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BGH, Urteil vom 1. Februar 2005 - 1 StR 422/04


Entscheidungstext  
 
BGH, Urt. v. 1.2.2005 - 1 StR 422/04
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 422/04
vom
1.02.2005
in der Strafsache
gegen
wegen fahrlässiger Tötung u. a.
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Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 1. Februar
2005, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
Dr. Boetticher,
Dr. Kolz,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Elf,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
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Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts
München II vom 30. Juni 2004 mit den Feststellungen
aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer
des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat die Angeklagte vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung
ihres vier Jahre neun Monate alten Sohnes und der drei Jahre zehn Monate
alten Tochter aus tatsächlichen und rechtlichen Gründen freigesprochen.
Mit ihrer auf die Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision erstrebt die
Staatsanwaltschaft die Verurteilung der Angeklagten wegen fahrlässiger Tötung
in zwei Fällen in Tateinheit mit fahrlässiger Brandstiftung. Das Rechtsmittel
hat Erfolg.
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I.
Der Freispruch hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Auf der Grundlage
der getroffenen Feststellungen ist die Verneinung eines Sorgfaltsverstoßes
der Angeklagten rechtsfehlerhaft.
1. Die Angeklagte empfing im Wohnzimmer ihrer Wohnung mehrere
Gäste, die gemeinsam mit ihr zahlreiche Zigaretten rauchten und Alkohol tranken.
Ihre Kinder schliefen im benachbarten Kinderzimmer. Zwischen 20.30 Uhr
und 20.45 Uhr verließ die Angeklagte mit einem der Gäste die Wohnung und
suchte eine Gaststätte auf. Kurze Zeit später verließen zwei weitere Gäste die
Wohnung. Gegen 22.00 Uhr folgte die letzte Besucherin, nachdem sie sich
vergewissert hatte, daß beide Kinder in ihrem Bett fest schliefen. Der Sohn war
zu diesem Zeitpunkt an Windpocken erkrankt und hatte Fieber. Gegen
23.30 Uhr kehrte die Angeklagte in die Wohnung zurück, verließ jedoch die
Wohnung kurz darauf wieder und ließ die Kinder unbeaufsichtigt zurück. Die
Angeklagte unterließ es, hierbei das Wohnzimmer auf feuergefährliche Gegenstände,
insbesondere auf heruntergefallene brennende oder glimmende
Zigarettenreste zu untersuchen. Auf der Couch im Wohnzimmer hinterließ sie
in unordentlichem Zustand unter anderem ein Feuerzeug, Papier, eine Zeitschrift,
ein Kissen und ein Kleidungsstück.
Während der Abwesenheit der Angeklagten entwickelte sich auf der
Couch ein Schwelbrand. Im Wohnzimmer entstanden direkte Brandschäden an
der Couch, den Fenstern, Wänden und Deckenbalken; sämtliche Zimmer der
Wohnung wurden stark verrußt. Als die Angeklagte gegen 4.45 Uhr mit ihren
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Gästen in die Wohnung zurückkehrte, fand sie die Kinder aufgrund des durch
den Schwelbrand freigesetzten Kohlenmonoxyds und Cyanids bewußtlos vor.
Beide Kinder verstarben durch Vergiftung bei gleichzeitigem Sauerstoffmangel.
Hinsichtlich der Entstehung des Schwelbrandes hat die Strafkammer
zwei mögliche Ursachen erörtert: Zum einem - was das Landgericht zugunsten
der Angeklagten als ferner liegend verwarf - sei die Möglichkeit in Betracht zu
ziehen, daß der beinahe fünfjährige Sohn auf der Wohnzimmercouch mit einem
Feuerzeug gezündelt habe; zum anderen - wovon die Kammer letztendlich
ausging - könne der Schwelbrand durch einen auf die Couch gefallenen glimmenden
Zigarettenrest oder durch heruntergefallene Zigarettenglut entstanden
sein.
2. Die Strafkammer hat die Angeklagte aus tatsächlichen und rechtlichen
Gründen freigesprochen, weil ihr unter Zugrundelegung der zweiten Sachverhaltsvariante
(Schwelbrand durch Zigarettenglut verursacht) keine Verletzung
ihrer Sorgfaltspflichten vorzuwerfen sei. Ihr sei nicht nachzuweisen, daß sie
Zigarettenglut habe fallen lassen und hierdurch den Schwelbrand verursacht
habe; auch bestünden keine Anhaltspunkte dafür, daß die Angeklagte beobachtet
habe, einer ihrer Gäste habe Zigarettenglut oder einen glimmenden
Zigarettenrest fallengelassen. Demnach habe sie keine Veranlassung gehabt,
vor dem Verlassen der Wohnung die auf der Couch liegenden Textilien, Papiere,
Zeitungen etc. auf Zigarettenglut oder glimmende Zigarettenreste zu untersuchen.
