BGH,
Beschl. v. 9.6.2008 - 5 StR 342/04
Nachschlagewerk: ja
BGHSt : ja
Veröffentlichung : ja
SDÜ Art. 54
Strafklageverbrauch nach Art. 54 SDÜ bei einheitlicher
„Schmuggelfahrt“ durch mehrere EU-Mitgliedstaaten.
5 StR 342/04
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
vom 9. Juni 2008
in der Strafsache
gegen
wegen gewerbsmäßiger Steuerhehlerei u. a.
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Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 9. Juni 2008
beschlossen:
1. Auf Antrag des Generalbundesanwalts wird das Verfahren im Fall II.
1. d der Gründe des Urteils des Landgerichts Augsburg vom 18.
November 2003 gemäß § 154 Abs. 2 StPO
eingestellt; insoweit trägt die Staatskasse die Kosten des
Verfahrens; es wird davon abgesehen, der Staatskasse die insoweit
entstandenen notwendigen Auslagen des Angeklagten aufzuerlegen.
2. Auf die Revision des Angeklagten gegen das genannte Urteil wird das
Verfahren nach § 349 Abs. 4 StPO i.V.m. § 206a Abs. 1
StPO im Fall II. 1. c der Urteilsgründe eingestellt; insoweit
hat die Staatskasse die Kosten des Verfahrens und die notwendigen
Auslagen des Angeklagten zu tragen.
G r ü n d e
Das Landgericht hat den Angeklagten am 18. November 2003 wegen
gewerbsmäßiger Steuerhehlerei in vier
Fällen jeweils in Tateinheit mit Fahren ohne Fahrerlaubnis,
davon in zwei Fällen in weiterer Tateinheit mit
Steuerhinterziehung und in zwei Fällen in weiterer Tateinheit
mit Kennzeichenmissbrauch, und ferner wegen Hehlerei, wegen
Steuerhinterziehung und wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in 99
Fällen unter Einbeziehung der Einzelfreiheitsstrafen aus einer
rechtskräftigen Vorentscheidung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe
von fünf Jahren und drei Monaten verurteilt. Bei der
Verurteilung wegen gewerbsmäßiger Steuerhehlerei hat
das Landgericht die durch die
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Vortat hinterzogenen Einfuhrabgaben (Zoll, griechische
Einfuhrumsatzsteuer, griechische Tabaksteuer) zugrunde gelegt.
Auf die Revision des Angeklagten gegen dieses Urteil hat der Senat mit
Beschluss vom 22. Juli 2004 - 5 StR 241/04 (wistra 2004, 475) nach
Teileinstellung von sechs Verkehrsstraftaten und Abtrennung des
Verfahrens bezüglich der hier gegenständlichen zwei
Fälle die Gesamtstrafe aufgehoben und das Verfahren zu einer
neuen Gesamtstrafbildung aus den rechtskräftigen Einzelstrafen
an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts
zurückverwiesen. Das Landgericht Augsburg hat daraufhin am 3.
November 2004 gegen den Angeklagten eine Gesamtfreiheitsstrafe von vier
Jahren und sechs Monaten verhängt, die nach Verwerfung der
hiergegen gerichteten Revision des Angeklagten durch Beschluss des
Senats vom 16. Juli 2005 - 5 StR 123/05 rechtskräftig geworden
ist. Hinsichtlich der verbliebenen zwei Fälle stellt der Senat
das Verfahren im Fall II. 1. c der Urteilsgründe
gemäß § 206a StPO und im Fall II. 1. d der
Urteilsgründe auf Antrag des Generalbundesanwalts
gemäß § 154 Abs. 2 StPO ein.
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I.
