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BGH, Urteil vom 1. September 2005 - 4 StR 290/05


Entscheidungstext  
 
BGH, Urt. v. 1.9.2005 - 4 StR 290/05
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
4 StR 290/05
vom
1.09.2005
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Totschlags u.a.
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Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 1. September
2005, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Tepperwien,
Richter am Bundesgerichtshof
Maatz,
Athing,
Richterinnen am Bundesgerichtshof
Solin-Stojanovi,
Sost-Scheible
als beisitzende Richter,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwalt
als Vertreter für die Nebenkläger und
,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
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1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil
des Landgerichts Halle vom 8. November 2004 mit den
Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung,
auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des
Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die Revision des Angeklagten gegen das vorbezeichnete
Urteil wird verworfen mit der Maßgabe, daß die in Italien
in dieser Sache erlittene Freiheitsentziehung im
Verhältnis 1 : 1 auf die hier verhängte Freiheitsstrafe
angerechnet wird.
Der Angeklagte trägt die Kosten seines Rechtsmittels
und die dadurch den Nebenklägern entstandenen notwendigen
Auslagen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in
Tateinheit mit zwei tateinheitlich zusammentreffenden Fällen der gefährlichen
Körperverletzung zu neun Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Hiergegen wenden
sich der Angeklagte und - zu seinen Ungunsten - die Staatsanwaltschaft mit
ihren jeweils auf die Verletzung sachlichen Rechts gestützten Revisionen.
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Während der Angeklagte das Urteil ohne nähere Ausführungen zur Sachrüge
allgemein zur Überprüfung durch das Revisionsgericht stellt, beanstandet die
Staatsanwaltschaft mit ihrem Rechtsmittel, dass das Landgericht den Angeklagten
nicht wegen versuchten Mordes verurteilt hat. Das - vom Generalbundesanwalt
vertretene - Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft hat Erfolg; dagegen
ist das Rechtsmittel des Angeklagten unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2
StPO.
I.
Opfer der dem Angeklagten angelasteten Tat sind seine Ehefrau Manuela
K. sowie deren Vater, Rainer L. . Nach den Feststellungen des Landgerichts
lernten sich der aus Albanien stammende Angeklagte und seine spätere, seinerzeit
17-jährige Ehefrau 1992 kennen. Sie heirateten Ende Mai 1994, nachdem
bereits knapp zwei Monate zuvor die gemeinsame Tochter geboren worden
war. Schon sehr bald belastete der Angeklagte die Beziehung durch sein
dominantes, bei Widerspruch seiner Ehefrau auch aggressiv wütendes Verhalten.
Als sie sich deshalb erstmals im November 1996 für kurze Zeit von ihm
trennte und zu ihren Eltern zog, drohte der Angeklagte, sie mit Gewalt zurückzuholen,
versprach aber auch, sein Verhalten zu ändern. Seine cholerischen
Ausbrüche setzten sich dennoch fort, so dass sich seine Ehefrau im Sommer
2001 endgültig von ihm trennte. Auslöser war eine Auseinandersetzung am 17.
September 2001, in deren Verlauf der Angeklagte seiner Ehefrau plötzlich und
unerwartet zweimal mit der Faust in das Gesicht schlug. Noch am selben Tage
verließ sie mit der Tochter die eheliche Wohnung und bezog kurze Zeit darauf
in einem anderen Ort eine eigene Wohnung. Der Angeklagte war nicht bereit,
die Trennung zu akzeptieren. Auch drohte er seiner Ehefrau an, ihr und ihren
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Eltern etwas anzutun und sich der gemeinsamen Tochter zu bemächtigen und
diese nach Albanien zu verbringen, sofern sie nicht zu ihm zurückkehren und
die von ihr wegen des Vorfalls vom 17. September 2001 erstattete Strafanzeige
zurücknehmen würde. Dazu war sie jedoch nicht bereit. Vielmehr sagte sie
trotz der von ihm ausgesprochenen Todesdrohungen am 13. März 2002 in dem
Strafverfahren wegen jenes Vorfalls beim Amtsgericht Leipzig gegen ihn aus,
worauf der Angeklagte an diesem Tage wegen Körperverletzung zu einer nicht
zur Bewährung ausgesetzten fünfmonatigen Freiheitsstrafe verurteilt wurde.
