BGH,
Urt. v. 10.8.2005 - 1 StR 140/05
BGHSt: ja
Veröffentlichung: ja
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Art. 13 Abs. 1 GG; StPO § 100c, § 100d
Ein in einem Krankenzimmer mittels akustischer
Wohnraumüberwachung aufgezeichnetes
Selbstgespräch des Angeklagten ist zu dessen Lasten zu
Beweiszwecken
unverwertbar, soweit es dem durch Art. 13 Abs. 1 GG in Verbindung mit
Art. 1
Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG geschützten Kernbereich
zuzurechnen ist.
BGH, Urteil vom 10.08.2005 - 1 StR 140/05 - Landgericht
München II
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 140/05
vom
10.08.2005
in der Strafsache
gegen
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wegen Mordes u.a.
- 3 -
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 10.
August
2005, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
Dr. Boetticher,
Hebenstreit,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Elf,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwälte
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
- 4 -
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
München II vom 13. Dezember 2004 mit den Feststellungen
aufgehoben
a) im Schuldspruch, soweit der Angeklagte wegen Mordes
schuldig gesprochen worden ist,
b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung
und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels,
an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer
des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes in Tatmehrheit mit
Besitz einer halbautomatischen Selbstladekurzwaffe zu lebenslanger
Freiheitsstrafe
als Gesamtstrafe verurteilt. Gegen dieses Urteil wendet sich der
Angeklagte
mit Verfahrensrügen und der Sachrüge. Die Revision
hat hinsichtlich des
Mordes Erfolg mit einer Verfahrensrüge, die ein
Verwertungsverbot für die Erkenntnisse
aus einer akustischen Wohnraumüberwachung
(Selbstgespräch
- 5 -
des Angeklagten) geltend macht. Hinsichtlich der Verurteilung wegen des
Waffendelikts
ist die Revision unbegründet.
I.
1. Zu dem am 8. Oktober 1998 verübten Mord hat das Landgericht
folgende
Feststellungen getroffen:
Der Bruder des Angeklagten hatte im Jahre 1994 mit Erlaubnis des
Tatopfers,
des Landwirts F. M. , auf dessen Bauernhof in der Nähe des
Wohn- und Stallgebäudes eine Holzhütte errichtet, um
darin Kraftfahrzeuge zu
reparieren. Dort hatte in der Folgezeit der Angeklagte - ohne Erlaubnis
des
Landwirts - seine „Ranch“ für einen
dauerhaften Aufenthalt eingerichtet und
ausgebaut. Im Laufe der Zeit hatte er sich mehr und mehr
„breit gemacht“. Das
missfiel dem Landwirt. Sein Vorhaben, den Angeklagten vom Hof zu weisen,
brachte er diesem gegenüber aber erst wenige Tage vor der Tat
unmissverständlich
zum Ausdruck. Darauf reagierte der Angeklagte mit Wut und Hass; er
drohte dem Landwirt erregt mit einem Holzknüppel und rief
dabei: „Dich erschlag
ich noch!“. Am 8. Oktober betrat der Angeklagte nach
Mitternacht das
Wohnzimmer, in dem der Landwirt schlief, und erschlug diesen mit einem
massiven
kantigen Werkzeug. Die Tatwaffe wurde nicht gefunden.
Die zunächst ergebnislos eingestellten Ermittlungen wurden im
Jahre
2003 wieder aufgenommen. Der Angeklagte hatte im Januar 2003 einen
Arbeitsunfall
erlitten. Anlässlich der Bearbeitung des Arbeitsunfalls fand
die Kriminalpolizei
im Wohnhaus des Angeklagten einen Schlagstock, der nach der
Befragung des Obduzenten als Tatwaffe in Betracht kommen konnte. Im Zuge
dieser Ermittlungen erfolgte auch die akustische
Wohnraumüberwachung.