1. Gegenstand des jetzt noch anhängigen Verfahrens sind allein
die Fälle II. 1. c und d der Gründe des angefochtenen
Urteils vom 18. September 2003, hinsichtlich deren Einzelheiten auf den
Senatsbeschluss vom 30. Juni 2005 Bezug genommen wird:
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a) Im Fall II. 1. c der Urteilsgründe hatte der Angeklagte
Ende April 1999 aus Drittstaaten stammende unverzollte und
unversteuerte Zigaretten in Griechenland übernommen und war
bei der Weiterfahrt nach England im Mai 1999 in Venedig (Italien)
vorläufig festgenommen worden; die dabei entdeckten Zigaretten
wurden beschlagnahmt. Die Corte di appello di Venezia hat den
Angeklagten wegen dieser Tat in Abwesenheit rechtskräftig zu
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einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und acht Monaten unter
Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt.
b) Im Fall II. 1. d der Urteilsgründe hatte der Angeklagte im
April 2000 erneut in Griechenland unverzollte und unversteuerte
Zigaretten übernommen und war bei der Weiterfahrt in Ancona
(Italien) vorläufig festgenommen worden. In diesem Fall hat
das Tribunale di Ancona den Angeklagten in Abwesenheit
rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren ohne
Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt, die noch nicht
vollstreckt werden konnte.
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2. Mit Zustimmung des Generalbundesanwalts hat der Senat das Verfahren
durch Beschluss vom 22. Juli 2004 in beiden Fällen
gemäß § 154a StPO auf den Vorwurf der
gewerbsmäßigen Steuerhehlerei in Tateinheit mit
Kennzeichenmissbrauch beschränkt. Der Angeklagte, der keine
Fahrerlaubnis zum Führen von Lastkraftwagen in Deutschland
besaß, hatte die Zugmaschine lediglich im Ausland gesteuert.
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3. Mit Beschluss vom 30. Juni 2005 (wistra 2005, 461) hat der Senat
sodann zur Auslegung des Art. 54 des Schengener
Durchführungsübereinkommens (ABl. 2000 L 239, S. 19)
- nachfolgend: SDÜ - dem Gerichtshof der Europäischen
Gemeinschaften (im Folgenden: EuGH) nach Art. 35 Abs. 2 und Abs. 3 EU
i.V.m. § 1 Abs. 2 des deutschen EuGH-Gesetzes unter anderem
folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
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(1) Bezieht sich die strafrechtliche Verfolgung auf „dieselbe
Tat“ im Sinne von Art. 54 SDÜ, wenn ein Angeklagter
wegen der Einfuhr geschmuggelten ausländischen Tabaks nach
Italien und des dortigen Besitzes sowie wegen des Unterlassens der
Zahlung der Grenzabgabe für den Tabak bei der Einfuhr durch
ein italienisches Gericht verurteilt worden ist und danach durch ein
deutsches Gericht im Hinblick auf die zeitlich zuvor erfolgte
Übernahme der
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nämlichen Ware in Griechenland wegen Hehlerei an den (formal)
griechischen Einfuhrabgaben, welche bei der zuvor von Dritten bewirkten
Einfuhr entstanden sind, verurteilt wird, sofern der Angeklagte von
Anfang an vorhatte, die Ware nach Übernahme in Griechenland
über Italien nach Großbritannien zu transportieren?
(2) Ist eine Sanktion im Sinne von Art. 54 SDÜ
„bereits vollstreckt“ oder wird eine Sanktion
„gerade vollstreckt“,
(a) wenn der Angeklagte zu einer Freiheitsstrafe verurteilt wurde,
deren Vollstreckung nach dem Recht des Urteilsstaates zur
Bewährung ausgesetzt worden ist;
(b) wenn der Angeklagte kurzfristig in Polizei- und/oder
Untersuchungshaft genommen worden ist und dieser Freiheitsentzug nach
dem Recht des Urteilsstaates auf eine spätere Vollstreckung
der Haftstrafe anzurechnen wäre?