Am Morgen des nächsten Tages, dem 14. März 2002, fuhr der Angeklagte,
dem bekannt war, wann seine Ehefrau das Haus verlassen würde, auf
den Parkplatz hinter dem Haus, in dem sie wohnte, und wartete dort zwischen
Fahrzeugen auf sie. Als sie mit ihrem Vater, der sie zu ihrem Schutz begleitete,
den Parkplatz erreichte, trat der Angeklagte plötzlich hinter seinem Fahrzeug
hervor und sprach sie mit den Worten an: "Manu, was hast Du dir dabei gedacht!",
wobei er ihre ihn belastende Aussage vom Vortag beim Amtsgericht
Leipzig meinte. Zugleich zog er ein Messer hervor, stürzte sich auf seine Ehefrau
und stach ihr "in der Absicht, sich an seiner Ehefrau für deren Aussage
und die Trennung von seiner Tochter zu rächen“, mit Wucht in die linke Seite,
in den Oberbauch und in den Rücken. Ihr gelang es aber, den Angeklagten
abzuschütteln und zu hilfsbereiten Passanten zu flüchten. Darauf wandte sich
der Angeklagte nunmehr ausschließlich dem Vater seiner Ehefrau zu in der
Absicht, auch ihn zu töten, nachdem er ihn bereits zuvor verletzt hatte, als dieser
versuchte, ihm das Messer zu entwinden. Er versetzte dem Vater drei Stiche
in den Unterleib, ließ dann aber von ihm ab und verließ den Tatort. Beide
Opfer wurden durch die Stiche lebensgefährlich verletzt und hätten ohne die
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sofort eingeleiteten ärztlichen Rettungsbemühungen höchstwahrscheinlich
nicht überlebt.
Das Landgericht hat hinsichtlich der zum Nachteil des Vaters der Ehefrau
des Angeklagten begangenen Tat einen strafbefreienden Rücktritt vom
unbeendeten Versuch des Totschlags "nicht ausschließen" können und den
Angeklagten deshalb nur der gefährlichen Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 Nr. 2
und 5 StGB) für schuldig befunden. Soweit sich die Tat gegen die Ehefrau des
Angeklagten richtete, hat das Schwurgericht einen fehlgeschlagenen Versuch
des Totschlags (in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung) angenommen,
indes das Vorliegen der Mordmerkmale der Heimtücke und der niedrigen Beweggründe
verneint. Zu letzterem Merkmal hat das Schwurgericht ausgeführt,
zwar seien "die Tatmotive des Angeklagten ... grundsätzlich geeignet, die Annahme
eines niedrigen Beweggrundes zu rechtfertigen. ... Vorliegend (sei aber)
der konkrete Tatanlass von Gewicht. ... Sah sich der Angeklagte aufgrund
des von seiner Ehefrau betriebenen Scheidungsverfahrens einer Trennung von
seiner Tochter ausgesetzt, wurde dieser Zustand durch seine Verurteilung und
einen dadurch bedingten zukünftigen Haftantritt weiter vertieft. Hatte der Angeklagte
bis dahin noch versucht, Manuela K. zur Wiederaufnahme ihrer ehelichen
Beziehung zu bewegen, so mußte er mit deren belastender Aussage erkennen,
dass jede weiteren Versuche fruchtlos bleiben müssen".
II. Revision des Angeklagten
Die Überprüfung des Urteils aufgrund der allein erhobenen Sachrüge
hat weder zum Schuld- noch zum Strafausspruch einen den Angeklagten belastenden
Rechtsfehler ergeben.
