BGH,
Beschl. v. 9.10.2008 - 1 StR 359/08
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
1 StR 359/08
vom
9.10.2008
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen versuchter räuberischer Erpressung
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Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 9.10.2008 beschlossen:
1. Mit Zustimmung des Generalbundesanwalts wird das Verfahren, soweit
es die Angeklagten betrifft, gemäß § 154a
Abs. 2 StPO auf den Vorwurf der versuchten Nötigung
beschränkt.
2. Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Amberg vom 21. Februar 2008, soweit es sie betrifft,
a) im Schuldspruch dahin abgeändert, dass die Angeklagten der
versuchten Nötigung schuldig sind;
b) im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen
aufgehoben.
3. Die weitergehenden Revisionen werden verworfen.
4. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine
Strafkammer des Landgerichts Weiden zurückverwiesen.
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Gründe:
Die Angeklagten wurden wegen versuchter räuberischer
Erpressung verurteilt, der Angeklagte K. zu einer Freiheitsstrafe von
drei Jahren und sechs Monaten, die Angeklagte H. zu einer
Freiheitsstrafe von vier Jahren. Der frühere Mitangeklagte Z.
, der keine Revision eingelegt hat, wurde wegen Beihilfe hierzu zu
einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe von zwei
Jahren verurteilt.
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1. Die Strafkammer hat folgenden Geschehensablauf festgestellt:
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Der Angeklagte K. ist Geschäftsführer und Mitinhaber
der S. GmbH. Durch die Insolvenz der P. GmbH, deren
Mehrheitsgesellschafter und Geschäftsführer B. war,
erlitt die S. GmbH Verluste von mehreren hunderttausend Euro. Dies
bereitete Schwierigkeiten im Zusammenhang mit einem geplanten
Börsengang.
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Der Angeklagte wollte B. zu Zahlungen zwingen. Er bediente sich dazu
der Angeklagten H. , die er über das Internet kennen gelernt
hatte. Zwischen ihnen bestand eine sexuelle Beziehung mit - teilweise
aus den Urteilsgründen näher ersichtlichen -
sadomasochistischen Praktiken, die, so die Strafkammer, die Angeklagte
H. als erniedrigend empfand. Im Übrigen ging es um gemeinsame
Unternehmungen, aber auch um die vom Angeklagten K. zugesagte Hilfe
für von der Angeklagten H. geplante Geschäfte.
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Auf Verlangen des Angeklagten K. forderte sie B. zwischen Dezember 2006
und Januar 2007 insbesondere durch (anonyme) Drohbriefe und -anrufe
auf, 600.000,-- € zu zahlen, sonst würde sein
siebenjähriger Sohn erschossen. Untermauert wurde dies etwa
mit einem Bild, auf dem um den Kopf
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des Kindes ein Fadenkreuz eingezeichnet war; auf einem anderen Photo
von B. und seinem Sohn waren dessen Kopf und das Herz B. s heraus
gebrannt. Teilweise wurde sie dabei vom früheren
Mitangeklagten Z. unterstützt. Der Angeklagte K. machte zwar
keine detaillierten Vorgaben, fragte aber wiederholt
„intensiv“ nach dem Stand. Er wolle
„lediglich die Ergebnisse“, die Sache
würde schon „gut geregelt“. Soweit die
Angeklagten K. und H. über den Vorgang per SMS oder E-Mail
kommunizierten, geschah dies verdeckt mit unverfänglichen
Begriffen wie „Speisekarte“ oder
„Familienessen“.
Zu einer Zahlung kam es letztlich nicht.
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2. Diese Feststellungen sind rechtsfehlerfrei getroffen (§ 349
Abs. 2 StPO). Gleichwohl bestehen Bedenken gegen den Schuldspruch. Es
versteht sich nämlich nicht von selbst, dass die Angeklagten
sich (bzw. die S. -GmbH, für die ersichtlich gehandelt wurde)
zu Unrecht bereichern wollten. Die Rechtswidrigkeit des erstrebten
Vermögensvorteils ist ein (normatives) Tatbestandsmerkmal, das
vom - zumindest bedingten - Vorsatz des Täters umfasst sein
muss (BGH StV 1991, 20).
