BGH,
Urt. v. 10.2.2000 - 4 StR 616/99
§§ 52, 252 StPO
Macht der Zeuge in der Hauptverhandlung von seinem
Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch, dürfen Angaben, die er
zuvor bei einer "Vernehmung" durch den Verteidiger gemacht hat, nicht
verwertet werden.
BGH, Urteil vom 10. Februar 2000 - 4 StR 616/99 - LG Dortmund
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
4 StR 616/99
vom
10. Februar 2000
in der Strafsache gegen
wegen schwerer räuberischer Erpressung
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 10.
Februar 2000, an der teilgenommen haben: Vorsitzender Richter am
Bundesgerichtshof Prof. Dr. Meyer-Goßner, die Richter am
Bundesgerichtshof Maatz, Dr. Kuckein, Athing, die Richterin am
Bundesgerichtshof Solin-Stojanovic, Bundesanwalt als Vertreter der
Bundesanwaltschaft, Rechtsanwalt als Verteidiger, Justizangestellte als
Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle, für Recht erkannt:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Dortmund
vom 24. August 1999 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu
tragen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer
räuberischer Erpressung zu einer Freiheitsstrafe von
fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Mit seiner Revision
rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen
Rechts. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
Die Nachprüfung des Urteils auf Grund der
Revisionsrechtfertigung hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des
Angeklagten ergeben. Der Erörterung bedarf nur die
Aufklärungsrüge (§ 244 Abs. 2 StPO), mit der
die Revision geltend macht, das Landgericht hätte, da die
Verlobte des Angeklagten, S. , in der Hauptverhandlung
gemäß § 52 StPO das Zeugnis verweigert
hatte, deren "ausführliche Einlassung" in das Verfahren
einführen müssen, die sie in der Kanzlei des
Verteidigers des Angeklagten gegenüber dem Verteidiger und
dessen Ehefrau abgegeben habe ("Protokoll vom 04.06.1999 in Sachen B.
").
1. Dieser Verfahrensrüge liegt folgendes zugrunde:
a) Nach den Feststellungen fand der Angeklagte an dem Plan seiner
damals 17 Jahre alten Verlobten S. , eine Spielhalle zu
überfallen, zwar Gefallen, wollte den Überfall "aber
nicht persönlich ausführen, weil er unter
Bewährung stand." Am 12. April 1999 gelang es dem Angeklagten
und S. , deren 15 Jahre alten Halbbruder Sch. und dessen 14 Jahre alten
Freund W. für ihr Vorhaben zu gewinnen. Nachdem sie
festgestellt hatten, daß sich in der "Spielstation" nur die
Kassiererin aufhielt, entfernten sich der Angeklagte und S. und gingen
zu dem Keller, in dem sie sich mit Sch. und W. zur Aufteilung der Beute
treffen wollten. Sch. und W. stürmten - wie zuvor abgesprochen
- maskiert und mit gezückten Messern in die Spielhalle und
zwangen die Kassiererin, ihnen das vorhandene Bargeld (1.666 DM) zu
übergeben.
b) Am 25. Mai 1999 wurde gegen den Angeklagten, S. , Sch. und W.
Anklage zum Amtsgericht - Jugendschöffengericht - erhoben.
Nach dem Vorbringen der Revision suchte S. , die am 5. und 6. Mai 1999
polizeilich als Beschuldigte vernommen worden war, am 4. Juni 1999 den
Verteidiger des Angeklagten auf, der über deren den
Angeklagten entlastenden Angaben eine Niederschrift fertigte. In dem
Haftprüfungstermin am 7. Juni 1999, zu dem der Angeklagte aus
der Untersuchungshaft vorgeführt worden war, wurde eine -
nicht beglaubigte - Abschrift des "Protokolls vom 04.06.1999 in Sachen
B. " als Anlage zu dem Terminsprotokoll genommen (Bd. I Bl. 213 ff.
d.A.). Der Eingang dieses Schriftstücks lautet:
"Auf eigene Veranlassung erscheint heute in der o.g. Sache die
Mitbeschuldigte, Frau S. , in meiner Kanzlei. Bei der Unterredung waren
zugegen der Unterzeichner, Frau Ass. Br. sowie die Mitbeschuldigte S. .
Die Beschuldigte S. wurde eingehend darüber belehrt,
daß sie als Beschuldigte in einem Strafverfahren keine
Aussage machen müsse. Sie wurde auch darauf hingewiesen,
daß sie sich, sobald sie Aussagen macht, die darauf
hinzielen, den Beschuldigten B. wahrheitswidrig zu entlasten, der
Gefahr einer versuchten Strafvereitelung aussetzt.
Dies vorausgeschickt erklärte die Beschuldigte, sie
möchte hier gegenüber dem Unterzeichner als
Verteidiger von Herrn B. die folgenden Angaben machen:" ...
