BGH,
Urt. v. 1.2.2005 - 5 StR 540/04
5 StR 540/04
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom
1.02.2005
in dem Sicherungsverfahren
gegen
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Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 1.
Februar
2005, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin Harms,
Richter Basdorf,
Richterin Dr. Gerhardt,
Richter Dr. Brause,
Richter Schaal
als beisitzende Richter,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
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für Recht erkannt:
Die Revision des Beschuldigten gegen das Urteil des Landgerichts
Berlin vom 12. Juli 2004 wird verworfen.
Der Beschuldigte hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
- Von Rechts wegen -
G r ü n d e
Das Landgericht hat im Sicherungsverfahren die Unterbringung des
Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus wegen im Zustand der
Schuldunfähigkeit begangener zweifach versuchter
gefährlicher Körperverletzung
angeordnet. Die Revision des Beschuldigten hat keinen Erfolg.
1. Der zur Tatzeit 30jährige Beschuldigte konsumiert etwa seit
1997
Drogen, vornehmlich in der „Techno-Szene“
gebräuchliche Psychostimulantien
wie LSD, Speed, Ecstasy und Amphetamine. Seit 1999 entwickelte er
nach Einnahme von Drogen verstärkt mit optischen und
akustischen Halluzinationen
einhergehende massive Angstzustände. Im Sommer 2000 hatte er
sich Feuerwehrleuten widersetzt, die wegen eines derartigen akuten
Zustandes
von seiner Mutter alarmiert worden waren, und hatte, nach einer
Verfolgungsfahrt
gestellt, im Zustand der Schuldunfähigkeit auf zwei
Polizeibeamte
mit einer einem Beamten entrissenen Dienstwaffe mit
Tötungsvorsatz geschossen.
Die deshalb gegen den Beschuldigten angeordnete Unterbringung
in einer Entziehungsanstalt war nach knapp zehnmonatigem
Maßregelvollzug
mit Rücksicht auf die Verweigerungshaltung des Beschuldigten,
der sich
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ausschließlich einer Therapie außerhalb des
Maßregelvollzugs stellen wollte,
für erledigt erklärt worden. Schon während
des Maßregelvollzugs hatte der
Beschuldigte einen Drogenrückfall erlitten, nach dem er
wiederum paranoid
wurde und eine behandelnde Ärztin verletzte. Auch in der
anschließenden
externen Drogentherapie hatte er alsbald einen Rückfall
erlitten. Nach deren
Beendigung im November 2001 war er rund eineinhalb Jahre drogenfrei
geblieben. Seit Frühjahr 2003 konsumierte er wieder Ecstasy
und später gesteigert
Speed und Amphetamine.
Nach verstärktem Ecstasy- und Amphetaminmißbrauch in
der Nacht
zum 28. September 2003 litt der Beschuldigte an Kreislaufproblemen; er
bekam
zudem wiederum optische und akustische Halluzinationen, dabei
fühlte
er sich und seine Familie bedroht. Seine Mutter, zu der er sich in
diesem
akuten Angstzustand begab, erkannte er psychosebedingt alsbald nicht
mehr. Er bewaffnete sich mit zwei Messern mit jeweils rund 15 cm
Klingenlänge.
Am Mittag des Folgetages alarmierte schließlich die Mutter
des Beschuldigten,
die selbst wegen seines bedrohlichen Verhaltens aus ihrer
Wohnung geflüchtet war - die Großmutter hatte sich
im Badezimmer verbarrikadiert
-, die Polizei. Der Beschuldigte war offensichtlich „nicht
Herr seiner
Sinne“; er vermochte zustandsbedingt auch die Polizeibeamten
als solche
nicht wahrzunehmen. Nur mit großen Mühen und
erheblichem Einsatzaufwand
konnte er schließlich überwältigt werden.
Zuvor lief er zweimal mit gezogenen
Messern auf zwei Polizeibeamte zu und versuchte, freilich vergeblich,
sie mit kraftvoll und wuchtig geführten Stichen ober- und
unterhalb ihrer
Schutzschilde zu treffen und zu verletzen. Dabei war
möglicherweise bereits
seine Unrechtseinsichtsfähigkeit, jedenfalls seine
Steuerungsfähigkeit zustandsbedingt
aufgehoben.
2. Die auf Verletzung des § 244 Abs. 4 Satz 2 StPO
gestützte Verfahrensrüge
ist jedenfalls unbegründet. Die Strafkammer hat in Anwendung
dieser
Norm das zur Schuldfähigkeit und zur Frage der Unterbringung
des Beschuldigten
erstattete Sachverständigengutachten gebilligt. Dies
läßt im vor-
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liegenden, maßgeblich durch Suchtmittelmißbrauch
geprägten, daher dem
Grenzbereich der Anwendbarkeit des § 63 StGB zuzurechnenden
Problemfall
keinen Rechtsfehler erkennen (vgl. unten 3).
