BGH,
Urt. v. 1.7.2005 - 2 StR 9/05
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
BGHR: ja
Veröffentlichung: ja
StGB § 66 b Abs. 1; StPO § 275 a
1. Die nachträgliche Anordnung der Unterbringung in der
Sicherungsverwahrung
scheidet nicht allein deswegen aus, weil der Verurteilte nach
vollständiger Verbüßung
der Freiheitsstrafe aus dem Ausgangsurteil wieder auf freien
Fuß gelangt
ist. Erforderlich ist in diesem Fall aber, daß dem
Verurteilten zuvor mitgeteilt wurde,
daß die Staatsanwaltschaft prüft, ob eine
nachträgliche Anordnung der Maßregel
in Betracht kommt und der entsprechende Maßregelantrag der
Staatsanwaltschaft
vor der Haftentlassung gestellt wurde.
2. Die Revision ist auch dann das statthafte Rechtsmittel gegen eine
Entscheidung
über die nachträgliche Anordnung der
Sicherungsverwahrung, wenn das Landgericht
unter Verstoß gegen § 275 a StPO nicht durch Urteil,
sondern ohne Hauptverhandlung
durch Beschluß entschieden hat.
BGH, Urteil vom 1.07.2005 - 2 StR 9/05 - LG Wiesbaden
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
- 2 -
URTEIL
2 StR 9/05
vom
1.07.2005
in der Strafsache
gegen
wegen sexuellen Mißbrauchs von Kindern
(hier: Nachträgliche Anordnung der Unterbringung in der
Sicherungsverwahrung)
- 3 -
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Verhandlung
vom
29.06.2005 in der Sitzung am 1.07.2005, an denen teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Rissing-van Saan
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Bode,
Rothfuß,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Roggenbuck,
der Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Appl,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
in der Verhandlung
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
- 4 -
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird der Beschluß
des Landgerichts Wiesbaden vom 19. November 2004 mit
den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung,
auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere
Jugendschutzkammer
des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Der Verurteilte, um dessen nachträgliche Unterbringung in der
Sicherungsverwahrung
es im vorliegenden Verfahren geht, war vom Landgericht mit
Urteil vom 19. November 1997 wegen sexuellen Mißbrauchs von
Kindern in
acht Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren
verurteilt worden.
Diese Freiheitsstrafe hat er bis zum 6. Dezember 2004
vollständig verbüßt. An
diesem Tag wurde er aus dem Strafvollzug entlassen. Der Erlaß
eines Unterbringungsbefehls
nach § 275 a Abs. 5 StPO wurde abgelehnt.
Bereits vor der Haftentlassung hatte die Staatsanwaltschaft am 30.
September
2004 beantragt, gemäß § 66 b Abs. 1 StGB
nachträglich die Unterbringung
des Verurteilten in der Sicherungsverwahrung anzuordnen. Hiervon
informierte
das Landgericht den Verurteilten und seinen Verteidiger. Durch eine
als "Beschluß" bezeichnete Entscheidung vom 19. November 2004
hat das
Landgericht diesen Antrag ohne Hauptverhandlung
zurückgewiesen, weil es
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meinte, nach der Verurteilung seien keine neuen Tatsachen i.S.v.
§ 66 b Abs. 1
StGB erkennbar geworden. Die Staatsanwaltschaft hat gegen die ihr am
23. November 2004 zugestellte Entscheidung noch am selben Tag "sofortige
Beschwerde" eingelegt. Mit einem am 22. Dezember 2004 beim Landgericht
eingegangenen Schriftsatz hat sie dieses Rechtsmittel sodann als
"Revision"
bezeichnet und die Verletzung formellen und materiellen Rechts
gerügt. Das
vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat mit der
Verfahrensrüge
Erfolg.
I.
1. Die vollständige Verbüßung der Strafe
und die Haftentlassung des
Verurteilten stehen der Fortsetzung des Verfahrens nicht entgegen.
Vielmehr
genügt es, daß der Antrag der Staatsanwaltschaft
vorher gestellt und dem Verurteilten
vor dem Ende des Strafvollzugs mitgeteilt wurde, daß die
Staatsanwaltschaft
prüft, ob die nachträgliche Anordnung der
Maßregel in Betracht
kommt.
a) Weder § 66 b StGB noch § 275 a StPO ist zu
entnehmen, daß sich
der Verurteilte bis zur gerichtlichen Entscheidung über die
von der Staatsanwaltschaft
beantragte nachträgliche Anordnung der Unterbringung in der
Sicherungsverwahrung
noch im Vollzug der zuvor verhängten Strafe befinden
muß.
