BGH,
Beschl. v. 9.11.2009 - 5 StR 421/09
5 StR 421/09
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
vom 9. November 2009
in der Strafsache
gegen
wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung
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Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 9. November 2009
beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Berlin vom 22. Juni 2009 nach § 349 Abs. 4 StPO mit den
zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit eine
Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt unterblieben
ist.
Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als
unbegründet verworfen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen besonders schwerer
räuberischer Erpressung, begangen gemeinsam mit dem
nichtrevidierenden Angeklagten G. , zu einer Freiheitsstrafe von drei
Jahren und neun Monaten verurteilt. Hiergegen wendet sich der
Angeklagte mit seiner Revision, deren unbeschränkte
Durchführung auch nach Hinweis seitens des Senats auf
§ 64 StGB ausdrücklich gewünscht wird.
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1. Die Nachprüfung des angefochtenen Urteils aufgrund der
Sachrüge hat zum Schuld- und Strafausspruch keinen den
Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler ergeben. Insbesondere ist nicht
zu beanstanden, dass das Landgericht die angenommene erhebliche
Verminderung seiner Steuerungs-
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fähigkeit aufgrund Alkoholisierung im Rahmen der
Prüfung eines minder schweren Falles nach § 250 Abs.
3 StGB nicht zu seinen Gunsten berücksichtigt hat. Das
Landgericht verweist zur Begründung (unter Bezugnahme auf
BGHSt 49, 239) darauf, dass der Angeklagte nur zwei Monate vor der
jetzt abgeurteilten Tat wegen schwerer räuberischer Erpressung
in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung unter
Annahme der Voraussetzungen des § 21 StGB wegen erheblicher
Verminderung der Schuldfähigkeit aufgrund Alkoholkonsums
verurteilt worden war. Anhaltspunkte dafür, dass der
Angeklagte den Alkoholkonsum aufgrund einer Alkoholkrankheit nicht
vermeiden konnte, sind nicht ersichtlich; insoweit hat das
sachverständig beratene Landgericht ein
Alkoholabhängigkeitssyndrom ausgeschlossen. Unter diesen
Umständen hielt das Landgericht eine positive
Berücksichtigung der verminderten Schuldfähigkeit zu
Recht für nicht angezeigt und sah, nachdem es aus anderen
Gründen zur Annahme des § 250 Abs. 3 StGB gelangt
war, keinen Raum für eine weitere Milderung des Strafrahmens
gemäß §§ 21, 49 StGB (vgl. BGHR
StGB § 21 Strafrahmenverschiebung 38).
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2. Ein sachlichrechtlicher Mangel liegt jedoch darin, dass das
Landgericht nicht erkennbar geprüft hat, ob eine
Maßregel nach § 64 StGB anzuordnen war. Nach den
Feststellungen drängte sich eine solche Prüfung auf.
Danach trank der 24 Jahre alte Angeklagte „dessen
Alkoholkonsum seit dem 17. Lebensjahr stetig zugenommen
hatte“, schon vor der Tatzeit regelmäßig
in erheblichem Umfang Alkohol. „In den letzten Jahren kam es
bei ihm nur selten zu einer Trinkpause von einem Tag“ (UA S.
3). Zwar gelang es ihm nach Entlassung aus der
Verbüßung einer Ersatzfreiheitsstrafe im November
2007 „zumindest für einige Zeit seinen Alkoholkonsum
zu reduzieren“ (UA S. 4). „Zuletzt“
bewegte sich der Angeklagte indes in der Punkerszene, die sich
regelmäßig auf dem Alexanderplatz in Berlin trifft,
um dort unter anderem gemeinsam Alkohol zu konsumieren. Bereits im Juli
2008 war er wegen schwerer räuberischer Erpressung in
Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer
zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe verur-
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teilt worden. Diese Tat hatte der Angeklagte auf dem Alexanderplatz aus
der Punkerszene heraus begangen; er war dabei erheblich alkoholisiert,
weshalb das Tatgericht die Voraussetzungen des § 21 StGB
bejaht hatte. Auch die nunmehr abgeurteilte Tat vom 9. Februar 2009 hat
der Angeklagte unter gleichartigen Umständen und wiederum
unter erheblichem Alkoholeinfluss stehend begangen, so dass das
Landgericht von einer erheblichen Verminderung seiner
Steuerungsfähigkeit ausgeht.
