BGH,
Beschl. v. 9.5.2007 - 1 StR 32/07
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
1 StR 32/07
vom
9.5.2007
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja (nur I 1 c)
Veröffentlichung: ja
_____________________________
StPO § 244 Abs. 2, Abs. 3 Satz 2 Var. 6, § 245 Abs. 2
Satz 3 Var. 5, § 246 Abs. 1
1. Bei der Ablehnung eines zum Zweck der Prozessverschleppung
gestellten Beweisantrags hält es der Senat für
angezeigt, das objektive Kriterium, dass die zu erwartende
Verfahrensverzögerung zusätzlich wesentlich sein
muss, deutlich restriktiver auszulegen, wenn nicht gar aufzugeben.
2. Zum Nachweis der Absicht der Prozessverschleppung.
BGH, Beschl. v. 9.05.2007 - 1 StR 32/07 - LG Landshut
in der Strafsache
gegen
- 2 -
1.
2.
wegen zu 1.: Mordes
zu 2.: Beihilfe zum Mord u.a.
- 3 -
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 9.05.2007 beschlossen:
Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Landshut vom 4. August 2006 werden als unbegründet verworfen.
Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu
tragen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten S. wegen Mordes zu lebenslanger
Freiheitsstrafe, den Angeklagten Sc. wegen gefährlicher
Körperverletzung und Beihilfe zum Mord zur
Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt. Die Angeklagten
sowie der frühere Mitangeklagte So. hatten am 1. Mai 2004
zunächst den Geschädigten W. in einer Wohnung
misshandelt. Sodann verbrachten sie ihn mit einem vom früheren
Mitangeklagten F. gesteuerten Pkw in ein Waldstück, um ihn zu
töten; dort legten S. und So. ihrem Opfer - nach weiteren
Misshandlungen, an denen auch Sc. mitwirkte - eine Jacke um den Hals
und zogen jeder mit einer Hand bis zum Atemstillstand zu.
1
Die jeweils auf verschiedene Verfahrensrügen und die
näher ausgeführte Sachrüge
gestützten Revisionen der Angeklagten sind aus den vom
Generalbundesanwalt in seinen Antragsschriften vom 7. und 8. Februar
2007 dargelegten Gründen unbegründet im Sinne von
§ 349 Abs. 2 StPO. Der Senat sieht hinsichtlich folgender
Rügen Anlass zu ergänzenden Ausführungen:
2
- 4 -
I.
3
Revision des Angeklagten S. :
4
1. Rüge der rechtsfehlerhaften Ablehnung eines Beweisantrags
wegen Prozessverschleppungsabsicht (§ 244 Abs. 3 Satz 2 Var. 6
StPO):
5
Die Kammer hat den Beweisantrag des Verteidigers Rechtsanwalt Sch. vom
24. Juli 2006, ein medizinisches Sachverständigengutachten
dazu einzuholen, dass der Angeklagte S. nicht in der Lage war, mit
seiner rechten Hand für die Tötungshandlung - das
Strangulieren mittels Ziehens an der Jacke - erforderliche starke
Handgreifkräfte aufzubringen, mit Beschluss vom 3. August 2006
abgelehnt, weil er zum Zweck der Prozessverschleppung gestellt worden
sei.
a) Die Revision trägt folgendes Verfahrensgeschehen vor:
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In dieser Sache fand eine erste Hauptverhandlung gegen die Angeklagten
sowie die früheren Mitangeklagten So. , der während
dieser Hauptverhandlung verstarb, und F. an 15 Verhandlungstagen vom
18. Mai bis zum 10. November 2005 statt. Am 15. Verhandlungstag
stellten sowohl der Verteidiger Rechtsanwalt Sch. für den
Angeklagten S. als auch der Verteidiger Schw. für den
Angeklagten Sc. einen Beweisantrag auf Einholung eines psychiatrischen
Sachverständigengutachtens zur Beeinträchtigung der
Schuldfähigkeit der beiden Angeklagten. Daraufhin wurde die
erste Hauptverhandlung ausgesetzt. Als die Gutachten vorlagen, fand
eine zweite Hauptverhandlung - nach Abtrennung des Verfahrens gegen den
Mitangeklagten F. nur noch - gegen die Angeklagten wiederum an 15
Hauptverhandlungstagen vom 5. April bis zum 4. August 2006 statt, wobei
der gegenständliche Beweisantrag am 13. Verhandlungstag
gestellt wurde.
7
- 5 -
Bei seiner ersten polizeilichen Vernehmung im Ermittlungsverfahren am
19. Mai 2004 hatte der Angeklagte S. unter anderem folgende Angaben
gemacht:
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"Ich habe ihn (den Geschädigten W. ) auch zweimal geschlagen,
aber nicht stark, weil meine rechte Hand gebrochen war. Ich bin am
Daumengelenk operiert worden im Herbst 2003 und ich habe mir auch den
Handgelenkknochen des Mittelfingers gebrochen, weshalb ich aber nicht
beim Arzt war. Das war 1994. Ich hatte Angst, dass, wenn ich zu fest
zuschlage, das wieder kaputt geht."
Auf den Widerspruch des Angeklagten S. hat die Kammer hinsichtlich
dieser Aussage ein auf § 136 Abs. 1 StPO gestütztes
Beweisverwertungsverbot angenommen, was sie den Verfahrensbeteiligten
bereits während der Hauptverhandlung mitteilte.