Eine einschränkende Formulierung, wie sie die
landesrechtlichen Straftäterunterbringungsgesetze
enthielten, findet sich in § 66 b StGB, der funktional
an ihre Stelle getreten ist, nicht. Die Landesgesetze gestatteten die
Anordnung
nämlich nur gegen einen "Strafgefangenen, der in einer
Justizvollzugsanstalt
des Landes ... eine zeitige Freiheitsstrafe verbüßt"
(vgl. § 1 StrUBGBW,
GBl 2001, 188; ähnlich Art. 1 BayStrUBG, BayGVBl 2001, 978).
Die vereinzelt
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zu den landesgesetzlichen Regelungen der
Straftäterunterbringungsgesetze
ergangene obergerichtliche Rechtsprechung, wonach vor der Entlassung aus
der Strafhaft rechtskräftig über die
nachträgliche Unterbringung entschieden
sein muß (vgl. OLG Karlsruhe NStZ 2002, 503; OLG
Nürnberg NJW 2003, 601;
a.A. OLG Naumburg NJW 2002, 2573; OLG Bamberg NStZ 2002, 502),
läßt
sich allein schon wegen der abweichenden Anordnungsvoraussetzungen nicht
auf § 66 b StGB übertragen. Obwohl die Landesgesetze
und die dazu ergangene
Rechtsprechung bei Schaffung des § 66 b StGB bekannt waren,
hat der
Bundesgesetzgeber eine vergleichbare einschränkende Regelung
nicht übernommen.
§ 66 b StGB setzt nur voraus, daß vor Ende des
Vollzugs der
Freiheitsstrafe Tatsachen erkennbar werden, die auf eine erhebliche
Gefährlichkeit hinweisen.
Eine andere Bewertung ergibt sich auch nicht aus den insoweit teilweise
mißverständlich formulierten Gesetzesmaterialien. In
der Begründung der
Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses des Bundestages
heißt es zwar:
"Damit kommt die nachträgliche Anordnung der Unterbringung in
der Sicherungsverwahrung
bzw. ein Unterbringungsbefehl (§ 275 a Abs. 5 StPO) nur in
Betracht, solange die Freiheitsstrafe aus dem Ausgangsurteil vollzogen
wird.
Ausgeschlossen ist die nachträgliche Anordnung der
Sicherungsverwahrung
demnach gegen einen Verurteilten, der sich bereits wieder in Freiheit
befindet"
(BTDrucks. 15/3346 S. 17). Weiter heißt es dort, auch wenn
der Verurteilte
sich aktuell im Vollzug einer anderen Freiheitsstrafe befindet, sei die
Anordnung
nur solange möglich, "wie die Freiheitsstrafe aus dem
Ausgangsurteil
nicht vollständig verbüßt ist". Hieraus
kann jedoch keine eigenständige zusätzliche
Voraussetzung für die nachträgliche
Sicherungsverwahrung in dem Sinne
entnommen werden, daß ihre Anordnung immer ausgeschlossen
ist, sobald die
Freiheitsstrafe aus dem Ausgangsurteil voll verbüßt
wurde und der Verurteilte
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wieder auf freiem Fuß ist. Die erwähnten
Formulierungen dienen vielmehr - wie
sich aus dem Textzusammenhang mit dem Einleitungssatz des entsprechenden
Absatzes ergibt - ersichtlich nur der Erläuterung des Begriffs
der Tatsachen,
die "nach einer Verurteilung ... vor Ende des Vollzuges erkennbar
werden".
Damit soll zugleich der Zeitraum festgelegt werden, in dem die neuen
Tatsachen erkennbar geworden sein müssen. Es wird lediglich
klargestellt, daß
erst nach Vollverbüßung der verhängten
Freiheitsstrafe erkennbar gewordene
Tatsachen nicht mehr berücksichtigt werden dürfen.
Gleiches gilt für die ähnlich
lautenden Abschnitte in der Begründung des Gesetzentwurfs der
Bundesregierung
(BTDrucks. 15/2887 S. 12).