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2. Der Angeklagte hat in der Hauptverhandlung geschwiegen und durch
Verteidigererklärung die Tat bestritten. Das Landgericht hat
sich aufgrund einer
Gesamtschau mehrerer Belastungsindizien von der Täterschaft
des Angeklagten
überzeugt. Insbesondere habe der Angeklagte ein Motiv gehabt,
Gewaltbereitschaft
sei ihm auch nicht wesensfremd und nach der Tat habe er
gegenüber
der Polizei Täterwissen offenbart. Die Überzeugung
des Landgerichts beruht
aber auch auf dem Ergebnis der in der Hauptverhandlung vorgespielten
Aufzeichnung
der akustischen Wohnraumüberwachung. Daraus ergebe sich, dass
der Angeklagte sich im Zuge der Wiederaufnahme der Ermittlungen
„mit einer
alternativen Tötungsart des F. M. gedanklich
befasst“ habe.
II.
Die Verfahrensrüge, mit der geltend gemacht wird, die
Erkenntnisse der
akustischen Wohnraumüberwachung hätten nicht
verwertet werden dürfen, hat
Erfolg.
1. Ihr liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:
a) Anlässlich der Wiederaufnahme der Ermittlungen wurde neben
einer
Telekommunikationsüberwachung auch eine auf § 100c
Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2,
§ 100d StPO (in der damals geltenden Fassung)
gestützte Abhörung und Aufzeichnung
des nichtöffentlich gesprochenen Wortes in Wohnungen
richterlich
gestattet. Zielobjekt der Abhörmaßnahmen war das
Einzelzimmer des Angeklagten
in einer Rehabilitationsklinik, wo er sich zur Behandlung der Folgen
des Arbeitsunfalls aufhielt. In seinem Einzelzimmer schlief der
Angeklagte und
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er hielt sich darin auf, wenn er nicht an Anwendungen, wie z. B.
Massagen etc.
teilnehmen musste. Die auf vier Wochen befristete Überwachung
begann am
27. November 2003; am 17. Dezember 2003 erfolgte die Festnahme des
Angeklagten
im Klinikzimmer.
b) Am fünften Hauptverhandlungstag wurde die Beweisaufnahme
geschlossen
und der Staatsanwalt stellte den Antrag, den Angeklagten wegen
Mordes zu verurteilen. Der Instanzverteidiger des Angeklagten
beantragte, den
Angeklagten freizusprechen und beantragte im Wege des
Hilfsbeweisantrages
das Abhören der im Rahmen der akustischen
Raumüberwachung am
17. Dezember 2003 zwischen 14:15 Uhr und 15:00 Uhr (Zeitpunkt der
Festnahme)
aufgezeichneten „Geräusche und
Gespräche“. Ziel dieses Antrags war,
behauptete verbotene Vernehmungsmethoden der Polizei
anlässlich der Festnahme
und der daran anschließenden Beschuldigtenvernehmung des
Angeklagten
zu belegen. Hierbei handelte es sich der Sache nach um einen Freibeweis.
Nach erneutem Eintritt in die Beweisaufnahme wurden am achten
Verhandlungstag
auf Verfügung des Vorsitzenden Aufzeichnungen der
Telekommunikation
und der Raumgespräche - nicht nur zu dem beantragten kurzen
Zeitraum, sondern Aufzeichnungen von mehreren Tagen - vorgespielt. Dem
widersprach der Verteidiger nicht. Die Verschriftung der in der
Hauptverhandlung
abgespielten Raumgesprächsaufzeichnung gibt über
mehrere Tage hinweg
aufgezeichnete Geräusche wie „pinkeln“,
„Spülung“, „pupsen“,
„husten“,
„schnarchen“ sowie Selbstgespräche des
Angeklagten minuziös wieder.
- 8 -
c) Mit dem am 8. Dezember 2003 aufgezeichneten Selbstgespräch
des
Angeklagten, welches vom Landgericht - strengbeweislich - als
Belastungsindiz
gewertet wurde, hat es folgende Bewandtnis:
Gegen 22:35 Uhr rief eine Arbeitskollegin den Angeklagten in dessen
Krankenzimmer an; dieses Telefongespräch wurde ebenfalls
aufgezeichnet.
Die Arbeitskollegin berichtete, sie sei von der Kriminalpolizei
über den Angeklagten,
insbesondere über sein aggressives Verhalten befragt worden.
Die
Polizei habe sie auch befragt, ob er seine Hasen selbst geschlachtet
habe und
ob er Rechts- oder Linkshänder sei. Im Anschluss an dieses
Telefongespräch
führte der Angeklagte in seinem Krankenzimmer ein erregtes
Selbstgespräch.