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Am 10. Verhandlungstag der zweiten Hauptverhandlung, dem 10. Juli 2006,
ließ sich der Angeklagte S. über seinen Verteidiger
zur Sache ein. Er bekundete unter anderem:
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In der Wohnung "schlug (ich) ihm mit einem Tablett aus
Leichtmetallblech von oben auf den Kopf. … (In dem
Waldstück) schlug (ich) zunächst nicht auf ihn ein,
da ich bei Schlägen mit der blanken Hand bis heute erhebliche
Schmerzen in der rechten Hand habe, die von einem Unfallereignis im
November 2003 herrühren. Seit einer Operation im Klinikum
Landshut am 10.11.2003 befinden sich noch Metallschienen in meiner
rechten Hand. Aufgrund der Verletzungsfolgen ist der Gebrauch meiner
rechten Hand seit November 2003 insoweit deutlich
eingeschränkt, als ich mit ihr weder kraftvoll Zug noch Druck
ausüben kann. … Als Herr W. auf einmal aufstand und
sich entfernen wollte, schlug ich ihm eine gefüllte
Bierflasche auf den Kopf, die dabei zerbrach. Da
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- 6 -
Herr W. weiter weg wollte, habe ich eine weitere volle Bierflasche auf
seinem Kopf zerschlagen."
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Die Kammer hat in der zweiten Hauptverhandlung die Zeugen Dr. N. ,
Hausarzt des Angeklagten, und Wi. , Vorgesetzter des Angeklagten, im
Hinblick auf Funktionsstörungen der rechten Hand vernommen.
Ferner haben der psychiatrische und der rechtsmedizinische
Sachverständige, Dr. O. und Prof. Dr. P. , Angaben hierzu
gemacht.
b) Die Rüge ist jedenfalls unbegründet. Auf die vom
Generalbundesanwalt dargelegten etwaigen Mängel im
Revisionsvortrag (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO) kommt es daher
nicht an.
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Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. nur Senat NJW
2001, 1956 m. zahlr. N.; ferner Sander NStZ 1998, 207) hat die
Ablehnung eines Beweisantrags wegen Verschleppungsabsicht nach
§ 244 Abs. 3 Satz 2 Var. 6 StPO in objektiver Hinsicht zwei
Voraussetzungen: Die verlangte Beweiserhebung kann nichts
Sachdienliches zugunsten des Antragstellers erbringen; darüber
hinaus muss sie geeignet sein, den Abschluss des Verfahrens wesentlich
hinauszuzögern. In subjektiver Hinsicht muss sich der
Antragsteller der Nutzlosigkeit der Beweiserhebung bewusst sein und mit
dem Antrag ausschließlich die Verzögerung des
Verfahrensabschlusses bezwecken.
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Hat ein Verteidiger den Beweisantrag gestellt, so gilt: Es kommt darauf
an, ob dieser in Verschleppungsabsicht handelt oder sich die
Verschleppungsabsicht des Angeklagten zu eigen macht. Der Tatrichter
kann seine Überzeugung auf der Grundlage aller dafür
erheblichen Umstände gewinnen. Das Verbot der
Beweisantizipation gilt dabei nicht. Die Überzeugungsbildung
hat namentlich unter Beachtung des Verhaltens des Angeklagten und des
Verteidigers in und außerhalb der Hauptverhandlung, aber auch
schon im Ermittlungs-
16
- 7 -
verfahren zu erfolgen; der Tatrichter kann ferner den bisherigen
Verfahrensverlauf berücksichtigen.
17
Der späte Zeitpunkt der Antragstellung für sich
allein ist kein ausreichendes Anzeichen für ein Bewusstsein
von der Nutzlosigkeit der beantragten Beweiserhebung. Die
maßgeblichen Gründe für die Ablehnung muss
der Tatrichter in dem Beschluss - regelmäßig nach
Art eines Indizienbeweises - darlegen. Hat der Tatrichter sich eine
entsprechende Überzeugung von der Prozessverschleppungsabsicht
gebildet und diese unter Würdigung aller
maßgeblichen Umstände im Ablehnungsbeschluss
dargelegt, prüft das Revisionsgericht nur, ob die
Erwägungen in tatsächlicher Hinsicht
tragfähig und rechtlich zutreffend sind. Auf die hypothetische
Erwägung, ob das Revisionsgericht selbst den Beweisantrag
abgelehnt hätte, kommt es nicht an.
Gemessen an diesen Anforderungen ist gegen den vom
Beschwerdeführer beanstandeten Ablehnungsbeschluss
revisionsrechtlich nichts zu erinnern.
18
aa) Die Kammer hat tragfähig ihre Überzeugung
dargelegt, dass die am 13. Hauptverhandlungstag der Neuverhandlung
beantragte Einholung des medizinischen
Sachverständigengutachtens nichts Sachdienliches erbracht
hätte, vielmehr der Angeklagte S. im Gebrauch der rechten Hand
nicht in der behaupteten Art und Weise eingeschränkt war.
Rechtsfehlerfrei führt der Ablehnungsbeschluss folgende, die
Überzeugungsbildung tragende Umstände an:
19
- Der rechtsmedizinische Sachverständige Prof. Dr. P. hat
erläutert, dass eine Metallplatte in der Hand
grundsätzlich keine Funktionsbeeinträchtigung mit
sich bringe.
- Der psychiatrische Sachverständige Dr. O. hat ausgesagt,
dass der Angeklagte bei der Exploration von der Fraktur mit
anschließender Operation berichtet habe; darauf beruhende
anhaltende Beschwerden habe er demgegenüber nicht er-
- 8 -
wähnt. Das Revisionsvorbringen, dass die Angaben des
Sachverständigen "zur Aufklärung der Beweistatsache
auch nicht das Mindeste beitragen" könnten, da es bei der
Exploration "wohl insbesondere um die Klärung psychologischer
und psychiatrischer … und nicht …
orthopädischer Fragen" gegangen sei, trifft schon deshalb
nicht zu, weil der Angeklagte im Übrigen von anderen -
vergleichsweise geringfügigen - Beschwerden wie etwa
gelegentlichem Sodbrennen oder Nasenbluten berichtete.