S. , Sch. und W. wurden vom Jugendschöffengericht aufgrund der
Hauptverhandlung am 9. Juli 1999 jeweils zu einer zur
Bewährung ausgesetzten Jugendstrafe verurteilt. Das Verfahren
gegen den Angeklagten wurde abgetrennt und die Sache
gemäß § 270 StPO an das Landgericht
verwiesen.
In der Hauptverhandlung vor dem Landgericht hat sich der Angeklagte
dahin eingelassen, er habe "von dem Tatplan nur am Rande etwas
mitbekommen, habe sich aber dagegen ausgesprochen und sich an der Tat
selbst nicht beteiligt." Das Landgericht hat seine Überzeugung
von der Beteiligung des Angeklagten an dem Überfall auf die
Bekundungen von Sch. und
W. gestützt.
c) Die Revision macht geltend, das Verwertungsverbot nach §
252 StGB erstrecke sich nur auf die Aussagen von S. bei den
polizeilichen Vernehmungen und in der Hauptverhandlung vor dem
Jugendschöffengericht, nicht aber auf deren den Angeklagten
entlastenden Angaben, die sie am 4. Juni 1999 gegenüber dem
Verteidiger des Angeklagten und damit "bei einer anderen Gelegenheit
als bei einer früheren Vernehmung" gemacht habe. Dem
Landgericht habe sich deshalb "die Verwendung dieses Beweismittels"
aufdrängen müssen.
2. Die (noch zulässig erhobene) Verfahrensrüge dringt
nicht durch.
Das Landgericht hat zu Recht davon abgesehen, die von dem Verteidiger
des Angeklagten in dem "Protokoll" vom 4. Juni 1999 niedergelegte
Aussage von S. in die Hauptverhandlung einzuführen. Die
Beweiserhebung über diese Aussage ist unzulässig
(§ 244 Abs. 3 Satz 1 StPO), weil aus dem Rechtsgedanken des
§ 252 StPO folgt, daß eine Verwertung dieser Angaben
verboten ist.
a) Die Vorschrift des § 252 StPO enthält nach
ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes nicht nur ein
Verlesungsverbot, sondern - über ihren Wortlaut hinaus - auch
ein Verwertungsverbot. Dieses schließt auch jede andere
Verwertung der bei einer nichtrichterlichen Vernehmung gemachten
Aussage aus; insbesondere ist die Vernehmung von
Verhörspersonen nicht gestattet (BGHSt 2, 99, 102; 36, 384,
387; 42, 391, 397; vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner StPO 44.
Aufl. § 252 Rdn. 12 f.; Gollwitzer in Löwe/Rosenberg
StPO 24. Aufl. § 252 Rdn. 3, jew. m. N.). Damit sind die
Ergebnisse einer früheren Vernehmung des nunmehr die Aussage
befugt nach § 52 StPO verweigernden Zeugen unverwertbar, wobei
es unerheblich ist, ob er damals als Zeuge oder als Beschuldigter
vernommen wurde (BGHSt 20, 384; Kleinknecht/Meyer-Goßner aaO
§ 252 Rdn. 11 m.w.N.); im letzteren Fall dürfte im
übrigen nicht einmal der vernehmende Richter als Zeuge
gehört werden (BGHSt 42, 391, 398 m.w.N.).
b) Allerdings betrifft § 252 StPO nur vorangegangene a m t l i
c h e Vernehmungen; denn zum Begriff der Vernehmung gehört es,
daß der Vernehmende dem Beschuldigten oder Zeugen in
amtlicher Funktion gegenübertritt (vgl. BGHSt 40, 211, 213).
Die in die Form einer Vernehmung gekleidete Anhörung durch den
Verteidiger fällt nicht hierunter. Zwar ist es dem Verteidiger
nicht verwehrt, eigene Ermittlungen zu führen, insbesondere
Zeugen oder Mitbeschuldigte vor und außerhalb der
Hauptverhandlung zu befragen (BGH AnwBl 1981, 115, 116; Dahs, Handbuch
des Strafverteidigers, 5. Aufl. Rdn. 166 f.; Laufhütte in
KK-StPO 4. Aufl. vor § 137 Rdn. 3, jeweils m.N.). Die
Befugnis, Zeugen oder Beschuldigte "amtlich" zu vernehmen (vgl.
§§ 161 a, 163 a, 168, 168 a bis c StPO), gibt ihm das
Gesetz, auch soweit es in verschiedenen Bestimmungen Nachforschungen
des Verteidigers zuläßt (vgl. etwa
§§ 246 Abs. 2, 364 b Abs. 1 Nr. 1 StPO), aber gerade
nicht.