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III. Revision der Staatsanwaltschaft
Die Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg. Zu Recht greift die Beschwerdeführerin
die Erwägungen, mit denen das Schwurgericht das Mordmerkmal
der niedrigen Beweggründe verneint hat, als rechtsfehlerhaft an. Nach
ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein Tötungsbeweggrund
niedrig, wenn er nach allgemeiner sittlicher Würdigung auf tiefster Stufe steht
und deshalb besonders verachtenswert ist. Ob dies der Fall ist, beurteilt sich
aufgrund einer Gesamtwürdigung, welche die Umstände der Tat, die Lebensverhältnisse
des Täters und seine Persönlichkeit einschließt (BGHSt 35, 116,
127; 47, 128, 130 m.w.N.). Das hat das Landgericht an sich auch nicht verkannt.
Seine Würdigung, mit der es im Ergebnis das Vorliegen niedriger Beweggründe
verneint hat, hält jedoch der rechtlichen Nachprüfung nicht stand,
weil sie den konkreten Umständen der Tat nicht hinreichend Rechnung trägt.
Das Schwurgericht hat sich rechtsfehlerfrei die Überzeugung verschafft,
dass der Angeklagte sich an seiner Ehefrau für deren ihn belastende Aussage
im Strafverfahren vor dem Amtsgericht Leipzig und die Trennung von seiner
Tochter rächen wollte. Zu Recht hat das Schwurgericht diesen Beweggrund
grundsätzlich als niedrig im Sinne des Mordtatbestandes gewertet. Weshalb
dieser Wertung dann aber im Ergebnis der "konkrete Tatanlass" entgegenstehen
soll, ist nicht nachvollziehbar dargelegt. Richtig ist allerdings, dass Gefühlsregungen
wie Rache nach der Rechtsprechung nur dann als niedrige Beweggründe
in Betracht kommen, wenn sie ihrerseits auf niedrigen Beweggründen
beruhen (vgl. BGHR StGB § 211 Abs. 2 niedrige Beweggründe 36 m.w.N.).
Auch beruht nicht jede Tötung, die geschieht, weil sich der Intimpartner vom
Täter abwenden will oder - wie hier - abgewandt hat, schon deshalb zwangs-
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läufig auf niedrigen Beweggründen; vielmehr können in einem solchen Fall tatauslösend
und tatbestimmend auch Gefühle der Enttäuschung und inneren
Ausweglosigkeit sein, die einer Wertung als niedrig entgegenstehen (BGHR
aaO niedrige Beweggründe 18, 32), und zwar auch dann, wenn der Täter den
Grund für die Trennung selbst herbeigeführt hat (BGH StV 2000, 20 f.; Senatsbeschluss
vom 21. Dezember 2000 - 4 StR 499/00). Solche Umstände, die der
Wertung als "niedrig" entgegenstehen könnten, hat das Schwurgericht aber
gerade nicht festgestellt.
Soweit das Landgericht darauf verweist, der Angeklagte habe "bis dahin
noch versucht, (seine Ehefrau) zur Wiederaufnahme ihrer ehelichen Beziehung
zu bewegen" (UA 39), erfasst dies die Beweggründe für die Tat nur unzureichend,
weil es dem Angeklagten dabei nach den Feststellungen nicht etwa
darum ging, seine Ehe zu retten. Vielmehr beabsichtigte der Angeklagte die
Tötung seiner Ehefrau in erster Linie wegen ihrer ihn belastenden Aussage
vom Vortage. Wer aber einen anderen aus Rache deshalb tötet oder zu töten
beabsichtigt, weil dieser ihn als Zeuge wahrheitsgemäß belastet, handelt nicht
weniger verwerflich als derjenige, der durch die Tötung seine eigene Straftat
verdecken will und deshalb ein mordqualifizierendes Merkmal verwirklicht (vgl.
BGH, Urt. vom 30. März 2004 - 4 StR 42/04, insoweit in NStZ 2004, 510 nicht
abgedruckt). Dies gilt zumal dann, wenn - wie hier - das Opfer des Tötungsdelikts,
das gegen den Täter ausgesagt hat, bereits Opfer der Tat war, die dem
Täter in dem früheren Strafverfahren zur Last gelegt wurde.