- Der Zeuge Dr. N. , der Hausarzt des Angeklagten S. , hatte diesen im
Zusammenhang mit der Fraktur der rechten Hand allgemeinmedizinisch
betreut. Nach den Angaben des Zeugen hätten am 17. November
2003 Röntgenaufnahmen nach der Operation eine korrekte
Stellung der Fraktur mit implantierter Metallplatte gezeigt. Der
Angeklagte habe die Daumenrinne nach der Operation
selbstständig entfernt. Er habe sich am 24. November 2003
letztmals zur Kontrolle in die Praxis des Zeugen begeben;
anschließend sei keine weitere Behandlung erfolgt.
- Nach Angaben des Zeugen Wi. , der mehr als ein halbes Jahr bis zum
30. April 2004 vorgesetzter Facharbeiter des Angeklagten beim
Diakonischen Werk im Rahmen des Programms "Arbeit statt Sozialhilfe"
war, verrichtete dieser zur Zufriedenheit leichte bis zu sehr schweren
Arbeiten im Landschaftsbau wie auch Malerarbeiten. Nach seiner
Krankschreibung bis zum 28. November 2003 sei er
uneingeschränkt einsatzfähig gewesen. Der Einwand des
Beschwerdeführers, dem Zeugen fehle es an medizinischen
Fachkenntnissen und an - für die Kommunikation mit dem
Angeklagten erforderlichen - russischen Sprachkenntnissen, greift nicht
durch, da die Wahrnehmung, dass der Angeklagte tatsächlich
derartige Arbeiten verrichtete, solche Kenntnisse nicht voraussetzt.
- Schließlich hat sich der Angeklagte selbst dahingehend
eingelassen, er habe mit einem Leichtmetalltablett und mit vollen
- 9 -
Bierflaschen auf den Kopf des Geschädigten geschlagen. Anders
als die Revision meint, durfte die Kammer diese Einlassung als Indiz
heranziehen, auch wenn der Angeklagte hierbei keine Angaben dazu
machte, mit welcher Hand die Schläge erfolgten, zumal er
selbst bei der Exploration für das psychiatrische Gutachten
erklärte, er sei Rechtshänder.
bb) Die Kammer hat rechtsfehlerfrei dargelegt, dass die Einholung des
beantragten medizinischen Sachverständigengutachtens den
Abschluss des Verfahrens auch wesentlich hinausgezögert
hätte.
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21
Dem Kriterium, dass die zu erwartende Verfahrensverzögerung
zusätzlich wesentlich sein muss, hat die Rechtsprechung bisher
keine hinreichend klaren Konturen gegeben. Die Formulierung, es
müsse eine "Verzögerung des Verfahrensabschlusses auf
unbestimmte Zeit bezweckt" sein (BGHSt 21, 118, 121; BGH VRS 38 [1970]
58 [jew. nichttragend]), verwendet der Bundesgerichtshof in neueren
Entscheidungen nicht mehr. Eine relevante
Verfahrensverzögerung ist in Fällen angenommen
worden, in denen eine Aussetzung der Hauptverhandlung unvermeidbar
geworden wäre oder ernsthaft zu befürchten war (vgl.
BGH NStZ 1992, 551; GA 1968, 19). Umgekehrt hat der Bundesgerichtshof
eine wesentliche Verzögerung verneint, wenn der beantragte
Zeugenbeweis noch innerhalb der Frist nach § 229 Abs. 1 StPO
(so NStZ 1982, 391 [zur Zehn-Tages-Frist]) oder im allein für
die Schlussvorträge vorgesehenen Folgetermin, der eine Woche
nach der Antragstellung stattfand (so StV 1986, 418, 420),
hätte erhoben werden können. Gleiches gilt, wenn die
Beweiserhebung "in kurzer Zeit" hätte erfolgen
können, was "insbes. bei ortsansässigen Zeugen"
zutreffe (BGH NJW 1958, 1789).
Die Einholung des beantragten medizinischen
Sachverständigengutachtens hätte schon deswegen im
vorliegenden Verfahren zu einer relevanten
Verfahrensverzögerung geführt, weil zumindest eine -
länger als drei Wochen dau-
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- 10 -
ernde - Unterbrechung nach § 229 Abs. 2 StPO, wenn nicht gar
die erneute Aussetzung der Hauptverhandlung erforderlich geworden
wäre. So hatte der Verteidiger Rechtsanwalt Sch. bereits am
18. Juli 2006 mitgeteilt, er befinde sich in der Zeit vom 7. bis zum
28. August 2006 in Urlaub. Hierzu führt der
Ablehnungsbeschluss nachvollziehbar aus, dass bei einer Terminierung in
Abwesenheit des Verteidigers Rechtsanwalt Sch. "mit erheblichem
Widerstand" seinerseits zu rechnen gewesen wäre. Unbeschadet
dessen war der Beweisstoff zum Zeitpunkt der Antragstellung
erschöpft; nach dem Verhandlungsplan der Kammer sollte an
diesem Tag mit den Schlussvorträgen begonnen werden. Auf sog.
"Schiebetermine" (vgl. dazu BGH NJW 1996, 3019 m. Anm. Wölfl
NStZ 1999, 43; BGH NStZ-RR 1998, 335; StV 1998, 359; JR 2007, 38 m.
Anm. Gössel) hat sich die Kammer zu Recht nicht eingelassen.
cc) Schließlich zeigt sich die Kammer in dem
Ablehnungsbeschluss überzeugt, dass Verteidiger Rechtsanwalt
Sch. mit dem Bewusstsein handelte, das beantragte
Sachverständigengutachten werde eine dem Angeklagten S.
günstige Wendung des Verfahrens nicht herbeiführen
können, und dass der Antrag ausschließlich eine
Verzögerung des Verfahrens bezweckte.
