BGH,
Urt. v. 1.2.2007 - 4 StR 514/06
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
4 StR 514/06
vom
1.2.2007
in der Strafsache
gegen
wegen Geiselnahme u.a.
- 2 -
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
1.02.2007, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Tepperwien,
Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Kuckein, Athing,
Richterin am Bundesgerichtshof Solin-Stojanović,
Richter am Bundesgerichtshof Dr. Ernemann als beisitzende Richter,
Staatsanwalt als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwalt
als Vertreter der Nebenklägerin,
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
- 3 -
1. Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des
Landgerichts Saarbrücken vom 13. Juni 2006 wird verworfen;
jedoch wird die Urteilsformel des angefochtenen Urteils dahin
berichtigt, dass der Angeklagte Cana C. zu einer Freiheitsstrafe von
zwei Jahren mit Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt ist.
2. Die Staatskasse hat die Kosten des Rechtsmittels und die dem
Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Geiselnahme in Tateinheit mit
Vergewaltigung zu einer “Gesamtfreiheitsstrafe“ von
zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung
ausgesetzt hat. Hiergegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer
zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten Revision, mit der sie die
Verletzung materiellen Rechts rügt. Sie beanstandet die von
der Strafkammer zu Grunde gelegten Strafrahmen und auch die
Strafzumessung im Übrigen. Nach dem Inhalt der
Revisionsbegründungsschrift ist die Revision auf den
Strafausspruch beschränkt. Das vom Generalbundesanwalt
vertretene Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
1
- 4 -
1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
2
Der noch im Hause seiner Eltern lebende Angeklagte und die zur Tatzeit
knapp 20-jährige Nebenklägerin, eine Kusine des
Angeklagten, sowie deren Familien gehören der
Religionsgemeinschaft der Jesiden an, einer archaischen Gemeinschaft
aus den kurdischen Gebieten im Vorderen Orient. Entsprechend dem
Ansinnen ihrer jeweiligen Eltern verlobten sich beide im Juli 2005,
obwohl die Nebenklägerin - heimlich - einen anderen Freund
hatte. Auf den Wunsch der Nebenklägerin hin fand eine
große Verlobungsfeier mit mehr als 200 Gästen statt,
die vom Vater des Angeklagten finanziert wurde. Diesem Wunsch lag - was
nach außen nicht erkennbar war - zu Grunde, durch die
Vorbereitung einer aufwändigen Verlobungsfeier Zeit zu
gewinnen. Als die Nebenklägerin später einen Streit
mit dem Angeklagten provozierte, in dessen Verlauf er sie beleidigte,
erklärte sie ihm, sie werde ihn nun nicht mehr heiraten. Seine
Entschuldigungen akzeptierte sie nicht.
3
Am 7. September 2005 kamen der Angeklagte und die beiden Mitangeklagten
- ein Bruder des Angeklagten und ein Cousin - überein, die
Nebenklägerin zu einem Bekannten des Vaters des Angeklagten
nach Lüttich in Belgien zu bringen, um eine Aussprache
herbeizuführen und die beabsichtigte Eheschlie-ßung
"zu retten". Entsprechend dem gemeinsamen Plan passten der Angeklagte
und die Mitangeklagten die Nebenklägerin vor dem Anwesen einer
Kusine in Saarwellingen ab und verbrachten sie in einem Pkw gewaltsam
nach Belgien.