Dabei rief er aus: „Sehr aggressiv, sehr aggressiv, sehr
aggressiv! In Kopf hätt
i eam schießen sollen, in Kopf hätt i eam
schießen sollen, selber umgebracht
… in Kopf hätt i eam schießen
sollen.“
Das Landgericht zog aus diesem Selbstgespräch - das Gegenstand
der
Verfahrensrüge ist - den Schluss, der Angeklagte habe sich
Gedanken darüber
gemacht, dass er durch das Erschlagen des F. M. den Verdacht auf
sich gelenkt habe. Es sei keine andere Erklärung ersichtlich,
weshalb er in diesem
Moment die Erwägung angestellt habe, ob es nicht besser
gewesen wäre,
„ihn in den Kopf zu schießen“. Nach
Überzeugung des Landgerichts habe sich
diese Äußerung auf F. M. bezogen. Eine andere
Person, gegen die sich
in diesem Moment nach dem Telefongespräch mit seiner
Arbeitskollegin seine
darin zum Ausdruck kommende Wut habe richten können, sei nicht
ersichtlich.
2. Der Senat kann offen lassen, ob der Beschluss, mit dem die akustische
Wohnraumüberwachung angeordnet wurde, inhaltlich den
Anforderungen
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des Grundrechts aus Art. 13 GG genügt (vgl. BVerfGE 109, 279,
360). Er kann
auch offen lassen, ob die Maßnahme im Hinblick auf die
Erhebung absolut geschützter
Informationen wenigstens zu unterbrechen war (vgl. BVerfGE 109,
279, 318). Denn nach § 100c Abs. 5 Satz 3 StPO (in der jetzt
geltenden Fassung
auf Grund des Gesetzes vom 24.06.2005, BGBl I S. 1841) durfte das
Landgericht das Selbstgespräch nicht - wie geschehen - zu
Beweiszwecken
verwerten.
Das hier geführte Selbstgespräch ist nämlich
dem durch Art. 13 Abs. 1
GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 1 GG
geschützten unantastbaren
Kernbereich privater Lebensgestaltung zuzurechnen (§ 100c
Abs. 4 StPO). Erkenntnisse über solche
Äußerungen unterliegen einem „absoluten
Verwertungsverbot“ und dürfen auch im
Hauptsacheverfahren nicht verwertet
werden (BVerfGE 109, 279, 331). Selbst überwiegende Interessen
der
Allgemeinheit - hier die Aufklärung eines Mordes -
können, so das Bundesverfassungsgericht,
einen Eingriff in diesen absolut geschützten Kernbereich
privater
Lebensgestaltung nicht rechtfertigen (BVerfGE 109, 279, 313, 314). Das
Selbstgespräch des Angeklagten in dem Krankenzimmer ist diesem
- durch
Art. 13 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG
geschützten
- Kernbereich zuzurechnen. Maßgebend dafür ist eine
Kumulation
mehrerer Umstände. Es handelte sich um ein aufgrund einer
staatlichen Überwachungsmaßnahme
aufgezeichnetes Selbstgespräch. Dieses Selbstgespräch
hatte der Angeklagte in einem hier von Art. 13 GG geschützten
Wohnraum geführt.
Der Inhalt des Selbstgespräches war in Bezug auf den
Tatvorwurf interpretationsbedürftig.
Dass das hier geführte Selbstgespräch dem Kernbereich
privater Lebensgestaltung zuzurechnen ist, ergibt sich aus Folgendem:
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a) Schon wegen der Art des Raumes, in dem das Selbstgespräch
geführt
wurde, besteht eine Vermutung, dass der Kernbereich tangiert sein kann.