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a) Gläubiger einer insolventen GmbH haben keinen Anspruch
unmittelbar gegen deren Mitgesellschafter und
Geschäftsführer. Anders könnte es sein, wenn
dieser, etwa noch in der Absicht, die Gläubiger der GmbH zu
benachteiligen, die Insolvenz absichtlich herbeigeführt
hätte.
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Die Urteilsgründe ergeben Anhaltspunkte, die jedenfalls in
ihrer Gesamtheit diese Möglichkeit
erörterungsbedürftig erscheinen lassen.
Zunächst hatte B. der S. -GmbH für die P. GmbH einen
dann ungedeckten Wechsel über 200.000,-- €
ausgereicht, diese also im Ergebnis hingehalten. Die Insolvenz wurde
dann „nach Offenlegung einer auf Angebot des … B.
erfolgten Forderungsabtretung der Fa. P. an die Fa. S. “
angemeldet. Nach
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der Insolvenz gründete die Ehefrau B. s eine neue GmbH, die
die gleichen Geschäfte betreibt wie die frühere
Firma; B. ist dort angestellt. Schon früher war ein
Insolvenzverfahren hinsichtlich einer GmbH, an der B.
maßgeblich beteiligt war, mangels Masse eingestellt worden.
Außerdem war B. noch Geschäftsführer einer
weiteren GmbH, wobei zumindest die Möglichkeit im Raum zu
stehen scheint, dass deren Gesellschafter durch von B. vorgenommene
Vermögensverschiebungen zu Lasten dieser GmbH hohe Verluste
erlitten.
b) Gleichwohl äußert sich die Strafkammer zur
Berechtigung der - mit kriminellen Mitteln - geltend gemachten
Forderung nicht. Sie beschränkt sich letztlich auf die
Feststellung, das Insolvenzverfahren habe bisher keinen Fortgang
genommen und auch die vom Angeklagten K. gegen B. erstattete
Strafanzeige habe noch keine genaueren Erkenntnisse erbracht.
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(1) Möglicherweise hält die Strafkammer
Feststellungen zur Berechtigung der Forderung für entbehrlich,
weil „auf dem … Klageweg … allenfalls
langfristig etwas zu erreichen wäre“. Die Frage nach
Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit einer Forderung
richtet sich aber nicht danach, ob sie voraussichtlich schnell vor
Gericht durchgesetzt werden kann, sondern allein nach der materiellen
Rechtslage (BGH NStZ 2008, 173, 174; NStZ-RR 1999, 6, 7 m.w.N.).
Hierüber hat erforderlichenfalls der Strafrichter
eigenverantwortlich zu befinden, vgl. § 262 StPO.
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(2) Möglicherweise lässt die Strafkammer die Frage
nach der Berechtigung der Forderung aber auch im Hinblick auf ihre
Feststellungen zu den Vorstellungen der Angeklagten offen. Diese
hielten zwar einen Anspruch gegen B. für möglich,
ebenso aber auch, dass eine „normale Insolvenz“
vorliegt, also kein Anspruch gegen B. besteht.
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Damit ist zum Ausdruck gebracht, dass selbst bei Bestehen einer
Forderung ein untauglicher Versuch vorläge, weil die
Angeklagten auch für möglich hielten, dass keine
Forderung bestünde (zum insoweit identischen Fall eines
untauglichen versuchten Betruges vgl. BGHSt 42, 268).
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Insoweit bestehen jedoch Bedenken gegen die Beweiswürdigung:
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(a) Unmittelbare oder mittelbare Aussagen der Angeklagten selbst, die
dafür sprechen könnten, dass sie von einer
„normalen Insolvenz“ ausgingen, gibt es nicht.
