BGH,
Urt. v. 10.12.2009 - 4 StR 435/09
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
4 StR 435/09
vom
10. Dezember 2009
in dem Sicherungsverfahren
gegen
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Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 10.
Dezember 2009, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Tepperwien,
Richter am Bundesgerichtshof Maatz,
Richterin am Bundesgerichtshof Solin-Stojanović,
Richter am Bundesgerichtshof Dr. Franke,
Dr. Mutzbauer als beisitzende Richter,
Richter am Amtsgericht als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
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Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des
Landgerichts Kaiserslautern vom 10. Juni 2009 mit den Feststellungen
aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer
des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Antrag der Staatsanwaltschaft auf Unterbringung
der Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus abgelehnt.
Hiergegen wendet sich die auf die Sachrüge gestützte
Revision der Staatsanwaltschaft, die vom Generalbundesanwalt vertreten
wird. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
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1. Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen entfachte die
Beschuldigte, die schon tagelang Selbstmordgedanken gehegt und sogar
einen entsprechenden Versuch unternommen hatte, unter Verwendung von
Brennspiritus ein Feuer im Dachgeschoss des unter anderem von ihr und
ihrem Ehemann bewohnten Mehrfamilienhauses, um sich durch Einatmen von
Rauchgasen zu töten. Beim Anblick des Feuers erschrak sie
jedoch und verließ fluchtartig den Dachboden; auch ihr
anschließender Versuch, sich vor einen Zug zu werfen,
scheiterte, weil der Triebwagenführer rechtzeitig eine
Schnellbremsung einleitete. Da das Feuer frühzeitig entdeckt
wurde, konnten die anwesenden
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Hausbewohner das Gebäude unverletzt verlassen. Der entstandene
Sachschaden beträgt etwa 60.000 €.
Die Strafkammer ist - sachverständig beraten -
rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass die Beschuldigte bei Begehung
der Tat wegen einer schweren krankhaften seelischen Störung
nicht einsichtsfähig gewesen war. Die Beschuldigte leide seit
mehr als 30 Jahren an einer affektiven Störung im Sinne einer
schweren depressiven Episode mit psychotischen Symptomen (ICD 10: F
32.3). Obwohl sie seit dem Jahre 1993 medikamentös behandelt
werde, habe sich ihr Zustand fortlaufend verschlechtert. Zudem seien
seit 2006 grenzwertige psychotische Symptome in Form von
Beziehungsideen aufgetreten, die auf ihre jeweiligen Nachbarn gerichtet
seien. Zwischen Dezember 2006 und Dezember 2007 habe ihre
Suizidalität drei stationäre Aufenthalte in einer
psychiatrischen Klinik erforderlich gemacht.
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2. Die Voraussetzungen für eine Unterbringung der
Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63
StGB hat das Landgericht mit folgender Begründung verneint:
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Zwar dauere die schwere krankhafte seelische Störung fort.
Entgegen der Auffassung der gehörten Sachverständigen
Dr. S. ergebe die Gesamtwürdigung der Person der Beschuldigten
und der Anlasstat jedoch nicht, dass von ihr infolge ihres Zustands
weitere erhebliche Straftaten zu erwarten seien und sie deshalb
für die Allgemeinheit gefährlich sei. Das folge schon
daraus, dass die Beschuldigte, obwohl sie seit vielen Jahren an der
depressiven Störung leide, bisher weder strafrechtlich in
Erscheinung getreten sei noch fremd-aggressives Verhalten gezeigt habe.
Außerdem sei die Fremdgefährdung bei der Anlasstat
nur "bei Gelegenheit" einer beabsichtigten Selbsttötung der Be-
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schuldigten erfolgt und stünde nicht in Bezug zu der
wahnhaften Symptomatik in Form von "grenzwertigen" Beziehungsideen.
3. Die Ablehnung der Unterbringung begegnet durchgreifenden rechtlichen
Bedenken.