In der verfahrensrechtlichen Vorschrift des § 275 a StPO wird
das
Bestreben deutlich, Verfahren über den Antrag auf Anordnung
der nachträglichen
Sicherungsverwahrung zu beschleunigen und dem Vertrauensschutz des
Verurteilten Rechnung zu tragen. Die Vollstreckungsbehörde ist
danach gehalten,
die Akten rechtzeitig vorzulegen. Die Staatsanwaltschaft hat den
Verurteilten
von der Einleitung des Prüfungsverfahrens zu informieren
(§ 275 a Abs. 1
Satz 2 StPO). Sie soll den Antrag auf nachträgliche Anordnung
der Sicherungsverwahrung
spätestens sechs Monate vor Strafende stellen und mit dem
Antrag die Akten unverzüglich dem Gericht übergeben.
Die Bestimmung der
Antragsfrist ist jedoch eine Sollvorschrift. Durch diese Ausgestaltung
kann den
besonderen Umständen des Einzelfalls Rechnung getragen werden.
Daß eine
Entscheidung des zuständigen Gerichts erst nach der
Haftentlassung des Verurteilten
zustande kommt, kann beispielsweise darauf beruhen, daß trotz
aller
Beschleunigung, d.h. Einhaltung der Sollfrist des § 275 a Abs.
1 Satz 3 StPO,
eine rechtskräftige Entscheidung innerhalb von sechs Monaten
bis zum Strafende
nicht herbeizuführen ist. Schon wegen der notwendigen, vom
Gesetz
vorgeschriebenen zwei Sachverständigengutachten (§
275 a Abs. 4 Satz 2
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StPO), die das Gericht einholen muß, bevor es über
den Antrag entscheidet,
und des hiermit verbundenen Zeitaufwands, ist
regelmäßig kaum zu erwarten,
daß bis zur Vollverbüßung der Haftstrafe
eine erstinstanzliche Sachentscheidung
aufgrund einer Hauptverhandlung ergehen kann. Zudem hätte das
Erfordernis
einer erstinstanzlichen Entscheidung bis zum Ende des Vollzugs zur
Folge, daß Tatsachen, die erst kurz vor dem Strafende
erkennbar werden,
grundsätzlich nicht mehr berücksichtigt werden
könnten. Dies entspräche nicht
dem Gesetz. Denn nach § 66 b Abs. 1 StGB sollen alle neuen
Gefährlichkeitstatsachen
erfaßt werden, die bis zum Ende des Vollzugs erkennbar werden.
Ginge man davon aus, daß die Wiedererlangung der Freiheit
nach Vollverbüßung
der Haftstrafe eine Anordnung nach § 66 b StGB
ausschlösse, würde
das auch dem Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit zuwiderlaufen. Wenn eine
Maßregelanordnung vor Vollverbüßung trotz
frühzeitiger Einleitung des Verfahrens
und gebotener Beschleunigung bis zum Strafende nicht möglich
ist, wären
die Gerichte regelmäßig gezwungen, einen
Unterbringungsbefehl nach § 275 a
Abs. 5 StPO zu erlassen, um die Möglichkeit einer anderen als
den Antrag der
Staatsanwaltschaft ablehnenden Entscheidung offen zu halten. Dies ist
vom
Gesetz nicht gewollt.
b) Sowohl dem gesetzgeberischen Anliegen eines möglichst
effektiven
Schutzes der Allgemeinheit vor hochgefährlichen Gewalt- und
Sexualstraftätern
als auch dem verfassungsrechtlich gebotenen Vertrauensschutz
für den Verurteilten
wird hinreichend Rechnung getragen, wenn die Staatsanwaltschaft dem
Verurteilten noch während des Strafvollzugs die Einleitung
ihres Prüfungsverfahrens
mitteilt und sie den Antrag auf nachträgliche Anordnung der
Sicherungsverwahrung
stellt, bevor die Strafvollstreckung aus dem Ausgangsverfahren
beendet ist. Diese Auslegung der in den §§ 66 b StGB,
275 a StPO getrof-
9 -
fenen gesetzlichen Regelung ermöglicht es zum einen, bei der
Entscheidung
über die nachträgliche Maßregelanordnung
auch solche für die Gefährlichkeitsprognose
wichtigen Tatsachen noch zu berücksichtigen, die erst kurz vor
dem Vollzugsende erkennbar werden. Zum anderen wird ausgeschlossen,
daß
der Verurteilte ohne zeitliche Begrenzung auch nach der Haftentlassung
noch
mit einer nachträglichen Maßregelanordnung rechnen
muß. Ferner wird sichergestellt,
daß der Verurteilte so früh wie möglich
noch während des Strafvollzugs
erfährt, daß er mit der Anordnung der
nachträglichen Sicherungsverwahrung
rechnen muß. Ein schutzwürdiges, das
Sicherungsbedürfnis der Allgemeinheit
überwiegendes Vertrauen des Verurteilten darauf, daß
er wegen
der früheren Tat(en) keine weitere strafrechtliche
Maßregel mehr gewärtigen
muß, kann daher nicht mehr entstehen.