4
Dort stand die Nebenklägerin unter ständiger
Bewachung. Ihr wurden Vorhaltungen und Vorwürfe dahin gemacht,
dass sie sich doch mit dem Angeklagten verlobt habe und warum sie ihn
nun nicht mehr heiraten wolle. Nachdem sich die Nebenklägerin
nicht umstimmen ließ, beschlossen der Angeklagte
5
- 5 -
und die beiden Mitangeklagten, mit ihr wieder nach Hause zu fahren. Die
Nebenklägerin erklärte jedoch, sie wolle von ihren
Angehörigen abgeholt werden. Daraufhin wurde der Vater des
Angeklagten benachrichtigt, der mit einem Onkel und einer Tante der
Nebenklägerin nach Belgien fuhr. Während des Wartens
auf die Familienangehörigen redete der Angeklagte weiter auf
die Nebenklägerin ein und versuchte, sie im Zusammenwirken mit
dem Bekannten seines Vaters - u.a. mit der Drohung, sie würde
getötet, wenn sie das Haus verlasse und wenn sie nicht endlich
der Eheschließung zustimme - dazu zu bewegen, in die Ehe
einzuwilligen, worauf sie aus Angst äußerte, sie sei
zur Hochzeit bereit, was sie kurz darauf aber widerrief. Als die
Angehörigen schließlich eintrafen und auch sie auf
die Nebenklägerin einredeten, erklärte sie, sie werde
den Angeklagten nun doch heiraten. Sie erhoffte sich damit, endlich
nach Hause gebracht zu werden.
Die Angehörigen forderten von der Nebenklägerin,
einen "Beweis" für ihre Heiratswilligkeit zu erbringen, und
zwar in der Form, dass sie mit dem Angeklagten geschlechtlich verkehren
solle; andernfalls würden sie sie nicht mit nach Hause nehmen.
Als der Angeklagte nach diesem Ansinnen mit der Nebenklägerin
allein im Schlafzimmer war, schlug diese vor, den Geschlechtsverkehr
nur vorzutäuschen, was der Angeklagte aber ablehnte.
Schließlich gab die Nebenklägerin aus Angst, sonst
nicht nach Hause zu kommen, ihren Widerstand auf und ließ den
Geschlechtsakt gegen ihren vom Angeklagten erkannten Willen in
hilfloser Lage über sich ergehen. Als sie bemerkte, dass auf
dem Tuch, das der Angeklagte ihr untergelegt hatte, Blut zu sehen war,
so dass der geforderte "Beweis" entsprechend den Sitten ihrer
Religionsgemeinschaft erbracht war, lehnte sie es ab, weiter mit dem
Angeklagten geschlechtlich zu verkehren, worauf der Angeklagte - obwohl
er nicht zum Samenerguss gekommen war - den Geschlechtsverkehr abbrach.
Den Angehörigen wurde sodann das blutbefleckte
6
- 6 -
Tuch übergeben, die daraufhin dem Angeklagten und der
Nebenklägerin gratulierten. Dann begaben sie sich nach
Deutschland zurück.
Die Nebenklägerin erlitt durch das Tatgeschehen einige
Hämatome und Hautabschürfungen. Sie hat im Oktober
2005 ihren (heimlichen) Freund geheiratet und über ihre
Verfahrensbevollmächtigte erklären lassen, dass sie
mit einer zur Bewährung ausgesetzten Strafe einverstanden sei
und mit diesem Einverständnis dem Angeklagten "die Hand
reichen" und zur Befriedung der Situation beitragen wolle.
7
2. Das Landgericht ist bei der Strafzumessung im Hinblick auf die
Geiselnahme von einem minder schweren Fall (§ 239 b Abs. 2
i.V.m. § 239 a Abs. 2 StGB) ausgegangen und hat bei der
Vergewaltigung - trotz Verwirklichung des Regelbeispiels des §
177 Abs. 2 Nr. 1 StGB - den Regelstrafrahmen des § 177 Abs. 1
StGB zu Grunde gelegt.
8
Es hat in einer “Gesamtbetrachtung“ namentlich
strafmildernd berücksichtigt, dass der - nicht vorbestrafte -
Angeklagte weitgehend geständig war und so der
Nebenklägerin eine weitere Vernehmung erspart hat, dass er
Reue und Einsicht in sein Fehlverhalten zeigte, er sich bei der
Nebenklägerin entschuldigt und erklärt hat, sich zur
Befriedung der Situation innerhalb der auf Grund der fehlgeschlagenen
Ehe zerstrittenen Familien für die Nebenklägerin
einzusetzen, er dem auf das quasi verpflichtende Eheversprechen der
Nebenklägerin und das im großen Stil gefeierte
Verlobungsfest gegründeten Erwartungsdruck der Familie habe
genügen wollen, er nicht selber, sondern die Familie der
"eigentliche geistige Urheber" der Vergewaltigung war und die sexuelle
Befriedigung für den Angeklagten nicht im Vordergrund stand.