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(b) In einer SMS des Angeklagten K. an die Angeklagte H. spricht er von
einer „vorsätzlichen Pleite“. Dies spricht
ebenso gegen die Annahme, die Angeklagten seien von einer
„normalen Insolvenz“ ausgegangen wie die
Strafanzeige des Angeklagten K. .
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(c) Außerdem verweist die Strafkammer noch auf die verdeckte
Kommunikation zwischen den Angeklagten, die gegen die Annahme einer
legalen Forderung spräche. Jedoch darf man offensichtlich
selbst eine berechtigte Forderung nicht mit der Drohung durchzusetzen
versuchen, sonst ein Kind zu töten. Die nur
verschlüsselte Kommunikation hierüber muss daher
nichts zu den Vorstellungen über die Berechtigung der
Forderung aussagen. Jedenfalls hat sich die Strafkammer mit diesem
Gesichtspunkt nicht auseinandergesetzt.
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(d) Weitere Anhaltspunkte, die die Annahme einer „normalen
Insolvenz“ nahe legten, sind nicht ersichtlich. Noch mehr als
für den Angeklagten K. gilt dies für die Angeklagte
H. , deren Vorstellungen ersichtlich allein auf Angaben des Angeklagten
K. beruhen.
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3. Nicht zuletzt im Blick auf gebotene Verfahrensbeschleunigung
beschränkt der Senat daher die Strafverfolgung
gemäß § 154a Abs. 2, Abs. 1
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Satz 2 StPO auf den Vorwurf der versuchten Nötigung
(§§ 240, 23 StGB) und ändert entsprechend
den Schuldspruch. Die Angeklagten hätten sich gegen die ihnen
günstigere, schon vom bisherigen Schuldspruch umfasste
rechtliche Bewertung nicht anders als geschehen verteidigen
können.
4. Dies führt hier ohne weiteres zur Aufhebung des
Strafausspruchs (§ 349 Abs. 4 StPO).
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Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat jedoch auf
Folgendes hin:
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a) Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass die Angeklagte H. , wie
die Strafkammer „nicht ausschließbar“ und
„gegebenenfalls“ meint, wegen Art und Folgen ihrer
sexuellen Beziehung zum Angeklagten K. nur erheblich vermindert
steuerungsfähig i.S.d. § 21 StGB war (vgl. hierzu
auch BGHR StGB § 21 seelische Abartigkeit 18 <sexuelle
Abhängigkeit> „äußerst
selten“), sind weder aus den Feststellungen zur Tat noch
sonst erkennbar. In diesem Zusammenhang hat die Strafkammer nicht
erörtert, ob es der Angeklagten nicht auch um
Unterstützung für ihre geplanten eigenen
Geschäfte ging. Im Übrigen ist die Frage der
Erheblichkeit einer (etwaigen) Verminderung der
Steuerungsfähigkeit eine Rechtsfrage und daher dem
Zweifelssatz nicht zugänglich (BGH NStZ-RR 2006, 335, 336
m.w.N.). Bei der Entscheidung hierüber fließen auch
normative Gesichtspunkte ein; dabei sind die Anforderungen zu
berücksichtigen, die die Rechtsordnung an jedermann stellt.
Diese sind umso höher, je schwer wiegender die in Rede
stehende Tat ist (BGHSt 49, 45, 53 m.w.N.).
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b) Die Strafkammer hat eine Strafmilderung gemäß
§ 46a StGB abgelehnt. Zwar sei von Schuldeinsicht und Reue
auszugehen und Familie B. habe „die Entschuldigungen
akzeptiert und die vereinbarten Zahlungen angenommen“. Jedoch
seien die Ausgleichsmaßnahmen „sehr spät,
nämlich erst im Rahmen der Hauptverhandlung vorgenommen
worden“.