Zudem sei nicht auszuschließen, daß der Tod der Kinder auch bei
pflichtgemäßem Verhalten eingetreten wäre, wenn die Angeklagte ihre Kinder
nicht unbeaufsichtigt in ihrer Wohnung zurückgelassen, sondern sich selbst
schlafen gelegt hätte.
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II.
Zu Recht gehen die Staatsanwaltschaft und der Generalbundesanwalt
davon aus, das Landgericht habe unzutreffende Anforderungen an die der Angeklagten
auferlegten Sorgfaltspflichten gestellt.
1. Pflichtwidrig im Sinne einer fahrlässigen Tatbestandsverwirklichung
handelt, wer objektiv gegen eine Sorgfaltspflicht verstößt, die gerade dem
Schutz des beeinträchtigten Rechtsguts dient und zu einer Rechtsgutverletzung
führt, die der Täter nach seinen subjektiven Kenntnissen und Fähigkeiten
hätte vermeiden können (vgl. Tröndle/Fischer, StGB 52. Aufl., § 15 Rdn. 12 mit
Nachweisen aus der Rechtsprechung des BGH). Art und Maß der anzuwendenden
Sorgfalt bestimmen sich nach den Anforderungen, die bei objektiver
Betrachtung einer Gefahrenlage ex ante an einen besonnenen und gewissenhaften
Menschen in der konkreten Lage und sozialen Rolle des Handelnden zu
stellen sind (BGH NStZ 2003, 657, 658). Im Rahmen der Vorwerfbarkeit ist bei
vorliegender Erfolgsabwendungspflicht nicht entscheidend, ob die Pflichtwidrigkeit
in einem aktiven Tun liegt oder in einem Unterlassen begründet ist. Der
Erfolg einer fahrlässigen Tötung kann genauso wie der einer fahrlässigen
Brandstiftung (vgl. dazu Schönke/Schröder-Heine, StGB 26. Aufl., § 306d
Rdn. 4) durch ein pflichtwidriges Unterlassen herbeigeführt werden. Für die
Entscheidung der Frage, ob ein Tun oder ein Unterlassen vorliegt, kommt es
auf den Schwerpunkt des Täterverhaltens an. Darüber hat der Tatrichter in
wertender Würdigung zu entscheiden (vgl. dazu BGH NStZ 1999, 607).
2. Die rechtliche Wertung der Strafkammer, die Angeklagte habe "weder
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aufgrund eigenen vorangegangenen Verhaltens noch aufgrund ihr bekannter
Unachtsamkeiten Dritter mit restlicher Glut im Bereich der Couch rechnen"
müssen, wird von den Feststellungen nicht getragen. Die Angeklagte ist vielmehr
den Anforderungen nicht gerecht geworden, die in der konkreten Situation
an sie zu stellen waren.
a) Die Angeklagte, die selbst Raucherin ist, gestattete ihren Gästen, in
ihrer Wohnung zu rauchen. Sie ließ die beiden Kinder zumindest in der Zeit
zwischen kurz nach 23.30 Uhr und 4.45 Uhr unbeaufsichtigt in der Wohnung,
ohne zuvor die unordentlich auf der Couch befindlichen Zeitschriften, Papiere
und Kleidungsstücke (UA S. 6) beseitigt zu haben. Wird der Umgang mit Feuer
und sei es auch nur in Form von entzündeten Zigaretten und glimmender
Asche zugelassen, erfordert es die allgemein und auch der Angeklagten bekannte
Gefahr, die sich in dem achtlosen Umgang mit Feuer und Zigarettenresten
verwirklichen kann, daß ein Übergreifen auf Papier und sonstige leicht
entflammbare Materialien verhindert oder jedenfalls auf ein Minimum reduziert
wird. Diese schon allgemein bestehende Sorgfaltspflicht war aufgrund der hier
vorliegenden Umstände besonders gesteigert. Fünf in der Wohnung anwesende
Personen hatten zahlreiche Zigaretten geraucht. Die Angeklagte und die
Gäste hatten beim Rauchen über Stunden hinweg Alkohol getrunken. Eine
Vielzahl von Zigarettenstummeln befand sich auf dem vor der Couch stehenden
Glastisch in einem Aschenbecher und in einem UnterteIler. Auf der Couch
befanden sich leicht entzündbare Materialien, unter anderem ein Feuerzeug,
Papier, eine Zeitschrift, ein Kissen und ein Kleidungsstück. Diese waren zudem
in einem unordentlichen Zustand zurückgelassen worden. Hier kommt hinzu,
daß die beiden Kinder der Angeklagten noch sehr klein waren und zusätzlich
der Sohn der Angeklagten wegen der Windpocken krank im Bett lag. Ange-
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sichts der sich aus diesen Umständen ergebenden gesteigerten Sorgfaltspflicht
brauchte der Senat nicht zu entscheiden, ob generell eine Pflichtverletzung
schon dann anzunehmen ist, wenn Eltern ihre sich im Kleinkindalter befindenden
Kinder über längere Zeit ohne Aufsicht in der Wohnung zurücklassen.
