BGH,
Urt. v. 10.2.2010 - 2 StR 503/09
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 503/09
vom
10. Februar 2010
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags u. a.
- 2 -
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 10.
Februar 2010, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Rissing-van Saan,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Roggenbuck,
die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Appl,
Prof. Dr. Schmitt,
Prof. Dr. Krehl,
Oberstaatsanwältin beim Bundesgerichtshof
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
- 3 -
Auf die Revision des Nebenklägers wird das Urteil des
Landgerichts Gießen vom 25. Juni 2009, soweit der Angeklagte
wegen Totschlags verurteilt ist und im Gesamtstrafenausspruch mit den
zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des
Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags sowie wegen
unerlaubten Erwerbs und Besitzes einer halbautomatischen Kurzwaffe in
Tateinheit mit unerlaubtem Erwerb und Besitz von Munition zu einer
Gesamtfreiheitsstrafe von elf Jahren verurteilt. Gegen die Verurteilung
wegen Totschlags richtet sich die mit der Sachrüge und mit
Verfahrensrügen begründete zulässige
Revision des Nebenklägers, der geltend macht, das Landgericht
habe Mordmerkmale zu Unrecht verneint. Das Rechtsmittel hat mit der
Sachrüge Erfolg und führt im Umfang seiner Einlegung
zur Aufhebung des angefochtenen Urteils, während der nicht
angegriffene Schuldspruch wegen des Waffendelikts und die insoweit
verhängte Einzelstrafe rechtskräftig sind.
1
- 4 -
I.
Nach den Feststellungen des angefochtenen Urteils hatte der in dritter
Ehe verheiratete Angeklagte seit 2004 eine konfliktreiche Beziehung mit
dem späteren Tatopfer Č. . Es kam mehrfach zu Strafanzeigen
der Č. gegen den Angeklagten wegen
Körperverletzungshandlungen, die sie später meist
nicht aufrecht erhielt. Am 1. November 2006 wurde gegen den Angeklagten
wegen insgesamt zehn Körperverletzungshandlungen zum Nachteil
seiner Ehefrau S. D. , der Č. und deren im Februar 2004 geborener
Tochter E. Anklage erhoben. Die häufigen Konflikte
führten dazu, dass das Jugendamt E. und die beiden gemeinsamen
Söhne des Angeklagten und der Frau Č. in einem Kinder- und
Jugenddorf unterbrachte. Am 1. Januar 2008 zog Frau Č. mit dem vier
Wochen alten dritten gemeinsamen Sohn in das Frauenhaus F. . Sie
entschloss sich, sich endgültig vom Angeklagten zu trennen.
Nach ihren Angaben war es an diesem Tag zu einer Auseinandersetzung mit
dem Angeklagten gekommen, der sie geschlagen, eine Treppe herunter
gestoßen und auf die Wirbelsäule getreten habe. Bei
einer Untersuchung im Krankenhaus wurde ein Impressionsbruch des ersten
Lendenwirbels festgestellt. Aufgrund einer Nachricht, die der
Angeklagte im Kinder- und Jugenddorf hinterlassen hatte, nahm Frau Č.
telefonisch Kontakt zu ihm auf. Am 22. Januar 2008 traf sie sich mit
dem Angeklagten, obwohl sie sich vor ihm fürchtete. Zu ihrem
Schutz hatte sie eine Bekannte aus dem Frauenhaus gebeten, sie zu
begleiten. Während Frau Č. mit dem Angeklagten nach Hause
fuhr, wartete die Bekannte am Bahnhof. Um 15.05 Uhr rief Frau Č. sie an
und teilte ihr mit, dass alles in Ordnung sei und sie nach Hause gehen
könne. Später am Abend kündigte sie ihr
telefonisch an, dass sie in einer Stunde zurück in F. sein
werde.
2
- 5 -
Der Angeklagte, der am Abend zunächst seine Tochter S. nach
Hause gefahren hatte, sagte Frau Č. , dass er sie jetzt nach F. fahren
wolle und ließ sie mit dem jüngsten Sohn in das Auto
einsteigen. Spätestens zu diesem Zeitpunkt entschloss er sich,
Frau Č. zu töten. Er fuhr mit ihr unmittelbar in ein in
entgegen gesetzter Richtung zum Frauenhaus liegendes
Waldstück. Auf einem Weg etwa 300 m im Wald hielt er sein
Fahrzeug an. Dort schoss er entweder im Fahrzeug oder aus Richtung der
Fahrerseite in das Fahrzeug hinein auf Frau Č. , die auf dem
Beifahrersitz saß und sich in Richtung Fahrersitz dem
Angeklagten zugewandt hatte. Das Projektil durchschlug den
Körper von Frau Č. unterhalb des rechten Rippenbogens und
verletzte Leber und Niere. Außerhalb des Fahrzeugs schoss der
Angeklagte Frau Č. dreimal in die rechte Kopfhälfte. Frau Č.
starb binnen weniger Minuten. Sie blieb etwa 6,30 m vom Waldweg in
Rückenlage liegen. Das Motiv für die Tötung
konnte das Landgericht nicht aufklären.
3
II.
Die Verfahrensrügen sind jedenfalls unbegründet. Die
Sachrüge führt jedoch zur Aufhebung des angefochtenen
Urteils, soweit es angefochten ist.
4
Die Begründung, mit der das Landgericht das Mordmerkmal der
Heimtücke verneint hat, hält rechtlicher
Prüfung nicht stand.