4. Der EuGH hat auf das Vorabentscheidungsersuchen hin mit Urteil vom
18. Juli 2007 in der Rechtssache C-288/05, Kretzinger, ZfZ 2007, 302
(im Folgenden: Vorabentscheidung) wie folgt entschieden:
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(1) Art. 54 SDÜ ist dahin auszulegen, dass
- das maßgebende Kriterium für die Anwendung dieses
Artikels das der Identität der materiellen Tat, verstanden als
das Vorhandensein eines Komplexes unlösbar miteinander
verbundener Tatsachen ist, unabhängig von der rechtlichen
Qualifizierung der Tatsachen oder von dem geschützten
rechtlichen Interesse;
- Handlungen, die in der Übernahme geschmuggelten
ausländischen Tabaks in einem Vertragsstaat sowie in der
Einfuhr in einen Vertragsstaat und dem dortigen Besitz bestehen und
sich dadurch auszeichnen, dass der in zwei Vertragsstaaten verfolgte
Angeklag-
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te von Anfang an vorhatte, den Tabak nach der ersten Übernahme
über mehrere Vertragsstaaten zu einem endgültigen
Bestimmungsort zu transportieren, Vorgänge sind, die unter dem
Begriff „dieselbe Tat“ im Sinne dieses Art. 54
SDÜ fallen können. Die endgültige
Beurteilung ist insoweit Sache der zuständigen nationalen
Instanzen.
(2) Die von einem Gericht eines Vertragsstaats verhängte
Sanktion ist im Sinne von Art. 54 SDÜ „bereits
vollstreckt“ worden oder wird „gerade
vollstreckt“, wenn der Angeklagte nach dem Recht dieses
Vertragsstaats zu einer Freiheitsstrafe verurteilt wurde, deren
Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden ist.
(3) Die von einem Gericht eines Vertragsstaats verhängte
Sanktion ist im Sinne von Art. 54 SDÜ weder „bereits
vollstreckt“ worden noch wird sie „gerade
vollstreckt“, wenn der Angeklagte kurzfristig in Polizei-
und/oder Untersuchungshaft genommen worden ist und dieser
Freiheitsentzug nach dem Recht des Urteilsstaats auf eine
spätere Vollstreckung der Haftstrafe anzurechnen wäre.
II.
Das Verfahren ist in dem nach Abtrennung noch verbliebenen Umfang
insgesamt einzustellen, im Fall II. 1. c der Urteilsgründe
gemäß § 206a StPO wegen eines
Verfahrenshindernisses und im Übrigen gemäß
§ 154 Abs. 2 StPO im Hinblick auf die bereits
rechtskräftige Verurteilung des Angeklagten zu einer
Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten.
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1. Im Fall II. 1. c der Urteilsgründe ist wegen eines
zwischenstaatlichen Verfolgungsverbots („ne bis in
idem“) Strafklageverbrauch eingetreten. Der Angeklagte ist
wegen derselben Tat im Sinne des Art. 54 SDÜ bereits mit
Urteil vom 22. Februar 2001 durch die Corte di appello di Venezia
rechts-
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kräftig zu einer zur Bewährung ausgesetzten
Freiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten verurteilt worden.
a) Die Übernahme der Zigaretten in Griechenland (strafbar in
Deutschland wegen gewerbsmäßiger Steuerhehlerei,
§ 374 Abs. 2, § 370 Abs. 6 Satz 1, Abs. 7 AO) und die
Weiterfahrt nach Italien (strafbar in Italien wegen der Einfuhr und des
Besitzes ausländischen Tabaks nach dem italienischen Gesetz
vom 18. Januar 1994, Nr. 50 und wegen der Unterlassung der Zahlung der
Grenzabgabe für denselben Tabak nach der Verordnung des
Präsidenten der Republik vom 23. Januar 1973, Nr. 43) sind bei
den hier vorliegenden Umständen des Einzelfalls als
Tatumstände derselben materiellen Tat im Sinne von Art. 54
SDÜ („idem“) zu werten.