Die Annahme der Strafkammer (UA S. 16), das Risiko einer Brandentstehung
sei "unter den gegebenen Umständen eine objektiv fern liegende Möglichkeit",
trifft deshalb nicht zu. Unzutreffend ist auch die Annahme der Strafkammer
(UA S. 16), die Angeklagte habe "mangels erkennbarer entgegenstehender
Anhaltspunkte ... nicht mit etwa noch herumliegenden Glutresten rechnen"
müssen. Nach den Feststellungen lagen hier sehr wohl auch für die Angeklagte
erkennbare entgegenstehende Anhaltspunkte vor. Deshalb war es
geboten, jedenfalls vor einem längeren Verlassen des Raumes, eine Kontrolle
auf noch glimmende Zigarettenreste vorzunehmen. Diesen Anforderungen und
Notwendigkeiten ist die Angeklagte nicht gerecht geworden.
b) Nach den bisherigen Feststellungen bedarf es keiner näheren Erörterung,
daß der Angeklagten die Gefährlichkeit des Zigarettenrauchens in geschlossenen
Räumen allgemein und bei unsachgemäßem Umgang mit der Zigarettenglut
und den Ascherückständen mit den möglichen Folgen eines Wohnungsbrands
einschließlich des Todes von Wohnungsbewohnern bekannt und
daher für sie voraussehbar waren.
c) Schließlich hält die Auffassung des Landgerichts rechtlicher Prüfung
nicht stand, der Angeklagten sei ihr Pflichtenverstoß nicht vorzuwerfen, weil
nicht ausschließbar das Brandereignis und der Tod der beiden Kinder auch bei
pflichtgemäßem Verhalten eingetreten wären. Das Landgericht hat insoweit
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nicht bedacht, daß die Pflicht zur sorgfältigen Nachschau hinsichtlich glimmender
Zigarettenglut nicht nur bei dem Verlassen der Wohnung, über mehrere
Stunden besteht, sondern auch bei einer nicht nur ganz kurzzeitigen Abwesenheit
vom Gefahrenbereich. Die Angeklagte wäre nicht nur beim Verlassen der
Wohnung verpflichtet gewesen, den Gefahrenherd im Wohnzimmer zu beseitigen,
sondern auch dann, wenn sie sich in der Nacht zum Schlafen gelegt hätte.
3. Sollte die neu zur Entscheidung berufene Strafkammer unter Beachtung
der vorstehenden Maßstäbe zu einem Pflichtenverstoß der Angeklagten
kommen, wird sie im Hinblick auf eine nach § 13 Abs. 2 StGB i. V. m. § 49
Abs. 1 StGB mögliche Strafrahmenverschiebung zu entscheiden haben, ob das
Verhalten der Angeklagten ein aktives Tun oder ein Unterlassen darstellt. Dafür
wird sie abzuwägen haben, daß das Verlassen der Wohnung für sich genommen
unschädlich gewesen wäre, wenn sie es nicht unterlassen hätte, für
eine durchgehende Aufsicht der Kinder in ihrer Abwesenheit zu sorgen oder
zumindest die Gefahrenquelle zu beseitigen (vgl. BGH NStZ 1999, 607). Bei
der Bestimmung der Rechtsfolgen wird die Strafkammer die familiären Verhältnisse
aufzuklären und gegebenenfalls bei der Strafzumessung zu berücksichtigen
haben.
Nack Wahl Boetticher
Kolz Elf



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