Auch der Umstand, dass sich der Angeklagte einer Trennung von seiner
Tochter ausgesetzt sah, relativiert nicht die Verwerflichkeit der Beweggründe
seines Handelns. Nach den Feststellungen spricht nichts dafür, dass der Angeklagte
etwa das Wohl seiner Tochter im Auge hatte. Vielmehr zeigt die zuvor
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klagte etwa das Wohl seiner Tochter im Auge hatte. Vielmehr zeigt die zuvor
wiederholt ausgesprochene Drohung, die Tochter nach Albanien zu entführen,
dass der Angeklagte das Kind lediglich als Druckmittel gegen seine Ehefrau
einsetzte.
Schließlich bieten die getroffenen Feststellungen auch keinerlei Anhaltspunkte
für die Annahme, der Angeklagte habe seine Tatantriebe nicht
gedanklich beherrschen oder gefühlsmäßig steuern können (vgl. BGHR aaO
niedrigere Beweggründe 26). Vielmehr hat der Angeklagte die Tat, die sich als
"Bestrafungsaktion" (vgl. BGHR aaO niedrigere Beweggründe 39) darstellt,
planmäßig vorbereitet und verwirklicht.
IV.
Der aufgezeigte Rechtsfehler führt zur Aufhebung des Urteils im Ganzen.
Zwar betrifft der Rechtsfehler unmittelbar nur den Schuldspruch wegen
versuchten Totschlags. Da aber das Schwurgericht die Tat, obwohl sie sich
gegen zwei Personen richtete, unter den hier gegebenen Umständen rechtsfehlerfrei
als eine Tat im Rechtssinne bewertet hat (vgl. BGH NStZ 1993, 234;
BGH, Beschlüsse vom 16. September 2004 - 3 StR 316/04, vom 13. Oktober
2004
- 3 StR 371/04 und vom 19. Oktober 2004 - 3 StR 221/04; Urteil vom 16. August
2005 - 4 StR 168/05), scheidet eine auf die Tat zum Nachteil der Ehefrau
beschränkte Teilaufhebung des angefochtenen Urteils aus (BGHR StPO § 353
Aufhebung 1). Über die Sache ist deshalb insgesamt neu zu verhandeln und zu
entscheiden.
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Für das weitere Verfahren weist der Senat vorsorglich auf folgendes hin:
Der neue Tatrichter wird in Bezug auf das Tötungsdelikt zum Nachteil
der Ehefrau auch die Voraussetzungen des Mordmerkmals der Heimtücke einer
näheren Prüfung, als sie das angefochtene Urteil ausweist, zu unterziehen
haben. Dass die Ehefrau allgemein mit einem tätlichen Angriff des Angeklagten
rechnete, schließt ihre Arglosigkeit in der - worauf es ankommt - konkreten
Tatsituation bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs noch
nicht aus (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 23. August 2000 - 3 StR 234/00 -,
vom 3. September 2002 - 5 StR 139/02 - und vom 20.01.2005 - 4 StR
491/04). Zudem kann das Opfer auch dann (noch) arglos sein, wenn der Täter
ihm zwar mit bereits gefasstem Tötungsvorsatz offen feindselig entgegentritt,
die Zeitspanne zwischen dem Erkennen der Gefahr und dem unmittelbaren
Angriff aber so kurz ist, dass keine Möglichkeit bleibt, dem Angriff irgendwie zu
begegnen (vgl. BGH NStZ 1999, 506; BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 3,
15). Hierzu wird der neue Tatrichter nähere Feststellungen zu treffen haben.
Soweit die Tat sich gegen den Vater der Ehefrau richtete, bedarf insbesondere
die Frage der Voraussetzungen für den vom Schwurgericht ohne nähere
Begründung für möglich erachteten strafbefreienden Rücktritt vom Versuch
des Tötungsdelikts (§ 24 Abs. 1 StGB) der näheren Prüfung. Die Annah-
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me eines unbeendeten Versuchs liegt angesichts der Wucht der von dem Angeklagten
geführten Stiche in den Unterleib und der Schwere der Verletzungen
des Opfers nicht eben nahe (vgl. BGHSt 40, 304).
Tepperwien Maatz Athing
Richterin am Bundesgerichtshof
Solin-Stojanovi ist wegen Urlaubs
gehindert zu unterschreiben.
Tepperwien Sost-Scheible



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