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aa) Nach den Feststellungen des Landgerichts hatte der Angeklagte auf
Weisung der Organisatoren Zigarettenladungen jeweils in Griechenland
übernommen, um diese über Italien,
Österreich und Deutschland nach Groß-britannien zu
einem dortigen Abnehmer zu verbringen. Dabei hatte er von Anfang an die
Absicht, die Zigaretten in keinem der Vertragsstaaten des SDÜ,
durch den seine Transportroute führte, anzumelden oder
für die Zigaretten Abgaben abzuführen. Er wollte die
Fahrt ohne längere Unterbrechungen durchführen.
bb) Ausgehend von den Maßstäben der
Vorabentscheidung des EuGH (ZfZ 2007, 302) bildet die hier
durchgeführte, von Anfang so geplante
„Schmuggelfahrt“ von Griechenland nach Italien eine
einheitliche Tat im Sinne des Art. 54 SDÜ. Besondere
Umstände des Einzelfalls, die nach der Rechtsprechung des EuGH
dieser Wertung entgegenstehen könnten, sind nicht gegeben.
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(1) Nach der für die nationalen Gerichte verbindlichen
Auslegung des Art. 54 SDÜ durch den EuGH (vgl. auch Urteil vom
9. März 2006 in der Rechtssache C-436/04, Van Esbroeck, Slg.
2006, I-2333, Rdn. 36, 42) ist
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das maßgebende Kriterium für die Anwendung dieses
Artikels „das der Identität der materiellen Tat,
verstanden als das Vorhandensein eines Komplexes unlösbar
miteinander verbundener Tatsachen“. Dabei können die
Vorgänge der Übernahme geschmuggelten
ausländischen Tabaks in einem Vertragsstaat sowie die Einfuhr
in einen anderen Vertragsstaat und der dortige Besitz unter den Begriff
„dieselbe Tat“ im Sinne dieses Art. 54 SDÜ
fallen, wenn der Fahrer von Anfang an vorhatte, den Tabak nach der
ersten Übernahme über mehrere Vertragsstaaten zu
einem endgültigen Bestimmungsort zu transportieren
(Vorabentscheidung Rdn. 37). So verhält es sich hier. Der
Angeklagte verfolgte beginnend mit der Übernahme der
Zigaretten in Griechenland den Plan, diese ohne wesentliche
Unterbrechungen im Rahmen einer einheitlichen
„Schmuggelfahrt“ nach England zu transportieren,
und beabsichtigte dabei, in keinem Mitgliedstaat der
Europäischen Gemeinschaften seinen steuerlichen
Erklärungs- und Abführungspflichten nachzukommen.
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(2) Die rechtliche Einordnung der Tatsachen nach den
Strafrechtsordnungen der Vertragsstaaten ist für die Auslegung
des Begriffs der Tat im Sinne von Art. 54 SDÜ unbeachtlich.
Der EuGH hat klargestellt, dass die Subsumtion des Tatgeschehens unter
den Begriff der Tat nach Art. 54 SDÜ von der rechtlichen
Qualifizierung der Tatsachen unabhängig ist (Vorabentscheidung
Rdn. 31). Damit richtet sich die Auslegung des Begriffs der Tat
gemäß Art. 54 SDÜ nicht nach
strafrechtlichen Kriterien der Vertragsstaaten. Vielmehr handelt es
sich bei dem Tatbegriff des Art. 54 SDÜ um einen
eigenständigen, autonom europarechtlich auszulegenden Begriff
des SDÜ (so auch die Stellungnahme der Europäischen
Kommission vom 22. November 2005 im Vorabentscheidungsverfahren, Rdn.
29; vgl. zudem Böse GA 2003, 744, 757 f.; Harms/Heine in
Festschrift für Günter Hirsch, 2008, S. 85, 91). Die
Auslegung dieses Begriffs hat sich am Zweck des Art. 54 SDÜ
auszurichten, die ungehinderte Ausübung des Rechts auf
Freizügigkeit der Uni-onsbürger zu sichern (vgl.