Angesichts dieser Feststellungen liegt es nahe, dass der Angeklagte den
in § 64 Satz 1 StGB beschriebenen Hang aufweist. Zwar hat das
Landgericht unter Berufung auf den Sachverständigen sowohl
beim Angeklagten als auch bei dem Nichtrevidenten G. einen Hang,
alkoholische Getränke im Übermaß zu sich zu
nehmen, verneint, da keinerlei Anhaltspunkte für ein
Abhängigkeitssyndrom hätten festgestellt werden
können. Dabei hat es jedoch verkannt, dass ein
Abhängigkeitssyndrom nicht zwingende Voraussetzung
für die Annahme eines Hangs ist (vgl. BGHR StGB § 64
Hang 2 und § 64 Abs. 1 Hang 5). Denn hierunter fällt
nicht nur eine chronische, auf körperlicher Sucht beruhende
Abhängigkeit, sondern es genügt eine eingewurzelte,
aufgrund psychischer Disposition bestehende oder durch Übung
erworbene intensive Neigung, immer wieder Alkohol oder andere
Rauschmittel im Übermaß zu sich zu nehmen, ohne dass
diese den Grad einer physischen Abhängigkeit erreicht haben
muss (BGH, Beschluss vom 18. August 1998 - 5 StR 363/98; Beschluss vom
18. Juli 2007 - 5 StR 279/07). Dass eine solche Neigung - wie sie bei
dem festgestellten Alkoholmissbrauch des Angeklagten nahe liegt - zur
Anordnung der Maßregel des § 64 StGB ausreichen
kann, hat das Landgericht nicht ersichtlich bedacht. Auch ergibt sich
aus den bisherigen Feststellungen nicht, dass eine stationäre
Therapie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 64
Satz 2 StGB) oder andere Voraussetzungen der
Maßregelanordnung offensichtlich nicht vorliegen. Angesichts
des Gewichts der Anlasstat und der einschlägigen Vorstrafe
gilt dies auch für die Gefährlichkeitsprognose.
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Der Teilaufhebung steht nicht entgegen, dass § 64 StGB durch
das Gesetz zur Sicherung der Unterbringung in einem psychiatrischen
Krankenhaus und in einer Entziehungsanstalt vom 16. Juli 2007 (BGBl I,
1327) von einer Muss- in eine Sollvorschrift umgestaltet worden ist.
Dies macht die Prüfung des § 64 StGB durch das
Tatgericht nicht entbehrlich. Dieses muss vielmehr das Ermessen
tatsächlich ausüben und die Ermessensentscheidung
für das Revisionsgericht nachprüfbar machen (vgl. BGH
NStZ-RR 2008, 73 f.).
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3. Der Senat kann ausschließen, dass die Freiheitsstrafe bei
Anordnung einer Maßregel milder hätte ausfallen
können. Demnach wird das neue Tatgericht unter Hinzuziehung
eines Sachverständigen nur noch die Maßregelfrage zu
prüfen haben.
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4. Eine Erstreckung der Aufhebung gemäß §
357 StPO auf den zur Tatzeit in Folge von Alkoholkonsum in seiner
Steuerungsfähigkeit erheblich verminderten Nichtrevidenten G.
, bei dem ebenfalls ein - behandlungsbedürftiges -
„Alkoholproblem“ (UA S. 15) festgestellt wurde, der
jedoch keine Revision eingelegt hat, scheidet aus, da die Entscheidung
nach § 64 StGB bei jedem Angeklagten auf individuellen
Erwägungen beruht (vgl. BGHR StPO § 357 Erstreckung
4).
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