Das vom Angeklagten genutzte Krankenzimmer in einer
Rehabilitationsklinik
unterfällt dem Schutzbereich des Art. 13 Abs. 1 GG, weil ihm -
wie einer Privatwohnung
- typischerweise die Funktion als Rückzugsbereich der privaten
Lebensgestaltung zukommt.
aa) Der Begriff der Wohnung im Sinne von Art. 13 GG ist nach der
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfGE 32, 54, 69
ff.)
nicht im engen Sinne der Umgangssprache zu verstehen, vielmehr ist er
weit
auszulegen (vgl. BGHSt 42, 372, 375 f.). Er umfasst zur
Gewährleistung einer
räumlichen Sphäre, in der sich das Privatleben
ungestört entfalten kann, alle
Räume, die der allgemeinen Zugänglichkeit durch eine
Abschottung entzogen
und zur Stätte privaten Wirkens gemacht sind (BTDrucks.
15/4533 S. 11;
BVerfGE 89, 1, 12; Papier in Maunz/Dürig/Herzog, GG Art. 13
Rdn. 10 f.; Herdegen
in Bonner Kommentar, GG Art. 13 Rdn. 26; Kunig in von Münch
GGKommentar
Bd. I Art. 13 Rdn. 10; AK-GG Berkemann, 3. Aufl. Art. 13
Rdn. 51 ff.). Maßgeblich ist dabei die nach außen
erkennbare Willensbetätigung
desjenigen, der einem Raum kraft „Widmung“ den
Schutz der Privatheit
verschafft (Hermes in Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 1, 2.
Aufl.
Art. 13 Rdn. 17).
bb) In der verfassungsrechtlichen Literatur besteht Einigkeit
darüber,
dass der Schutzbereich des Art. 13 GG über den
alltagssprachlichen Wohnungsbegriff
(Haupt- einschließlich Nebenwohnräume) hinaus auch
andere
Räume schützt, soweit sie als Räume der
Freizeit, Räume der Mobilität, kultusbezogene
oder der sozialen Beratung zuzuordnen sind und die Privatheit der
- 11 -
Lebensgestaltung ermöglichen, denn deren Schutz soll durch
diese Vorschrift
umfassend gewährleistet werden (vgl. die Aufstellung bei
Berkemann in AK-GG
aaO Rdn. 41; Papier in Maunz/Dürig/Herzog aaO Rdn. 10 f.).
Dazu zählen etwa
Gartenhäuser, Hotelzimmer, Wohnwagen, Wohnmobile, bewohnbare
Schiffe,
Zelte, Schlafwagenabteile, nicht allgemein zugängliche
Geschäfts- und Büroräume
oder ein nicht allgemein zugängliches Vereinsbüro.
Demgegenüber
werden z. B. Unterkunftsräume eines Soldaten oder
Polizeibeamten, Personenkraftwagen
(vgl. BGH - Ermittlungsrichter - NStZ 1998, 157) oder Hafträume
in einer Justizvollzugsanstalt (vgl. BVerfG NJW 1996, 2643; BGHSt 44,
138) nicht als Wohnung im Sinne des Art. 13 GG angesehen.
cc) Nach diesem Maßstab fallen auch Krankenzimmer unter den
Schutzbereich des Art. 13 GG, selbst wenn diese Räumlichkeiten
nur zu bestimmten
Zwecken der Unterbringung und nur vorübergehend
überlassen werden
(entgegen Kunig in von Münch GG-Kommentar aaO Rdn. 15 und
Cassardt
in GG, Umbach/Clemens [Hrsg.], GG-Mitarbeiterkommentar, Bd. 1 Art. 13
Rdn. 33 jeweils unter Hinweis auf LSG Schleswig-Holstein, NJW 1987,
2958).
Zwar mag bei Krankenzimmern wie bei Geschäftsräumen
nicht der volle Schutz
des Art. 13 GG zugunsten der Wahrung der räumlichen
Privatsphäre gelten
wie bei der Wohnung im engeren Sinne, weil den
Krankenhausärzten und dem
übrigen Krankenhauspersonal aufgrund ihres Heil- und
Betreuungsauftrages
Betretungs-, Überwachungs- und Kontrollbefugnisse zustehen.
Diese Rechte
heben jedoch den Privatcharakter des Krankenzimmers nicht auf (vgl.
für Geschäfts-
und Betriebsräume Papier in Maunz/Dürig/Herzog aaO
Rdn. 14). Ob
etwas anderes gelten könnte, wenn der Patient sich nicht - wie
hier - aus einem
eigenen Rehabilitationsinteresse in einer Klinik aufhält,
sondern auch außerhalb
der Anwendungen regelmäßig einer durch medizinische
Notwendigkeit
oder durch Sicherheitsinteressen begründeten dauerhaften
Überwachung be-
12 -
darf, mag dahin stehen. Um eine solche Unterbringung handelt es sich
vorliegend
nicht.