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Entgegen der - nur - insoweit missverständlichen Formulierung
in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts rechtfertigt der
bloße Verdacht, der Beweisantrag sei in der Absicht der
Prozessverschleppung gestellt worden, nicht die Ablehnung. Der Verdacht
muss sich vielmehr zur subjektiven Gewissheit des Tatrichters
verfestigt haben. Wie jede sog. "innere Tatsache" kann sich die Absicht
der Prozessverschleppung entweder aus eigenen
Äußerungen des Antragstellers oder durch
Rückschlüsse aus sonstigen Indizien ergeben (vgl.
hierzu BGH NJW 1991, 2094; NStZ 2003, 596; 2004, 35, 36). Nach aller
forensi-
24
- 11 -
scher Erfahrung wird ein Antragsteller nur selten klar zum Ausdruck
bringen, dass sein Antrag nicht der Erforschung der Wahrheit dient.
Ausgeschlossen ist dies aber nicht, wie das vorliegende Verfahren
beispielhaft belegt. Hier hatte der Verteidiger Rechtsanwalt Schw. des
Angeklagten Sc. der insoweit unwidersprochenen dienstlichen
Stellungnahme des Vorsitzenden zufolge diesem gegenüber
fernmündlich geäußert, "er müsse
jetzt Beweisanträge stellen, da er sich mit der
Staatsanwaltschaft noch nicht ganz einig geworden sei". Damit brachte
er klar zum Ausdruck, dass es ihm nicht um die Erforschung der Wahrheit
ging, sondern darum, die übrigen Verfahrensbeteiligten dadurch
zu einer verfahrensbeendenden Absprache zu veranlassen, dass er
anderenfalls durch immer neue Beweisanträge den Abschluss des
Verfahrens auf unabsehbare Zeit hinauszögern werde (vgl. Senat
NStZ 2005, 45).
Derartige oder damit vergleichbare Äußerungen des
Verteidigers Rechtsanwalt Sch. im Zusammenhang mit dem in Rede
stehenden Beweisantrag ("Handgreifkräfte") liegen nicht vor.
Die Kammer hat ihre Überzeugung von der Absicht der
Prozessverschleppung hier - über die Nutzlosigkeit der
verlangten Beweiserhebung hinaus - rechtsfehlerfrei mittels folgender
Indizien begründet:
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Den gegenständlichen Beweisantrag stellte der Verteidiger am
13. Hauptverhandlungstag der Neuverhandlung, für den, wie den
Verfahrensbeteiligten bekannt war, die Beendigung der Beweisaufnahme
und der Beginn der Schlussvorträge vorgesehen waren. Kurz
zuvor hatte er mitgeteilt, in Kürze für drei Wochen
urlaubsabwesend zu sein, damit in dieser Zeit keine Termine angesetzt
würden. Während der ersten Hauptverhandlung sei eine
Funktionsbeeinträchtigung der rechten Hand weder behauptet
noch sonst ersichtlich gewesen. Der Verteidiger hatte bereits am 15.
Verhandlungstag der ersten Hauptverhandlung, an dem diese geschlossen
werden sollte, beantragt, ein psychiat-
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- 12 -
risches Sachverständigengutachten zur
Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit des Angeklagten
einzuholen, das die Beweisbehauptung aber nicht bestätigte.
27
Zwar ist der späte Zeitpunkt der Antragstellung - für
sich allein - im Hinblick auf den Ablehnungsgrund der
Prozessverschleppungsabsicht unschädlich. Wenn aber - wie hier
- der Antrag erst nach einer umfangreichen Beweisaufnahme gestellt wird
und die verlangte Beweiserhebung längere Zeit in Anspruch
nehmen würde, andererseits der Beweisstoff für den
Antragsteller erkennbar erschöpft ist und ein
nachvollziehbarer Anlass für die späte Antragstellung
weder dargetan noch sonst ersichtlich ist, kann alledem eine
maßgebliche Indizwirkung zukommen.
Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers drängte
die gerichtliche Aufklärungspflicht nach § 244 Abs. 2
StPO zuvor nicht zur Einholung des medizinischen
Sachverständigengutachtens, und zwar schon deshalb nicht, weil
die Kammer das Beweisthema mit anderen Beweismitteln
aufgeklärt hat. Unbeschadet dessen bestand aufgrund der
polizeilichen Aussage des Angeklagten vom 19. Mai 2004, er habe zweimal
"nicht stark" zugeschlagen, da er sich in den Jahren 1994 und 2003
Frakturen an der rechten Hand zugezogen und er deswegen
befürchtet habe, dass "das", wenn er zu fest zuschlage, wieder
"kaputt" gehe, kein Anlass, ein Gutachten dazu einzuholen, ob er mit
seiner rechten Hand die für das Ziehen an der Jacke
erforderlichen Handgreifkräfte aufbringen konnte. Denn der
Angeklagte hatte überhaupt keine
Funktionsbeeinträchtigung beim Zugreifen, vielmehr das Risiko
eines erneuten Aufbrechens alter Verletzungen beim Zuschlagen geltend
gemacht; dies hinderte ihn nach seiner Aussage nicht am weniger starken
Zuschlagen.
28
Selbst wenn der Inhalt der Aussage die Einholung des Gutachtens nahe
gelegt hätte, wäre zu berücksichtigen, dass
die Kammer infolge des Wider-
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- 13 -
spruchs des Angeklagten ein - für den Angeklagten disponibles
- Beweisverwertungsverbot wegen Verstoßes gegen §
136 Abs. 1 StPO angenommen hat. Die Revision kann hier nicht innerhalb
einer Rüge hinsichtlich ein und derselben Bekundung des
Angeklagten (Zuschlagen mit rechts) erfolgreich geltend machen,
einerseits sei seine Einlassung für die Beweisbehauptung
unergiebig, weil er niemals verwertbare Angaben dazu gemacht habe, mit
welcher Hand Schläge seinerseits erfolgt seien (vgl. oben I 1
b aa), andererseits hätte sich aufgrund der bekundeten
Schläge mit der rechten Hand eine bestimmte Beweiserhebung
aufgedrängt.
