BGH,
Urt. v. 1.2.2005 - 5 StR 529/04
5 StR 529/04
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom
1.02.2005
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags u. a.
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Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 1.
Februar
2005, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin Harms,
Richter Basdorf,
Richterin Dr. Gerhardt,
Richter Dr. Brause,
Richter Schaal
als beisitzende Richter,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
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für Recht erkannt:
Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten
gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 29. April 2004
werden verworfen.
Der Angeklagte trägt die Kosten seines Rechtsmittels, der
Staatskasse fallen die Kosten der Revision der Staatsanwaltschaft
und die dem Angeklagten hierdurch entstandenen
notwendigen Auslagen zur Last.
- Von Rechts wegen -
G r ü n d e
Das Schwurgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags in Tateinheit
mit Führen einer halbautomatischen Selbstladekurzwaffe
(Einzelfreiheitsstrafe
von sechs Jahren) und wegen Ausübung der
tatsächlichen Gewalt
über diese Waffe (Einzelfreiheitsstrafe von einem Jahr) zu
einer Gesamtfreiheitsstrafe
von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die Revision der
Staatsanwaltschaft, die mit der Sachrüge begründet
ist und vom Generalbundesanwalt
vertreten wird, hat ebensowenig Erfolg wie die gleichfalls mit
der Sachrüge geführte Revision des Angeklagten.
1. Der Angeklagte hat seine frühere Intimpartnerin
getötet, die sich
von ihm getrennt hatte. Anschließend unternahm er einen
Selbsttötungsversuch
mit schwersten bleibenden Folgeschäden.
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a) Der 1971 geborene Angeklagte lernte etwa 1999 in seiner Heimatstadt
Waren/Müritz die später Getötete We kennen,
die dort eine
Gaststätte eröffnet hatte. Er verliebte sich in die
elf Jahre ältere Frau, half ihr
bei ihrem Umzug von Berlin nach Waren und zog in ihre Wohnung mit ein.
Es war die erste feste Partnerschaft des Angeklagten. Nach Scheitern des
Gaststättenbetriebs siedelte We Anfang 2001 nach Berlin
zurück,
der Angeklagte zog mit ihr um. Er hatte mittlerweile seine Arbeit als
Fernfahrer verloren. Die Beziehung war bereits Ende 2000 in eine Krise
geraten.
Ein Grund hierfür war die vom Landgericht ohne weiteren Beleg
als
grundlos bezeichnete Eifersucht des Angeklagten. Im Mai 2001 vollzog M
We gegen den Willen des Angeklagten die Trennung. Der Angeklagte
zog nach Waren zurück, konnte sich jedoch mit der Trennung
nicht abfinden.
Er wurde depressiv und lebte zurückgezogen.
Angehörige befürchteten
aufgrund seines Verhaltens, er hege Selbstmordabsichten. Der Angeklagte
übte gegen seine frühere Partnerin und auch gegen
deren Eltern anschließend
massiven „Telefonterror“ aus; zudem stand er oft
stundenlang vor M
We s Wohnung. Er drohte ihr mit dem Tode, weil sie sein Leben
ruiniert habe; er werde keinen anderen Mann an ihrer Seite dulden. Die
Frau
empfand erhebliche Furcht vor dem Angeklagten; im Sommer 2001 zeigte
sie ihn wegen einer letztlich ungeklärten Bedrohungsaktion an.
b) Am Tattag, dem 3. Mai 2002, befand sich der Angeklagte zum Besuch
eines Bekannten in Berlin. Spätestens an diesem Tage
beschaffte er
sich eine funktionsfähige Pistole mit erheblichen Mengen
Munition. Er hatte
erfahren, daß We am folgenden Tage mit einem neuen
Lebensgefährten
zusammenziehen wollte. Er suchte eine Aussprache, mit der er
hoffte, sie zur Fortsetzung der Beziehung mit ihm bewegen zu
können. Für
den Fall des Scheiterns beabsichtigte er, mit der Schußwaffe
die Frau und
sich selbst zu töten, um zu verhindern, daß sie ohne
ihn und an der Seite
eines anderen Mannes weiterlebte.
