BGH,
Urt. v. 10.1.2007 - 1 StR 530/06
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 530/06
vom
10.1.2007
in der Strafsache
gegen
wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern
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Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
10. Januar 2007, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
Dr. Boetticher,
Dr. Kolz,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Elf,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwältin
als Vertreterin der Nebenklägerinnen J. und Je. K. ,
Rechtsanwältin
als Vertreterin der Nebenklägerin P. Ma. ,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
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Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des
Landgerichts Bamberg vom 25. Juli 2006 mit den Feststellungen aufgehoben
a) soweit von einer Anordnung von Sicherungsverwahrung abgesehen ist;
b) zu Gunsten des Angeklagten im Strafausspruch.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe:
I.
Der Angeklagte hat über Jahre hinweg insbesondere seine beiden
Töchter vielfach sexuell missbraucht. Die Taten zum Nachteil
der 1987 geborenen Tochter J. beging er zunächst zwischen 1995
und 1998 in der Ehewohnung, aus der er dann auszog, und dann nochmals
zwischen 2000 und 2001, als J. bei ihm in der Wohnung lebte. Die Taten
zum Nachteil der 1995 ge-
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borenen Tochter Je. beging er zwischen 2003 und 2005 bei ihren
regelmäßigen Besuchen bei ihm an den Wochenenden und
in den Ferien. 2005 missbrauchte er außerdem zweimal die 1997
geborene P. Ma. , als diese ihre Freundin Je. jeweils bei einem der
genannten Wochenendbesuchen begleitete und ebenfalls in der Wohnung des
Angeklagten übernachtete.
Die Strafkammer, die unter Anwendung des Zweifelssatzes eine
Mindestanzahl von 172 Fällen errechnet hat - davon zwei
Fälle zum Nachteil von zwei Kindern -, hat den Angeklagten
deshalb zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren (Einzelstrafen
zweimal zwei Jahre, zweimal ein Jahr und neun Monate, 160 Mal ein Jahr,
in den übrigen Fällen zwischen zehn und vier Monaten)
verurteilt.
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Sicherungsverwahrung hat die Strafkammer nicht angeordnet. Allein
hiergegen richtet sich die auf die Sachrüge gestützte
Revision der Staatsanwaltschaft. Das auch vom Generalbundesanwalt
vertretene Rechtsmittel hat Erfolg. Es führt zugleich zur
Aufhebung des Strafausspruchs zu Gunsten des Angeklagten (§
301 StPO).
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II.
Die formalen Voraussetzungen des § 66 Abs. 2 StGB liegen vor,
wie dies die Strafkammer im Einzelnen zutreffend ausgeführt
hat. Sachverständig beraten hat sie darüber hinaus
beim Angeklagten eine „Neigung zu sexuellem Kontakt mit
Mädchen im Alter von 7 bis 14 Jahren“ festgestellt.
Es liege bei ihm ein „eingeschliffenes
Verhaltensmuster“ vor, seine sich über Jahre
hinziehenden Taten seien „von steter Wiederholung, zum Teil
auch von beinahe gewohn-
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heitsmäßiger Regelmäßigkeit
geprägt“. Auf dieser Grundlage bejaht die
Strafkammer rechtsfehlerfrei einen Hang i. S. d. § 66 Abs. 1
Nr. 3 StGB.
Gleichwohl hat sie von der Anordnung von Sicherungsverwahrung
abgesehen. Die Entscheidung gemäß § 66 Abs.
2 StGB liegt zwar im pflichtgemä-ßen Ermessen des
Tatrichters und ist deshalb der Kontrolle durch das Revisi-onsgericht
nur sehr begrenzt zugänglich (vgl. nur BGHR StGB § 66
Abs. 2 Ermessensentscheidung 2). Die hier von der Strafkammer
maßgeblich für die Ablehnung von
Sicherungsverwahrung herangezogenen Gesichtspunkte gehen jedoch
teilweise schon von einem rechtlich zu engen Ansatz aus und sind
teilweise mit Erwägungen nicht ohne weiteres vereinbar, die
die Strafkammer im Rahmen der Strafzumessung angestellt hat.
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1. Die Strafkammer hält den Angeklagten trotz seines Hanges
nicht „für die Allgemeinheit
gefährlich“, die Taten seien nämlich
„weitestgehend auf den familiären Bereich
beschränkt“. Der Angeklagte habe sich nicht
„auf die Suche“ nach Kindern gemacht.
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a) Eine Gefahr für die Allgemeinheit besteht nicht nur, wenn
eine unbestimmte Vielzahl noch nicht näher individualisierter
Personen betroffen ist (vgl. Stree in
Schönke/Schröder StGB 27. Aufl. § 66 Rdn.
35). Jeder Einzelne ist Mitglied der Allgemeinheit, wenn ihm schwerer
Schaden droht (vgl. Tröndle/ Fischer StGB 54. Aufl. §
66 Rdn. 24). Dementsprechend genügt für eine
Gefährlichkeit i. S. d. § 66 StGB, wenn vom
Täter erhebliche rechtswidrige Taten nur gegen eine
Einzelperson oder einen begrenzten Personenkreis - wie z. B.
Familienangehörige - zu erwarten sind (vgl. Stree aaO; zum
hinsichtlich des Begriffs der Allgemeinheit gleich zu behandelnden Fall
des § 63 StGB vgl. BGHSt 26, 321; Stree aaO § 63 Rdn.
16 m.w.N.).