Die Kammer durfte daneben auch die späte Beweisantragstellung
durch den Verteidiger Rechtsanwalt Sch. am letzten Verhandlungstag der
ersten Hauptverhandlung berücksichtigen. Hierfür
kommt es entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers nicht
darauf an, ob die erste Hauptverhandlung - zumindest auch - aufgrund
dieses Beweisantrags oder - allein - aufgrund des zeitnah von
Rechtsanwalt Schw. gestellten Beweisantrags ausgesetzt worden war (vgl.
UA S. 105). Maßgeblich ist nur, dass dem Antragsteller
bekannt gewesen war, dass die verlangte Beweiserhebung nach im
Übrigen beendeter Beweisaufnahme gemäß
§ 229 Abs. 4 StPO voraussichtlich eine Aussetzung zur Folge
haben würde. Auch die Aufklärungspflicht hatte hier
nicht die frühere Einholung des psychiatrischen
Sachverständigengutachtens geboten. Dass, wie der
Beschwerdeführer meint, "beim Vorwurf vorsätzlicher
Tötungsverbrechen obligatorisch schon vor Beginn der
Hauptverhandlung die Einholung solcher forensisch-psychiatrischer
Sachverständigengutachten (zu) veranlassen" wäre,
trifft nicht zu.
30
c) Zu den beiden Voraussetzungen des Ablehnungsgrunds der
Prozessverschleppungsabsicht (§ 244 Abs. 3 Satz 2 Var. 6
StPO), dass - objektiv - der Beweisantrag geeignet sein muss, den
Verfahrensabschluss "wesentlich" hin-
31
- 14 -
auszuzögern, und der Antragsteller - subjektiv - in Kenntnis
der Nutzlosigkeit der Beweiserhebung ausschließlich die
Verfahrensverzögerung bezweckt, sieht der Senat Anlass zu
folgenden Erwägungen:
32
aa) Der Senat hält es für angezeigt, das objektive
Kriterium, dass die Verfahrensverzögerung zusätzlich
wesentlich sein muss, deutlich restriktiver auszulegen, wenn nicht gar
aufzugeben.
Auch bei präsenten Beweismitteln erlaubt § 245 Abs. 2
Satz 3 Var. 5 StPO mit der wortgleichen Formulierung die Ablehnung von
Beweisanträgen wegen Verschleppungsabsicht. Auf die Frage, wie
schnell sich weitere Beweismittel beschaffen lassen, kann es hier
naturgemäß nicht ankommen. Eine wesentliche
Verfahrensverzögerung, die überhaupt nur in den
Fällen der Benennung der Gerichtsmitglieder als Zeugen und der
verlangten Einführung massenhaft präsenter
Beweismittel in Betracht kommt, ist für § 245 Abs. 2
Satz 3 Var. 5 StPO nicht erforderlich (vgl.
Alsberg/Nüse/Meyer, Der Beweisantrag im Strafprozeß
5. Aufl. S. 829 f.; Meyer-Goßner, StPO 49. Aufl. §
245 Rdn. 27: "Verschleppungsabsicht iwS"). Gleiches gilt für
die Verwerfung eines Ablehnungsgesuchs wegen Verschleppungsabsicht nach
§ 26a Abs. 1 Nr. 3 StPO. Stichhaltige Argumente
dafür, dass die gleichen Rechtsbegriffe - zumal in den
systematisch zusammenhängenden Vorschriften der
§§ 244, 245 StPO - unterschiedliche Bedeutungen
haben, sind nicht ersichtlich (ebenso Fahl, Rechtsmißbrauch
im Strafprozeß 2004 S. 469; Herdegen in KK 5. Aufl.
§ 244 Rdn. 87, jew. m. w. N.).
33
Die Änderung der Rechtsprechung zum Kriterium der wesentlichen
Verfahrensverzögerung ist auch vor dem Hintergrund der neueren
strengen Kammerrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum
Beschleunigungsgrundsatz geboten. Insbesondere in Haftsachen, die einen
großen Teil der erst-
34
- 15 -
instanzlichen Strafverfahren vor den Landgerichten ausmachen, zwingt
der Beschleunigungsgrundsatz dazu, dass die Hauptverhandlung so bald
und so schnell wie möglich durchgeführt wird (vgl.
nur BVerfG NJW 2006, 672, 676; 2006, 1336, 1337 f.). Hat die Haft schon
geraume Zeit angedauert, ist von Verfassungs wegen eine straffe
Terminierung mit durchschnittlich jedenfalls deutlich mehr als einem
Verhandlungstag pro Woche geboten (vgl. BVerfG NJW 2006, 668, 670;
2006, 672, 676; NStZ 2006, 460, 461; Beschluss vom 29. Dezember 2005 -
2 BvR 2057/05 - Rdn. 64). Wird die Hauptverhandlung nicht straff genug
durchgeführt, kann eine der Justiz anzulastende und damit
kompensationspflichtige Verfahrensverzögerung gegeben sein.