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Gegen 18.00 Uhr paßte der Angeklagte We auf dem
Parkplatz an ihrer Arbeitsstelle ab. Es kam zu einer heftigen
Diskussion, an
deren Ende sie dem Angeklagten noch einmal klarmachte, daß
die Trennung
endgültig sei. Als sie sich schnellen Schrittes von dem
Angeklagten abwandte,
zog dieser die eingesteckte Pistole heraus und schoß We
einmal in der Höhe des Herzens in den Rücken, um sie
zu töten. Er wollte sie
zum einen für die erneute Zurückweisung bestrafen und
zum anderen verhindern,
daß sie sich endgültig einem anderen Mann zuwandte.
Der Schuß
war tödlich; sie stürzte alsbald zu Boden und starb.
Nachdem der Angeklagte
noch drei weitere Schüsse abgegeben hatte, von denen einer die
im Fallen
befindliche Frau in Bauchhöhe in den Rücken getroffen
hatte, hielt er sich die
Waffe in Selbsttötungsabsicht an den Kopf und gab zwei
Schüsse ab. Hierdurch
wurde ein Auge vollständig und das andere weitgehend
zerstört, so
daß der Angeklagte seither vollständig erblindet
ist; ferner erlitt er Hirnschädigungen.
2. Entgegen der Auffassung der Staatsanwaltschaft ist es
sachlich-rechtlich
nicht zu beanstanden, daß der Angeklagte wegen Totschlags und
nicht wegen Mordes verurteilt worden ist.
a) Die Verneinung des Mordmerkmals der Heimtücke erweist sich
als
rechtsfehlerfrei.
In Übereinstimmung mit der Beurteilung durch den
psychiatrischen
Sachverständigen hat das Schwurgericht eine erhebliche
Einschränkung der
Steuerungsfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit (§ 21
StGB) „aufgrund des
Vorliegens einer überwertigen Idee auf dem Hintergrund der
Depressionen
des Angeklagten“ und angesichts eines affektiven
Erregungszustandes infolge
der Auseinandersetzung mit dem Opfer unmittelbar vor der Tat angenommen.
Diese Annahme einer tiefgreifenden
Bewußtseinsstörung erweist
sich - vor dem Hintergrund des länger zurückliegenden
wie des unmittelbaren
Vortatgeschehens und belegt durch das unmittelbare Nachtatgesche-
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hen - als ausreichend fundiert. Bei dem hier vorliegenden Sachverhalt
sind
die dagegen gerichteten Beanstandungen unzulänglicher
Wiedergabe der
wesentlichen Anknüpfungstatsachen und des
Sachverständigengutachtens
haltlos.
Vor dem Hintergrund dieser zustandsbedingten
Bewußtseinstrübung
zweifelt das Schwurgericht bei dem Schuß des Angeklagten auf
den Rücken
des Opfers an einer bewußten Ausnutzung von dessen Arg- und
Wehrlosigkeit.
Diese tatrichterliche Beurteilung läßt keinen
Rechtsfehler erkennen (vgl.
nur BGH, Urteil vom 25. November 2004 - 5 StR 401/04 m.w.N.).
Abgesehen davon sind angesichts der getroffenen Feststellungen zum
Tathergang schon die objektiven Voraussetzungen des Mordmerkmals der
Heimtücke zweifelhaft. Das Schwurgericht erwägt
selbst, daß das Opfer, das
in den Monaten der Nachstellungen und Bedrohungen durch den Angeklagten
vor diesem erhebliche Furcht empfand, sich „aus Furcht vor
Verfolgung
durch den Angeklagten“ (UA S. 12) vom Ort der
Auseinandersetzung eilends
entfernt haben könnte. Daß die Frau unmittelbar
zuvor von dem Angeklagten
mindestens verbal erheblich bedroht wurde und daher in der Situation
überhaupt
nicht arglos war, liegt bei dieser Sachlage nicht fern.
b) Daß das Schwurgericht das Mordmerkmal der niedrigen
Beweggründe
unerörtert gelassen hat, unterliegt angesichts der
Feststellungen zur
psychischen Situation des Angeklagten keinen durchgreifenden Bedenken.