Zu Lasten des Angeklagten hat die Strafkammer berücksichtigt,
dass er zwei Tatbestände
9
- 7 -
verwirklicht hat, die Nebenklägerin durch ihre seit der Tat
erfolgte Einbindung in ein Zeugenschutzprogramm erhebliche
Einbußen an Lebensqualität hinnehmen muss und auch
generalpräventive Gesichtspunkte nicht außer
Betracht bleiben dürften.
3. Die - auf den Strafausspruch beschränkte - Revision der
Staatsanwaltschaft ist unbegründet.
10
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist die
Strafzumessung grundsätzlich Sache des Tatrichters, der auf
der Grundlage des umfassenden Eindrucks, den er in der Hauptverhandlung
von Tat und Täter gewonnen hat, die wesentlichen be- und
entlastenden Umstände festzustellen, zu bewerten und
gegeneinander abzuwägen hat. Das Revisionsgericht kann nur
dann eingreifen, wenn die tatrichterlichen
Zumessungserwägungen in sich fehlerhaft sind, wenn sie gegen
rechtlich anerkannte Strafzwecke verstoßen oder wenn sich die
verhängte Strafe nach oben oder unten von ihrer Bestimmung,
gerechter Schuldausgleich zu sein, so weit löst, dass sie
nicht mehr innerhalb des dem Tatrichter eingeräumten
Spielraums liegt (vgl. nur BGHSt 34, 345, 349; BGHR StGB § 46
Abs. 1 Strafhöhe 10, 12, 14).
11
Solche Rechtsfehler liegen hier nicht vor.
12
Die Strafkammer hat eine rechtsfehlerfreie Gesamtwürdigung
(vgl. BGHSt 26, 97, 98 f.) vorgenommen. Sie hat nicht in Frage
gestellt, dass für den Angeklagten im Hinblick auf die
begangene Tat das deutsche Strafrecht mit seinen Wertvorstellungen
verbindlich ist. Sie durfte aber - entgegen der Auffassung der
Staatsanwaltschaft - unter den festgestellten Umständen
strafmildernd berücksichtigen, dass der - wie auch die
Nebenklägerin - aus einem anderen
13
- 8 -
Kulturkreis stammende Angeklagte unter dem
“Erwartungsdruck“ seiner Familie stand und daher
zur Begehung der Tat insgesamt eine geringere Hemmschwelle zu
überwinden hatte (vgl. BGH NStZ 1996, 80; StV 2002, 20;
Tröndle/Fischer, StGB 54. Aufl. § 46 Rdn. 43a).
Soweit die Beschwerdeführerin in ihrer
Rechtsmittelbegründung im Übrigen eine eigene
Strafzumessung vornimmt, kann sie damit im Revisionsverfahren nicht
gehört werden. Die verhängte Strafe ist zwar niedrig,
sie entfernt sich aber unter den vom Landgericht festgestellten und
gewürdigten besonderen Umständen des Falles noch
nicht nach unten von ihrer Bestimmung, gerechter Schuldausgleich zu
sein, sondern liegt noch innerhalb des Beurteilungsrahmens, der dem
Tatrichter eingeräumt ist (vgl. BGHSt 29, 319, 320).
- 9 -
Der Senat hat die Urteilsformel - entsprechend dem verkündeten
Urteilstenor und UA 32 - dahin berichtigt, dass der Angeklagte nicht zu
einer Gesamtfreiheitsstrafe, sondern zu einer Freiheitsstrafe von zwei
Jahren mit Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt ist.
14
Tepperwien Kuckein Athing
Solin-Stojanović Ernemann |