2. § 66 b StGB ist auch auf sog. "Altfälle"
anwendbar. Eine Übergangsregelung
derart, daß von dem Anwendungsbereich des § 66 b
StGB bestimmte
"Altfälle" mit Verurteilungen aus der Zeit vor Inkrafttreten
des § 66 b StGB ausgenommen
sind, hat der Gesetzgeber nicht getroffen (vgl. Art. 1 a EGStGB).
Die Maßregelvorschrift ist also - wie sich aus § 2
Abs. 6 StGB ergibt - uneingeschränkt
auch auf solche Verurteilte anwendbar, deren Verurteilung wegen der
Anlaßtat - wie im vorliegenden Fall - vor Inkrafttreten der
Norm erfolgte.
3. § 66 b StGB verstößt weder gegen das
Rückwirkungsverbot aus Art.
103 Abs. 2 GG, welches auf Maßregeln der Besserung und
Sicherung nicht
anwendbar ist (vgl. BVerfGE 109, 133, 167), noch gegen das allgemeine
Rückwirkungsverbot (vgl. BGH, Urt. vom 11.05.2005 - 1 StR
37/05, zur Veröffentlichung
in BGHSt 50 bestimmt).
II.
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Die Revision der Staatsanwaltschaft beanstandet zu Recht, daß
das
Landgericht über den Antrag der Staatsanwaltschaft ohne die
nach § 275 a
Abs. 2 und 3 StPO erforderliche Hauptverhandlung entschieden hat.
1. Gegen die Entscheidung des Landgerichts ist das Rechtsmittel der
Revision statthaft.
Zwar hat das Landgericht seine Entscheidung als "Beschluß"
bezeichnet.
Dies führt aber nicht dazu, daß eine Beschwerde nach
§§ 304 ff. StPO das
statthafte Rechtsmittel wäre. Auf die Bezeichnung der
Entscheidung kommt es
nicht an. Maßgebend für die Frage, welches
Rechtsmittel statthaft ist, ist das
Verfahrensrecht. Danach sind Urteile solche Entscheidungen, die eine
mündliche
Verhandlung und eine öffentliche Verkündung
voraussetzen. Ohne Bedeutung
ist, ob eine mündliche Verhandlung und eine
öffentliche Verkündung wirklich
stattgefunden haben. Ausschlaggebend ist vielmehr, ob die betreffende
Entscheidung nach dem Gesetz nur aufgrund mündlicher
Verhandlung und im
Wege öffentlicher Verkündung hätte ergehen
dürfen. Sind Verhandlung und
Verkündung entgegen dem Gesetz unterblieben, handelt es sich
für die Frage
der Anfechtbarkeit dennoch um ein Urteil (vgl. BGHSt 8, 383, 384; 25,
242, 243
zu "Urteilen", die verfahrensrechtlich Beschlüsse waren). Nach
§ 275 a Abs. 2
StPO ist über die nachträgliche Anordnung der
Sicherungsverwahrung aufgrund
einer Hauptverhandlung zu entscheiden. Diese Entscheidung ergeht
durch Urteil (§ 275 a Abs. 5 Satz 1 und Abs. 2 i.V.m.
§ 260 Abs. 1 StPO). Dieses
ist grundsätzlich in öffentlicher Verhandlung zu
verkünden (§ 169 GVG).
Ein schriftliches Verfahren ist für die Anordnung der
nachträglichen Sicherungsverwahrung
bei der vom Gesetzgeber gewählten
Hauptverhandlungslösung
nicht vorgesehen.
- 11 -
Daß die Staatsanwaltschaft ihr Rechtsmittel zunächst
irrtümlich als "sofortige
Beschwerde" bezeichnet hat, ist nach § 300 StPO ebenfalls
unschädlich.
Diese Vorschrift gilt auch für Rechtsmittel der
Staatsanwaltschaft (Meyer-
Goßner, StPO 48. Aufl. § 300 Rdn. 2). Im
übrigen hat sie selbst das Rechtsmittel
noch innerhalb der Revisionsbegründungsfrist als "Revision"
bezeichnet.
2. Die Verfahrensrüge ist zulässig und
begründet. Entgegen der Vorschrift
des § 275 a Abs. 2 StPO hat die Jugendschutzkammer ohne
Hauptverhandlung
entschieden. Die Entscheidung beruht auf dieser Gesetzesverletzung.