Zwar kann die Tötung einer Frau, um sie keinem anderen Partner
zu überlassen,
die Voraussetzungen niedriger Beweggründe erfüllen
(vgl. nur BGH
NStZ 2002, 540, 541 m.w.N.; BGH, Urteil vom 15. Juni 2004 - 1 StR
39/04).
Ersichtlich war indes die Wut des Angeklagten auf sein Opfer mit einer
nicht
gänzlich unverständlichen, ihn psychisch erheblich
belastenden Verzweiflung
über seine Situation nach dem von ihm nicht verstandenen und
nicht akzeptierten
Scheitern seiner ersten festen Partnerschaft verbunden. Bei dieser
Sachlage liegt im Ergebnis auf der Hand, daß das Mordmerkmal
der niedri-
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gen Beweggründe mindestens aus subjektiven Gründen
ausschied (vgl. nur
BGHR StGB § 211 Abs. 2 niedrige Beweggründe 32; BGH
StV 2004, 205).
3. Die Zubilligung einer Strafrahmenverschiebung nach
§§ 21, 49
Abs. 1 StGB für das Tötungsdelikt erweist sich
ebenfalls als nicht durchgreifend
bedenklich. Die Annahme der Voraussetzungen des § 21 StGB ist,
wie
dargelegt, rechtsfehlerfrei. Das gilt letztlich auch für die
Zubilligung der Strafrahmenverschiebung.
Dabei geht der Senat trotz mißverständlicher
Formulierung
im Urteil (der nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB gemilderte
Strafrahmen „war“
zugrunde zu legen, UA S. 41) nicht davon aus, daß das
Schwurgericht eine
Strafrahmenverschiebung etwa rechtsfehlerhaft für zwingend
geboten gehalten
hätte, sondern davon, daß die Anwendung des
§ 49 Abs. 1 StGB auf tatrichterlichem
Ermessen beruhte.
Hierzu ist allerdings der Ansatz der Staatsanwaltschaft zutreffend,
daß
bei der gegebenen Ausgangssituation eine Strafrahmenverschiebung
außerordentlich
fernlag, da sich der Angeklagte mit der geladenen Schußwaffe
in
Erwägung der Tötung des Opfers für den Fall
mangelnder Aussöhnung zum
Tatort begeben hatte. Da der endgültige
Tötungsentschluß freilich erst in der
- wenngleich für den Angeklagten vorhersehbaren -
Affektsituation im Rahmen
der Auseinandersetzung mit dem Opfer getroffen worden ist, stehen
Grundsätze der actio libera in causa der
Strafrahmenverschiebung jedenfalls
nicht zwingend entgegen (vgl. dazu BGHR StGB § 21
Vorverschulden 6).
Angesichts der vom Schwurgericht herangezogenen
Strafmilderungsgründe,
insbesondere der Massivität der erlittenen eigenen
körperlichen Schäden
durch den unmittelbar nach Tatbegehung begangenen ernsthaften
Selbsttötungsversuch,
vermag der Senat die Ermessensentscheidung des Tatrichters,
von der Strafrahmenverschiebung Gebrauch zu machen, noch hinzunehmen
(vgl. auch den Rechtsgedanken des § 60 Satz 1 StGB). Dies gilt
namentlich angesichts dessen, daß der Tatrichter ungeachtet
dieser außergewöhnlichen
Milderungsgründe zutreffend nicht zur Anwendung des §
213
StGB, zweite Alternative, gelangt ist und daß die konkret
zugemessene Stra-
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fe zudem nicht etwa die Mindeststrafe des Regelstrafrahmens des
§ 212
Abs. 1 StGB unterschreitet.
4. Auch im übrigen hat die sachlich-rechtliche
Überprüfung des angefochtenen
Urteils weder Rechtsfehler zum Vorteil noch solche zum Nachteil
des Angeklagten erbracht.
Harms Basdorf Gerhardt
Brause Schaal |