5
Hierzu ist im angefochtenen Urteil (UA S. 56) ausgeführt: Frau
Č. sei nicht arglos gewesen. Sie habe bereits bei einem Telefonat mit
ihrer Rechtsanwältin einige Tage vor der Tat bekundet, dass
der Angeklagte sie umbringen werde, wenn er sie noch einmal in die
Finger bekäme. Dass sie auch am 22. Januar 2008 einen Angriff
auf ihr Leben noch ins Kalkül gezogen habe,
6
- 6 -
ergebe sich daraus, dass sie gegenüber einer Zeugin bei der
Verabschiedung am Bahnhof gesagt habe "Wenn etwas passiert,
weißt Du, wer es war". Dass Frau Č. zum Angeklagten ins
Fahrzeug eingestiegen sei, heiße nicht, dass sie ihren
Argwohn aufgegeben habe.
a) Heimtückisch handelt, wer in feindlicher Willensrichtung
die Arg- und Wehrlosigkeit des Tatopfers bewusst zur Tötung
ausnutzt. Wesentlich ist, dass der Mörder sein Opfer, das
keinen Angriff erwartet, also arglos ist, in einer hilflosen Lage
überrascht und dadurch daran hindert, dem Anschlag auf sein
Leben zu begegnen oder ihn wenigstens zu erschweren.
Maßgebend für die Beurteilung ist die Lage bei
Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten
Angriffs (st. Rspr., vgl. u.a. BGH NStZ 2006, 503, 504 m.w.N.).
Für das bewusste Ausnutzen von Arg- und Wehrlosigkeit ist es
erforderlich, dass der Täter die Arg- und Wehrlosigkeit in
ihrer Bedeutung für die hilflose Lage des Angegriffenen und
die Ausführung der Tat in dem Sinne erfasst, dass er sich
bewusst ist, einen durch seine Arglosigkeit gegenüber einem
Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen (vgl. BGH, Urteil
vom 17. September 2008 - 5 StR 189/08 - m.w.N.). Die Rechtsprechung hat
den Grundsatz, dass Heimtücke Arglosigkeit des Angegriffenen
bei Tatbeginn voraussetzt, für einzelne typische
Ausnahmefälle modifiziert (vgl. BGHSt 22, 77, 79 f.; 32, 382,
385 f.; Schneider in MüKo StGB § 211 Rdn. 131
m.w.N.). Ein solcher Ausnahmefall liegt etwa vor, wenn der
Täter das Opfer mit Tötungsvorsatz
planmäßig in einen Hinterhalt lockt, um eine
günstige Gelegenheit zur Tötung zu schaffen, und die
entsprechenden Vorkehrungen und Maßnahmen bei
Ausführung der Tat noch fortwirken (BGHSt 22, 77, 79 f.; BGH
NStZ 1989, 364; BGH, Urteile vom 14. Juni 1960 - 1 StR 73/60 - und vom
9. Dezember 1980 - 1 StR 620/80 -).
7
b) Das Landgericht geht offenbar davon aus, dass der Angeklagte Frau Č.
in eine Falle gelockt hat, als er sie in sein Auto einsteigen
ließ, denn
8
- 7 -
es prüft die Arglosigkeit der später
Getöteten zu diesem Zeitpunkt (UA S. 56). Weshalb es zu dieser
Annahme gekommen ist, hat das Landgericht nicht dargelegt, ebenso wenig
wie es die Feststellung, dass der Angeklagte spätestens zu
diesem Zeitpunkt (UA S. 15) entschlossen war, Frau Č. zu
töten, auf festgestellte Tatsachen gestützt hat. Der
Angeklagte ist hierdurch nicht beschwert, denn dass er jedenfalls bei
der Tat mit Tötungsvorsatz gehandelt hat, belegt bereits die
Tatausführung selbst. Zu seinem Vorteil greifen aber die
Erwägungen, mit denen das Landgericht die Arglosigkeit von
Frau Č. schon beim Einsteigen verneint hat, in tatsächlicher
und rechtlicher Hinsicht zu kurz.
Die Ausführungen des Landgerichts belegen zwar, dass Frau Č.
grundsätzlich Angst vorm Angeklagten hatte. Eine auf
früheren Aggressionen und einer feindseligen
Atmosphäre beruhende latente Angst des Opfers vermag aber
dessen Arglosigkeit nicht zu beseitigen (vgl. BGH NStZ-RR 2004, 14
m.w.N.; NStZ-RR 2004, 234). Es kommt insofern vielmehr allein darauf
an, ob das Opfer im Tatzeitpunkt mit Feindseligkeiten des
Täters rechnet (vgl. BGHSt 39, 353, 368). Hiermit hat sich das
Landgericht für den Zeitpunkt des Einsteigens ins Fahrzeug
nicht konkret auseinander gesetzt. Die Umstände, die hier
gegen eine solche Erwartung von Frau Č. sprechen konnten,
nämlich dass sie ihrer Bekannten telefonisch mitgeteilt hatte,
dass alles in Ordnung sei
9
- 8 -
und jene sich nach Hause begeben könne, dass sie bei einem
späteren Telefonat ihr eigenes Erscheinen in F.
angekündigt hatte und dass sie überhaupt mit dem Kind
in das Fahrzeug eingestiegen ist, hat das Landgericht nicht
erörtert.
Rissing-van Saan Roggenbuck Appl
Schmitt RiBGH Prof. Dr. Krehl ist
erkrankt und deshalb an der Unterschrift gehindert.
Rissing-van Saan |