Die Kammerrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts stellt dabei
eine nicht ausreichende Verfahrensförderung insbesondere auch
mittels statistischer Errechnung der durchschnittlichen Anzahl der
Verhandlungstage und der durchschnittlichen Verhandlungsdauer fest und
scheint nicht nach Verfahrensgegenständen und
Verhandlungsinhalten - ebenso wenig danach, ob Beweisanträge
gebündelt oder gestaffelt gestellt werden, oder danach, in
welchem Zeitraum sich beantragte weitere Beweismittel bei im
Übrigen abgeschlossener Beweisaufnahme beschaffen lassen - zu
differenzieren (vgl. Eschelbach in KMR 44. Lfg. § 229 Rdn. 5;
Schmidt NStZ 2006, 313, 314 f.). Vor dem Hintergrund der
verfassungsrechtlich gebotenen straffen Durchführung der
Hauptverhandlung liegt es nahe, dass auch die Anordnung einer
vergleichsweise kurzen Unterbrechung nach § 229 Abs. 1 StPO
mit Blick auf den Beschleunigungsgrundsatz eine relevante
Verfahrensverzögerung bedeuten kann, zumal durch weitere
Beweiserhebungen dem Tatgericht Arbeitszeit für andere -
ebenfalls in angemessener Zeit abzuschließende - Verfahren
verloren geht.
Nach alledem kann jedenfalls für die Wesentlichkeit der
Verfahrensverzögerung nicht mehr der Maßstab des
§ 229 Abs. 1 StPO zugrunde gelegt werden. Soweit dieser
Maßstab bisher herangezogen wurde (vgl. BGH NStZ 1982,
35
- 16 -
391; Meyer-Goßner, StPO 49. Aufl. § 244 Rdn. 67 m.
w. N.), kann daran nicht mehr festgehalten werden, nachdem das 1. JuMoG
vom 24. August 2004 (BGBl I 2198) die regelmäßige
Unterbrechungsfrist auf drei Wochen verlängert hat.
36
bb) Soweit der Tatrichter die Überzeugung von der inneren
Tatsache, dass es dem Antragsteller auch subjektiv darum ging, den
Prozess zu verschleppen, durch Rückschlüsse aus
äußeren Tatsachen zu gewinnen hat, können
sich signifikante Indizien etwa aus folgender Fallgestaltung ergeben:
Nach Abschluss der vom Gericht nach dem Maßstab der
Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO) für
geboten gehaltenen Beweiserhebungen kann der Vorsitzende die
übrigen Verfahrensbeteiligten unter Fristsetzung auffordern,
etwaige Beweisanträge zu stellen. Dies gilt namentlich bei
länger dauernden Verfahren im Sinne von § 229 Abs. 2
StPO, also solchen mit einer Hauptverhandlung, die mindestens zehn
Verhandlungstage umfasst. Werden Anträge nicht innerhalb der
gesetzten Frist gestellt, dann hat der Antragsteller die
Gründe hierfür substantiiert darzulegen. Besteht nach
der Überzeugung des Gerichts kein nachvollziehbarer Anlass
für die verfristete Antragstellung, so kann es - falls nicht
die Aufklärungspflicht nach § 244 Abs. 2 StPO
gleichwohl zur Beweiserhebung drängt - grundsätzlich
davon ausgehen, dass der Antrag nichts anderes als die
Verzögerung des Verfahrens bezweckt. Denn es ist nicht
erkennbar, warum ein Antragsteller, dem es möglich ist,
innerhalb der gesetzten Frist Beweisanträge zu stellen, nicht
bestrebt sein sollte, rechtzeitig seinem Anliegen dienliche
Beweiserhebungen zu verlangen, will er nicht seinen Interessen zuwider
handeln.
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Dieser Auslegung von § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO steht §
246 Abs. 1 StPO nicht entgegen, weil die Ablehnung eines Beweisantrags
weiterhin nicht allein
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an die verspätete Antragstellung geknüpft ist; sie
erleichtert dem Tatrichter lediglich den Nachweis der Absicht der
Prozessverschleppung. Auch an der Pflicht des Gerichts zur
Entgegennahme und Verbescheidung von Beweisanträgen
ändert sich nichts (vgl. insoweit bei "extrem gelagerten
Fällen" des Rechtsmissbrauchs BGH NJW 2005, 2466).
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2. Rüge der Mitwirkung der wegen Ablehnung eines Beweisantrags
abgelehnten Kammermitglieder (§ 338 Nr. 3,
§§ 24 ff. StPO):
Der Verteidiger Rechtsanwalt Sch. hat namens des Angeklagten S.
sämtliche Mitglieder der Kammer mit Gesuch vom 3. August 2006
abgelehnt. Das Gesuch beanstandet im Wesentlichen die Ablehnung des
Beweisantrags auf Einholung des medizinischen
Sachverständigengutachtens wegen Prozessverschleppungsabsicht
(siehe oben Ziff. 1); zudem habe "die Kammer vor Erlaß ihres
Beschlusses keinerlei Versuch gemacht, Hrn. S. oder seine Verteidigung
nochmals anzuhören und ihnen Gelegenheit zu geben, den Vorwurf
der Verschleppungsabsicht zu entkräften". Die Vertreterkammer
hat das Ablehnungsgesuch mit Beschluss noch vom selben Tag als
unbegründet verworfen.
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Hierzu bemerkt der Senat:
41
Das Verhalten der Kammermitglieder konnte die Besorgnis der
Befangenheit aus der Sicht eines verständigen Angeklagten
(vgl. Senat NJW 2006, 3290, 3295 m.w.N.; NStZ 2007, 161, 163) nicht
begründen. Es mag dahinstehen, inwieweit prozessual
fehlerhaftes Verhalten überhaupt Anlass zur Besorgnis der
Befangenheit geben könnte (Senat NStZ 2007, 163, 164). Dem
braucht der Senat hier nicht nachzugehen. Denn nicht nur die Ablehnung
des Beweisantrags erfolgte rechtsfehlerfrei; es bedurfte hierzu auch
nicht der vorherigen Anhörung zur beabsichtigten Entscheidung.