Für die Menschenwürderelevanz der
überwachten Äußerungen spricht
auch, dass grundsätzlich nur Personen des besonderen von
§ 53 Abs. 1 Satz 1
Nr. 3, § 53a StPO geschützten Vertrauens Zutritt
hatten. Von daher war insbesondere
eine Kommunikation mit Berufsgeheimnisträgern zu erwarten.
b) Auch Art und Inhalt der Äußerung des Angeklagten
sprechen für den
absolut geschützten Kernbereich. Allerdings enthielt das
Selbstgespräch
- nach der durchaus vertretbaren Ansicht des Landgerichts - Angaben
über
den Tatvorwurf. „Gespräche“, die Angaben
über eine konkret begangene Straftat
enthalten (Sozialbezug), gehören ihrem Inhalt nach nicht zum
unantastbaren
Kernbereich privater Lebensgestaltung (BVerfGE 109, 279, 319). Auch
nach § 100c Abs. 4 Satz 3 StPO sind sie dem Kernbereich
grundsätzlich nicht
zuzurechnen.
Hier besteht jedoch die Besonderheit, dass der Angeklagte nicht mit
anderen
kommuniziert, sondern ein Selbstgespräch geführt hat.
Das Bundesverfassungsgericht
stellt in seinem Urteil vom 3. März 2004 bei der Frage eines
derartigen Sozialbezuges primär auf die Kommunikation mit
anderen Personen,
das „Zwiegespräch“, ab (BVerfGE 109, 279,
319, 321).
Das Urteil vom 3. März 2004 nimmt Bezug auf die
Tagebuchentscheidung
des Bundesverfassungsgerichts vom 14. September 1989 (BVerfGE 80,
367). Wegen Stimmengleichheit ließ sich dort nicht
feststellen, dass die Verwertung
tagebuchähnlicher Aufzeichnungen des Angeklagten zu Beweiszwe-
13 -
cken gegen das Grundgesetz verstieß. Maßgeblich
für die Verneinung des Verfassungsverstoßes
durch vier Richter war, dass der Angeklagte seine Gedanken
schriftlich niedergelegt hatte. Damit habe er sie aus dem von ihm
beherrschbaren
Innenbereich entlassen und der Gefahr eines Zugriffs preisgegeben
(BVerfGE 80, 367, 376). Die vier anderen Richter waren hingegen der
Ansicht,
dass die tagebuchähnlichen Aufzeichnungen
ausschließlich höchstpersönlichen
Charakter - wie ein Selbstgespräch - hatten. Die
Auseinandersetzung
des Angeklagten mit dem eigenen Ich habe ihren
höchstpersönlichen
Charakter nicht deshalb verloren, weil sie dem Papier anvertraut worden
sei.
Trotz des in dem Beschluss vom 14. September 1989 bestehen gebliebenen
Dissenses über die strafprozessuale Verwertung von
tagebuchähnlichen
Aufzeichnungen gehört das Selbstgespräch selbst nach
den Maßstäben der
die Entscheidung des Zweiten Senats tragenden vier Richter
grundsätzlich zum
absoluten Kernbereich privater Lebensgestaltung. Unzweifelhaft will der
Betroffene
in einem Selbstgespräch einen Lebenssachverhalt geheim halten.
Daran
ändert auch nichts, dass diesem „im nachhinein und
von außen her eine Beziehung
zu Allgemeinbelangen herangetragen werden [würde], die [ihm]
ursprünglich,
also aus sich heraus, nicht eigen war“ (so die vier
unterlegenen
Richter zu den tagebuchähnlichen Aufzeichnungen, BVerfGE 80,
367, 382).