EuGH, Urteile vom 11. Februar 2003 in den verbundenen Rechtssachen
C-187/01 und C-385/01 ,Gözütok und
Brügge’ Slg. 2003, I-1345, Rdn. 36 ff., vom 9.
März 2006 in der Rechtssache
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C-436/04, Van Esbroeck, aaO Rdn. 34 und vom 28. September 2006 in der
Rechtssache C-150/05, ,Van Straaten’ Slg. 2006, I-9327 Rdn.
57 f.; Harms/Heine aaO). Wer wegen eines Tatsachenkomplexes bereits in
einem Vertragsstaat abgeurteilt ist, soll sich ungeachtet
unterschiedlicher rechtlicher Maßstäbe in den
einzelnen Staaten darauf verlassen können, dass er nicht -
auch nicht unter einem anderen rechtlichen Aspekt - ein zweites Mal
wegen derselben Tatsachen strafrechtlich verfolgt wird (vgl.
Böse EWS 2007, 202, 205 und GA 2003, 744, 751). Aus diesem
Grund ist es hier für die Auslegung des Begriffs der Tat im
Sinne des Art. 54 SDÜ auch ohne Bedeutung, ob das Verhalten
des Angeklagten nach dem Rechtsverständnis des deutschen
Strafrechts als mehrere Taten im prozessualen Sinn (§ 264
StPO) zu werten ist. Umgekehrt lässt die vom EuGH für
die nationalen Gerichte verbindlich vorgegebene Auslegung des Begriffs
der Tat im Sinne des Art. 54 SDÜ die hergebrachten
Grundsätze über das Konkurrenzverhältnis von
Straftaten im deutschen Strafrecht unberührt.
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(3) Nach der Rechtsprechung des EuGH ist die Qualifizierung eines
Tatsachenkomplexes als eine Tat im Sinne des Art. 54 SDÜ auch
unabhängig von dem geschützten rechtlichen Interesse
(Vorabentscheidung Rdn. 31 sowie Urteile vom 9. März 2006 in
der Rechtssache C-436/04, Van Esbroeck, aaO Rdn. 35 f. und vom 28.
September 2006 in der Rechtssache C-150/05, Van Straaten, aaO Rdn. 47).
Denn dieses kann wegen der fehlenden Harmonisierung der nationalen
Strafvorschriften von einem Vertragsstaat zum anderen unterschiedlich
sein. Damit könnten Erwägungen, die auf dem
geschützten rechtlichen Interesse beruhen, Hindernisse
für die Freizügigkeit im Schengen-Raum errichten
(Vorabentscheidung Rdn. 33).
(a) Für die Frage, ob jeweils dieselben Taten im Sinne des
Art. 54 SDÜ Verfahrensgegenstand der in Italien und
Deutschland gegen den Angeklagten geführten Strafverfahren
waren, ist es daher unbeachtlich, ob sich die Verfahren auf die
Verkürzung derselben oder unterschiedlicher Abgaben bezogen
haben. Das maßgebende Kriterium für die Anwendung
des Art. 54
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SDÜ ist allein, ob ein Komplex unlösbar miteinander
verbundener Tatsachen vorhanden war und ob die Verfahren jeweils
Tatsachen aus dem einheitlichen Komplex zum Gegenstand hatten. Dies ist
hier der Fall. Die Übernahme der Zigaretten in Griechenland
und der anschließende Transport durch Italien waren
unlösbar miteinander verbunden. Das verbindende Element ist
die von einem einheitlichen Willen des Angeklagten getragene
einheitliche „Schmuggelfahrt“ durch mehrere
Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft, um die
übernommenen unversteuerten und unverzollten Zigaretten unter
Missachtung jeglicher steuerlicher Verpflichtungen zum Zielort zu
transportieren. Tat im Sinne des Art. 54 SDÜ ist damit die
„Schmuggelfahrt“ einschließlich aller zu
ihrer Durchführung begangenen Verstöße
gegen steuerliche und zollrechtliche Erklärungs- und
Abführungspflichten. Ob die italienischen Gerichte beim
Angeklagten auch die bei der Einfuhr in das Zollgebiet der
Europäischen Gemeinschaft verkürzten Einfuhrabgaben
(Zoll, griechische Einfuhrumsatzsteuer und griechische Tabaksteuer)
schulderhöhend berücksichtigt haben - was nicht
aufgeklärt werden konnte - oder ob sie sich auf die in Italien
entstandenen Verbrauchsteuern wegen des Verbringens der Zigaretten nach
Italien, ihres Besitzes und Unterlassung der Zahlung der Grenzabgabe
beschränkt haben, ist daher für die Frage, ob sich
die Verfahren auf dieselbe Tat im Sinne des Art. 54 SDÜ
bezogen haben, ohne Bedeutung.