Durch die Verkündung des Ableh-
42
- 18 -
nungsbeschlusses vor der abschließenden Urteilsberatung wird
dem Antragsteller rechtliches Gehör gewährt;
hierdurch wird ihm Gelegenheit gegeben, den Vorwurf, er habe den
Beweisantrag nur in Prozessverschleppungsabsicht gestellt, zu
entkräften oder die ihm sonst infolge der Ablehnung des
Beweisantrags notwendig erscheinenden Maßnahmen zu treffen
(st. Rspr.; vgl. nur BGHR StPO § 244 Abs. 3 Satz 2
Prozessverschleppung 4; BGH NStZ 1998, 207, jew. m.w.N.).
II.
Revision des Angeklagten Sc. :
43
1. Rüge der Mitwirkung des wegen eines Hinweises abgelehnten
Vorsitzenden (§ 338 Nr. 3, §§ 24 ff. StPO):
44
a) Der Rüge, an dem Urteil habe der Vorsitzende Richter M.
mitgewirkt, nachdem ein gegen ihn gerichtetes Ablehnungsgesuch wegen
eines von ihm erteilten Hinweises mit Unrecht verworfen worden sei,
liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:
45
Am siebten Verhandlungstag der ersten Hauptverhandlung, dem 27. Juli
2005, wurde die im Ermittlungsverfahren tätige Dolmetscherin
und Übersetzerin T. als Zeugin vernommen. Sie sagte aus, dass
sie keine Prüfung als Dolmetscherin oder Übersetzerin
abgelegt habe und nicht allgemein vereidigt sei; sie komme allerdings
aus Moskau und habe dort Germanistik studiert. Daraufhin widersprachen
die Verteidiger der Angeklagten und des damaligen Mitangeklagten F. der
Verwertung sämtlicher - noch in die Hauptverhandlung
einzuführender und bereits eingeführter -
Vernehmungen, an denen die Zeugin als Sprachmittlerin mitgewirkt habe.
Der Vorsitzende erteilte unterdessen folgenden Hinweis:
46
- 19 -
"Der Vorsitzende wies darauf hin, dass die soeben vernommene Zeugin T.
in der jetzigen Vernehmung die deutsche Sprache ohne jeden
grammatikalischen Fehler beherrschte und ihre Muttersprache russisch
ist, wie sie erklärte."
Die Verteidigung widersprach dieser Feststellung. Die Revision
behauptet, der Vorsitzende habe, noch bevor die Widersprüche
vollständig protokolliert gewesen seien, unter Anordnung einer
Unterbrechung bis zum nächsten Tag den Sitzungssaal verlassen
und sei später zur Rückkehr bewegt worden. Am
folgenden Verhandlungstag, dem 28. Juli 2005, stellte der Verteidiger
Rechtsanwalt Sch. namens des Angeklagten S. ein Befangenheitsgesuch,
dem sich sämtliche Verteidiger, auch Rechtsanwalt Schw.
für den Angeklagten Sc. , anschlossen. Mit Beschluss vom 1.
August 2005 sind die Gesuche als unbegründet verworfen worden.
47
b) Der Beschwerdeführer meint, dass der Vorsitzende mit dem
Hinweis "rechtliche Erwägungen im Bezug auf die Rolle von Frau
T. vorgenommen" habe, "was die Besorgnis der Befangenheit
begründe(…)". Der Vorsitzende habe den Eindruck
vermitteln wollen, § 73 Abs. 2 StPO sei hier nicht anwendbar.
Zudem habe er die der Kammer obliegende Beweiswürdigung
vorweggenommen; es handele sich um den "Versuch …, eine
(nicht zwingende) Feststellung, die seiner persönlichen
Wertung entspricht, … als unumstößlich
ins Protokoll aufzunehmen"; diese "unzulässige
Vorwegwürdigung" habe "die Folge, die weiteren
Kammermitglieder zu präjudizieren".
48
c) Bei verständiger Würdigung war ein Misstrauen in
die Unvoreingenommenheit und Unparteilichkeit des Vorsitzenden nicht
gerechtfertigt.
49
Die Revision verkennt bereits, dass das geltende Recht ein
Beweisverwertungsverbot aufgrund der Heranziehung eines nicht
öffentlich bestellten und
50
- 20 -
allgemein beeidigten Dolmetschers oder Übersetzers nicht
kennt. Bei einem Dolmetscher handelt es sich schon nicht um einen
Sachverständigen (Senge in KK 5. Aufl. vor § 72 Rdn.
9), so dass § 73 Abs. 2 StPO insoweit nicht
einschlägig ist; im Übrigen hat ein Verstoß
gegen die Sollvorschrift des § 73 Abs. 2 StPO ohnehin kein
Verwertungsverbot zur Folge. Auch aus den sonstigen im Ablehnungsgesuch
zitierten Vorschriften (§ 185 Abs. 1 GVG; Bayerisches
Dolmetschergesetz; Nr. 181 Abs. 1 RiStBV) ergibt sich ein solches
Verwertungsverbot nicht.
Die Annahme der Besorgnis der Befangenheit in der Person des
Vorsitzenden liegt aber insbesondere deswegen fern, weil der
protokollierte Hinweis von seiner Befugnis zur Verhandlungsleitung nach
§ 238 Abs. 1 StPO gedeckt war. Ist nämlich
über ein Beweiserhebungs- und -verwertungsverbot, wie dies
hier von der Verteidigung (zu Unrecht) geltend gemacht worden war, zu
entscheiden, so kann der Vorsitzende darüber im Rahmen der
Sachleitung befinden. Die ein derartiges Verbot möglicherweise
begründenden Umstände sind dabei gegebenenfalls
freibeweislich zu ermitteln. Eine durch den Vorsitzenden aufgrund
eigener Wertung angeordnete Beweisaufnahme können die
Verfahrensbeteiligten beanstanden und somit einen Beschluss nach
§ 238 Abs. 2 StPO herbeiführen (vgl. BGHSt 51, 1, 4).