Das Gespräch mit sich selbst ist gekennzeichnet durch
unwillkürlich auftretende
Bewusstseinsinhalte und hat persönliche Erwartungen,
Befürchtungen, Bewertungen,
Selbstanweisungen sowie seelischkörperliche Gefühle
und Befindlichkeiten
zum Inhalt (Wenninger [Hrsg.], Lexikon der Psychologie, Stichwort
„Selbstkommunikation“, Band 4, S. 133). Das
Selbstgespräch hat somit ausschließlich
höchstpersönlichen Charakter und berührt aus
sich heraus nicht die
Sphäre anderer oder der Gemeinschaft.
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c) Die Anwendung dieser Grundsätze der verfassungsgerichtlichen
Rechtsprechung auf die vorliegende Fallgestaltung muss dazu
führen, dass ein
Selbstgespräch der vorliegenden Art - weil es in keiner Form
verdinglicht und
der Gefahr eines Zugriffs preisgegeben war - dem unantastbaren
Kernbereich
zuzurechnen ist.
Dies ergibt sich auch aus der in Umsetzung des Urteils des
Bundesverfassungsgerichts
vom 3. März 2004 erfolgten Novellierung in § 100c
Abs. 4
Satz 3 StPO. Diese Bestimmung differenziert zwischen
„Gesprächen“ über begangene
Straftaten und „Äußerungen“,
mittels derer Straftaten begangen werden.
Daraus folgt im Gegenschluss, dass
„Gespräch“ nur solche
Äußerungen
- wenigstens im „Zwiegespräch“ - meint,
die dazu bestimmt sind, von anderen
zur Kenntnis genommen zu werden. Die Gesetzesbegründung
(BT-Drucks.
15/4533, S. 14) macht das deutlich: „Sofern man dabei den
Gedanken des Sozialbezugs
entsprechender Äußerungen zugrunde legt
…, werden in der Regel
auch Äußerungen eines Beschuldigten, die dieser
tätigt, wenn er sich alleine in
der überwachten Wohnung aufhält, oder
Äußerungen, die nicht dazu bestimmt
sind, von anderen zur Kenntnis genommen zu werden, wie etwa unbewusst
artikulierte Äußerungen, dem absolut
geschützten Kernbereich unterfallen.“
d) Der Senat braucht hier nicht zu entscheiden, ob
Selbstgespräche, die
sich unmittelbar auf eine konkrete Straftat beziehen, schlechthin
(„absolut“, vgl.
BVerfGE 109, 279, 332) unverwertbar sind. So mag etwa eine Verwertung
ausschließlich
zum Zwecke der Gefahrenabwehr in Betracht kommen, wenn das
Selbstgespräch eines Kindesentführers Aufschluss
darüber ergibt, wo das Kind
gefangen gehalten wird. Auch kann es Fallgestaltungen geben, in denen
das
- 15 -
Selbstgespräch eindeutig entlastenden Inhalt hat (vgl. BVerfGE
109, 279, 369
ff.), weshalb auch der Angeklagte ein Interesse an der Verwertung haben
kann.
3. Der Umstand, dass das Vorspielen der Aufzeichnungen auf Initiative
des Angeklagten erfolgte, führt hier nicht zum Wegfall des
Verwertungsverbots.
a) Der Antrag des Angeklagten auf Abspielen der Aufzeichnungen hatte
nur den engen Zeitraum der Festnahme am 17. Dezember 2003 zum
Gegenstand.
Begehrt war auch nur die freibeweisliche Klärung der
Behauptung von
verbotenen Vernehmungsmethoden. Vorgespielt hat das Landgericht indes
auch die Aufzeichnung des Selbstgesprächs vom 8. Dezember
2003. Dieses
Selbstgespräch hat es dann aber auch zum Schuldnachweis -
strengbeweislich
- verwertet.
b) Der Senat hat erwogen, ob der Angeklagte über die
Verwertung disponieren
kann, etwa in Form der Widerspruchslösung. Es ist
nämlich nicht
ausgeschlossen, dass die bei der akustischen
Wohnraumüberwachung angefallenen
Informationen auch Entlastendes enthalten (vgl. BVerfGE 109, 279,
369 ff.).
So könnte das Selbstgespräch auch ein gewichtiges
Entlastungsindiz
sein („ich bin unschuldig, aber niemand glaubt
mir“) oder jedenfalls den
Schuldumfang reduzieren (Nachweis der Voraussetzungen des §
213 1. Alt.