Auch wenn der Verteidiger bei der Befragung von Zeugen oder
Beschuldigten keine a m t l i c h e Funktion wahrnimmt, muß
ein Verwertungsverbot entsprechend dem Rechtsgedanken des §
252 StPO für eine vor dem verfahrensbeteiligten Verteidiger
des Angeklagten gemachte Aussage angenommen werden, wenn sie zur
Verwendung durch den Verteidiger des Angeklagten in dem gegen diesen
und - wie hier - zu diesem Zeitpunkt auch gegen den Zeugen gerichteten
Verfahren bestimmt war. Wenn § 252 StPO es schon untersagt,
eine unter den Strafdrohungen der §§ 145 d und 164
StGB vor der Polizei oder der Staatsanwaltschaft gemachte Aussage als
Zeuge oder eine sogar vor dem Richter als Beschuldigter abgegebene
Einlassung nach anschließender berechtigter
Zeugnisverweigerung zu verwerten, muß dies erst recht der
Verwertung einer Aussage bei einer anwaltlichen
"Beschuldigtenvernehmung" entgegen stehen (vgl. BGHSt 20, 384, 385
a.E.; 29, 230, 232), zumal der Verteidiger bei einer solchen
Anhörung einseitig die Interessen des Beschuldigten
wahrzunehmen hat (vgl. OLG Düsseldorf NStZ-RR 1998, 336;
Kleinknecht/Meyer-Goßner aaO vor § 137 Rdn. 1 a.
E.), während die Strafverfolgungsorgane nach § 160
Abs. 2 StPO sowohl die belastenden als auch die entlastenden
Umstände zu ermitteln haben.
Wäre dies anders, würde es darüber hinaus -
wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift zutreffend
ausgeführt hat - "die Möglichkeit eröffnen,
daß wesentliche Teile der Verhandlungsführung dem
Verantwortungsbereich des Vorsitzenden und des Gerichts entzogen und in
die Hände eines
anderen Verfahrensbeteiligten gelegt würden, der es dann
seinerseits in der Hand hätte, zunächst eine
Zeugenaussage zu ´protokollieren´ und den Zeugen
dann auf sein Zeugnisverweigerungsrecht hinzuweisen, von dem dieser
dann in der Hauptverhandlung Gebrauch macht".
c) Allerdings werden frühere Äußerungen
eines Zeugen außerhalb einer Vernehmung von § 252
StPO nicht erfaßt, wie auch
Spontanäußerungen trotz eines später
ausgeübten Zeugnisverweigerungsrechts verwertbar bleiben
(BGHSt 36, 384, 387, 389; BayObLG StV 1983, 452; Diemer in KK-StPO 4.
Aufl. Rdn. 20 und Kleinknecht/Meyer-Goßner aaO Rdn. 8, 9,
jeweils zu § 252). Hier war die Aussage der Zeugin aber
gezielt für das Strafverfahren herbeigeführt worden;
es handelte sich somit gerade nicht um derartige Angaben, die "aus
freien Stücken" erfolgen (vgl. BGHSt 29, 230, 232; 36, 384,
389; BGH NStZ 1992, 247) und nicht im Bewußtsein ihrer
späteren Verwendungsmöglichkeit im Verfahren
abgegeben werden.
d) Selbst wenn - was der Beschwerdeführer nicht behauptet hat
- die Zeugin mit der Verwertung ihrer dem Verteidiger
gegenüber gemachten Angaben trotz Ausübung des
Zeugnisverweigerungsrechts einverstanden gewesen wäre,
hätten die Angaben nicht verwertet werden dürfen. Aus
der Entscheidung des BGH vom 23. September 1999 (4 StR 189/99 = StraFo
2000, 17, zur Veröffentlichung in der amtlichen Sammlung
bestimmt) ergibt sich nichts anderes. Soweit der Senat nämlich
dort die Verwertung von früheren Aussagen eines Zeugen
gestattet hat, der im übrigen von seinem
Aussageverweigerungsrecht Gebrauch macht, kann sich dies nur auf nach
gesetzlicher Vorschrift ordnungsgemäß
zustandegekommene polizeiliche oder staatsanwaltschaftliche
Vernehmungen oder - wie in dem entschiedenen Fall - auf nach amtlicher
Anordnung durchgeführte
Sachverständigenuntersuchungen beziehen. Im übrigen
gelten insoweit die unter b) dargelegten Bedenken hier in gleicher
Weise: Die Vernehmung des Zeugen oder früheren Beschuldigten
in der Hauptverhandlung darf nicht durch die Verwertung einer unter
keinerlei formellen Vorschriften stehenden "Verteidigervernehmung"
ersetzt werden.
e) Der Ausschluß der Verwertbarkeit erstreckt sich auch auf
die zu der Anhörung hinzugezogenen Personen (vgl. auch BGHSt
13, 394, 396; BGH NStZ 1993, 294, 295). Deshalb war das Landgericht
hier auch gehindert, die Ehefrau des Verteidigers als Zeugin zu
vernehmen.
Meyer-Goßner Maatz Kuckein
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