Daß die im schriftlichen Beschlußverfahren
ergangene Entscheidung
hierauf beruht, kann der Senat bereits deswegen nicht
ausschließen, weil die
Kammer bei der Entscheidung neben dem Vorsitzenden mit zwei
Berufsrichtern,
aber nicht mit Schöffen besetzt war. In
ordnungsgemäßer Besetzung für
eine Hauptverhandlung wäre das Ergebnis
möglicherweise anders gewesen.
III.
Für die neue Verhandlung weist der Senat auf folgendes hin:
Das Revisionsgericht muß überprüfen
können, ob "Tatsachen", "die auf
eine erhebliche Gefährlichkeit des Verurteilten für
die Allgemeinheit hinweisen",
nach einer Verurteilung im Sinne von § 66 b Abs. 1 StGB
erkennbar geworden
sind. In der gerichtlichen Entscheidung muß daher
näher dargelegt
werden, wann die entsprechenden Tatsachen erstmals zutage getreten sind.
Dazu ist eine Darlegung des erkennbaren
Gefährlichkeitssachverhalts zum
Zeitpunkt der letzten tatrichterlichen Verurteilung sowie der
zwischenzeitlich
eingetretenen Veränderungen erforderlich. Bei einem
Bündel verschiedener
Tatsachen, aus denen die Gefährlichkeit hergeleitet wird, ist
auf jede einzelne
dieser Tatsachen einzugehen.
- 12 -
Tatsachen im Sinne von § 66 b Abs. 1 StGB sind nur solche, die
nach
der letzten Verhandlung in der Tatsacheninstanz und vor Ende des
Vollzugs
der verhängten Freiheitsstrafe erkennbar geworden sind (vgl.
OLG Frankfurt
NStZ-RR 2005, 106, 107). Umstände, die für den ersten
Tatrichter erkennbar
waren, scheiden daher als neue Tatsachen aus (vgl. BGH, Urt. vom 11. Mai
2005 - 1 StR 37/05).
Der relevante Zeitraum beginnt "nach einer Verurteilung" (§ 66
b Abs. 1
Satz 1 StGB). Abzustellen ist insoweit auf die letzte Entscheidung in
der Tatsacheninstanz
(vgl. BGH, aaO). Bis zu diesem Zeitpunkt auftretende Umstände
können noch in dem Ausgangsverfahren berücksichtigt
werden. Die "neue Tatsache"
muß dagegen nicht erst nach Rechtskraft der letzten
Tatsachenentscheidung
erkennbar geworden sein. Anderenfalls entstünde eine
Schutzlücke,
da zwischen Tatsachenentscheidung und Rechtskraft eingetretene
Umstände
in der Tatsacheninstanz nicht mehr und im Revisionsverfahren ohnehin
keine
Berücksichtigung finden können. Das Ende des Vollzugs
- so das Gesetz - ist
auch das Ende des berücksichtigungsfähigen Zeitraums.
Die Tatsachen brauchen in dieser Zeit nicht neu entstanden zu sein.
Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des § 66 b StGB
sowie aus dem
ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers (vgl. BTDrucks. 15/2887
S. 12; Ullenbruch
in MünchKomm StGB § 66 b Rdn. 72). Es reicht aus,
wenn sie in diesem
Zeitraum erstmals erkennbar werden (vgl. BGH aaO). Da es auf die
Erkennbarkeit
ankommt, genügt es - anders als im Wiederaufnahmeverfahren
(§ 359 Nr. 5 StPO) - nicht, daß der (ggf.
sachverständig beratene) Tatrichter
des Ausgangsverfahrens die fraglichen Tatsachen tatsächlich
nicht erkannt
hat. Entscheidend ist, ob er sie hätte erkennen
können.
- 13 -
Keine neuen Tatsachen sind neue rechtliche (Um-)Bewertungen, die auf
bereits früher bekannten Umständen beruhen (vgl. OLG
Koblenz NStZ 2005,
97, 99; OLG Frankfurt NStZ-RR 2005, 106, 108). Denn die
Möglichkeit der
- 14 -
nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung dient nicht
dazu, eine
rechtsfehlerhafte frühere Entscheidung, die von der
Staatsanwaltschaft nicht
beanstandet wurde, nachträglich zu korrigieren (BGH aaO).
Rissing-van Saan Bode Rothfuß
Roggenbuck Appl |