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b) Im Übrigen verlangt die Prüfung von
Sicherungsverwahrung eine Prognose, ob von dem Täter mit
bestimmter Wahrscheinlichkeit weitere erhebliche Taten ernsthaft zu
erwarten sind und er deshalb gefährlich für die - im
dargelegten Sinne zu verstehende - Allgemeinheit ist (vgl.
zusammenfassend Tröndle/Fischer aaO Rdn. 22 m.w.N). Diese
Erwartung ergibt sich vielfach schon allein aus der - hier getroffenen
- Feststellung eines Hanges (vgl. BGHR StGB § 66 Abs. 1
Gefährlichkeit 1 m.w.N.). Anderes kann gelten, wenn zwischen
der letzten Hangtat und dem Urteil neue Umstände eingetreten
sind, die die Wahrscheinlichkeit künftiger Straftaten
entfallen lassen (vgl. BGHR aaO m.w.N.). Ausdrücklich
festgestellt sind derartige Umstände nicht. Insbesondere
wäre eine solche Annahme aber auch nicht mit der von der
Strafkammer in Ü-bereinstimmung mit dem
Sachverständigen getroffenen Feststellung vereinbar, beim
Angeklagten liege ein „mittleres einschlägiges
Rückfallrisiko“ vor.
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Im Hinblick darauf, dass dies nicht näher ausgeführt
ist, weist der Senat jedoch vorsorglich auch darauf hin, dass im Rahmen
der gebotenen Gesamtwürdigung eine allein abstrakte, auf
statistische Wahrscheinlichkeiten gestützte
Prognoseentscheidung nicht ausreichen würde (vgl. BGHSt 50,
121, 130 f. im Zusammenhang mit dem insoweit vergleichbaren §
66b StGB). Dies wird die neu zur Entscheidung berufene Strafkammer zu
beachten haben.
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2. Unabhängig von alledem hat der Angeklagte aber nicht nur
seine eigenen Töchter, sondern auch P. Ma. sexuell
missbraucht. Dies spricht auch schon in tatsächlicher Hinsicht
gegen die Annahme, der Angeklagte sei im Wesentlichen nur für
seine eigenen Töchter gefährlich. Dies hat die
Strafkammer im Ansatz auch nicht verkannt. Sie meint jedoch, diese
Taten hätten in diesem Zusammenhang deshalb ein geringeres
Gewicht, weil der Angeklagte
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„sichtlich die günstige Gelegenheit ausgenutzt
(habe), die sich dadurch ergab, dass sich P. Ma. entschlossen hatte,
nicht mehr am Abend nach Hause zurück zu kehren“.
Jedoch ist die im Rahmen der Strafzumessung zu Lasten des Angeklagten
angestellte Erwägung, der Angeklagte habe „nicht
etwa nur günstige Gelegenheiten ausgenutzt, sondern planvoll
das …. Bett entfernt, um zu erreichen, dass …
(außer Je. auch) … P. Ma. mit ihm in …
demselben Bett schlafen“ musste, damit jedenfalls ohne
nähere Erläuterung damit nicht ohne weiteres
vereinbar.
3. Die Strafkammer meint, gegen die Notwendigkeit von
Sicherungsverwahrung spreche auch, dass beim Angeklagten, wie dies auch
in den Taten zum Ausdruck komme, „keinerlei aggressive oder
auch nur nötigende Tendenzen“ vorlägen.
Diese Erwägung hält rechtlicher
Überprüfung nicht Stand.
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a) Wäre der Angeklagte gewaltsam vorgegangen, hätte
er nicht nur den Tatbestand des sexuellen Missbrauchs von Kindern
erfüllt, sondern zugleich auch den Tatbestand der sexuellen
Nötigung. Dass er dies nicht zusätzlich getan hat,
kann ihm im Rahmen der Rechtsfolgenbestimmung bei einer Verurteilung
wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern nicht zugute gehalten werden
(vgl. BGH b. Miebach NStZ 1998, 132; Renzikowski in MüKom
§ 176 Rdn. 67; in vergleichbarem Sinne auch BGH, Urt. v. 21.
März 2001 - 1 StR 32/01).
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b) Darüber erscheint die Annahme, es lägen keinerlei
nötigende Tendenzen vor, durch die im Rahmen der
Strafzumessung angestellte, allerdings nicht konkretisierte
Erwägung, zu Lasten des Angeklagten wirke sich der
„erhebliche Druck“ aus, den er als Vater auf seine
Töchter „ausgeübt“ habe,
zumindest relativiert.
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4. Nach alledem muss über die Anordnung von
Sicherungsverwahrung neu befunden werden.
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Im Hinblick auf erkennbare Bemühungen des Angeklagten,
„von seinen Neigungen loszukommen“ - eine
„Flucht in den Glauben“ ist ebenso festgestellt wie
aufrichtige Reue des Angeklagten und seine von der Strafkammer offenbar
für glaubhaft angesehene Ankündigung, sich einer
Therapie unterziehen zu wollen - könnte auch zu
prüfen sein, ob eine vorbehaltene Sicherungsverwahrung
(§ 66a StGB) in Betracht kommt.
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III.
Die Aufhebung des Urteils hinsichtlich der nicht angeordneten
Sicherungsverwahrung führt hier zugleich zur Aufhebung des
Strafausspruchs zu Gunsten des Angeklagten. Dies folgt aus den
jedenfalls nicht ohne weiteres deckungsgleichen Erwägungen,
die die Strafkammer zu identischen Gesichtspunkten bei der
Strafzumessung zu Lasten des Angeklagten und bei der Prüfung
von Sicherungsverwahrung zu Gunsten des Angeklagten angestellt hat.
Dies gilt für die Erwägungen im Zusammenhang mit den
Taten zum Nachteil
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von P. Ma. (vgl. oben II. 2.) ebenso wie für die
Erwägungen, die Taten ließen keinerlei
nötigende Tendenzen erkennen, der Angeklagte hätte
aber erheblichen Druck ausgeübt (vgl. oben II. 3. b).
Nack Wahl Boetticher
Kolz Elf |