(b) Ob der Grundsatz, dass die Auslegung des Begriffs der Tat im Sinne
von Art. 54 SDÜ unabhängig von den
geschützten rechtlichen Interessen zu erfolgen hat, auch dann
uneingeschränkt Geltung beanspruchen kann, wenn die Grenzen
der Jurisdiktionsbefugnis im Erstverurteilungsstaat eine
Berücksichtigung bestimmter Geschehensabläufe in
anderen Mitgliedstaaten nicht zulassen (vgl. hierzu Böse EWS
2007, 202, 207), braucht hier nicht abschließend entschieden
zu werden. Zwar sind Fallkonstellationen denkbar, bei denen in einem
Strafverfahren nicht sämtliche im Rahmen einer Schmuggelfahrt
in anderen Mitgliedstaaten verkürzten Abgaben tatbestandlich
berücksichtigt werden können, z. B. Verbrauchsteuern
und Umsatzsteuern anderer Mitgliedstaaten, bei denen es sich nicht um
Einfuhrabgaben
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handelt (vgl. hierzu § 370 Abs. 6 Satz 1 AO). Es ist hier
jedoch nicht ersichtlich, dass die italienischen Strafgerichte in den
Verfahren gegen den Angeklagten rechtlich gehindert gewesen sein
könnten, den Umfang der bei der Einfuhr der
verfahrensgegenständlichen Zigaretten nach Griechenland
verkürzten Einfuhrabgaben nicht wenigstens im Rahmen der
Strafzumessung zu berücksichtigen. Hinsichtlich der
verkürzten Zölle dürfte sich eine Pflicht
zur Berücksichtigung bereits aus der allgemeinen
Loyalitätspflicht des Art. 10 EG ergeben, wonach die
Mitgliedstaaten verpflichtet sind, Verstöße gegen
das Gemeinschaftsrecht mit effektiven,
verhältnismäßigen und abschreckenden
Sanktionen zu ahnden.
(4) Die Frage, ob eine Schmuggelfahrt einen unlösbar
zusammenhängenden Komplex von Tatsachen bildet, hängt
letztlich auch von den Umständen des Einzelfalls ab
(Vorabentscheidung Rdn. 36). So kann etwa eine wesentliche
Unterbrechung im Rahmen der Fahrt eine Zäsur bilden, die dazu
führt, dass die Fahrt aus zwei voneinander trennbaren
Tatsachenkomplexen besteht. Auch kann ein längeres
Zwischenlagern dazu führen, dass die Ware „zur Ruhe
gekommen“ ist und deshalb eine einheitliche Schmuggelfahrt
nicht mehr angenommen werden kann (vgl. zur Abgrenzung von
Steuerhinterziehung - bzw. Schmuggel im Sinne des § 373 AO -
zu einer an diese anschließende Steuerhehlerei BGH wistra
2007, 224). Ähnliches dürfte gelten, wenn der genaue
Ablauf des Transports bei Beginn der Fahrt noch nicht feststeht und
noch Entscheidungen über das weitere Vorgehen oder die zu
wählende Transportroute nötig sind, etwa weil zu
bestimmten Zeitpunkten vor Fortführung des Transports
Weisungen von Hinterleuten eingeholt werden müssen. Solches
ist hier indes nicht festgestellt. Vielmehr handelt es sich bei den
durch mehrere Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft
geführten Schmuggelfahrten des Angeklagten jeweils um einen
einheitlichen Tatsachenkomplex und damit um eine Tat im Sinne des Art.