StGB oder eines Affekts). Dem Angeklagten „zum Schutze seiner
Menschenwürde“
zu verbieten, diese Information zum Inbegriff der Hauptverhandlung
(§ 261 StPO) zu machen und damit jeder richterlichen
Würdigung - auch bei
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der Anwendung des Zweifelssatzes - zu entziehen, erscheint schwerlich
vorstellbar.
Diese Fragen stellen sich - mit erheblicher praktischer Relevanz - auch
bei dem eventuell gebotenen Abbruch der Überwachung oder bei
der Löschung
der Aufzeichnungen. Die Entscheidung, ob die Erkenntnisse belastend
oder entlastend sind, wird zu diesem Zeitpunkt nicht stets
zuverlässig getroffen
werden können. Werden - um dem Angeklagten den
möglichen Entlastungsbeweis
zu erhalten - die Überwachung nicht abgebrochen oder die
Aufzeichnungen
nicht sogleich gelöscht, dann führt dies
zwangsläufig zur Frage der
Disponibilität zugunsten des Angeklagten mit der weiteren
Frage, ob der Angeklagte
nur eine selektive Verwertung („Rosinentheorie“)
verlangen kann.
c) Eines Widerspruchs bedurfte es hier jedoch nicht. Selbst wenn der
Angeklagte mit der Möglichkeit rechnen musste, dass die
vorgespielten Aufzeichnungen
insgesamt auch strengbeweislich verwertet würden, so war
für ihn
jedoch nicht ohne weiteres erkennbar, dass sich die Aufzeichnungen zu
seinen
Lasten auswirken würden.
Die dem Verteidiger infolge Akteneinsicht bekannten
Gesprächsaufzeichnungen
sind ach in der Anklageschrift nicht als klar belastende Beweismittel
eingestuft. Im wesentlichen Ermittlungsergebnis ist
ausgeführt, dass die
Ergebnisse der Telekommunikationsüberwachung keine Hinweise
zum Tatgeschehen
erbracht haben. Die akustische Raumüberwachung habe ergeben,
dass der Angeklagte mit anderen Personen keine relevanten
Gespräche geführt
habe. Die aufgezeichneten Selbstgespräche des Angeklagten
zeigten
innere Anspannung und Wut und hatten generell Gewalt gegen andere Perso-
17 -
nen zum Gegenstand "Offensichtlich in Bezug zu den Ermittlungen"
stünde
zwar das Selbstgespräch des Angeklagten nach einem Telefonat
mit einer Arbeitskollegin.
Aber auch dieser Bewertung musste der Verteidiger nicht entnehmen,
dass der Bezug zu den Ermittlungen auch als Belastungsindiz
für die
Täterschaft gewertet würde.
Hinzu kommt, dass der Angeklagte in der Hauptverhandlung von seinem
Schweigerecht Gebrauch gemacht hat und durch seinen Verteidiger die Tat
bestreiten ließ. Damit ist offensichtlich, dass der
Angeklagte mit einer strengbeweislichen
Verwertung zu seinen Lasten nicht einverstanden war. Jedenfalls
bei einer solchen Fallgestaltung bedurfte es keines
ausdrücklichen Widerspruchs
des Angeklagten gegen die Verwertung.
4. Die Verurteilung wegen Mordes beruht - ausweislich der
revisionsrechtlich
allein maßgeblichen Urteilsgründe - auf der
Verwertung des aufgezeichneten
Selbstgesprächs des Angeklagten. Das Landgericht hat die
Äußerungen
des Angeklagten sowohl als gleichberechtigtes Einzelindiz in die
Beweiswürdigung
eingestellt, als dieses auch bei der Gesamtwürdigung noch
einmal zur Bildung einer Überzeugung von der
Täterschaft des Angeklagten
herangezogen.
Ob eine Verurteilung des Angeklagten ohne Verwertung des aufgezeichneten
Selbstgesprächs aufgrund der übrigen Beweisanzeichen
möglich
ist, muss dem neuen Tatrichter vorbehalten bleiben.
Nack Wahl Boetticher
Herr RiBGH Hebenstreit befindet Elf
- 18 -
sich in Urlaub und ist deshalb an
der Unterschrift verhindert.
Nack |