Denn gerade im Fall eines Beurteilungsspielraums des Vorsitzenden oder
eines gesetzlich eröffneten Ermessens obliegt es dem
Verfahrensbeteiligten, der sich durch die Anordnung beschwert
fühlt, die Verantwortung des Spruchkörpers zu
aktivieren (BGH NJW 2007, 384, 387, zur Veröffentlichung in
BGHSt 51, 144 bestimmt).
51
Gemessen daran ist das Verhalten des Vorsitzenden nicht zu beanstanden.
Denn hiernach durfte er im Rahmen seiner Sachleitungsbefugnis die
Richtigkeit der Übersetzung der im Ermittlungsverfahren
tätigen Dolmetscherin und Übersetzerin wertend
beurteilen.
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- 21 -
2. Rüge der Mitwirkung des wegen der Terminierung abgelehnten
Vorsitzenden (§ 338 Nr. 3, §§ 24 ff. StPO):
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54
Zum Befangenheitsgesuch vom 25. Januar 2006, das sich im Kern darauf
stützt, der Vorsitzende Richter M. habe für die
Neuverhandlung eine zu kurzfristige und straffe Terminierung
beabsichtigt, um den vom Angeklagten Sc. akzeptierten
Pflichtverteidiger Rechtsanwalt Schw. "auszuschalten", wird auf die
Senatsentscheidungen vom 20. Juni 2006 - 1 StR 169/06 (abgedr. in NStZ
2006, 513) und vom 29. August 2006 - 1 StR 285/06 (abgedr. in NStZ
2007, 163) verwiesen.
Im Übrigen bemerkt der Senat:
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Einen allgemeinen Rechtssatz des Inhalts, dass bei der Bestimmung der
Termine - zumal bei einer ausgesetzten Hauptverhandlung - "der
übliche Vorlauf von 2 - 3 Monaten" einzuhalten sei, gibt es
nicht; nichtsdestotrotz hat der Vorsitzende ausweislich der
Urteilsfeststellungen (UA S. 105) später sogar einem
entsprechenden Terminsverlegungsantrag des Verteidigers Rechtsanwalt
Schw. Folge geleistet. Auch die fernmündliche
Äußerung des Vorsitzenden jenem gegenüber,
"es könne nicht sein, dass er am Schluss die Haftbefehle
aufheben müsse, weil die Verteidiger keine Zeit
hätten", kann hier - nicht einmal im Ansatz - die Besorgnis
der Befangenheit begründen.
56
3. Rüge der überlangen Verfahrensdauer und
rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung (Art. 5 Abs. 3 Satz
1 Halbs. 2, Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK):
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a) Im Rahmen der Strafzumessung hat die Kammer ausdrücklich
davon abgesehen, eine überlange Verfahrensdauer oder
rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung zugunsten des
Angeklagten Sc. zu berücksichtigen, da Verhandlung und
Entscheidung innerhalb angemessener Zeit erfolgt seien (UA
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- 22 -
S. 104 ff. d.A.). Das Urteil führt im Wesentlichen dazu aus,
dass die Verfahrensdauer - die Anklageschrift datiert auf den 26.
Oktober 2004 - ihre Ursache in Terminsabstimmungen mit den Verteidigern
zunächst von vier, später von zwei Angeklagten hatte.
Die Aussetzung der Hauptverhandlung sei aufgrund eines Beweisantrags
des Verteidigers Rechtsanwalt Schw. auf Einholung eines psychiatrischen
Sachverständigengutachtens erforderlich geworden; mit dem
Antrag sei vorgetragen worden, der Angeklagte Sc. habe bei zwei
Motorradunfällen in den Jahren 1988 und 1989 massive
Kopfverletzungen erlitten.
b) Die Sachrüge, mit der der Beschwerdeführer diese
Erwägungen angreift, kann den Bestand des Urteils nicht
gefährden.
59
Will der Beschwerdeführer die Verletzung des
Beschleunigungsgebots geltend machen, erfordert dies
grundsätzlich die Erhebung einer Verfahrensrüge
(BGHSt 49, 342; BGH, Beschl. v. 14. Februar 2007 - 1 StR 618/06; vgl.
auch BVerfG, Kammerbeschluss vom 27. September 2006 - 2 BvR 1377/06).
Ein Ausnahmefall, für den der Bundesgerichtshof angenommen
hat, das Revisionsgericht habe wegen eines Erörterungsmangels
auf die Sachrüge hin einzugreifen (vgl. BGHSt aaO; NStZ-RR
2007, 71; Beschluss vom 17. April 2007 - 5 StR 541/06), liegt hier
nicht vor. Denn das Urteil legt nachvollziehbar dar, dass und weshalb
die lange Verfahrensdauer nicht der Justiz anzulasten ist. Eine
"minutiös genaue" Darstellung des Verhandlungsgangs ist dabei
nicht erforderlich. Von den Urteilsfeststellungen abweichender oder
darüber hinausgehender Sachvortrag kann im Rahmen der
Sachrüge keine Berücksichtigung finden. Die Auslegung
oder Umdeutung der Beanstandung im Rahmen der Sachrüge als
bzw. in eine zulässige Verfahrensrüge (vgl. Senat NJW
2007, 92, 95 f.) kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil die
Darlegungen erst nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist
(§ 345 Abs. 1 Satz 1 StPO) erfolgten.
60
- 23 -
Der Senat braucht daher nicht zu entscheiden, welche
Spielräume zur Förderung des Verfahrens der Kammer
verblieben, ob etwa der Vorsitzende bei der Terminierung unter
Verletzung des Beschleunigungsgebots in zu weit reichendem Umfang den
Terminswünschen der Verteidiger nachkam und inwieweit dies
hätte eine Strafmilderung zugunsten des
Beschwerdeführers bewirken können.
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Nack Wahl Boetticher
Kolz Hebenstreit |