3. Die Annahme des Landgerichts, daß in dem genannten
Problembereich
(vgl. hierzu BGHSt 7, 35; 10, 57; 34, 313; 44, 338 und 369; BGHR
StGB § 63 Zustand 9, 12, 30; jeweils m.w.N.) hier die
Voraussetzungen des
§ 63 StGB vorliegen, ist ausreichend begründet und
aus Rechtsgründen
nicht zu beanstanden.
An einem aufgrund der Beurteilung des Beschuldigten durch den
psychiatrischen
Sachverständigen festgestellten, zur Tatzeit zweifelsfrei
gegebenen
Zustand der Schuldunfähigkeit aufgrund eines stabilen
geistigen Defekts
fehlte es nicht. Ursache war, neben der diagnostizierten
Betäubungsmittelsucht,
eine zum wiederholten Male aufgetretene massive psychotische
(Über-)Reaktion des Beschuldigten von einiger Dauer auf
eingenommene
Suchtmittel. Diese ist - bei psychiatrischer Diagnose einer
substanzinduzierten
psychotischen Störung (im Sinne von DSM-IV 292.11 bzw. 12,
ICD-10
F 15.51 bzw. 52) - vom Landgericht rechtsfehlerfrei, ungefähr
vergleichbar
mit einer Alkoholüberempfindlichkeit, als krankhafte seelische
Störung gewertet
worden. Die für die Anwendung des § 63 StGB
erforderliche Dauerhaftigkeit
der Störung wird durch deren wiederholtes Auftreten nach immer
wieder geübtem Betäubungsmittelmißbrauch,
namentlich - wie hier - aufgrund
einer Betäubungsmittelsucht, begründet.
Trifft dann mit der dauerhaften krankhaften
Suchtmittelüberreaktion
ein Hang im Sinne des § 64 Abs. 1 StGB zusammen, wird
über den konkreten
Maßregelausspruch - § 63 oder § 64 StGB -
gemäß § 72 StGB zu entscheiden
sein und bei begründeter Aussicht auf erfolgreiche
Bekämpfung der
Sucht durch Unterbringung in einer Entziehungsanstalt entweder allein
auf
diesen weniger einschneidenden Maßregelausspruch zu erkennen
sein (§ 72
Abs. 1 Satz 2 StGB; vgl. auch § 67a StGB), oder es werden
beide Maßregeln
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nebeneinander mit dem Vorrang des Vollzugs der Unterbringung nach
§ 64
StGB anzuordnen sein (§ 72 Abs. 2 und Abs. 3 StGB). Hier
schied indes
nach einem als gescheitert bewerteten Maßregelvollzug nach
§ 64 StGB eine
erneute solche Maßregel mangels der
unerläßlichen konkreten Erfolgsaussicht
(BVerfGE 91, 1) nach rechtsfehlerfreier tatrichterlicher
Würdigung aus.
Danach blieb bei der offensichtlich belegten Wiederholungsgefahr und
damit
verbundenen akuten, Leib und Leben anderer berührenden
Gemeingefährlichkeit
des schuldunfähigen Beschuldigten nur als dann
unerläßliche, ersichtlich
verhältnismäßige Maßregel der
Besserung und Sicherung die Unterbringung
in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB.
Zutreffend hat das Landgericht auf der Grundlage der
unzulänglichen
Krankheitseinsicht des Beschuldigten und einer bislang nicht gesichert
organisierbaren
erfolgversprechenden stationären
Behandlungsmöglichkeit außerhalb
des Maßregelvollzugs eine Aussetzung der Vollstreckung der
Maßregel
nach § 67b StGB abgelehnt.
Die beachtenswerten Hinweise des Verteidigers auf eine mangelnde
Eignung des konkreten Maßregelvollzugs zur Heilbehandlung
für diesen Untergebrachten
mit seiner speziellen Suchtproblematik geben dem Senat Anlaß,
auf die Möglichkeit einer Umstellung des
Maßregelvollzugs nach § 67a
Abs. 1 StGB hinzuweisen, die bei einer konkret geänderten
Einstellung des
Untergebrachten zur Unerläßlichkeit einer
Entziehungsbehandlung in Frage
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kommen wird (vgl. zur Dauer der Unterbringung für diesen Fall
§ 67a Abs. 4
StGB).
Harms Basdorf Gerhardt
Brause Schaal |