54 SDÜ.
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b) Nach der Vorabentscheidung (Rdn. 44) wird eine Freiheitsstrafe auch
dann (gerade) vollstreckt, wenn ihre Vollstreckung zur
Bewährung aus-
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gesetzt worden ist. Damit steht im Fall II. 1. c der
Urteilsgründe einer Verurteilung das Verfahrenshindernis des
zwischenstaatlichen Verbots der Strafverfolgung wegen derselben Tat
gemäß Art. 54 SDÜ entgegen. Das Verfahren
ist insoweit gemäß § 206a StPO durch
Beschluss einzustellen.
2. Im Fall II. 1. d der Urteilsgründe hindert
demgegenüber die Verurteilung des Angeklagten durch ein
italienisches Strafgericht zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren
ohne Strafaussetzung zur Bewährung seine weitere Verurteilung
in Deutschland wegen derselben Tat im Sinne des Art. 54 SDÜ
nicht. Denn die Vollstreckungsbedingung des Art. 54 SDÜ ist
nicht eingetreten. Da die in Italien gegen den Angeklagten
verhängte Strafe, obwohl sie vollstreckt werden kann, bislang
noch nicht vollstreckt worden ist und derzeit auch nicht vollstreckt
wird, ist insoweit kein Strafklageverbrauch nach Art. 54 SDÜ
eingetreten. Die bloß kurzfristige Inhaftierung des
Angeklagten im Ermittlungsverfahren genügt zur
Erfüllung der Vollstreckungsbedingung nicht (vgl.
Vorabentscheidung Rdn. 52). Die insoweit erlittene Freiheitsentziehung
in Italien wäre in Deutschland gemäß
§ 51 Abs. 3 Satz 2 StGB auf die Strafe anzurechnen.
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Gleichwohl stellt der Senat das Verfahren hinsichtlich des allein noch
verfahrensgegenständlichen Falls II. 1. d der
Urteilsgründe auf Antrag des Generalbundesanwalts
gemäß § 154 Abs. 2 StPO ein. Der Angeklagte
wurde am 3. November 2004 vom Landgericht Augsburg wegen Straftaten,
die ausnahmslos mit der Verurteilung im Fall II. 1. d der
Urteilsgründe gesamtstrafenfähig wären,
rechtskräftig zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren
und sechs Monaten verurteilt. Im Hinblick auf diese Verurteilung
fällt die im Fall II. 1. d der Urteilsgründe
verhängte Einzelfreiheitsstrafe von einem Jahr nicht
beträchtlich ins Gewicht, zumal bei einer neuen
Gesamtstrafenbildung unter Einbeziehung dieser Verurteilung
berücksichtigt werden müsste, dass die der
Verurteilung zugrundeliegende Straftat inzwischen bereits mehr als acht
Jahre zurückliegt und auch das Revisionsverfahren -
insbesondere
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wegen des beim EuGH durchgeführten
Vorabentscheidungsverfahrens - schon mehr als vier Jahre andauert.
Da das verurteilende Erkenntnis im Fall II. 1. d der
Urteilsgründe keinen Rechtsfehler aufwies, sieht der Senat
trotz der Verfahrenseinstellung nach § 154 Abs. 2 StPO
gemäß § 467 Abs. 4 StPO ungeachtet der
gesamten Verfahrensdauer davon ab, die insoweit entstandenen
notwendigen Auslagen des Angeklagten der Staatskasse aufzuerlegen (vgl.
Meyer-Goßner, StPO 50. Aufl. § 467 Rdn. 19).
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Basdorf Brause Schaal
Jäger Schneider |