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a) Der Tatrichter ist zwar nicht gehindert, von dem Gutachten eines
vernommenen Sachverständigen abzuweichen, da dieses stets nur
Grundlage der richterlichen Überzeugungsbildung sein kann
(BGH, Urteil vom 16. Dezember 1992 - 2 StR 440/92, BGHR StPO §
261 Sachverständiger 5). Will er aber eine Frage, für
deren Beantwortung er sachverständige Hilfe in Anspruch
genommen hat, im Widerspruch zu dem Gutachten beantworten, muss er die
Gründe hierfür in einer Weise darlegen, die dem
Revisionsgericht die Nachprüfung erlaubt, ob er das Gutachten
zutreffend gewürdigt und aus ihm rechtlich zulässige
Schlüsse gezogen hat. Hierzu bedarf es einer
erschöpfenden Auseinandersetzung mit den Darlegungen des
Sachverständigen, insbesondere zu den Gesichtspunkten, auf
welche das Gericht seine abweichende Auffassung stützt (vgl.
BGH aaO; BGH, Beschluss vom 25. April 2006 - 1 StR 579/05 = NStZ-RR
2006, 242, 243; Beschluss vom 13. September 2001 - 3 StR 333/01
m.w.N.). Dies lässt die angefochtene Entscheidung vermissen.
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Soweit das Landgericht entgegen dem Sachverständigengutachten
eine qualifizierte Steigerung der affektiven Störung in den
letzten beiden Jahren vor der Anlasstat verneint und dabei darauf
abstellt, dass die Vorstellung der Beschuldigten, einem
"Nachbarschaftsterror" ausgesetzt zu sein, zeitlich und
örtlich auf eine frühere Wohnsituation
beschränkt sei, lässt es außer Acht, dass
die Beschuldigte auch in ihrer neuen Mietwohnung die
unbegründete und über-
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triebene Sorge hegte, ihre Vermieter wollten sie wegen ihrer Krankheit
"loswerden" und die Nachbarn würden hinter ihrem
Rücken schlecht über sie reden.
b) Schon im Ansatz fehl geht die weitere Überlegung der
Strafkammer, wonach gegen eine qualifizierte Steigerung der affektiven
Störung spreche, dass die Beschuldigte auf den "akustischen
Nachbarschaftsterror" nicht mit fremdaggressivem Verhalten reagiert
habe. Nach den Ausführungen der Sachverständigen zum
Krankheitsbild ist dieses zwar nicht durch Fremdaggression, sondern
durch ausgeprägte Suizidalität gekennzeichnet. Da die
Beschuldigte bei ihren Selbsttötungsbestrebungen aber, wie die
Sachverständige ausgeführt hat, mögliche
Folgen für Dritte ausblendet, entsteht aus einer
erhöhten Suizidalität auch eine erhöhte
Gefahr für die Allgemeinheit.
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4. Wegen des aufgezeigten Rechtsfehlers unterliegt das Urteil insgesamt
der Aufhebung. Die Möglichkeit, die Beschuldigte belastende,
für sich genommen rechtsfehlerfrei getroffene Feststellungen
zum äußeren Tathergang teilweise aufrecht zu
erhalten, scheidet aus, da die Beschuldigte das Urteil insoweit nicht
hätte anfechten können (vgl. BGH, Urteil vom 23.
Februar 2000 - 3 StR 595/99, NStZ-RR 2000, 300 m.w.N.).
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Sollte der neue Tatrichter eine fortdauernde Gefährlichkeit
der Beschuldigten feststellen, wird er zu prüfen haben, ob die
von der Beschuldigten ausgehende Gefahr für die Allgemeinheit
durch eine konsequente medizinische Behandlung, für deren
Durchführung bereits ein Betreuer bestellt ist, abgewendet
werden kann. In diesem Fall würde es, worauf auch die
Revisionsführerin hingewiesen hat, nahe liegen, die
Vollstreckung der Unterbringung gemäß § 67
b StGB zur Bewährung auszusetzen (vgl. BGH aaO; BGH, Urteil
vom 20. Februar 2008 - 5 StR 575/07, jeweils m.w.N.).
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Tepperwien Maatz Solin-Stojanović
Franke Mutzbauer |