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Gemäß § 155a StPO soll das Gericht in jeder
Lage des Verfahrens die Möglichkeit eines
Täter-Opfer-Ausgleichs prüfen und in geeigneten
Fällen darauf hinwirken. Es kann - ohne dass freilich hierauf
ein Anspruch bestünde - die Hauptverhandlung sogar zur
Herbeiführung eines Täter-Opfer-Ausgleichs
unterbrechen (BGHSt 48, 134, 145). All dies spricht dagegen, allein
wegen des genannten Zeitpunktes eine Strafmilderung
gemäß § 46a StGB zu verneinen.
Besonderheiten des Einzelfalls, die eine andere Beurteilung
rechtfertigen könnten (vgl. BGH StV 2000, 129
<Ausgleichsbemühungen erst nach Rechtskraft des
Schuldspruchs>; BGH NStZ-RR 2006, 373
<Ausgleichsbemühungen fast drei Jahre nach
Anzeigeerstattung, die den - ursprünglich kindlichen - Opfern
sexuellen Missbrauchs „erneute“ psychisch
belastende Aussagen ersparte>), sind weder dargelegt noch sonst
erkennbar.
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5. Der Generalbundesanwalt (verneinend) und der Verteidiger des
Angeklagten K. (bejahend) haben die Frage aufgeworfen, ob der Senat
sein ihm gemäß § 354 Abs. 3 StPO
eingeräumtes Ermessen dahin ausüben soll, die Sache
an das Amtsgericht (Schöffengericht)
zurückzuverweisen. Dies war zu verneinen. Eine Fallgestaltung,
bei der schon - wie etwa beim Wegfall des Delikts, das die
Schwurgerichtszuständigkeit begründet - allein die
Schuldspruchänderung zwingend zum Wegfall der
Zuständigkeit des höheren Gerichts führen
würde, liegt nicht vor. Allein der Umstand, dass - auch
unabhängig von der Schuldspruchänderung - im Hinblick
auf das Verschlechterungsverbot (§ 358 Abs. 2 StPO) keine
Strafen mehr verhängt werden können, die die
Strafgewalt des Amtsgerichts übersteigen (§ 24 Abs. 1
Ziffer 2 GVG), gibt dem Senat keine Veranlassung zu einer
Zurückverweisung an das Amtsgericht (vgl. auch
Meyer-Goßner in Gedächtsnisschrift für
Ellen Schlüchter, 515, 530 f <“kann nicht
Sinn der Regelung sein“>). Gegenläufige
Gesichtspunkte des Einzelfalls, die es hier sachgerecht erscheinen
lassen könnten, einen neuen Instanzenzug mit einer
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Berufungsinstanz und dem Oberlandesgericht als Revisionsinstanz zu
eröffnen, sind nicht erkennbar.
6. Der Senat macht jedoch, insoweit entsprechend dem Antrag der
Verteidigung der Angeklagten H. , von der Möglichkeit
Gebrauch, die Sache an ein anderes Landgericht
zurückzuverweisen (§ 354 Abs. 2 Satz 1 StPO, letzte
Alternative). Das neu zur Entscheidung berufene Tatgericht wird auch
bald über die Fortdauer der Untersuchungshaft zu entscheiden
haben. Für die von der Verteidigung der Angeklagten H.
beantragte Entscheidung des Senats gemäß §
126 Abs. 3 StPO ist hier kein Raum. Allein der gegenwärtige
Verfahrensstand ergibt nicht „ohne weiteres“, also
ohne dass dem Tatrichter vorbehaltene Abwägungen vorzunehmen
wären, dass weitere Untersuchungshaft ausgeschlossen ist.
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7. Eine Erstreckung der Schuldspruchänderung und der Aufhebung
des Strafausspruchs auf den früheren Mitangeklagten Z. findet
nicht statt, weil sich die Schuldspruchänderung aus der
Verfolgungsbeschränkung ergibt (BGH b. Becker NStZ-RR 2002,
103 m.w.N.).
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Nack Wahl Elf
Graf Sander |