog, und getrieben von verzweifelter Angst,
sie zu verlieren, versuchte der Angeklagte mit einem etwa 40 cm langen
"Kuhfuß" die Tür aufzubrechen. Als er bemerkte,
daß seine Lebensgefährtin und ihr Sohn durch das
Kinderzimmerfenster fliehen wollten, verließ er das Haus und
begab sich außen vor das Fenster, um sie aufzuhalten. Mit den
Worten "ich bringe Euch um" schlug der Angeklagte zunächst mit
dem "Kuhfuß" in Richtung von Christian, der am Kopf eine
Platzwunde erlitt. Dann nahm er die Frau mit dem linken Arm in den
Schwitzkasten, während er in der rechten Hand den
"Kuhfuß" so hielt, daß er auf ihren Kopf
hätte einschlagen können. Der
Lebensgefährtin gelang es, dem Angeklagten den
"Kuhfuß" aus der Hand zu ziehen und sich zu befreien.
Der Angeklagte befand sich nach der Überzeugung des
Landgerichts infolge seiner Alkoholisierung (Tatzeit-BAK: etwa 2,00 %)
bei dem Schlag mit der Kaffeekanne nicht ausschließbar im
Zustand erheblich verminderter Schuldfähigkeit. Es hat -
sachverständig beraten - nicht ausschließen
können, daß der Angeklagte wegen einer durch das
Verhalten der Frau ausgelösten hohen affektiven Aufladung auf
Grund seiner von Selbstunsicherheit, verminderter Frustrationstoleranz
und emotionaler Labilität gekennzeichneten
Persönlichkeit und bereits enthemmt durch den Alkohol in den
Zustand einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung
geraten ist, wodurch die Einsichts- und die
Steuerungsfähigkeit bei den Schlägen mit dem
"Kuhfuß" aufgehoben wurde (UA S. 14, 24). Der Angeklagte hat
sich nach Meinung der Strafkammer bedingt vorsätzlich in
diesen Zustand versetzt, weil er Alkohol getrunken habe in dem Wissen,
daß die zu erwartende tätliche Auseinandersetzung
eskalieren könne und eine solche leicht zu einer affektiven
Aufladung der daran Beteiligten führe (UA S. 27). Sein
Verhalten hat sie als mit natürlichem Vorsatz begangenen
zweifachen Totschlagsversuch gewertet.
2. Hinsichtlich des Schuldspruchs wegen gefährlicher
Körperverletzung hat die Überprüfung des
Urteils keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben
(§ 349 Abs. 2 StPO). Jedoch bestehen gegen den Strafausspruch
durchgreifende rechtliche Bedenken.
Bei der Strafzumessung hat die Strafkammer zu Lasten des nicht
geständigen Angeklagten u. a. berücksichtigt,
"daß er gegenüber der Nebenklägerin keine
wirkliche Reue gezeigt und versucht hat, die zum Schlag mit der
Kaffeekanne hinführenden Umstände zu
beschönigen und die Verantwortung von sich
abzuwälzen" (UA S. 32). Damit hat sie dem Angeklagten ein
zulässiges Verteidigungsverhalten straferschwerend zugerechnet
(vgl. Tröndle/Fischer, StGB 50. Aufl. § 46 Rdn. 29
c). Der Senat kann nicht ausschließen, daß die
Höhe der verhängten Einzelstrafe (ein Jahr sechs
Monate) auf diesem Rechtsfehler beruht.
3. Der Schuldspruch wegen vorsätzlichen Vollrausches hat
keinen Bestand.
a) Zutreffend geht das Landgericht davon aus, daß es der
Anwendbarkeit des § 323 a StGB nicht entgegensteht, wenn der
Zustand der (möglichen) Schuldunfähigkeit nicht
allein durch Alkohol, sondern erst durch das Hinzutreten weiterer
Ursachen herbeigeführt worden ist. Voraussetzung ist jedoch,
daß der Zustand der (möglichen)
Schuldunfähigkeit - wie es der objektive Tatbestand des
§ 323 a StGB verlangt - sich nach seinem ganzen
Erscheinungsbild noch als ein durch den Alkoholkonsum hervorgerufener
Rausch darstellt (vgl. BGHSt 26, 363, 365 f.; BGHSt 32, 48, 53; BGH NJW
1997, 3101, 3102). Einen solchen Rauschzustand hat die Strafkammer
nicht ausdrücklich festgestellt. Er ergibt sich auch nicht
zweifelsfrei aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe,
zumal sie bei der vorausgegangenen gefährlichen
Körperverletzung eine alkoholbedingte erhebliche Verminderung
der Schuldfähigkeit lediglich nicht auszuschließen
vermochte.
Weiterhin ist auf Grund der Urteilsausführungen keine
revisionsrechtliche Überprüfung möglich, ob
das Landgericht zu Recht von einer so starken affektiven Aufladung des
Angeklagten ausgegangen ist, daß diese im Zusammenwirken mit
der Alkoholisierung und der Persönlichkeitsstörung
nicht ausschließbar einen Zustand der
Schuldunfähigkeit verursacht hat. Zwar kann ein sthenischer -
also auf Wut, Zorn oder Haß beruhender - Affekt im
Zusammenwirken mit einer alkoholischen Enthemmung zu einem
völligen Schuldausschluß führen (vgl. BGHR
StGB § 20 Ursachen, mehrere 1; Jähnke in LK 11. Aufl.
§ 20 Rdn. 58 m. w. N.). Ob dies der Fall ist, beurteilt sich
jedoch auf Grund einer Gesamtwürdigung aller tat- und
täterbezogenen Merkmale, die als Indizien für und
gegen die Annahme eines (möglicherweise)
schuldausschließenden Affekts sprechen können (vgl.
BGHR StGB § 21 Affekt 4; BGH NStZ 1995, 175, 176 m. w. N.;
Jähnke aaO Rdn. 57 m. w. N.). Die Urteilsgründe, die
im wesentlichen nur das Ergebnis des
Sachverständigengutachtens wiedergeben, werden diesen
Anforderungen an eine nachvollziehbare Begründung nicht
gerecht. Dazu kommt, daß das Landgericht die
(mögliche) Schuldunfähigkeit mit einem Verlust der
Einsichts- und der Steuerungsfähigkeit begründet.
Dabei hat es nicht bedacht, daß § 20 StGB nicht auf
beide Alternativen zugleich gestützt werden kann (vgl. BGHR
StGB § 63 Schuldunfähigkeit 1 und 3; Lenckner/Perron
in Schönke/Schröder, StGB 25. Aufl. § 20
Rdn. 25).
b) Die Wertung der Strafkammer, der Angeklagte habe sich bedingt
vorsätzlich in den Zustand der nicht ausschließbaren
Schuldunfähigkeit versetzt, findet in den
Urteilsfeststellungen keine ausreichende Stütze.
In einem Fall, in dem - wie hier nach der Überzeugung des
Landgerichts - der Rauschzustand im Sinne des § 323 a Abs. 1
StGB nicht allein durch den Alkoholgenuß, sondern erst durch
das Hinzutreten eines Affektes herbeigeführt worden ist, setzt
die Verurteilung wegen vorsätzlichen Vollrausches voraus,
daß der Täter beim Alkoholgenuß vor
Eintritt der (möglichen) Schuldunfähigkeit mit einem
Verlust seiner Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit infolge des
Zusammenwirkens von Alkohol und Affekt gerechnet und diesen billigend
in Kauf genommen hat (vgl. BGHR StGB § 323 a Abs. 1
Fahrlässigkeit 1 und Vorsatz 1). Die bisher getroffenen
Feststellungen bieten dafür keine Anhaltspunkte, da das den
Affekt auslösende Verhalten der Lebensgefährtin "eine
neue Qualität aufwies und nicht dem Erfahrungswissen des
Angeklagten entsprach" (UA S. 27). Seine allgemeine Kenntnis,
daß tätliche Auseinandersetzungen leicht zu einer
erheblichen affektiven Aufladung führen, belegt einen
bedingten Vorsatz hinsichtlich einer möglichen
Schuldunfähigkeit nicht.
4. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf folgendes
hin:
Für den Fall, daß der neue Tatrichter den objektiven
Tatbestand des § 323 a Abs. 1 StGB bejahen, aber einen Vorsatz
verneinen sollte, wird er zu prüfen haben, ob der Angeklagte
das Hinzutreten des Affekts in seinen nachteiligen Auswirkungen auf
seine geistig-seelische Verfassung in vorwerfbarer Weise nicht bedacht
hat und deshalb eine Verurteilung wegen fahrlässigen
Vollrausches in Betracht kommt (vgl. BGHSt 26, 363, 366; BGHR StGB
§ 323 a Abs. 1 Fahrlässigkeit 1 und Vorsatz 1).
Bei der Prüfung der im Rauschzustand mit natürlichem
Vorsatz begangenen rechtswidrigen Taten ist zur Abgrenzung zwischen
Tötungs- und Körperverletzungsvorsatz eine
Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände
geboten (vgl. BGHSt 36, 1, 10). Allein die Äußerung
des Angeklagten "ich bringe Euch um", auf die das Landgericht
entscheidend abstellt, belegt einen natürlichen
Tötungsvorsatz nicht, zumal er seine Lebensgefährtin
in der Vergangenheit schon öfter mit dem Tode bedroht hatte,
ohne daß die Ernsthaftigkeit der
Äußerungen festgestellt werden konnte (UA S. 6).
Winkler Miebach Pfister von Lienen Becker
|